Haftung des Unfallverursachers für Schäden eines anderen Fahrzeugs durch den Einsatz des Rettungshubschraubers?

OLG München, Urteil vom 09.08.2013 – 10 U 427/13

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, wonach der Zurechnungszusammenhang zwischen dem ersten Verkehrsunfall und der Schädigung des auf der Gegenfahrbahn fahrenden Pkw der Klägerin durch den wegen des ersten Unfalls herbeigerufenen Rettungshubschrauber fortbestehe, nicht (Rn.3).

Start und Landung ohne Sperrung der Gegenfahrbahn oder zumindest Warnhinweise an den Gegenverkehr entsprechen keiner sachgerecht durchgeführten Rettungshandlung und unterbrechen den Zurechnungszusammenhang, da es für die konkret schädigende Handlung unwesentlich war, dass der Einsatz durch den von den Beklagten zu 1) und 3) verursachten Verkehrsunfall veranlasst wurde (Rn.14).

Tenor

I. Auf die Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) vom 30.01.2013 und der Beklagten zu 3) und 4) vom 07.02.2013 wird das Endurteil des LG Landshut vom 17.12.2012 (Az. 23 O 2306/12) in Nr. 1. und 2. abgeändert wie folgt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

A.

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Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

Entscheidungsgründe

B.

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Die statthaften sowie form- und fristgerecht eingelegten und begründeten, somit zulässigen Berufungen haben in der Sache Erfolg.

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I. Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz bejaht. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, wonach der Zurechnungszusammenhang zwischen dem ersten Verkehrsunfall und der Schädigung des auf der Gegenfahrbahn fahrenden Pkw der Klägerin durch den wegen des ersten Unfalls herbeigerufenen Rettungshubschrauber fortbestehe, nicht.

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1. Rechtsfehlerfrei hat sich das Landgericht auf Grund der Angaben des Zeugen E. zunächst davon überzeugt, dass der Pkw der Klägerin durch den Hubschraubereinsatz beschädigt wurde, weil dieser aus Sicht des Richtung Landshut fahrenden Zeugen von links über den Pkw hinwegflog und dabei Gegenstände aufwirbelte. Der Zeuge schilderte eindrucksvoll, wie das Fahrzeug hörbar getroffen wurde. Nach Schilderung des Zeugen ist auf Grund der Flugrichtung auch davon auszugehen, dass der Hubschrauber soeben gestartet war, war doch der Einsatz auf der gegenüberliegenden, gesperrten Richtungsfahrbahn. Ebenso wie bei der Landung können auch beim Start Sand, Schotter oder ähnliche lose Gegenstände hochgewirbelt werden und es bedarf keiner besonderen Phantasie, dass sich derartige Gegenstände am linken Fahrbahnrand und im begrünten Mittelstreifen befunden haben können, wie auch die von der Polizei an der Unfallörtlichkeit gefertigten Fotos erkennen lassen. Ein Sachverhalt, der ernsthafte Zweifel daran wecken müsste, dass es zum Aufwirbeln von Gegenständen während der Vorbeifahrt des Zeugen kam, wurde mit der Berufung nicht vorgetragen.

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2. Auch war der Erstunfall für den Zweitunfall im naturwissenschaftlichen Sinne ursächlich. Es bestand ein enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen beiden Unfällen. Ohne den von den Beklagten zu 1) und 3) verursachten Unfall wäre es zu dem Hubschraubereinsatz und zur Schädigung des Pkw auf der Gegenfahrbahn nicht gekommen. Der Erstunfall war damit für die Folgen des Zweitunfalls “adäquat” kausal (vgl. BGH NZV 2004, 243).

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Anders liegen die Dinge hinsichtlich des Zurechnungszusammenhangs, da einerseits der Rettungseinsatz von den Beklagten „herausgefordert“ wurde, für die Retter auch eine Handlungspflicht bestand und andererseits den Unfallverursachern nicht jedwede Handlung der Rettungskräfte zugerechnet werden kann, durch die Dritte geschädigt werden.

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a) In der Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 1964, 684, 685) ist anerkannt, dass derjenige, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu einem (selbst-)gefährdenden Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein kann, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist. Eine solche Schadenszurechnung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand pflichtwidrig der Festnahme oder Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch Anlass gegeben hat, ihn zu verfolgen, wobei sie dann infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben (BGH, VersR 1991, 111). Diese Erwägungen kommen nicht nur in den sog. Verfolgungsfällen zum Tragen, sie sind Ausdruck eines auf rechtlichen Wertungen beruhenden Zurechnungsverständnisses, das allgemein gilt. Der BGH hat deshalb auch in anderen Fallkonstellationen die Schadenszurechnung nach diesen Kriterien bestimmt (vgl. BGHZ 101, 215, 220 ff. m.w.N.; BGH, NJW 1972, 904; VersR 1978, 540; VersR 1981, 260; NJW 1993, 2234). Danach kommt es für die haftungsrechtliche Zurechnung darauf an, ob sich in dem Unfall eine gesteigerte Gefahrenlage ausgewirkt hat, für die die Beklagten verantwortlich sind.

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b) Im Rahmen der erforderlichen wertenden Betrachtung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls liegt die Grenze der Zurechnung jedoch dort, wo der Erstunfall nur noch der äußere Anlass für das weitere Geschehen ist und ein eigenständiges Verhalten eines Dritten diesem Geschehen eine Wendung gibt, die die Wertung erlaubt, das mit dem Erstunfall gesetzte Risiko sei für den Zweitunfall von völlig untergeordneter Bedeutung. Eine Haftung des Erstunfallverursachers ist daher nicht gerechtfertigt, wenn ein – auch nicht vorsätzliches – Verhalten des Zweitunfallverursachers zur Schaffung eines neuen Risikos führt, das mit dem durch den ersten Unfall geschaffenen Risiko nur noch “äußerlich” zusammenhängt (BGH NZV 2010, 609; NJW 2004, 1375; OLG Köln, NZV 2007, 317; OLG Brandenburg, SP 2007, 419).

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Maßgeblich ist insoweit, ob der unaufmerksame Verursacher des Zweitunfalls diesen in einer Weise herbeiführt, für die es letztlich unwesentlich ist, ob das bestehende Hindernis durch einen vorangegangenen Unfall oder aus anderen Gründen (etwa einen Verkehrsstau) geschaffen wurde.

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c) Vorliegend ist zu bedenken, dass der Schaden durch berufsmäßig tätige Nothelfer verursacht wurde.

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Der Grundsatz, dass ein Verletzungserfolg dann nicht zuzurechnen ist, wenn er Folge einer bewussten, eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbst- oder Fremdgefährdung ist und sich die Mitwirkung des Schädigers in einer bloßen Veranlassung oder Förderung des letztlich zum Schaden führenden Gefährdungsaktes erschöpft (BGHSt 32, 262 ff.), erfährt dann eine Einschränkung, wenn der Täter durch eine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbst- oder Fremdgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft (BGHSt 39, 322, [325]). Dem Täter kommt bei Gelingen der Rettungshandlung die Erfolgsabwendung zu Gute und insbesondere ist ihm bei Ausführung der Tat erkennbar, dass hierdurch anderen eine Pflicht zum Handeln auferlegt wird. Soweit die in diesem Sinne pflichtigen Rettungskräfte ihrer Handlungspflicht folgen, liegt ein vollständig freiwilliger Handlungsentschluss nicht vor und es fehlt an einem die Zurechnung unterbrechenden Element. Danach bestimmt die Reichweite der Handlungspflicht des Rettungspflichtigen die Grenzen der Zurechnung. Alle sachgerecht durchgeführten Rettungshandlungen von Berufsrettern, die zu Verletzungen führen, sind von der Zurechnung erfasst, in der Regel auch als offensichtlich riskant erkannte Rettungshandlungen jenseits der Handlungspflicht. Die Grenze der Zurechnung ist dort zu ziehen, wo sich der Rettungsversuch von vornherein als sinnlos oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbunden und damit als offensichtlich unvernünftig darstellt (vgl. BGHSt 39, 322 [326]; OLG Celle NJW 2001, 2816). Dem Schädiger kommt bei der Bewertung der Frage, ob offensichtlich unvernünftig gehandelt wurde auch das durch die arbeitsteilige Vorgehensweise bedingte Fehlerrisiko zu Gute (OLG Stuttgart, NJW 2008, 1971). Abzustellen auf das gesamte Handeln der am Einsatz beteiligten Berufshelfer.

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3. Vorliegend kommt weiter hinzu, dass im Gegensatz zu den bislang vom BGH entschiedenen Fallkonstellationen nicht der beim Unfall Geschädigte durch den Nothelfer oder durch das Verhalten Dritter (weiter) geschädigt wurde oder der Nothelfer zu Schaden kam, sondern der berufsmäßige Helfer seinerseits einen Unbeteiligten schädigte. Nicht schon der Zusammenhang mit dem Rettungseinsatz, sondern nur eine Aktualisierung eines von den Verursachern des Erstunfalles herausgeforderten erhöhten Risikos rechtfertigt die Übernahme der Schadenslast durch diese. Vorliegend ist nichts dafür ersichtlich, dass der konkrete An- oder Abflug ohne Sperrung der Gegenfahrbahn oder Warnhinweise über das Verkehrsleitsystem durch die Verletzung der Unfallverursacher und die konkrete Situation an der Unfallstelle geboten gewesen wäre, zumal die Fahrbahn offensichtlich einseitig seit längerem gesperrt war. Auch hat der Pilot die Schädigung des Kfz in einer Weise herbeiführt, für die es letztlich unwesentlich ist, ob dem Einsatz ein Unfall vorausging oder die die Luftrettung erforderlich machende Situation aus anderen Gründen geschaffen wurde, etwa weil eine Luftrettung eines Verletzten oder Erkrankten aus einem Verkehrsstau heraus erforderlich wurde. Insoweit unterscheidet sich der Fall grundsätzlich von dem Sachverhalt, wie er etwa der Entscheidung des OLG Düsseldorf, NZV 1995, 280 zu Grunde lag. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Erstunfall, nachdem bereits eine Vielzahl von Rettungskräften vor Ort mit der Bergung der Verletzten und die Polizei mit der Unfallaufnahme befasst waren, noch eine gesteigerte Gefahrenlage dafür schuf, dass der Hubschrauber ohne Sperrung auch der Gegenfahrbahn landen und starten wird.

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Hinzu kommt vorliegend Folgendes: Die Dienstanweisung für den Rettungsdienst gemäß Art. 13 III BayRDG bestimmt in § 39, dass, soweit die nachstehenden Vorschriften keine abweichenden Regelungen enthalten, die ersten beiden Abschnitte einschließlich der Bestimmungen über Krankenkraftwagen sinngemäß auch für den Luft-, Berg- und Wasserrettungsdienst gelten. In § 45 II ist lediglich ausgeführt, dass sich die Aufgaben des Piloten aus seiner Stellung als Luftfahrzeugführer und aus den für ihn von den zuständigen Stellen erlassenen Dienstanweisungen ergeben. Demgegenüber ist in § 24 b bestimmt, dass bei allen Fahrten die Grundsätze der Verkehrssicherheit zu beachten sind und die Sicherheit der Insassen des Krankenkraftwagens und der anderen Verkehrsteilnehmer Vorrang haben vor der Schnelligkeit des Einsatzes. Dies gilt auch bei Einsätzen, bei denen höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden (§ 33, § 34). In den gemeinsamen Grundsätzen des Bundes und der Länder für die Erteilung von Allgemeinerlaubnissen für den Einsatz von Hubschraubern ist unter Ziffer 12.8 bestimmt, dass das Außenstart- und Landegelände – falls erforderlich – durch Absperrungen so zu sichern ist, dass niemand gefährdet wird. Entsprechend sehen Rettungsleitfäden der Feuerwehren (vgl. die Internetseite www.ff-muehlhausen.de/Ausbildung/hubschrauber, Rettungsleitfaden Hubschrauberlandung) bei der Landung auf Straßen vor, dass alle Richtungsfahrbahnen gesperrt werden.

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Start und Landung ohne Sperrung der Gegenfahrbahn oder zumindest Warnhinweise an den Gegenverkehr entsprechen keiner sachgerecht durchgeführten Rettungshandlung und unterbrechen nach den dargelegten Erwägungen den Zurechnungszusammenhang, da es für die konkret schädigende Handlung unwesentlich war, dass der Einsatz durch den von den Beklagten zu 1) und 3) verursachten Verkehrsunfall veranlasst wurde.

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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.

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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

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IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Der BGH hat ausdrücklich entschieden, dass sich allgemeinverbindliche Grundsätze dazu, in welchen Fällen ein Zurechnungszusammenhang bejaht werden muss oder zu verneinen ist, nicht aufstellen lassen und es letztlich auf eine wertende Betrachtung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankommt (BGH NZV 2004, 243). Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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