Haftbarhaltung erfordert Schriftform

LG Hamburg, Urteil vom 12.02.2009 – 409 O 90/08

Die Vorschrift des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB verlangt eine schriftliche Erklärung des Absenders. Ein Telefax genügt diesem Schriftformerfordernis nicht, sondern erfüllt (lediglich) die Textform des § 126 b BGB (Rn 38, 39), so dass der Ablauf der Verjährung durch Übersendung eines Telefaxes nicht gehemmt wird.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist mit der Herstellung und dem Vertrieb von Zubehör für die Automobilindustrie befasst. Die Beklagte ist Spediteurin.

2

Am 17./20.2.2006 schlossen die Parteien einen Rahmenvertrag über die Erbringung von Fracht-, Speditions- und sonstigen Logistikleistungen (Anlage K 12). Danach übernahm die Beklagte insbesondere auch den Versand von Gütern der Klägerin nach Südafrika.

3

Im Dezember 2006/Januar 2007 beförderte die Beklagte 9 Container zu der … Automotive … Automotive RSA (PTY) Ltd. in Rossly (SA) (vgl. Containerliste, Anlage K 2, und Frachtrechnung der Beklagten vom 27.12.2006, Anlage K 3). Zu diesen Containern zählte auch der Container mit der No. …36. Dieser Container wies bei der Ablieferung am 15.1.2007 bei der … Automotive … (PTY) Ltd. in Südafrika Schäden auf. Ursache hierfür war ein Unfall des Transportfahrzeugs auf dem Nachlauf in Südafrika.

4

Mit Schreiben vom 20.5.2008 (Anlage K 11) forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, den Schaden zu regulieren.

5

Die Klägerin trägt vor:

6

Die in dem gegenständlichen Container befindlichen Güter hätten einen Schaden in Höhe von 30.567,14 € erlitten (vgl. Schadensaufstellung der Empfängerin, Anlage K 7, gutachterlicher Vorbericht, Anlage K 8, und Gutachten, Anlage K 9).

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Mit Fax vom 20.12.2007 (Anlage K 10) habe die Klägerin die Beklagte für den Schaden haftbar gehalten.

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Die Klägerin beantragt,

9

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 30.567,14 € nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszins seit dem 2.6.2008 sowie vorgerichtlicher Kosten i.H.v. 1.355,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie trägt vor:

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Sie erhebe die Einrede der Verjährung. Der Container …36 sei am 15.1.2007 an die Empfängerin in Pretoria ausgeliefert worden. Damit sei die einjährige Frist des § 439 HGB am 15.1.2008 abgelaufen. Die Verjährung sei auch nicht nach § 439 Abs. 3 HGB gehemmt gewesen. Die Beklagte sei nicht mit Schreiben der Klägerin vom 20.12.2007 (Anlage K 10) haftbar gehalten worden. Dieses Schreiben sei nie zugegangen. Im Übrigen werde an dieser Stelle auf die Entscheidung des OLG München vom 23.7.2008 (TranspR 2008, 321) verwiesen, wonach eine Erklärung in Textform nicht dem Schriftformerfordernis des § 126 BGB genüge. Genau diese Form verlange aber § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB. Das Telefax wäre also selbst dann, wenn es der Beklagten zugegangen wäre, nicht geeignet gewesen, den Ablauf der Verjährung zu hemmen. Die Klägerin habe ihre Ansprüche erstmals mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 20.5.2008 (Anlage K 11) geltend gemacht.

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Soweit sich die Klägerin nunmehr auf qualifiziertes Verschulden berufe und eine dreijährige Frist für sich in Anspruch nehmen wolle, sei dem Folgendes entgegenzuhalten: Der fragliche Unfall sei nicht ungeklärt. Die Beklagte habe sich über ihren Agenten in Südafrika die „Accident Report Form“ (Anlage B 4) beschafft. Auf Bl. 2 dieser Unfallanzeige befinde sich eine Skizze der Örtlichkeit mit einer kurzen Beschreibung des Hergangs. Danach habe der Mitarbeiter des Frachtführers die N1 von Port Elizabeth in Richtung Bloemfontein auf der linken der beiden Fahrspuren (in Südafrika herrsche Linksverkehr) befahren. Auf der Einmündung von links habe sich ein Fahrzeug genähert, das seine Wartepflicht missachtet habe. Der Fahrer habe, um einen Zusammenstoß mit diesem Fahrzeug zu vermeiden, nach rechts ausweichen müssen. Dabei sei der Truck ins Schleudern geraten und sei auf die Seite gefallen. Diese Unfallschilderung werde auch durch das Gutachten des Sachverständigen Sachverständigen D. vom 3.5.2007 (Anlage B 5), der vom Haftungsversicherer des Frachtführers eingeschaltet worden sei, bestätigt.

15

Unabhängig davon werde die Anspruchsberechtigung der Klägerin bestritten. Der zugrunde liegende Auftrag sei nicht von ihr erteilt worden, sondern telefonisch von einem Mitarbeiter der … Automotive … (PTY) Ltd., Südafrika. Auch deshalb sei die „Haftbarmachung“ der Klägerin, wäre sie denn zugegangen, nicht geeignet gewesen, die Verjährung zu hemmen.

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Im Übrigen bestreite die Beklagte, dass der Schaden während des kontrahierten Transportes entstanden sei. Ausweislich des von der Klägerin eingereichten Gutachtens sei der Container während des Nachlaufs in Südafrika beschädigt worden. Aus Bl. 2 des Gutachtens, dort letzter Absatz, gehe hervor, dass die Firma V.. Logistics, der örtliche Agent von … Automotive … Südafrika, den Frachtführer Ashley’s Long Distance mit der Beförderung des Containers beauftragt habe. Ein unmittelbarer Anspruch gegen die Beklagte scheide daher selbst dann aus, wenn die Beklagte die Rechte und Pflichten eines Frachtführers hätte. Denn der Vertrag habe im Hafen von Port Elizabeth geendet.

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Vorsorglich bestreite die Beklagte auch die Höhe des geltend gemachten Schadens (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 10.9.2008, Seiten 3 f.).

18

Die Klägerin treffe (auch) ein erhebliches Mitverschulden (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 10.9.2008, Seite 4).

19

In rechtlicher Hinsicht werde auf die vertraglich vereinbarten Haftungsbeschränkungen verwiesen (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 10.9.2008, Seiten 4 f.).

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Die Klägerin erwidert:

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Sie sei anspruchsberechtigt. Ausweislich der §§ 2 f. des Rahmenvertrags (Anlage K 12) habe sich die Beklagte gegenüber der Klägerin verpflichtet, für die Klägerin Transporte durchzuführen. Nach § 2 (4) des Rahmenvertrages bestimmten sich die Einzelheiten und der Umfang der von der Beklagten – für die Klägerin – zu erbringenden Leistungen nach den für die jeweiligen Relationen getroffenen Einzelvereinbarungen. Ausweislich der für die Relation Südafrika maßgeblichen Einzelvereinbarung (Anlage K 13) habe die Beklagte die Anlieferung des gegenständlichen Containers bei der Niederlassung der Beklagten in Südafrika geschuldet. Folglich sei der südafrikanische Spediteur/Frachtführer auch nicht von der Niederlassung der Klägerin in Südafrika, sondern von der Beklagten beauftragt worden (vgl. E-Mail vom 26.4.2007, Anlage K 14).

22

Die Ansprüche der Klägerin seien auch nicht verjährt.

23

Das Schreiben vom 20.12.2007 (Anlage K 10) sei selbstverständlich auch an die Beklagte abgesandt worden (vgl. zugehöriges Sendeprotokoll, Anlage K 15). Die Haftbarhaltung (Anlage K 10/Anlage K 15) sei noch am selben Tage Gegenstand eines Gesprächs zwischen der Zeugin Zeugin G. und Herrn Zeuge S. gewesen. Die als Anlage K 10/K 15 überreichte Haftbarhaltung genüge der Form des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 27.1.2009, Seiten 1 ff.).

24

Auf Vorangestelltes komme es indes nur bedingt an. Denn die Beklagte hafte für den gegenständlichen Schaden nach § 435 HGB. Der als Anlage B 4 überreichten Unfallanzeige sei unmissverständlich zu entnehmen, dass der Lkw mit den gegenständlichen Gütern ohne jede Fremdeinwirkung verunfallt sei. Nach der als Anlage B 4 überreichten Unfallanzeige sei der Lkw – ohne Fremdeinwirkung – in Höhe einer Autobahnauffahrt ins Schleudern geraten und quer über 2 Fahrbahnen in die rechte Seitenbegrenzung gerutscht, wobei sich der Lkw überschlagen habe (vgl. Gutachten, Anlage K 9, Seiten 3 f.). Ein entsprechendes Unfallgeschehen sei nur durch überhöhte Geschwindigkeit und/oder eine Übermüdung des Fahrers zu erklären. Die vorangestellte Annahme werde dadurch bestätigt, dass der Fahrer das Unfallgeschehen gemäß der Anlage B 5 anders zu schildern gesucht habe, als durch die als Anlage B 4 überreichte Unfallanzeige und das als Anlage K 9 vorgelegte Gutachten belegt. Das sei offensichtlich in dem Bestreben erfolgt, eine Verkehrsordnungswidrigkeit zu verbergen und um sich der Haftung zu entziehen. Die Ansprüche der Klägerin gegenüber der Beklagten nach § 435 HGB verjährten erst nach 3 Jahren (§ 439 Abs. 1 Satz 2 HGB).

25

Art, Umfang und Höhe des gegenständlichen Schadens seien durch die als Anlagen K 7 – K 9 überreichten Unterlagen belegt.

26

Die Beklagte hafte für den gegenständlichen Schaden unbegrenzt, da nach den vorangestellten Ausführungen ein qualifiziertes Verschulden jedenfalls zu vermuten sei (vgl. im Übrigen Schriftsatz vom 2.10.2008, Seite 6).

27

Die Klägerin habe sich selbstverständlich auch kein Mitverschulden entgegenhalten zu lassen (vgl. im Einzelnen Schriftsatz vom 2.10.2008, Seiten 6 f.).

28

Ergänzend wird für das weitere Vorbringen der Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.


Entscheidungsgründe

29

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

I.

30

Ein vertraglicher Schadensersatzanspruch gemäß § 21 des Rahmenvertrages (Anlage K 12) ist ebenso aufgrund der insoweit von der Beklagten erhobenen Einrede gemäß § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB verjährt wie ein gesetzlicher Schadensersatzan-spruch gemäß §§ 429, 452 f., 459 HGB.

31

1. Die Vorschrift des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB ist gemäß § 21 (12) Satz 1 des Rahmenvertrages auch für vertragliche Schadensersatzansprüche anwendbar.

32

Dagegen kommt die Regelung des § 21 (12) Satz 2 des Rahmenvertrages, nach der die Verjährungsfrist 3 Jahre beträgt, ebenso wenig zum Tragen wie die entsprechende gesetzliche Vorschrift des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB. Denn es fehlt jeweils an einem qualifizierten Verschulden.

33

Ein solches steht nicht fest. Es spricht auch keine widerlegbare Vermutung für ein qualifiziertes Verschulden. Die Klägerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte ihre prozessuale Aufklärungspflicht nicht erfüllt habe. Denn bei der Beschädigung eines Guts besteht nach zutreffender Ansicht des BGH nur dann eine prozessuale Aufklärungspflicht, wenn der Anspruchsteller Anhaltspunkte für qualifiziertes Verschulden liefert (vgl. BGH TranspR 2006, 390, 393). Das hat die Klägerin nicht getan. Sie hat keinen Sachverhalt vorgetragen, nach dem auf ein der Beklagten zuzurechnendes qualifiziertes Verschulden des für den Nachlauf in Südafrika, wo der unstreitig die Schäden an den transportierten Gütern verursachende Verkehrsunfall stattfand, eingesetzten Frachtführers geschlossen werden könnte.

34

Die Klägerin verweist insoweit auf die als Anlage B 4 überreichte Unfallanzeige, nach der der Lkw – ohne Fremdeinwirkung – in Höhe einer Autobahnauffahrt ins Schleudern geraten und quer über 2 Fahrbahnen in die rechte Seitenbegrenzung gerutscht sei, wobei sich der Lkw überschlagen habe, ein entsprechendes Unfallgeschehen sei nur durch überhöhte Geschwindigkeit und/oder eine Übermüdung des Fahrers zu erklären. Dieses Vorbringen gibt weder die Unfallanzeige richtig wieder, noch steht es mit den Feststellungen des Gutachtens vom 3.7.2007 (Anlage K 9), auf das die Klägerin sich ebenfalls bezieht, in Einklang, so dass es nicht plausibel und damit unschlüssig ist. Denn nach der Unfallskizze in der Unfallanzeige (Seite 2 der Anlage B 4) befand sich „a gouge in the tar“, also eine Furche/Rinne im Teer der ursprünglich vom Lkw befahrenen linken Fahrspur. Dementsprechend wird die englische Version der auf Afrikaans vorgenommenen (kurzen) Unfallbeschreibung in der Unfallanzeige in dem Gutachten vom 3.7.2007 (Anlage K 9) wie folgt wiedergegeben: „The quality of the road surface was marked on the Accident Report as „good“ and on the sketch a gouge in the tar was noted“ (Seite 8). Daraus zieht das Gutachten dann auch den Schluss „…the accident occurred… possibly as a result of Mr. M. loosing control of the vehicle from a gouge in the tar, as indicated on the Police accident Report” (Seite 10). Für eine überhöhte Geschwindigkeit und/oder Übermüdung des Fahrers gibt es weder in der Unfallanzeige noch in dem Gutachten vom 3.7.2007 einen Anhaltspunkt, noch kann darauf allein aufgrund des Unfallhergangs geschlossen werden. Darauf, ob die Unfallversion der Beklagten ihrerseits plausibel ist, kommt es nach dem Vorstehenden nicht an (vgl. dazu nur Ziff. 11 der Spalte „ACCIDENT TYPE“ der Unfallanzeige: „Single vehicle, overturned“).

35

2. Die Voraussetzungen des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB liegen ebenfalls vor.

36

Nach § 439 Abs. 2 Satz 1 HGB ist für den Verjährungsbeginn die Ablieferung an den Empfänger maßgeblich. Die Ablieferung des Containers an die Empfängerin … Automotive … (PTY) Ltd. in Rossly (SA) erfolgte unstreitig am 15.1.2007.

37

Dementsprechend lief die einjährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB am 15.1.2008 lange vor Einreichen der Klage am 14.7.2008 ab.

38

3. Eine zwischenzeitliche Hemmung der Verjährung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB ist nicht erfolgt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das von der Klägerin vorgelegte Telefax vom 20.12.2007 (Anlage K 10), wonach die Klägerin die Beklagte für den entstandenen Schaden haftbar gehalten hat, der Beklagten auch zugegangen ist. Denn selbst dann, wenn das Telefax der Beklagten zugegangen wäre, hätte es den Ablauf der Verjährung nicht gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB hemmen können.

39

Denn diese Vorschrift verlangt eine schriftliche Erklärung des Absenders. Ein Telefax genügt dem Schriftformerfordernis jedoch nicht (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, 68. Aufl., § 126 Rn. 8 und 12 m.w.N.), sondern erfüllt (lediglich) die Textform des § 126 b BGB (vgl. Palandt-Ellenberger, a.a.O., § 126 b Rz. 3).

40

Vom Schriftformerfordernis kann auch nicht abgesehen werden.

41

a) Vom Schriftformerfordernis kann in diesem Fall nicht etwa deshalb eine Ausnahme gemacht werden, weil in § 2 (15) des Rahmenvertrages (Anlage K 12) auf die Geltung der ADSp verwiesen wird, nach deren Ziff. 3.2 die Datenfernübertragung und jede sonst lesbare Form, sofern sie den Aussteller erkennbar macht, der Schriftform gleichsteht.

42

Denn bekanntlich findet Ziff. 3.2 ADSp gemäß Ziff. 2.5 ADSp im – hier vorliegenden Fall – des § 439 Abs. 3 HGB keine Anwendung (vgl. Koller, TranspR, 6. Aufl., Ziff. 3 ADSp Rz. 8), da § 439 Abs. 3 HGB AGB-fest ist (vgl. § 439 Abs. 4 HGB).

43

b) Ebenso wenig kann vom Schriftformerfordernis generell aufgrund einer analogen Anwendung des § 438 Abs. 4 HGB oder des § 126 b BGB abgesehen werden.

44

Denn für eine analoge Anwendung dieser Vorschriften besteht kein Raum. Es fehlt insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke, wie das OLG München zutreffend begründet hat (vgl. TranspR 2008, 321, 322; vgl. auch Ebenroth, Boujong, Joost, HGB, § 439 Rzn. 24 f.; Andresen/Valder, Speditions-, Fracht- und Lagerrecht, Handbuch des Transportrechts, § 439 Rz. 29; Fremuth/Thume, TranspR, § 438 Rzn. 24 f., § 439 Rz. 29).

45

Soweit Koller eine analoge Anwendung des § 438 Abs. 4 HGB und des § 126 b HGB im Rahmen des § 439 Abs. 3 damit begründet, dass weder ein Bedürfnis bestehe, den Ersatzberechtigten vor einer übereilten Erklärung abzuschrecken noch ein erhöhtes Bedürfnis, dem Frachtführer eine sichere Identifikation des Erklärenden zu ermöglichen (vgl. Koller, a.a.O., § 439 Rz. 33), kann ihm nicht gefolgt werden. Denn bei § 439 Abs. 3 HGB steht die Klarstellungs- und Beweisfunktion im Vordergrund (vgl. OLG München, TranspR 321, 323; Müglich, das neue Transportrecht, § 439 Rz. 8), so dass es auf die Warn- und die Identitätsfunktion nicht ankommt.

46

Die unterschiedlichen Formerfordernisse für die Schadensanzeige nach § 438 Abs. 4 HGB einerseits und die Erklärung des § 439 Abs. 3 HGB andererseits haben auch durchaus ihren Sinn. Die Textform wird immer dann ausreichen, wenn das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift unangemessen und verkehrserschwerend wäre, es ohnehin kaum beachtet und somit die Klarstellungs- und Beweisfunktion leerlaufen würde (vgl. OLG München, a.a.O.). Dies ist bei der Schadensanzeige des § 438 Abs. 4 HGB der Fall. Hier kommt es gerade auf eine schnelle Mitteilung an. § 438 Abs. 1 HGB sieht vor, dass die Schadensanzeige spätestens bei Ablieferung des Gutes erfolgen soll. Ein Schriftformerfordernis wäre hier unangebracht. Bei der verjährungshemmenden Erklärung des § 439 Abs. 3 kommt es dagegen nicht auf eine schnelle Mitteilung an – der Erklärende hat immerhin 1 Jahr Zeit, bevor die Verjährung eintritt -, sondern es steht mehr der Inhalt der Erklärung im Vordergrund (Bezeichnung des konkreten Schadensereignisses, des Frachtführers und des Anspruchstellers). Wenn die Schriftform aber nicht verkehrserschwerend ist, dann kann es auch zugunsten der Rechtssicherheit und der Beweisfunktion bei diesem Formerfordernis bleiben.

47

c) Die in § 439 Abs. 3 HGB ausdrücklich normierte Schriftform kann auch nicht im Wege der teleologischen Auslegung durch die Textform ersetzt werden.

48

aa) Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung folgt aus der Entscheidung des OLG München nicht im Umkehrschluss, dass zumindest mit einer Unterschrift versehene Faxe der Form des § 439 Abs. 3 HGB genügen sollen.

49

Denn daraus, dass das OLG München im Rahmen einer teleologischen Auslegung des § 439 Abs. 3 HGB angesichts der seinem Fall zugrunde liegenden E-Mail nicht zum Ergebnis kommt, die in § 439 Abs. 3 HGB ausdrücklich normierte Schriftform durch die Textform zu ersetzen, ergibt sich nicht, dass das OLG München zum gegenteiligen Ergebnis käme, sofern ein mit einer Unterschrift versehenes Fax vorläge. Da das OLG München es auch angesichts einer teleologischen Auslegung generell ablehnt, die Schriftform durch die Textform zu ersetzen, dürfte es bei einem mit einer Unterschrift versehenen Fax keine Ausnahme machen, da selbst ein solches Fax das Erfordernis der Schriftform nicht erfüllt (siehe oben I. 3.).

50

bb) Ebenso wenig kann für eine Einschränkung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB auf Artikel 32 Abs. 2 CMR abgestellt werden.

51

Dass sich die Vorschrift des § 439 HGB weitgehend an der Vorschrift des Artikel 32 CMR orientieren soll (vgl. BT-Drucksache 13/8445, Seite 77) schließt Unterschiede im Einzelnen nicht aus. In Artikel 32 Abs. 2 CMR bedeutet „schriftlich“ (nur) deshalb nicht Schriftform im Sinne des § 126 BGB, da die CMR – anders als ins § 439 Abs. 3 HGB – insoweit nicht auf das nationale Recht verweist, so dass dort jede Form der Lesbarkeit, wie z.B. Telefax genügt (vgl. Koller, a.a.O., Artikel 32 CMR Rz. 11).

52

cc) Eine (einschränkende) teleologische Auslegung kann auch nicht damit begründet werden, dass dem Frachtführer durch eine Haftbarhaltung per Telefax ebenfalls deutlich gemacht werde, dass er für einen konkreten Schaden haftbar gehalten werde, wobei Schadensereignisse und Aussteller aus der Erklärung ersichtlich seien, wie die Klägerin meint.

53

Eine einschränkende teleologische Auslegung bei Haftbarhaltung durch unterschriebene Faxe ist nicht möglich. Denn dass der Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzesentwurfs zu § 126 b BGB (BT-Drucksache 14/4987, Seite 18) eine Überprüfung weiterer Normen dahingehend, ob sie sich für die Einführung der Textform eignen, in Aussicht stellte, lässt erkennen, dass er sich diesbezügliche gesetzliche Regelungen vorbehält. Gerade dies steht einer Auslegung einzelner Vorschriften dahingehend, dass statt der normierten Schriftform die Textform ausreichend sein soll, grundsätzlich entgegen (vgl. OLG München TranspR 2008, 321, 322 f.), und zwar auch einer (einschränkenden) teleologischen Auslegung.

54

dd) Von der Klägerin behauptete Praxis und Handelsbrauch können ebenfalls keine einschränkende Auslegung des § 439 Abs. 3 HGB begründen.

55

d) Vom Schriftformerfordernis kann auch nicht gemäß § 242 BGB in Fällen abgesehen werden, in denen der Frachtführer aufgrund einer ihm per Fax zugegangenen Haftbarhaltung positiv weiß, dass er für einen konkreten Schaden in Anspruch genommen wird und hiernach inhaltlich auf die Haftbarhaltung Bezug nimmt.

56

Die Vorschrift des § 242 BGB kommt in diesen Fällen nicht zur Anwendung. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Beweiswirkung, die durch die Einhaltung der Schriftform gewahrt werden soll (vgl. OLG München TranspR 2008, 321, 323), kann es nicht darauf ankommen, ob sich die Parteien im Anschluss an den Eingang eines unterschriebenen Faxes über dessen Inhalt unterhalten haben. Denn damit stünde nur der Eingang des unterschriebenen Faxes fest, dass nach dem Willen des Gesetzgebers aber gerade nicht für eine Haftbarhaltung gemäß § 439 Abs. 3 HGB ausreicht.

II.

57

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

58

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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