AG Hamburg, Beschluss vom 22.09.2014 – 36a C 98/14
Bei Tonträger-Kompilationen liegen die Rechte an den einzelnen Hörstücken in aller Regel bei unterschiedlichen Inhabern. Dem Medienhändler eine Überprüfung der Rechte für jedes einzelne, auf dem Tonträger befindliche Hörstück aufzugeben, würde für ihn eine schlechthin unzumutbare Belastung darstellen (Rn. 39)
Tenor
Die Gehörsrüge der Klägerin gegen den Beschluss vom 06.05.2014 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin hat mit ihrer Klage Rechtsanwaltskosten in Höhe von restlichen 384,80 € nach einer Abmahnung gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Nach Erledigung der Hauptsache streiten die Parteien nur noch über die Kosten des Rechtsstreits.
2
Die Klägerin hält unter anderem als Produzentin Rechte an den vier Tonaufnahmen “St.-Lied”, “Das M.”, “B., der …” und “K. R., …”, die allesamt bereits vor Veröffentlichung des hier in Rede stehenden Albums auf anderen Tonträgern veröffentlicht wurden.
3
Im Jahr 2008 veröffentlichte die Z GmbH & Co. KG den Tonträger “P. & F. – Lieder & Geschichten”, auf welchem neben acht weiteren Tonaufnahmen auch die vier genannten der Klägerin enthalten waren (vgl. Anlage K6). Dazu war die Z GmbH & Co. KG nach entsprechender Rechteeinräumung durch die Klägerin berechtigt gewesen, wobei das Verbreitungsrecht spätestens am 29.11.2010 durch bloßen Zeitablauf enden sollte. Rechte zur öffentlichen Zugänglichmachung hatte die Klägerin der Z GmbH & Co. KG nicht eingeräumt.
4
Am 22.08.2013 bot die Beklagte über den von ihr betriebenen Online-Shop auf der Internetseite www…..de das Album “P. & F. – Lieder & Geschichten” einschließlich der vier Tonaufnahmen der Klägerin zum kostenpflichtigen Download an (vgl. Anlage K7).
5
Daraufhin ließ die Klägerin die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 23.08.2013 (Anlage K8) abmahnen und zur Unterlassung sowie Zahlung in Höhe von 869,95 € (865,00 € Anwaltskosten nach einem Gegenstandswert von 16.000 € sowie 4,95 € für den durchgeführten Probedownload des Albums) auffordern. Die Beklagte ließ eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben, lehnte jedoch eine Zahlungspflicht zunächst ab. In der Folgezeit zahlte sie zunächst einen Betrag in Höhe von 485,15 €.
6
Die Klägerin hat ihren restlichen vermeintlichen Zahlungsanspruch in Höhe von 384,80 € mit der hier erhobenen Klage weiterverfolgt. Nachdem die Beklagte die Hauptforderung beglichen hat, haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übersteinstimmend für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich in ihrem Schriftsatz vom 16.04.2014 jedoch gegen die Kostenlast verwahrt und darauf hingewiesen, dass sie auf dem Portal www….de lediglich die technischen Voraussetzungen dafür schaffe, dass andere Anbieter ihre Inhalte über dieses Portal vertreiben können. Sie selbst sei aber nicht Anbieterin. Diesen Schriftsatz hat das Gericht den Klägervertretern gemäß richterlicher Verfügung vom 24.04.2014 zur abschließenden Stellungnahme binnen 10 Tagen übersandt. Die Verfügung wurde erst am 05.05.2014 ausgeführt und der Schriftsatz am 07.05.2014 zugestellt, wie sich aus dem Empfangsbekenntnis der Klägervertreter ergibt. Bereits am 06.05.2014 hatte das Gericht jedoch der Klägerin gemäß § 91a I ZPO mit Beschluss die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Diese Entscheidung hat das Gericht vor allem damit begründet, dass nach dem – bis dahin – unwidersprochenen Vortrag der Beklagten sie nicht Anbieterin sei, sondern nur die technische Plattform für Dritte zur Verfügung stelle, welche ihrerseits als Anbieter darüber Werke vertreiben könnten. Das Gericht hat die Beklagte aufgrund dieses Sachstands weder als Täterin noch als Störerin angesehen und im Übrigen eine Haftungsprivilegierung gemäß §§ 8 I, 7 II TMG angenommen.
7
Gegen diesen ihr am 12.05.2014 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit am 23.05.2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz „Beschwerde“ eingelegt und vorgetragen, dass die Beklagte sehr wohl selbst die Tonaufnahmen auf der genannten Internetseite anbiete und keineswegs nur die technische Plattform zur Verfügung stelle. Die Beklagte werde auch Vertragspartnerin der über die Plattform abgeschlossenen Verträge. All dies ist im weiteren Verlauf des Streits unstreitig geworden. Denn die Beklagte hat ihren Vortrag dahingehend berichtigt, dass sie zwar selbst Geschäftsbeziehungen mit den Kunden eingehe, jedoch keine eigenen, also von ihr produzierten Inhalte anbiete.
II.
1.
8
Die sofortige Beschwerde ist als solche unzulässig, denn der Streitwert der Hauptsache belief sich auf 384,80 € und lag damit unter der gemäß §§ 91a II 2, 511 II Nr. 1 ZPO genannten Grenze von 600,00 €. Das Gericht legt die sofortige Beschwerde jedoch als Antrag gemäß § 321a I ZPO aus, zumal die Klägerin ausdrücklich die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs rügt. Als solcher ist der Antrag zulässig, denn ein anderer Rechtsbehelf gegen den Beschluss vom 06.05.2014 ist nicht gegeben, und die zweiwöchige Notfrist gemäß § 321a II 1 ZPO hat die Klägerin eingehalten. Einer Glaubhaftmachung im Sinne von § 321a II 1, 2. Halbsatz ZPO bedurfte es angesichts des entsprechenden Empfangsbekenntnisses der Klägervertreter nicht.
2.
9
Aufgrund der mit der Beschwerdebegründung und der darauf ergangenen Stellungnahme der Beklagten veränderten unstreitigen Tatsachenlage ist der Klägerin zuzugeben, dass die Beklagte nicht nach §§ 8 I, 7 II TMG haftungsprivilegiert ist. Unstreitig gehen die Kunden, die über das Portal ….de einkaufen, nur mit der Beklagten eine Rechtsbeziehung ein. Damit ist die Beklagte selbst Anbieterin der Inhalte bzw. Werke, unabhängig von der Frage, wer diese Werke produziert hat. Die Voraussetzungen der im TMG gesetzlich normierten Haftungsprivilegierung liegen folglich nicht vor. Die prozessuale Sachlage hat sich insoweit seit dem Beschluss vom 06.05.2014 erheblich verändert.
10
Zu seinem ausdrücklichen Bedauern hat das Gericht auch das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt, indem es den Beschluss vom 06.05.2014 versehentlich vor Ablauf der der Klägerin gesetzten abschließenden Stellungnahmefrist erlassen hat. Dafür bittet das Gericht – insbesondere angesichts seiner ganz erheblichen Belastung – um Nachsicht. Die richterliche Verfügung vom 24.04.2014 ist erst nach 11 Tagen ausgeführt worden. Aufgrund dessen hat das Gericht bei Abfassung des Beschlusses übersehen, dass die Stellungnahmefrist für die Klägerin noch lief.
3.
11
Der Antrag der Klägerin ist gleichwohl unbegründet und die Gehörsrüge daher gemäß § 321a IV 3 ZPO zurückzuweisen, denn der Beschluss vom 06.05.2014 ist im Ergebnis zutreffend. Die Klägerin wäre im Rechtsstreit unterlegen, so dass ihr die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sind. Die Verletzung rechtlichen Gehörs hat sich damit auf die Entscheidung nicht ausgewirkt. Das aber ist gemäß § 321a I Nr. 2 ZPO Voraussetzung einer begründeten Gehörsrüge.
12
Die Beklagte haftet – wie bereits mit Beschluss vom 06.05.2014 ausgeführt – weder als Täterin noch als Störerin und auch nicht als Gehilfin für die Verbreitung sowie die öffentliche Zugänglichmachung von Hörwerken, die in einer “Kompilation” enthalten sind.
13
Der Klägerin stand der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 97 I 1 UrhG im Hinblick auf die öffentliche Zugänglichmachung einzelner Hörstücke des Albums „P. & F. – Lieder & Geschichten“ nicht zu. Folglich stand ihr auch kein Anspruch auf Erstattung der für die Abmahnung vom 23.08.2013 entstandenen Kosten gemäß § 97a I 2 a.F. UrhG zu. Ihr stand auch kein Anspruch auf Erstattung der für den Download gezahlten 4,95 € zu, weder als Schadensersatz gemäß § 97 II UrhG noch als Aufwendungsersatz gemäß § 97a I 2 a.F. UrhG.
14
Das erkennende Gericht schließt sich dazu den nachfolgend wiedergegebenen Erwägungen des OLG München aus der Entscheidung vom 24.10.2013 (Az. 29 U 885/13, GRUR-RR 2014, 13 – Buchbinder Wanninger) an, die vollständig auf den hiesigen Fall des Angebots eines Tonträgers in Gestalt einer „Kompilation“ durch einen Medienhändler zu übertragen sind:
15
“Gemäß § 97 I 1 UrhG kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt. Verletzer sind sowohl Täter und Teilnehmer einer Verletzungshandlung als auch Dritte, die willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beitragen, wenn sie als Störer angesehen werden können.
16
Keine dieser Kategorien ist auf die Bekl. anwendbar.
17
a) Die Bekl. haftet nicht als Täterin einer selbst begangenen Urheberrechtsverletzung.
18
aa) Grundsätzlich ist als Täter zur Unterlassung verpflichtet, wer die Verletzung eines Immaterialgüterrechts als absoluten Rechts selbst begeht (vgl. BGH, GRUR 2011, 1018 Rdnr. 16 – Online-Automobilbörse; BGHZ 172, 119 = GRUR 2007, 708 Rdnr. 28 – Internetversteigerung II). Dabei kommt es nicht darauf an, ob er auch die Umstände kannte oder zumindest kennen musste, welche den Vorwurf der Rechtsverletzung begründen, also schuldhaft handelte (vgl. OLG Hamburg, MMR 2007, 533; Reber, in: Ahlberg/Götting, Beckscher Online-Kommentar, UrhG, § 97 Rdnr. 36; Jan-Bernd Nordemann, in: Fromm/Nordemann, UrheberR, 10. Aufl. [2008], § 97 Rdnrn. 61 u. 146; für das Kennzeichenrecht Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl. [2010], Vorb. zu §§ 14 – 19 d Rdnr. 77; für das Lauterkeitsrecht Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl. [2011], Kap. 5 Rdnr. 40; vgl. auch für bürgerlich-rechtliche Ansprüche BGH, GRUR 2004, 263; Palandt/Bassenge, BGB, 72. Aufl. [2013], § 1004 Rdnr. 13). Das ergibt sich bereits daraus, dass die gesetzlichen Regelungen einen Unterlassungsanspruch ohne Weiteres bei einer Rechtsverletzung gewähren (vgl. § 97 I UrhG; § 14 V MarkenG; § 42 I GeschmMG; § 139 I PatG; § 24 I GebrMG; § 37 I SortSchG; vgl. auch § 8 UWG und § 1004 BGB), Schadensersatzansprüche dagegen nur, wenn die Rechtsverletzung außerdem auch schuldhaft erfolgt ist (vgl. § 97 II UrhG; § 14 VI MarkenG; § 42 II GeschmMG; § 139 II PatG; § 24 II GebrMG; § 37 II SortSchG; vgl. auch § 9 UWG und § 823 BGB). Nur wenn der in Anspruch Genommene nicht selbst gehandelt hat, bedarf es des Zurechnungsmerkmals des zumindest bedingten Vorsatzes in Bezug auf die Haupttat, der das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit einschließen muss, um die Haftung als Mittäter (vgl. BGH, GRUR 2011, 152 Rdnr. 31 = MMR 2011, 172 m. Anm. Engels – Kinderhochstühle im Internet, m. w. Nachw.) oder Teilnehmer (vgl. BGH, GRUR 2013, 511 Rdnr. 35 – Morpheus, m. w. Nachw.) zu begründen. Für denjenigen, dessen eigene Handlungen Rechte Dritter verletzen, kommt eine Beschränkung auf bewusst rechtswidriges Vorgehen schon deshalb nicht in Betracht, weil sonst der unbewusst fahrlässig Handelnde nicht auf Unterlassung haften würde, obwohl er – weil fahrlässig handelnd – zum Schadensersatz verpflichtet ist.
19
bb) Diese etwa im Kennzeichenrecht unumstrittene Rechtslage könnte im Bereich des Medienvertriebs zu abträglichen Ergebnissen führen und bedarf deshalb einer an den inmitten stehenden Grundrechten orientierten Anpassung.
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(1) Aus der uneingeschränkten Unterlassungshaftung des eigenhändigen Täters folgte, dass Buchhändler für den Vertrieb von Plagiaten auf Unterlassung haften (vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl. [2013], § 97 Rdnr. 23; Wild, in: Schricker/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. [2010], § 97 Rdnr. 64, allerdings selbst zweifelnd; LG München I, MMR 2007, 260; a. A. LG Hamburg, GRUR-RR 2011, 249 – Online-Buchhändler [vgl. allerdings auch LG Hamburg, Beschl. v. 13. 4. 2013 – 308 O 125/12, zur – bejahten – Haftung des Verkäufers eines Tonträgers]; LG Berlin, GRUR-RR 2009, 216 – Buchhändlerhaftung). Dem kann nicht entgegengehalten werden, dem Buchhändler fehle es an der Tatherrschaft (so aber LG Berlin, GRUR-RR 2009, 216 – Buchhändlerhaftung), denn die eigenen Vertriebshandlungen, in denen die Rechtsverletzung liegt, vermag er selbstverständlich zu steuern; so kann sich etwa eine Warenhauskette gegenüber einem kennzeichenrechtlichen Unterlassungsanspruch nicht damit verteidigen, sie habe nicht gewusst, dass ihre von einem Dritten gelieferte Ware ein geschütztes Kennzeichen verletze und habe das auch nicht feststellen können, etwa weil es sich um ein nicht eingetragenes Unternehmenskennzeichen handele. Die Unkenntnis davon, dass eigene Vertriebshandlungen Rechte Dritter verletzen, kann allenfalls zum Ausschluss des Verschuldensvorwurfs führen, nicht zum Ausschluss der Tatherrschaft.
21
Diese verschuldensunabhängige Unterlassungshaftung hätte zur Folge, dass Buchhändler in unabsehbarer Weise der Gefahr von Abmahnungen wegen behaupteter Urheberrechtsverletzungen und der damit verbundenen Kostenbelastung ausgesetzt wären, die sich wegen des damit verbundenen immensen Aufwands – anders als etwa bei der Prüfung auf eine Verletzung fremder Werktitel i. S. des § 5 III MarkenG – nicht in zumutbarer Weise durch eine Prüfung der angebotenen Bücher eingrenzen ließe und deshalb das Geschäftsmodell des breitgefächerten Angebots von Büchern jeder Art in Frage stellen könnte.
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Diese Beeinträchtigung griffe in den Schutzbereich der durch Art. 5 I 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit ein. Diese sichert die Freiheit der Herstellung und Verbreitung von Druckerzeugnissen (vgl. BVerfG, GRUR 2012, 389 Rdnr. 7 – Kunstausstellung im Online-Archiv, m. w. Nachw.). Ihr Schutz hängt nicht von besonderen Eigenschaften der Publikation ab, solange diese nur in gedruckter und zur Verbreitung geeigneter und bestimmter Form am Kommunikationsprozess teilnimmt (vgl. BVerfGE 95, 28 = NJW 1997, 386 [387]), und erfasst deshalb nicht nur periodisch erscheinende Publikationen, sondern nicht zuletzt auch Bücher (vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. [2012], Art. 5 Rdnr. 25). Für nur in elektronischer und nicht in gedruckter Form verbreitete Bücher gilt unter dem umfassenden Gesichtspunkt der Medienfreiheit (vgl. zur Verwendung dieses Begriffs etwa BVerfGE 107, 299 = NJW 2003, 1787 [1793 ff.]) nicht anderes (vgl. BVerfG, GRUR 2012, 389 Rdnr. 7 – Kunstausstellung im Online-Archiv: Schutz für ein Online-Archiv). Das Grundrecht sichert die Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten für die Herstellung und Aufrechterhaltung des auf Verwirklichung der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit gerichteten Kommunikationsprozesses. Die Tätigkeit der Presse fällt damit von der Beschaffung von Informationen bis zu deren Verbreitung in den Schutzbereich des Art. 5 I 2 GG. Auch solche von Dritten selbstständig ausgeübte Tätigkeiten, die typischerweise pressebezogen sind, in enger organisatorischer Bindung an die Presse erfolgen und für das Funktionieren einer freien Presse notwendig sind, werden vom Schutz des Art. 5 I 2 GG erfasst (vgl. BVerfG, NVwZ 2007, 1306, m. w. Nachw.). Damit fällt auch die Vertriebstätigkeit von Buchhändlern in den Schutzbereich der Gewährleistung des Art. 5 I 2 GG.
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(2) Bei der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts sind die durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG gezogenen Grenzen zu beachten und die im Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachzuvollziehen, die den Eigentumsschutz der Urheber ebenso wie etwaige damit konkurrierende Grundrechtspositionen – hier die Pressefreiheit – im Wege praktischer Konkordanz beachtet und unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen vermeidet (vgl. BVerfG, GRUR 2012, 389 Rdnr. 10 – Kunstausstellung im Online-Archiv; BVerfGE 129, 78 = GRUR 2012, 53 Rdnr. 86 – Le-Corbusier-Möbel, m. w. Nachw.). Die Gegenläufigkeit des Grundrechtsschutzes aus Art. 5 I 2 GG und der weitgreifenden Unterlassungshaftung von Buchhändlern ist deshalb durch ein differenziertes Haftungsregime auszugleichen (so auch LG Hamburg, GRUR-RR 2011, 249 – Online-Buchhändler). Einem allgemeinen Interesse an der Tätigkeit eines Anbieters von Dienstleistungen im Internet kann – auch bei eigenen Rechtsverletzungen des Anbieters – dadurch Rechnung getragen werden, dass dessen Haftung auf solche Verstöße beschränkt wird, die begangen werden, nachdem er auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist (vgl. BGHZ 185, 291 = GRUR 2010, 628 Rdnr. 39 – Vorschaubilder I, m. w. Nachw.).
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Ein solches Erfordernis führt auch im Streitfall zu einem interessengerechten Ausgleich. So wird die Position des Inhabers von urheberrechtlich geschützten Rechten nicht über Gebühr beeinträchtigt. Schadensersatzansprüche erwachsen ihm aus der Verletzungshandlung ohnehin meist nicht, weil der Buchhändler regelmäßig keine Kenntnis von den Verletzungsumständen hatte oder auch nur haben konnte und daher schuldlos handelte. Künftigen Vertriebshandlungen steht entgegen, dass den Buchhändler ab dem Zeitpunkt, in dem er durch den Rechteinhaber auf die Rechtsverletzung hingewiesen worden ist, Prüfpflichten treffen, bei deren Nichteinhaltung er zumindest als Unterlassungsschuldner haftet. Auskunft über Lieferanten, Liefermengen und Ähnliches (vgl. § 101 III UrhG) muss der Buchhändler regelmäßig auch dann erteilen, wenn er selbst nicht Verletzer ist, weil er dem Verleger für dessen rechtsverletzenden Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat (vgl. § 101 II Nr. 3 UrhG). Wirtschaftlich gesehen beschränkt sich die Privilegierung deshalb darauf, dass Buchhändler die Kosten für einen abmahnungsähnlichen ersten Hinweis auf die Rechtsverletzung nicht zu tragen haben, es ihnen aber im Anschluss daran obliegt, dem Hinweis entsprechende Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden. Dieses Ergebnis trägt sowohl der grundrechtlichen Eigentumsschutz genießenden Stellung der Werknutzungsberechtigten als auch der durch die Medienfreiheit geschützten Position der Buchhändler angemessen Rechnung.
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cc) Danach ist die Bekl. im Streitfall nicht zur Unterlassung verpflichtet. Als sie das E-Book […] anbot, war sie noch nicht darauf hingewiesen worden, dass sich darin eine ohne Zustimmung der Kl. […] übernommene Textpassage befand. Dass dieses E-Book auch nach der von der Kl. ausgesprochenen Abmahnung weiterhin angeboten worden sei, kann dem Parteivorbringen nicht entnommen werden; ein Verstoß nach Hinweis auf die Rechtsverletzung, der eine Unterlassungsverpflichtung begründete, ist deshalb nicht erkennbar.
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b) Eine Haftung der Bekl. als Gehilfin bei den vom Verlag mittels ihres Dienstes begangenen Urheberrechtsverletzungen scheidet ebenfalls aus. Für den dazu erforderlichen Gehilfenvorsatz reicht es nicht aus, wenn die Bekl. mit gelegentlichen Rechtsverletzungen durch die Nutzer ihres Dienstes rechnete; erforderlich wäre vielmehr eine Kenntnis der Bekl. von konkret drohenden Haupttaten (vgl. BGH, GRUR 2013, 1030 Rdnr. 28 – File-Hosting-Dienst; BGHZ 194, 339 = GRUR 2013, 370 Rdnr. 17 – Alone in the Dark, m. w. Nachw.). Dafür gibt es im Streitfall keine Anhaltspunkte.
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c) Die Bekl. ist auch nicht als Störerin zur Unterlassung verpflichtet. Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt. Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden kann, die die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Prüfpflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer Inanspruchgenommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (vgl. BGH, GRUR 2013, 1030 Rdnr. 30 – File-Hosting-Dienst, m. w. Nachw.). Der Bekl. ist es erst recht insoweit, als sie als Störerin in Anspruch genommen wird, nicht zuzumuten, jede von den Verlagen auf ihren Servern hochgeladene Datei auf rechtsverletzende Inhalte zu untersuchen; denn das würde wegen des damit verbundenen immensen Aufwands ihr Geschäftsmodell gefährden, das nicht von vornherein auf Rechtsverletzungen durch die Verlage angelegt ist (vgl. BGH, GRUR 2013, 1030 Rdnr. 44 – File-Hosting-Dienst, m. w. Nachw.).”
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In ähnlicher Weise hat auch das LG Hamburg bereits am 11.03.2011 (Az. 308 O 16/11, GRUR-RR 2011, 249 – Online-Buchhändler) entschieden:
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„Dem Antragsteller ist zuzugestehen, dass im Urheberrecht […] grundsätzlich eine willentliche, dem Berechtigten vorbehaltene Handlung, die objektiv eine Rechtsverletzung darstellt, eine Täterschaft begründet und einen Unterlassungsanspruch auslöst. Eines Verschuldens bedarf es nicht, und dass die Handlung rechtswidrig ist, muss dem Handelnden nicht bewusst sein (vgl. Jan Bernd Nordemann in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 97 Rn. 150, Wild in: Schricker/Loewenheim, 4. Aufl., § 97 Rn. 122, jeweils m.w.N). Unter Anwendung dieser Kriterien wäre der Buchhändler als Täter anzusehen. Denn er bietet das Buch mit dem verletzenden Inhalt aufgrund eigener Entscheidung zum Verkauf an und kann dieses aufgrund eigener Entscheidung unterlassen.
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Die sich daraus ergebene täterschaftliche Haftung des Buchhändlers für das Verbreiten von Büchern mit urheberrechtsverletzenden Inhalten bedarf jedoch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen einer Einschränkung.
31
Auch der Buchhändler steht unter dem verfassungsrechtlichen Schutz der Medienfreiheit gemäß Art. 5 I 2 GG. Denn diese erstreckt sich nicht nur auf den Bereich der unmittelbar inhaltsbezogenen Medientätigkeiten […].
32
So verhält es sich jedenfalls beim Buchhändler. Dieser ist zwar nicht lediglich als Hilfsperson in den Vertrieb der Bücher eingegliedert, sondern er hat die jeweiligen Bücher aufgrund selbständiger Entscheidung in sein Repertoire aufgenommen. Auch fehlt ihm ein unmittelbarer Bezug zum Inhalt der von ihm vertriebenen Bücher, um dessentwillen der Schutz der Medienfreiheit besteht. Gleichwohl rechtfertigt sich die Einbeziehung seiner Tätigkeit in den Schutzbereich von Art. 5 I.2 GG, weil diese in enger organisatorischer und funktionaler Anbindung an die Medien erfolgt und sich eine gesetzliche Einschränkung auf die Medienverbreitung auswirkt. Denn der Buchhändler ist im Regelfall faktisch nicht in der Lage, rechtsverletzende Inhalte der Bücher zu erkennen. Bei der Vielzahl der angebotenen Bücher ist der Buchhändler heute im Regelfall nur noch ein technischer Verbreiter, der mit dem Inhalt der Bücher nichts mehr zu tun hat. Das gilt insbesondere für den Onlinebuchhändler, der die Bücher nur noch ins Internetschaufenster einstellt. Eine inhaltliche Kontrolle findet nicht statt und ist auch regelmäßig nicht zumutbar.“
33
All diese Erwägungen gelten auch im hiesigen Streitfall. Dabei übersieht das erkennende Gericht nicht, dass es sich hier – anders als in den beiden zitierten Entscheidungen – nicht um ein Buch bzw. ein E-Book (elektronisches Buch) handelt. Es handelt sich jedoch um eine „Kompilation“. Das ist eine Zusammenstellung akustischer Inhalte, wobei darin verschiedene Hörstücke unterschiedlicher Produzenten, Urheber und Künstler auf einem Tonträger bzw. in einer der Tonwiedergabe fähigen Datei vereinigt sind. Bei der hier in Rede stehenden Kompilation werden „Lieder & Geschichten“, also sowohl Musik als auch Text, akustisch dargeboten (vgl. Anlage K6 und K7). Auch diese Kompilation fällt jedoch unter den Schutz von Art. 5 I 2 GG bzw. Art. 5 III 1 GG. Nach der Entscheidung des OLG München ist daher das dort aufgezeigte, normativ korrigierte Haftungsregime, das erstmals für den klassischen Sortimentsbuchhandel entwickelt (LG Berlin, GRUR-RR 2009, 216 – Buchhändlerhaftung) und sodann auf den Online-Buchhandel ausgedehnt wurde (LG Hamburg, GRUR-RR 2011, 249 – Online-Buchhändler; zur Rspr. i. Ü. Verweyen, GRUR-RR 2013, 372, 374 f.), nicht nur auf E-Book-Händler, sondern allgemein auf Medienhändler zu erstrecken. Denn diese nehmen gleichermaßen am geschützten Prozess der Informations-, Meinungs- und Kunstverbreitung teil und sind den gleichen unüberwindbaren praktischen Schwierigkeiten und existenziellen Kostenrisiken ausgesetzt wie der klassische und der Online-Buchhändler (Verweyen, GRUR-RR 2014, 16 – Anmerkung zu OLG München, GRUR-RR 2014, 13 – Buchbinder Wanninger).
34
Danach ist die Beklagte weder als Täterin noch als Gehilfin anzusehen (vgl. obiges Zitat des OLG München unter a)cc) und b)). Denn weder hatte die Beklagte Kenntnis von dem rechtsverletzenden Inhalt der Kompilation, noch ist vorgetragen, dass sie den Tonträger nach Kenntnisvermittlung durch die Klägerin weiterhin angeboten hätte.
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Die Beklagte haftet auch nicht als Störerin. Der Haftung der Beklagten steht grundsätzlich entgegen, dass ihr eine Rechteüberprüfung in Bezug auf die hier in Streit stehenden Hörstücke nicht zumutbar war. Damit oblag ihr keine Prüfpflicht, deren Verletzung jedoch nach dem oben Gesagten Voraussetzung einer Störerhaftung wäre. Denn auch hier ist nach den oben dargelegten Maßstäben eine Korrektur der urheberrechtlichen Haftung unter Beachtung der sich gegenüberstehenden Grundrechte in Gestalt des Eigentumsrechts einerseits und der Medienfreiheit andererseits im Wege praktischer Konkordanz vorzunehmen. Zur dogmatischen Begründung wird auf die oben wiedergegebenen Ausführungen des OLG München und des LG Hamburg verwiesen. Dass diese Grundsätze auch im hiesigen Fall greifen müssen, ergibt sich aus Folgendem:
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Von den 12 Stücken auf dem Album „P. & F.“ hält die Klägerin lediglich an vieren die Rechte, wohingegen die Rechte an den weiteren acht Stücken anderen zustehen, soweit diese nicht gemeinfrei sein sollten. Dies macht den maßgeblichen Unterschied aus zu der Entscheidung des LG Hamburg, wonach die sogenannte „Buchhändlerrechtsprechung“ ausdrücklich nicht auf die Verbreitung nicht autorisierter Bild-/Tonaufnahmen zu übertragen sei (Beschluss vom 13.04.2012, Az. 308 O 125/12, BeckRS 2012, 08823). Dort hatte das LG Hamburg über die Verbreitung einer nicht autorisierten Bild- und Tonaufnahme eines Konzerts des Antragstellers zu befinden, die insgesamt und von vornherein unautorisiert, also „insgesamt rechtswidrig erstellt“ war (sog. „Bootleg“) und bei der die verletzten Rechte zudem in einer Hand lagen. In diesem Fall hat das LG Hamburg einen Unterlassungsanspruch angenommen, allerdings zugleich ausgeführt:
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„Eine[r] unter Berücksichtigung der Medienfreiheit (Art. 5 I 2 GG) gebotene[n] verfassungsmäßige[n] Einschränkung dieser Täterhaftung bedarf es allenfalls, wenn der rechtswidrige Inhalt des Angebots nur bei aufwendiger Recherche erkennbar wäre und dies für den Händler eine unzumutbare Belastung darstellen würde.“
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Entsprechendes gilt erst recht für die Frage der Prüfpflichten eines möglichen Störers.
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Danach oblagen der Beklagten keine Prüfpflichten in Bezug auf die Rechte an den einzelnen Stücken des hier in Rede stehenden Albums. Denn im Gegensatz zu einem „Bootleg“ liegen bei Kompilationen, wie auch hier, die Rechte an den einzelnen Hörstücken in aller Regel bei unterschiedlichen Inhabern. Dem Medienhändler eine Überprüfung der Rechte für jedes einzelne, auf dem Tonträger befindliche Hörstück aufzugeben, würde für ihn eine schlechthin unzumutbare Belastung darstellen. Denn dabei müsste sich die Prüfung für jedes einzelne Stück auf alle in Betracht kommenden möglichen Rechteinhaber, hier etwa den ursprünglichen Produzenten bzw. Tonträgerhersteller, die Sprecher, die Musiker sowie die Urheber der Texte bzw. Musikstücke, beziehen. Gegebenenfalls wären dazu auch die einzelnen Rechteübertragungen nachzuvollziehen und auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Der für eine entsprechende Prüfung zu betreibende Aufwand ist unzumutbar und würde das Geschäftsmodell eines (Online-) Medienhändlers jedenfalls für den Vertrieb von Kompilationen grundsätzlich in Frage stellen. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Z GmbH & Co. KG zunächst Nutzungsrechte an den vier Hörstücken der Klägerin für die Vervielfältigung und Verbreitung über Tonträger (nicht jedoch für die öffentliche Zugänglichmachung) zustanden und daher die Veröffentlichung des physischen Tonträgers im Jahr 2008 nicht zu beanstanden war. Anders als bei einem „Bootleg“ gab es hier also zunächst eine rechtmäßige Veröffentlichung der Hörstücke, wenn auch nicht in der Form der öffentlichen Zugänglichmachung gemäß § 19a UrhG. Diese Nutzungsrechte waren jedoch zeitlich beschränkt und bestanden spätestens am 29.11.2010 allein aufgrund des Zeitablaufes nicht mehr, so dass ein weiterer Vertrieb des Tonträgers nicht mehr erlaubt gewesen sein soll. Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung gemäß § 19a UrhG, wie hier durch Angebot eines Downloads, hat die Klägerin der Z GmbH & Co. KG hingegen nicht übertragen. Es ist aber weder vorgetragen noch irgendwie ersichtlich, wie die Beklagte oder überhaupt ein Medienhändler als außenstehender Dritter ohne Einblick in entsprechende Verträge diesen „Rechteverlauf“ in tatsächlicher Hinsicht auch nur im Ansatz nachvollziehen geschweige denn auf seine rechtliche Wirksamkeit prüfen könnte. Das gilt in besonderem Maße für Fälle wie diesen, in denen ursprünglich bestehende Rechte durch reinen Zeitablauf wieder erlöschen. Denn in einem solchen Fall tritt der Rechtsverlust ein, ohne dass dies anhand irgendwelcher nach außen tretender Umstände wahrnehmbar wäre. Zudem sind die auf den Tonträgern bzw. deren Verpackungen gemachten Angaben häufig so knapp, dass der Medienhändler zu einer solchen Überprüfung ohne weitere intensive Nachforschungen faktisch gar nicht in der Lage ist. Das gilt auch hier, denn ausweislich Anlage K6 scheint die Klägerin als (mögliche) Inhaberin irgendwelcher Rechte an einzelnen Hörstücken auf der Verpackung des Tonträgers nicht auf, obwohl sie Produzentin von vieren der 12 enthaltenen Hörstücke ist. Ein Medienhändler müsste daher zunächst durch Kontaktaufnahme mit dem oder den auf dem Tonträger genannten Rechteinhabern in Erfahrung bringen, auf welche weiteren Personen bzw. Personengruppen oder Unternehmen er seine Prüfungen überhaupt ausrichten müsste. Er müsste also zunächst nachforschen, inwieweit er weiter nachforschen muss. Sodann müsste er Glied für Glied die jeweiligen Rechteketten nachvollziehen und sich im Zweifel die jeweils geschlossenen Verträge vorlegen lassen. Das wird oftmals faktisch gar nicht möglich sein und ist in jedem Falle schon angesichts des dafür zu treibenden Zeit- und Personalaufwands unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten unzumutbar. Insofern liegt der Fall gänzlich anders als bei einem „Bootleg“ betreffend Musikaufnahmen eines einzigen Künstlers oder einer einzigen Musikgruppe, welches auch für einen Medienhändler mit sehr geringem und daher zumutbarem Aufwand – etwa durch Recherche in einschlägigen Datenbanken wie Phononet oder in der Diskografie der fraglichen Musikgruppe – als solches erkannt werden kann.