LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2010 – 10 Sa 308/10
Fristlose Kündigung wegen Drohung mit Krankschreibung bei tatsächlich vorliegender Arbeitsunfähigkeit unwirksam
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22. Februar 2010, Az.: 3 Ca 725/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die fristlosen Kündigungen des Beklagten vom 27.02.2009 und vom 10.03.2009 aufgelöst worden ist, oder bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.06.2009 bestanden hat.
Der Kläger (geb. am … 1957, ledig) war seit dem 01.01.1999 im Betrieb des Beklagten als Kraftfahrer zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt € 2.200,00 beschäftigt. Ob der Beklagte zum Kündigungszeitpunkt mehr als zehn Arbeitnehmer in seinem Betrieb beschäftigte, war erstinstanzlich zwischen den Parteien streitig.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.02.2009 und erneut mit Schreiben vom 10.03.2009 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Er stützt beide Kündigungen darauf, dass der Kläger am Freitag, dem 27.02.2009 die Fäkalsprache benutzt, die Arbeit verweigert sowie eine Erkrankung angekündigt habe. Der Kläger wendet sich gegen die Kündigungen mit seiner am 23.03.2009 erhobenen Klage.
Der Beklagte trägt zur Begründung der Kündigungen vor, seine Büromitarbeiterin W. V. habe den Kläger am 27.02.2009 um die Mittagszeit unterwegs angerufen und ihm mitgeteilt, dass er mit seiner Arbeit noch nicht fertig sei, wenn er gegen 13:00 Uhr von seiner Fahrt zum Betrieb zurückkehre. Er müsse um 18:00 Uhr mit dem Lkw in U-Stadt stehen, und dort eine Teilpartie zuladen. Der Kläger sei bereits am Telefon äußerst ungehalten gewesen und habe in unangemessenem Ton geäußert, dass er das nicht mache, seine Zeit sei um. Frau V. habe erwidert, dass er noch genügend Arbeitszeit habe, er müsse noch nach U-Stadt fahren. Der Kläger habe ihr in unangemessenem Ton geantwortet, er fahre garantiert nicht mehr. Bei seiner Ankunft im Betrieb um 13:00 Uhr habe seine weisungsbefugte Ehefrau dem Kläger erklärt, dass der Lkw im Betrieb angeladen werde, er habe dann mindestens 4 Stunden Freizeit. Gegen 18:00 Uhr könne er in U-Stadt noch eine Teilladung zuladen und dann im Lkw übernachten, um von dort am nächsten Morgen weiterzufahren. Nach Erhalt dieser Arbeitsanweisung habe sich der Kläger im Büro „aufgebaut“ und erklärt, er mache das nicht, seine Arbeitszeit in dieser Woche sei ausgeschöpft. Auch nach einem weiteren Wortwechsel habe sich der Kläger vehement geweigert, die Arbeit zu verrichten. Nachdem seine Ehefrau auf der Anweisung beharrt habe, sei der Kläger laut geworden und habe gesagt: „Ich mache die ganze Scheiße nicht mehr mit, ich gehe jetzt zum Arzt und lasse mich krankschreiben. Vor drei Wochen habe ich mir bei der Arbeit den Fuß verletzt.“ Der Kläger habe sodann den Lkw ausgeräumt, den Schlüssel auf den Tisch gelegt und sei gegangen. Er habe gegen 17:30 Uhr angerufen und erklärt, er sei beim Arzt gewesen und erst einmal bis zum 08.03.2009 krankgeschrieben worden.
Der Kläger trägt vor, er sei am 09.02.2009 in Strümpfen in den Lkw eingestiegen und habe sich am Zeh verletzt. Die Wunde habe sich entzündet. Weil die Praxis seiner Hausärztin am Nachmittag des 27.02.2009 bereits geschlossen gewesen sei, habe er die Praxis des Dr. med. T. S. aufgesucht. Der Arzt habe die Wunde sofort chirurgisch behandelt. Aus medizinischer Sicht sei die Behandlung dringend erforderlich gewesen. Der Kläger war -unstreitig- vom 28.02.2009 bis einschließlich 22.03.2009 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft hat den Krankheitszeitraum als Folge eines Arbeitsunfalls vom 10.02.2009 anerkannt.
Zur weiteren Darstellung des unstreitigen Sachverhalts, des streitigen Vorbringens der Parteien und der erstinstanzlich gestellten Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22.02.2010 (dort Seite 2-8 = Bl. 256-262 d.A.).
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 22.02.2010 der Klage gegen die zwei fristlosen Kündigungen stattgegeben und die weitergehende Klage gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger könne sich gegen die ordentliche Kündigung zum 30.06.2009 nicht wehren, weil der Beklagte nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftige. Die zwei fristlosen Kündigungen vom 27.02.2009 und vom 10.03.2009 seien unwirksam. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Zuganges der ersten Kündigung wegen einer Verletzung am Fuß und eines durchgeführten operativen Eingriffs arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Er habe am Nachmittag des 27.02.2009 seine Arbeitspflicht deshalb nicht verletzt. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, die Erkrankung des Klägers sowie den dargestellten operativen Eingriff in Zweifel zu ziehen. Unterstelle man die vom Beklagten vorgetragenen Äußerungen des Klägers am 27.02.2009 gegenüber dem Büropersonal als zutreffend, so sei das Arbeitsverhältnis nicht so belastet, dass dem Beklagten die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre. Die beiden Büromitarbeiterinnen hätten nämlich – trotz der Äußerungen – versucht, den Kläger zur Durchführung der fraglichen Fahrt zu bewegen. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger, hätte er die Fahrt durchgeführt, nicht fristlos gekündigt worden wäre. Die fristlosen Kündigungen seien jedenfalls unverhältnismäßig, weil das Arbeitsverhältnis bereits seit dem 01.01.1999 bestanden habe. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22.02.2010 (Bl. 267-269 d.A.) Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 16.06.2010 zugestellt worden ist, hat der Beklagte mit am 21.06.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 21.07.2010 begründet.
Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe das Verhalten und die Äußerungen des Klägers am 27.02.2009 nicht der Schwere des Vergehens entsprechend gewürdigt. Bereits die Äußerungen des Klägers seien so drastisch und verletzend gewesen, dass allein schon deswegen die fristlose Kündigung berechtigt gewesen sei. Außerdem sei in seinen Äußerungen eine massive Arbeitsverweigerung zum Ausdruck gekommen. In der Benutzung der Fäkalsprache liege eine so grundlegende Missachtung des Arbeitgebers und seiner Mitarbeiterinnen, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für eine Sekunde unzumutbar sei. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht unterstellt, dass er trotz der Äußerungen bereit gewesen wäre, den Kläger weiterzubeschäftigen, wenn er die Fahrt nach U-Stadt durchgeführt hätte. Der Kläger habe versucht, eine Krankheit vorzuschieben. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts seien Anhaltspunkte erkennbar, die zwar nicht die Erkrankung selbst, wohl aber deren Intensität und die dringende Erforderlichkeit des operativen Eingriffs in Frage stellten. Er habe den Verdacht, dass der Kläger einen nicht dringend erforderlichen Eingriff habe vornehmen lassen, nachdem er gemerkt habe, dass sein Arbeitsplatz in Gefahr sei. Das Arbeitsgericht hätte deshalb seinem Beweisantrag nachgehen müssen, dass der Kläger am fraglichen Tag nicht arbeitsunfähig gewesen sei, eine Operation hätte auch später erfolgen können. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 20.07.2010 (Bl. 284-289 d. A.) und vom 24.08.2010 (Bl. 314-316 d. A.) Bezug genommen.
Der Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22.02.2010, Az.: 3 Ca 725/09, abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung im Schriftsatz vom 28.07.2010, auf den Bezug genommen wird (Bl. 304-309 d.A.), als zutreffend. Er habe seine Arbeit am Nachmittag des 27.02.2009 nicht verweigert. Es sei vielmehr dringend erforderlich gewesen, einen Arzt aufzusuchen, der auch sofort einen operativen Eingriff vorgenommen habe. Er habe sich nicht in der vom Beklagten dargestellten Form gegenüber den Mitarbeiterinnen V. und A. geäußert. Er habe Frau V. bereits am Telefon versucht zu erklären, dass er die gesetzlichen Ruhezeiten nicht einhalte, wenn er die Fahrt am Abend durchführe. Unabhängig von seiner Erkrankung hätte er jedenfalls wegen Überschreitung der Lenkzeiten nicht mehr fahren dürfen.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlosen Kündigungen des Beklagten vom 27.02.2009 und vom 10.03.2009 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Es endete deshalb erst am 30.06.2009 mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass es dem Beklagten zuzumuten war, das am 01.01.1999 begründete Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zum 30.06.2009 fortzusetzen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung bleiben erfolglos.
1. Der Beklagte kann die zwei fristlosen Kündigungen nicht darauf stützen, dass der Kläger am 27.02.2009 im Verlauf der verbalen Auseinandersetzung mit den Büroangestellten die Fäkalsprache benutzt habe, was der Kläger bestreitet.
Selbst wenn sich der Kläger mit den Worten: „Ich mache die ganze Scheiße nicht mehr mit“ geweigert haben sollte, die Fahrt nach U-Stadt durchzuführen, rechtfertigt die Benutzung des Wortes „Scheiße“ im konkreten Kontext nicht den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Die beiden Büroangestellten V. und A. konnten die Verwendung des Wortes „Scheiße“ nach den tatsächlichen Umständen nicht als persönlich diffamierende Schmähung auffassen. Es handelt sich erkennbar nicht um eine Herabwürdigung der beiden Angestellten als Person, sondern um eine – ausfällige – Kritik an den Arbeitsbedingungen.
2. Soweit der Beklagte die fristlosen Kündigungen darauf zu stützen sucht, dass der Kläger am 27.02.2009 „ungehalten“ gewesen sei, und sich „in unangemessenem Ton“ geäußert habe, ist dieses Vorbringen völlig unsubstantiiert. Das gleiche gilt für das Berufungsvorbringen, die Äußerungen des Klägers seien „so drastisch“ und „verletzend“ gewesen, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gewesen sei. Was der Kläger konkret gesagt haben soll, hat der Beklagte nicht ansatzweise vorgetragen.
3. Die fristlosen Kündigungen vom 27.02.2009 und vom 10.03.2009 sind auch nicht wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung gerechtfertigt.
Dies folgt bereits daraus, dass der Beklagte die Voraussetzungen einer rechtswidrigen und schuldhaften Arbeitsverweigerung am 27.02.2009 nicht dargelegt hat. Der Kläger hätte die Arbeit nicht – wie vom Beklagten behauptet – rechtswidrig verweigert, wenn er das angeordnete Fahrtziel in U-Stadt nur unter Überschreitung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit hätte erreichen können.
Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er habe am 27.02.2009 die Weiterfahrt verweigert, weil er ansonsten die zulässige Höchstarbeitszeit für Kraftfahrer überschritten hätte. Zum Nachweis hat er sich auf seine handschriftlichen Eintragungen im Fahrtenbuch vom Februar 2009 (Bl. 99 d.A.) berufen und ausgeführt, er habe am 27.02.2009 seine Arbeit bereits um 6:00 Uhr angetreten. Wenn er die angeordnete Fahrt nach U-Stadt noch durchgeführt hätte, wären seit Schichtbeginn 12 Stunden vergangen. Er hätte mindestens 9 Stunden Pause machen müssen, statt der 3 Stunden, die ihm beklagtenseits zugestanden worden seien. Aus dem Fahrtenbuch für Februar 2009 ergebe sich, dass er in der 6. KW 60 Stunden, in der 7. KW 64,5 Stunden, in der 8. KW 56,5 Stunden und in der 9. KW 54 Stunden, mithin insgesamt 235 Stunden, gearbeitet habe.
Es war Sache des Beklagten dieses Rechtfertigungsvorbringen des Klägers zu widerlegen. Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Ihn trifft daher die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (st. Rechtsprechung des BAG, vgl. u.a. Urteil vom 17.06.2003 – 2 AZR 123/02 – NZA 2004, 564 – Juris, Rn. 24, m.w.N.).
Tatsächlich hat der Beklagte das Fahrtenbuch des Klägers lediglich für 2 Tage (26. und 27.02.2009) vorgelegt und vorgetragen, diesen Unterlagen sei zu entnehmen, dass der Kläger am 26.02.2009 „völlig normal“ gearbeitet habe. Am 27.02.2009 habe er eine Fahrtzeit von 3,53 Stunden und eine Schichtzeit von 7 Stunden aufzuweisen gehabt, als er sich im Büro gemeldet habe. Die maximal mögliche Schichtzeit hätte 12 Stunden betragen. Dem Kläger sei angeboten worden, „einige Stunden“ nach Hause zu gehen und dann in U-Stadt zu laden. Die Übernachtung hätte dann dort erfolgen können. Es habe somit keinerlei Grund bestanden, die Arbeit zu verweigern.
Dieser Vortrag genügt angesichts der komplexen Arbeitszeitvorschriften im Straßengüterverkehr nicht ansatzweise, um darzulegen, dass der Kläger die angeordnete Fahrt nach U-Stadt ohne Überschreitung der zulässigen Höchstarbeitszeit hätte durchführen können. Die Vorschrift des § 21 a ArbZG i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 über Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten enthält spezifische Arbeitszeitregelungen für die Beschäftigung von Kraftfahrern im Straßengüterverkehr. Kernpunkt des § 21 a ArbZG ist die Beschränkung der Wochenarbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden sowie auf maximal 60 Stunden Höchstarbeitszeit in der Spitze. Die Woche ist nach § 21 a Abs. 2 ArbZG definiert als der Zeitraum von Montag 0 Uhr bis Sonntag 24 Uhr, also als Kalenderwoche. Nach Art. 6 der VO Nr. 561/2006 darf die tägliche Lenkzeit 9 Stunden nicht überschreiten; sie darf höchstens zweimal in der Woche auf höchstens 10 Stunden verlängert werden (Abs. 1). Die wöchentliche Lenkzeit darf höchstens 56 Stunden betragen (Abs. 2). Die summierte Gesamtlenkzeit während zweier aufeinander folgender Wochen darf 90 Stunden nicht überschreiten (Abs. 3).
Der Beklagte hat vorliegend noch nicht einmal die Wochenarbeitszeit des Klägers in der Kündigungswoche ab Montag, dem 23.02.2009 konkret dargelegt, sondern sich auf lediglich 2 Tage beschränkt. Es fehlt jedweder Vortrag zur konkreten Wochenlenkzeit und zur Doppelwochenlenkzeit. Aus dem vorgelegten Fahrtenbuch für den 26.02.2009, an dem der Kläger „völlig normal“ gearbeitet haben soll, ergibt sich, dass er für 12 Fahrten mit einer Wegstrecke von 517,72 km eine Fahrtzeit von 08:15:43 Stunden und eine Gesamtschichtzeit von 11:46:56 Stunden absolviert hat. Am 27.02.2009 ist er laut Fahrtenbuch des Beklagten um 06:33 Uhr gestartet und um 13:38 Uhr nach einer Wegstrecke von 241,39 km im Betrieb angekommen. Er hat an diesem Freitag eine Fahrtzeit von 03:55:17 Stunden und eine Gesamtschichtzeit von 07:05:06 Stunden absolviert. Zwar hätte der Kläger bei einer Weiterfahrt nach U-Stadt die Tageslenkzeit nicht überschritten, ob er allerdings die Wochenarbeitszeit, die Wochenlenkzeit oder die Doppelwochenlenkzeit nicht überschritten hätte, kann mangels substantiiertem Vortrag des Beklagten nicht überprüft werden. Es ist ebenfalls nicht feststellbar, ob der Kläger bei einer Weiterfahrt nach U-Stadt die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten hätte einhalten können. Nach seiner Ankunft im Betrieb des Beklagten um 13:38 Uhr hätte er jedenfalls nicht „mindestens 4 Stunden Freizeit gehabt“, wenn er um 18:00 Uhr in U-Stadt (Entfernung 35 km über B 39) eintreffen sollte.
Der Vortrag des Beklagten im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 10.09.2009 (dort Seite 5) erschöpft sich in der schlagwortartigen Nennung von Durchschnittswerten. So hat der Beklagte vorgetragen, im Februar 2009 habe die wöchentliche Gesamtarbeitszeit des Klägers im Durchschnitt 47,53 Stunden betragen, die durchschnittliche reine Lenkzeit 29,53 Stunden und die durchschnittliche wöchentliche Pausenzeit 115,13 Stunden. „Alleine in der letzten Woche“ hätten sich folgende Zeiten ergeben: „Gesamtzeit 45 Stunden 42 Minuten, reine Lenkzeit 30 Stunden 17 Minuten, Pausen 141 Stunden 24 Minuten. Im Hinblick darauf, dass in der letzten Arbeitswoche des Klägers von Montag, 23.02.2009, 0 Uhr bis Freitag, 27.02.2009, 13:38 Uhr (Ankunft) auf der Zeitschiene nur 109,63 Stunden vergangen sind, ist diese Rechnung nicht nachvollziehbar. Wegen der Unsubstantiiertheit des gesamten Vortrages zu den Durchschnittszeiten wäre die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens oder die Vernehmung der hierfür benannten Zeugin im Übrigen auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausgelaufen.
4. Der Beklagte kann die fristlosen Kündigungen schließlich auch nicht darauf stützen, dass der Kläger am 27.02.2009 eine Erkrankung nur vorgeschoben habe, um die Fahrt nach U-Stadt nicht durchführen zu müssen.
Die Berufungskammer geht in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass die Androhung, sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verschaffen, um dem Arbeitgeber durch diese Androhung eine bestimmte gewünschte Vergünstigung abzupressen, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellt. Erklärt der Arbeitnehmer, er werde krank, wenn der Arbeitgeber einem bestimmten Begehren nicht nachgibt, obwohl er im Zeitpunkt der Ankündigung nicht krank war und sich aufgrund bestimmter Beschwerden auch noch nicht fühlen konnte, so ist ein solches Verhalten ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitnehmer tatsächlich erkrankt, an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben (vgl. BAG Urteil vom 12.03.2009 – 2 AZR 251/07 – AP Nr. 15 zu § 626 BGB Krankheit, m.w.N.).
Dagegen ist der krankheitsbedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, diese zu verlangen. Dies gilt auch wenn der Arbeitnehmer bislang trotz bestehender Erkrankung -insoweit ggf. überobligatorisch- dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung angeboten haben sollte. War der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ankündigung eines künftigen, krankheitsbedingten Fehlens aber bereits objektiv erkrankt und durfte er davon ausgehen, auch (weiterhin) wegen Krankheit arbeitsunfähig zu sein, kann nicht mehr angenommen werden, sein fehlender Arbeitswille und nicht die bestehende Arbeitsunfähigkeit sei Grund für das spätere Fehlen am Arbeitsplatz. Ebenso wenig kann dem Arbeitnehmer dann zum Vorwurf gemacht werden, er nehme notfalls eine wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers in Kauf, um die von ihm erstrebte Befreiung von der Arbeitspflicht zu erreichen (vgl. BAG Urteil vom 12.03.2009 – 2 AZR 251/07 – a.a.O.).
So liegen die Dinge hier. Der Kläger hat unstreitig am Nachmittag des 27.02.2009 den Durchgangsarzt Dr. med. S. aufgesucht, weil sich eine Wunde an seinem Fußzeh entzündet hatte. Der Arzt hat die Wunde sofort chirurgisch behandelt. Der Kläger war wegen dieser Verletzung, die die zuständige Berufsgenossenschaft als Folge eines Arbeitsunfalls anerkannt hat, bis einschließlich 22.03.2009 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Beklagte hat keine Umstände dargelegt, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers Anlass geben. Er bestreitet zweitinstanzlich nicht das Vorliegen einer Erkrankung, wohl aber deren Intensität und die dringende Erforderlichkeit des operativen Eingriffs am Freitagnachmittag. Diese Erwägungen des Beklagten sind nicht geeignet, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Nach § 34 Abs. 1 SGB VII ist ein Durchgangsarzt verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine möglichst frühzeitig nach dem Versicherungsfall einsetzende sachgemäße Heilbehandlung und, soweit erforderlich, besondere unfallmedizinische Behandlung gewährleistet wird. Wenn der von den Berufsgenossenschaften zugelassene Durchgangsarzt Dr. S. noch am Nachmittag des 27.02.2009 die Wunde des Klägers chirurgisch behandelt hat, kann der Beklagte die Dringlichkeit dieses Eingriffs nicht einfach bestreiten. Der Kläger war insbesondere nicht verpflichtet, diesen Eingriff zu verschieben, um die angeordnete Fahrt nach U-Stadt durchzuführen. Deshalb bestand für das Arbeitsgericht kein Anlass, Beweis darüber zu erheben, dass die Operation auch später hätte erfolgen können.
III. Nach alledem war die Berufung des Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.