KG Berlin , Beschluss vom 20.01.2005 – 5 Ws 654/04
Ein Gefangener der Justizvollzugsanstalt Tegel hat keinen Anspruch auf die Ausstattung seines Haftraumes mit einem Weihnachtsbaum.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel wird der Beschluß des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 06. Dezember 2004 aufgehoben.
Der Antrag des Gefangenen, den Anstaltsleiter zu verpflichten, ihm die Einbringung und die Ausstattung seines Haftraumes mit einem Weihnachtsbaum während der Weihnachtszeit zu gestatten, wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Gefangenen auferlegt.
Gründe
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Der Gefangene verbüßt bis voraussichtlich zum 19. Februar 2008 in der Justizvollzugsanstalt … Freiheitsstrafen. Auf seinen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer mit dem Beschluß vom 06. Dezember 2004 den Anstaltsleiter verpflichtet, ihm die Einbringung und die Ausstattung seines Haftraumes mit einem Weihnachtsbaum (keine Topfpflanze) von nicht mehr als 50 Zentimeter Höhe (ohne Einberechnung der Spitze) in der Zeit vom 20. Dezember 2004 bis zum 06. Januar 2005 zu gestatten. Der Anstaltsleiter hat gegen den Beschluß Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Nachdem der Senat auf den Antrag des Anstaltsleiters am 21. Dezember 2004 den Vollzug des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer ausgesetzt hat, ist nunmehr über die Rechtsbeschwerde zu entscheiden.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Der angefochtene Beschluß hat eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Seine Überprüfung durch den Senat dient der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Die Sache hat sich auch nicht dadurch erledigt, daß der Zeitraum, für den die Strafvollstreckungskammer dem Gefangenen den Weihnachtsbaum zuerkannt hat, inzwischen abgelaufen ist. Der Anstaltsleiter hat weiterhin ein rechtlich geschütztes Interesse an der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde. Denn der Gefangene hat bereits im Jahre 2003 – mit Erfolg – die Genehmigung für die Einbringung eines Weihnachtsbaums erstritten und wird ohne ein klärendes Wort des Senats einen solchen Antrag im Jahre 2005 wahrscheinlich wieder stellen.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Da die Sache spruchreif ist, entscheidet der Senat gemäß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG an Stelle der Strafvollstreckungskammer.
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a) Zu Unrecht hat die Strafvollstreckungskammer aus § 19 Abs. 1 Satz 1 StVollzG einen Anspruch des Gefangenen auf Einbringung eines Weihnachtsbaums hergeleitet. Der Anstaltsleiter beruft sich gegenüber einem derartigen Anspruch mit Erfolg auf § 19 Abs. 2 StVollzG. Bei den in dieser Bestimmung verwendeten Begriffen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegen (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 349; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 19 Rdn. 5). Im Rahmen dieser Überprüfung hat die Strafvollstreckungskammer die von dem Anstaltsleiter vorgebrachten Sicherheitsbedenken unzutreffend und unvollständig gewürdigt.
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Schon die Auffassung der Kammer, ein Weihnachtsbaum von lediglich 50 Zentimeter Höhe biete ohne Lichterkette und Kugeln, deren Überlassung der Gefangene nicht beantragt hat, nur wenig Versteckmöglichkeiten, kann nicht überzeugen. Die Rechtsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, daß sich Äste und Stamm auch eines kleineren Baumes ohne nennenswerten Aufwand aushöhlen und danach mit Leim verschließen lassen, so daß es erhebliche Probleme bereitet, das Einschmuggeln von Rauschgift auf diesem Wege zu unterbinden. Von einem nur gering erhöhten und der Anstalt deshalb zuzumutenden Kontrollaufwand könnte allenfalls dann die Rede sein, wenn sich die Überprüfungsmaßnahmen auf einen oder wenige Bäume beschränkten. Das läßt sich jedoch nicht sicherstellen. Denn wenn der Anstaltsleiter einem Gefangenen das Einbringen eines Weihnachtsbaumes genehmigt, wird er ohne Verletzung des Gleichbehandlungsgebots anderen Gefangenen eine entsprechende Erlaubnis nicht mehr verweigern können. Angesichts der Zahl der in der Justizvollzugsanstalt … untergebrachten Gefangenen muß er dann damit rechnen, künftig in der Vorweihnachtszeit mit der Kontrolle von möglicherweise Dutzenden von Weihnachtsbäumen befaßt zu werden. Der hierfür erforderliche Aufwand ist dem Anstaltspersonal auch bei Berücksichtigung des Interesses der Gefangenen an der Schaffung einer weihnachtlichen Atmosphäre in ihren Hafträumen nicht zuzumuten. Daß ein Gegenstand einem Gefangenen vorenthalten werden kann, wenn der mit der Überlassung verbundene Kontrollaufwand für das Anstaltspersonal unzumutbar ist, ist auch verfassungsrechtlich anerkannt (vgl. BVerfG NJW 2003, 2447).
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Hinzu kommt die in dem angefochtenen Beschluß nur am Rande erwähnte, für die Entscheidung aber besonders bedeutsame beträchtliche Erhöhung der Brandgefahr, die die Ausstattung der Hafträume mit Weihnachtsbäumen mit sich brächte. Geschlagene Nadelbäume trocknen in einer beheizten Zelle in kurzer Zeit stark aus und geraten dann leicht in Brand. Hierzu kann im Hinblick auf die geringe Größe der Zellen jede Benutzung von Streichhölzern oder eines Feuerzeuges schon bei nur geringer Unachtsamkeit führen. Welche Folgen der Brand selbst eines kleineren Weihnachtsbaums in einem Haftraum haben könnte, bedarf keiner Darlegung.
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Die mit der Einbringung und dem Besitz von Weihnachtsbäumen verbundenen Gefahren für Sicherheit und Ordnung kann der Anstaltsleiter nicht durch eine Auswahl der Gefangenen, denen er Bäume überläßt, ausreichend mindern. Ob ein Gefangener als so zuverlässig einzuschätzen ist, daß von ihm weder das Einschmuggeln von Gegenständen noch der unachtsame Gebrauch einer offenen Flamme in seiner Zelle zu besorgen ist, vermag das Anstaltspersonal kaum hinreichend sicher zu beurteilen. Zudem ist regelmäßig nicht auszuschließen, daß auch ein sonst zuverlässiger Gefangener von anderen Gefangenen unter Druck gesetzt und genötigt wird, für sie verbotene Gegenstände einzuschmuggeln (vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1996, 119 und StV 2000, 270; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 156).
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Ein Weihnachtsbaum als Topfpflanze wäre keine von dem Anstaltsleiter hinzunehmende Alternative. Bei ihm wäre zwar die Brandgefahr geringer, die Erde in den Topf böte aber zusätzliche Versteckmöglichkeiten für unerlaubte Gegenstände.
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b) Ein Recht des Gefangenen auf Überlassung eines Weihnachtsbaums folgt auch nicht aus § 53 Abs. 3 StVollzG. Ob ein Weihnachtsbaum einen Gegenstand des religiösen Gebrauchs darstellt, ist zweifelhaft. Einerseits ist der Begriff des religiösen Gebrauchs wie derjenige der Religionsausübung unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Grundrechts der Religionsfreiheit extensiv auszulegen (vgl. BVerfGE 24, 236, 246). Andererseits fehlt in den meisten Fällen dem Aufstellen von Weihnachtsbäumen offenkundig jeder religiöse Bezug. Wäre dies anders, bestünde nach den Grundsätzen des sog. Kruzifix-Urteils des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 93, 1) gegen das Schmücken von Räumen in Behörden, Gerichten und anderen öffentlichen Einrichtungen mit Weihnachtsbäumen schwerwiegende verfassungsgerichtliche Bedenken. Allerdings kann derselbe Gegenstand unter bestimmten Gegebenheiten dem religiösen Gebrauch dienen, während er sonst zu anderen Zwecken genutzt wird. Das zeigt das Beispiel der brennenden Kerze, mit der weiteste Bevölkerungskreise keinerlei religiöse Gedanken verbinden, der aber, etwa als Osterkerze, im Rahmen des Gottesdienstes eine wichtige Bedeutung zukommt. Im übrigen läßt auch das Aufstellen von Weihnachtsbäumen in den Kirchen noch nicht den Schluß zu, daß sie dort dem religiösen Gebrauch dienen. Nicht jeder den Kirchenraum lediglich schmückende Gegenstand hat einen religiösen Bezug.
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Die Frage bedarf jedoch keiner weitergehenden Erörterung, da der Antrag des Gefangenen auch dann erfolglos bleiben muß, wenn man einen Weihnachtsbaum als Gegenstand des religiösen Gebrauchs ansieht. Anders als § 19 Abs. 2 StVollzG nennt § 53 Abs. 3 StVollzG zwar nicht als Ausschlußgrund die Gefährdung von Sicherheit oder Ordnung der Anstalt. Auch die Religionsausübung findet aber dort ihre Grenze, wo sie die für den Vollzug der Freiheitsstrafen notwendigen Funktionen der Anstalt wie sichere und geordnete Unterbringung in Frage stellt und mit schwerwiegenden Gefahren für Dritte verbunden ist (vgl. Rassow in Schwind/Böhm, StVollzG 3. Aufl., § 53 Rdn. 18). Diese der Grundrechtsausübung immanente Schranke überschreitet der Besitz von Weihnachtsbäumen in den Hafträumen.
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c) Schließlich kann der Gefangene den geltend gemachten Anspruch auch nicht darauf stützen, daß ihm die Strafvollstreckungskammer im Dezember 2003 einen Weihnachtsbaum zugesprochen hat und der Beschluß rechtskräftig geworden ist. Der Anstaltsleiter hat dadurch, daß er diese Entscheidung hingenommen hat, nicht das Recht verloren, nunmehr die Frage seiner Verpflichtung zur Überlassung von Weihnachtsbäumen grundsätzlich und für den Kammergerichtsbezirk abschließend klären zu lassen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, § 465 Abs. 1 StPO.