VG Aachen, Beschluss vom 01.07.2019 – 9 L 752/19
Ausschluss eines Schülers von einer Klassenfahrt wegen acht Einträgen im Klassenbuch innerhalb eines Monats kann rechtmäßig sein
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zu einem Drittel.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller zu 2) und 3) sind die Eltern des Antragstellers zu 1), der die Klasse 6a der X. -C. -Gesamtschule in V. -Q. besucht. Das Klassenbuch enthält (jedenfalls) für den Zeitraum Anfang April 2019 bis Anfang Mai 2019 acht Eintragungen über Fehlverhalten des Antragstellers zu 1).
Am 9. Mai 2019 führte der Sonderpädagoge Herr T. auf Bitten der Schulleitung gegen 14.00 Uhr ein Gespräch mit fünf Schülern der Klasse 6a, darunter der Antragsteller zu 1), über Auseinandersetzungen, die zwischen den Schülern stattgefunden hatten. Nachdem der Antragsteller zu 1) mehrfach das Gespräch gestört hatte, unter anderem, indem er einen seiner Schuhe auszog und gegen die Nase eines Mitschülers hielt, brachte ihn der Sonderpädagoge gegen 14.15 Uhr in einen benachbarten Unterrichtsraum, in dem vier Schüler einer 9. Klasse arbeiteten. Der Sonderpädagoge forderte den Antragsteller zu 1) auf, dort auf ihn zu warten, bis er mit den vier anderen Schülern gesprochen habe. Im Anschluss wolle er dann mit ihm reden und ihn wegen eines Gesprächs zur Schulleitung bringen. Vor 15.00 Uhr stellte der Sonderpädagoge fest, dass der Antragsteller zu 1) entgegen der Anweisung den Raum verlassen hatte, ohne mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Mit Schreiben vom 13. Mai 2019 lud der Vorsitzende der Teilkonferenz die Antragsteller wegen des Vorfalls vom 9. Mai 2019 zur Teilnahme an einer Teilkonferenz am 28. Mai 2019 ein, um den Antragstellern Gelegenheit zu geben, sich zu dem vorgehaltenen Fehlverhalten zu äußern.
Im Rahmen des Elternsprechtages am 14. Mai 2019 wurde der Antragsteller zu 1) in Gegenwart der Antragsteller zu 2) und 3) von dem Sonderpädagogen aufgefordert, die Situation aus seiner Sicht darzustellen. Trotz mehrfacher Aufforderung machte der Antragsteller zu 1) hiervon keinen Gebrauch, sondern erklärte, er sehe keinen Redebedarf.
Am 28. Mai 2019 trat eine Teilkonferenz zusammen, der nach Entscheidung des Schulleiters der X. -C. -Gesamtschule gemäß § 53 Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 Schulgesetz NRW die Entscheidung über Ordnungsmaßnahmen gemäß § 53 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 Schulgesetz NRW übertragen worden war.
Mit Bescheid vom 6. Juni 2019 wurde den Antragstellern zu 2) und 3) mitgeteilt, dass die Teilkonferenz am 28. Mai 2019 wegen „Missachtung von Lehreranweisungen“ beschlossen habe, den Antragsteller 1) von der „Xantenfahrt auszuschließen“.
Die Antragsteller zu 2) und 3) legten mit Schreiben vom 12. Juni 2019 (Eingangsstempel der Schule: 25. Juni 2019) Widerspruch gegen die Schulordnungsmaßnahme ein.
Der Schulleiter informierte die Antragsteller zu 1) und 2) mit undatiertem Schreiben darüber, dass dem Widerspruch nicht abgeholfen werde und die Unterlagen an die Bezirksregierung Köln weiter geleitet würden.
Die Antragsteller haben am 25. Juni 2019 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gestellt.
Zur Begründung tragen sie vor, die Mitteilung vom 06.06.2019 über die beschlossene Ordnungsmaßnahme enthalte kein Datum jener Klassenfahrt nach Xanten, von der der Antragsteller zu 1) ausgeschlossen worden sei. Auf Nachfrage des Antragstellers zu 1) sei diesem der 15.07.2019 genannt worden. Da dies in den Sommerferien liege, habe der Antragsteller zu 2) in der Schule nachgefragt und erfahren, dass die Fahrt am 02.07.2019 stattfinde. Da aber gerade eine solche Klassenfahrt den Verbund in der Klasse stärke und ein Ausschluss für die Integration und die weitere Schullaufbahn des Antragstellers zu 1) nachteilig sei, komme der Teilnahme besonders große Bedeutung zu. Sie könnten nicht erkennen, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Ausschlusses von der Klassenfahrt ihr Interesse an der Teilnahme überwiege. Der Ausschluss sei gesetzeswidrig entgegen § 53 Abs. 8 SchulG NRW verhängt worden, weil dem Antragsteller zu 1) keine Gelegenheit eingeräumt worden sei, so der Teilkonferenz vom 28.05.2018 persönlich zu dem Vorwurf der angeblichen Pflichtverletzung Stellung zu nehmen. Weiterhin sei die Maßnahme rechtswidrig, weil sie entgegen § 53 Abs. 9 SchulG überhaupt nicht begründet worden sei. Damit fehlten auch sämtliche rechtfertigenden Gründe für ein Überspringen milderer Ordnungsmaßnahmen nach § 53 Abs. 3 SchulG. Die Ordnungsmaßnahme sei ganz offensichtlich in Bezug auf den Vorwurf der Missachtung einer Lehreranweisung nicht verhältnismäßig. Zudem sei die Bekanntgabe dahingehend unrichtig, dass es sich laut Einladung zur Teilkonferenz und den Vorhaltungen während der Anhörung vor der Teilkonferenzen nur um eine angebliche Missachtung einer Lehreranweisung handele und nicht um mehrere „Missachtung von Lehreranweisungen“. Weitere Ausführungen zu den elterlichen Einlassungen zu der Teilkonferenz, die den vorgeworfenen Sachverhalt hätten aufklären wollen, habe Herr N. mit den Worten unterbunden „Das haben wir jetzt schon zum dritten Mal gehört.“ Den Antragstellern zu 2) und 3) sei als Anzuhörende von Herrn N. die Möglichkeit genommen worden, ihre Sichtweise vor der Teilkonferenz hinreichend deutlich darzulegen. Anlässlich eines routinemäßigen Elternsprechtages hätten die Antragsteller zu 2) und 3) die Gelegenheit gehabt mit genau demjenigen Lehrer zu sprechen, dessen Anweisung der Antragsteller zu 1) angeblich missachtet haben soll. Dessen Ausführungen hätten ein ganz anderes Bild ergeben, als das von Herrn N. vor der Teilkonferenz vom 28.05.2019 gezeichnete. Leider sei der betreffende Lehrer bei ihrer Anhörung nicht anwesend gewesen, um das Missverständnis an Ort und Stelle aufzuklären.
Die Antragsteller beantragen schriftsätzlich sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die mit Bescheid vom 06.06.2019 bekannt gegebene Schulordnungsmaßnahme der Teilkonferenz vom 28.05.2019 anzuordnen.
Der Antragsgegner stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte Bezug genommen.
II.
Der Beschluss ist ohne eine weitere Anhörung insbesondere der Antragsteller gefasst worden, weil angesichts des drohenden Zeitablaufs (Klassenfahrt am morgigen Tag) mit einer Entscheidung nicht weiter zugewartet werden konnte.
Das Rubrum ist auf Antragsgegnerseite in der obenstehenden Weise gefasst worden, da der Antrag gegen das Land Nordrhein-Westfalen zu richten ist; öffentliche Schulen sind lediglich nichtrechtsfähige Anstalten, vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG NRW). Soweit – wie vorliegend – innere Schulangelegenheiten betroffen sind, unterfallen diese der staatlichen Schulhoheit (vgl. Art. 7 Abs. 1 Grundgesetz).
Vertretungsberechtigt für das Land Nordrhein-Westfalen ist grundsätzlich die Schule bzw. deren Schulleiter selbst, da es sich um eine Angelegenheit im Sinne von § 3 Abs. 1 SchulG NRW handelt (vgl. Ziffer 7.1 Vertretungserlass NRW).
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist unzulässig, soweit es den Antragsteller zu 1) betrifft. Der Widerspruch ist ausweislich des Widerspruchsschreibens vom 12. Juni 2019 ausschließlich von den Antragstellern zu 2) und 3) erhoben worden. Daher können auch nur diese befugt sein, den vorliegenden Eilantrag zu stellen. Im Übrigen ist der Eilantrag zwar zulässig; er ist insbesondere statthaft nach §§ 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und 53 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW.
Der Antrag erweist sich jedoch als unbegründet. Bei der Abwägung des privaten Interesses der Antragsteller am Aufschub der sofortigen Vollziehung mit dem sich bereits kraft Gesetzes ergebenden öffentlichen Interesse am Sofortvollzug überwiegt Letzteres mit Blick darauf, dass sich nach der im Eilverfahren notwendigerweise nur summarischen Überprüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von der Xantenfahrt als sonstiger Schulveranstaltung ergeben.
Rechtsgrundlage dieser Ordnungsmaßnahme ist § 53 Abs. 1 Sätze 2 bis 4, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SchulG NRW. In formeller Hinsicht ergibt sich die Zuständigkeit der Teilkonferenz aus § 53 Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 SchulG NRW.
Das Verfahren ist ordnungsgemäß durchgeführt worden. Insbesondere ist die Auffassung der Antragsteller unzutreffend, es liege ein Verstoß gegen § 53 Abs. 8 SchulG NRW vor, weil die Teilkonferenz dem Antragsteller zu 1) nicht die Gelegenheit eingeräumt habe, sich persönlich vor der Teilkonferenz zu äußern. § 53 Abs. 8 SchulG NRW ist vorliegend nicht einschlägig, weil diese Vorschriften nur Beschlüsse betrifft, für die die Teilkonferenz originär zuständig ist (vgl. § 53 Abs. 7 SchulG NRW), nicht jedoch Beschlüsse nach § 53 Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 SchulG NRW. Für diese Verfahren bleibt es bei den spezifischen Regelungen in § 53 Abs. 6 Sätze 3 und 4 SchulG NRW. Unabhängig hiervon ist der diesbezügliche Vortrag der Antragsteller unverständlich, weil sich der Antragsteller zu 1) bereits am Elternsprechtag trotz mehrfacher Aufforderung nicht mehr zu den Vorfällen am 9. Mai 2019 äußern wollte.
Soweit die Antragsteller eine formelle Rechtswidrigkeit der Ordnungsmaßnahme aus dem Umstand ableiten wollen, dass in dem Bescheid vom 6. Juni 2019 die Formulierung „Missachtung von Lehreranweisungen“ verwendet worden ist, obwohl es um eine Anweisung des Sonderpädagogen T. gegangen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Die Antragsteller sind mit der Einladung zur Teilkonferenz und auf der Teilkonferenz selbst eindeutig über das Verhalten des Antragstellers am 9. Mai 2019 informiert worden, das mit einer Ordnungsmaßnahme belegt werden soll. Vor diesem Hintergrund ist die gewählte Formulierung im Bescheid für den konkreten Adressatenkreis hinreichend bestimmt.
Soweit die Antragsteller eine formelle Rechtswidrigkeit der Ordnungsmaßnahme aus dem Umstand ableiten, dass der Bescheid vom 6. Juni 2019 keine Begründung aufweise, ist ihnen zwar zuzugeben, dass der Bescheid die erforderliche Begründung nicht aufweist. Allerdings hat die Teilkonferenz am 26. Juni 2019 eine Begründung nachgeholt und über den Schulleiter an das Verwaltungsgericht übersenden lassen. Ungeachtet der Fehlerhaftigkeit des hierfür verwendeten Formulars lässt die auf Blatt 2 des Formulars handschriftlich eingefügte Überschrift „Begründung der Ordnungsmaßnahme “ keine Zweifel am Bedeutungsgehalt der nachfolgenden Ausführungen als Begründung für die getroffene Ordnungsmaßnahme zu.
Die Ordnungsmaßnahme erweist sich auch als materiell rechtmäßig. Ordnungsmaßnahmen wie der vorübergehende Ausschluss vom Unterricht dienen der geordneten Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Schule sowie dem Schutz von Personen und Sachen (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW). Sie können angeordnet werden, wenn ein Schüler Pflichten verletzt (§ 53 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dabei zu beachten (§ 53 Abs. 1 Satz 3 SchulG NRW). Schulordnungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn erzieherische Einwirkungen nicht ausreichen (§ 53 Abs. 1 Satz 4 SchulG NRW).
Gemessen an diesen Maßstäben ist gegen den Ausschluss des Antragstellers zu 1) von der Xantenfahrt am 2. Juli 2019 nichts zu erinnern. Ausweislich der Klassenbucheinträge und den aktenkundigen Schilderungen diverser Lehrkräfte bestehen für das Gericht bei summarischer Prüfung keine Zweifel daran, dass der Antragsteller zu 1) erhebliche Defizite bei seiner Bereitschaft zeigt, sich an Anweisungen der Lehrkräfte zu halten. Von einem solchen Fehlverhalten des Antragstellers zu 1) ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sonderpädagogen auch am 9. Mai 2019 auszugehen. Insoweit fällt im Übrigen auf, dass die Antragsteller zwar mehrfach die Unrichtigkeit des der Ordnungsmaßnahme zugrunde gelegten Sachverhaltes andeuten, aber zu keinem Zeitpunkt eine konkrete Schilderung vorlegen, was sich aus ihrer Sicht am 9. Mai 2019 zugetragen haben soll. Dem Fehlverhalten kommt auch das für die Sanktion erforderliche Gewicht zu, weil insbesondere auf Klassenfahrten Lehrkräfte darauf angewiesen sind, dass Schüler klare Anweisungen befolgen, damit die Lehrkräfte die ihnen obliegende Aufsichtspflicht verantwortlich ausüben können.
Insbesondere dann, wenn Eltern und Schule – wovon im vorliegenden Fall nach Aktenlage auszugehen ist – nicht gemeinsam an einem Strang ziehen, um Verhaltensweisen abzustellen, die einen ordnungsgemäßen Schulbetrieb erschweren oder sogar unmöglich machen, können Versuche, weiterhin mit rein pädagogischen Maßnahmen auf den Schüler Einfluss zu nehmen, frühzeitiger zugunsten von Schulordnungsmaßnahmen aufgegeben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes sowie Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der hälftige Ansatz des Auffangwertes trägt dem summarischen Charakter des vorliegenden Verfahrens Rechnung.