Anspruch auf Nagelspangenkorrektur nur als vertragsärztliche Leistung

Bundessozialgericht, Urteil vom 18.12.2018 – B 1 KR 34/17 R

Versicherte haben Anspruch auf Nagelspangenkorrektur nur als vertragsärztliche Leistung, nicht aber auf deren Verschaffung durch selbstständig tätige, nichtärztliche Podologen, selbst wenn sie keine leistungsbereiten Ärzte finden.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Oktober 2017 und des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2016 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Orthonyxiebehandlung (Korrektur eingewachsener Nägel mittels Nagelspange).

Die 1951 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet unter einem chronifiziert eingewachsenen Großzehennagel links. Die Beklagte übernahm 2010 und 2012 jeweils die Kosten einer Orthonyxiebehandlung durch die Podologin R nebst der Kosten für eine Zehennagelspange (im Folgenden: Nagelspanne). Die die Klägerin behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin W verordnete ihr eine „Nagelspange für Orthonyxiebehandlung“ (3.6.2013). Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin, die Kosten der Orthonyxiebehandlung der Podologin R zu übernehmen (zehnmal Regulierung der Nagelspange je 19 Euro: 190 Euro), anders als die Tragung der nachgewiesenen Sachkosten (Nagelspange), ab (Bescheid vom 25.6.2013; Widerspruchsbescheid vom 9.9.2013): Sie dürfe die Orthonyxiebehandlung nur als vertragsärztliche Leistung erbringen, nicht als selbstständige Leistung einer Podologin. R legte der Klägerin eine Nagelspanne an. Nach Klageerhebung regulierte sie 2014 und 2015 achtmal die Nagelspange (Kosten: 152 Euro). Das SG hat die Beklagte zur Erstattung von 152 Euro Behandlungskosten und zur Übernahme künftiger Behandlungs- und Sachkosten verurteilt (Urteil vom 11.5.2016). Die Klägerin hat im Berufungsverfahren ihre Klage auf die Zahlung von 152 Euro beschränkt. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Klägerin stehe der Anspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V zu. Die Orthonyxiebehandlung sei eine ärztliche Leistung. Insoweit liege aber ein Systemversagen vor, da die medizinisch notwendige, im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) vorgesehene ärztliche Behandlung der Klägerin von keinem Arzt erbracht werde und die Leistung auch nicht als Heilmittel verordnungsfähig sei. Es bestehe daher anstelle der ärztlichen Behandlung ein Anspruch auf Versorgung mit einer eigenverantwortlichen Orthonyxiebehandlung durch Podologen. Sie seien hinreichend qualifiziert (Urteil vom 11.10.2017).

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 13 Abs 3 S 1 SGB V. Der Arztvorbehalt nach § 15 SGB V sei auch im Falle eines Systemversagens beachtlich und stehe der Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Leistungserbringers entgegen.

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Oktober 2017 und des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie meint, die Orthonyxiebehandlung unterfalle dem Arztvorbehalt des § 15 SGB V, leistungsbereite Vertragsärzte könne sie aber nicht benennen.

Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der beklagten KK ist in vollem Umfang begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat zu Unrecht deren Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Das LSG-Urteil verletzt revisibles Recht. Die Klage der Klägerin auf Erstattung von 152 Euro Kosten für selbst beschaffte nichtärztliche Orthonyxieleistungen ist unbegründet. Die Klägerin hat hierauf keinen Anspruch.

Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist allein § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V (idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung <Gesundheitsstrukturgesetz> vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Hat die KK danach eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN – LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 13). Die Beklagte lehnte es indes rechtmäßig ab, Kosten für veranschlagte podologische Orthonyxieleistungen zu übernehmen

1. Die Klägerin hatte lediglich Anspruch auf (vertrags-)ärztliche Behandlung ihres chronifiziert eingewachsenen Großzehennagels, der 2014 und 2015 eine Orthonyxiebehandlung erforderte (dazu a), nicht aber Anspruch auf podologische Behandlung als vertragsärztlich verordnetes Heilmittel (dazu b), als Leistungsgegenstand im Rahmen von Modellvorhaben (dazu c) oder zur Schließung einer Versorgungslücke (dazu d), auch wenn eine podologische Heilpraktikerin die Leistung erbrachte.

a) Die vertragsärztliche Orthonyxiebehandlung umfasst auch die Regulierung einer Nagelspange, wie sie bei der Klägerin in den Jahren 2014 und 2015 erfolgen sollte. Das Regulieren einer Nagelspange ist eine dem Arztvorbehalt des § 15 Abs 1 S 1, § 28 Abs 1 SGB V unterfallende Leistung. Überzeugend hat das LSG darauf verwiesen, dass Anhang 1 des EBM (Verzeichnis der nicht gesondert berechnungsfähigen Leistungen) das Anlegen einer Finger- oder Zehennagelspange als ärztliche Leistung beschreibt, die in der Versichertenpauschale enthalten oder möglicher Bestandteil der Grundpauschale ist. Welche Leistungen die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben, bemisst sich grundsätzlich nach dem Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht. Versicherte haben aus § 27 SGB V einen konkreten Individualanspruch, dessen Reichweite und Gestalt sich aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen ergibt (zum Individualanspruch Versicherter vgl BSG Beschluss vom 7.11.2006 – B 1 KR 32/04 R – RdNr 54, GesR 2007, 276; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 11; BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 14 mwN; E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 19. Aufl, Stand 1.4.2018, § 13 SGB V RdNr 53 f). Die Krankenbehandlung umfasst ua ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V).

Die Regelung des § 28 Abs 1 S 1 bis 3 SGB V (idF des Art 1 Nr 4 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung <GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG> vom 22.12.2011, BGBl I 2983, mW vom 1.1.2012) konkretisiert den Begriff der ärztlichen Behandlung einschließlich Psychotherapie (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V) abschließend dahin, dass die ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes umfasst, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist (S 1). Zur ärztlichen Behandlung gehört auch die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist (S 2). Die Partner der Bundesmantelverträge legen bis zum 30.6.2012 für die ambulante Versorgung beispielhaft fest, bei welchen Tätigkeiten Personen nach S 2 ärztliche Leistungen erbringen können und welche Anforderungen an die Erbringung zu stellen sind (S 3; vgl dazu auch Begründung des Entwurfs des GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 54). In Umsetzung des Satzes 3 haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband die Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 28 Abs 1 S 3 SGB V (vom 1.10.2013) als Anlage 24 zum BMV-Ä geschlossen, die in ihrem Anhang einen nicht abschließenden Beispielskatalog enthält.

Zwingende Voraussetzung ärztlicher Krankenbehandlung als ein zentraler Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs ist, dass der Behandler Arzt im berufsrechtlichen Sinne ist. Ärztlicher Behandler ist nur, wer über eine staatliche Approbation verfügt. Die Anknüpfung an die Approbation als von anderen staatlichen Stellen durchgeführte Prüfung und Bestätigung der berufsrechtlichen Mindestqualifikation bei Krankenbehandlung durch Behandler in eigener Verantwortung ist ein prägendes Merkmal der GKV von Anbeginn. So sah die RVO schon im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens für alle Versicherungszweige in ihrem § 122 vor, dass ärztliche Behandlung iS der RVO nur durch approbierte Ärzte geleistet werden darf. Denn bei ihnen ist in generalisierender Betrachtungsweise – ohne dass im Einzelfall ein Gegenbeweis geführt werden kann – davon auszugehen, dass sie aufgrund ihrer langjährigen theoretischen und praktischen Ausbildung und der Ablegung staatlicher Prüfungen den Anforderungen entsprechen, die für eine effektive, den Wirtschaftlichkeitsmaximen der GKV entsprechende Krankenbehandlung erforderlich sind. Diese Vorschrift ist zwar mit Inkrafttreten des SGB V aufgehoben worden. Das SGB V erwähnt in § 15 und § 27 die Approbation als Voraussetzung nicht ausdrücklich. Die Rechtslage hat sich mit Inkrafttreten des SGB V jedoch nicht geändert, weil der in den §§ 15 Abs 1, 27 Abs 1 SGB V geregelte Arztvorbehalt mit der Bezugnahme auf den Arzt nur den approbierten Heilbehandler meint. Der in §§ 15 Abs 1 und 27 Abs 1 SGB V geregelte Arztvorbehalt beinhaltet einen generellen Ausschluss nichtärztlicher Heilbehandler von der nicht ärztlich angeleiteten selbstständigen und eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten der GKV (vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 4/16 R – Juris RdNr 16).

Um dem Arztvorbehalt zu genügen, muss der Arzt die Leistung nicht völlig allein erbringen. Er darf sich bei der Erbringung seiner Leistungen erforderlicher unselbstständiger Hilfeleistungen anderer Personen, auch Podologen, aber nur bedienen, wenn er die unselbstständige Hilfeleistung anordnet und verantwortet. Der Arztvorbehalt lässt es zu, dass Ärzte sich der Hilfeleistungen anderer Personen bedienen (§ 15 Abs 1 S 2, § 27 Abs 1 S 2 SGB V). Anders als noch unter Geltung der RVO erfasst die Hilfeleistung anderer Personen nach § 15 Abs 1 S 2, § 28 Abs 1 S 2 SGB V sowohl unselbstständig tätige Hilfspersonen als auch selbstständig tätige Leistungserbringer, insbesondere auch im Bereich der Heilmittel (vgl stRspr, vgl zB BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 S 148; BSGE 80, 181, 183 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14 S 69 f; BSGE 109, 116 = SozR 4-2500 § 125 Nr 7, RdNr 13; BSGE 109, 122 = SozR 4-2500 § 42 Nr 1, RdNr 21; ausführlich dazu E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Bd 1, 19. Aufl, Stand 90. Lieferung 2019, im Erscheinen begriffen, § 15 RdNr 50 ff). Auch Orthonyxiebehandlung als ärztliche Leistung unter Mithilfe unselbstständiger Hilfeleistungen anderer Personen gehört zum GKV-Leistungskatalog. Dem steht der Anhang zur Anlage 24 zum BMV-Ä nicht entgegen, da er nicht abschließend ist. Nach diesen Grundsätzen darf ein Vertragsarzt Orthonyxiebehandlungen unter Mithilfe unselbstständig tätiger – auch podologischer Hilfspersonen – erbringen, soweit er sie anordnet und verantwortet.

Der Antrag der Klägerin war nicht darauf gerichtet, dass ein Vertragsarzt in diesem Sinne durch die Podologin R eine ärztliche Orthonyxiebehandlung erbringen sollte. Die Beklagte wies zu Recht darauf hin, dass in einem solchen Fall lediglich der Vertragsarzt mit seiner KV abrechnet. Die unselbstständige Hilfsperson ist nicht zur eigenständigen Abrechnung befugt. Wäre etwa die Podologin R als unselbstständige Hilfsperson der Fachärztin für Allgemeinmedizin W tätig geworden, hätte die Beklagte den Leistungsanspruch der Klägerin als Sachleistung erfüllt. Eine gleichwohl von R erstellte und von der Klägerin beglichene Rechnung würde keinen Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte begründen, sondern allenfalls einen Bereicherungsanspruch der Klägerin gegen R zur Folge haben.

b) Die Beklagte lehnte rechtmäßig einen Anspruch der Klägerin auf podologische Behandlung als vertragsärztlich verordnetes Heilmittel ab. Nach § 2 Abs 1 S 1 und 2 HeilM-RL sind Heilmittel persönlich zu erbringende medizinische Leistungen. Hierzu zählen auch die einzelnen Maßnahmen der podologischen Therapie nach § 28 Abs 4 Nr 1 bis 4 HeilM-RL als verordnungsfähige Heilmittel. Als Voraussetzung bestimmt aber § 27 Abs 1 S 1 HeilM-RL, dass Maßnahmen der podologischen Therapie nur dann verordnungsfähige Heilmittel sind, wenn sie zur Behandlung krankhafter Schädigungen am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen.

Die Klägerin beantragte aber nicht podologische Behandlung wegen eines diabetischen Fußsyndroms, an dem sie nicht leidet. Im Übrigen ist gerade die Behandlung von eingewachsenen Nägeln auch beim diabetischen Fußsyndrom der ärztlichen Behandlung vorbehalten (§ 27 Abs 3 S 2 HeilM-RL). Ungeachtet der Frage, ob die HeilM-RL im Hinblick auf die Begrenzung podologischer Leistungen wirksam ist, kann der Klägerin nicht schon aus einer eventuellen Nichtigkeit der Regelung ein Anspruch auf Verordnung einer Orthonyxiebehandlung als Heilmittel nach § 32 SGB V erwachsen.

c) Die Beklagte lehnte rechtmäßig einen Anspruch der Klägerin auf selbstständige podologische Behandlung durch R im Ergebnis auch insoweit ab, als diese kein Leistungsgegenstand im Rahmen von Modellvorhaben sein kann. Eine Orthonyxiebehandlung kann nicht ausnahmsweise nach der GBA-Richtlinie nach § 63 Abs 3c SGB V als eine ärztliche Leistungen substituierende Leistung Berufsangehöriger der Kranken- und Altenpflege zur selbstständigen Ausübung von Heilkunde zu Lasten der GKV erbracht werden. Die Orthonyxiebehandlung ist im Teil B der GBA-Richtlinie nach § 63 Abs 3c SGB V nicht als eine übertragbare ärztliche Tätigkeit zur selbstständigen Ausübung von Heilkunde durch Berufsangehörige der Kranken- und Altenpflege ausgewiesen.

d) Die Beklagte lehnte rechtmäßig einen Anspruch der Klägerin auf selbstständige podologische Behandlung durch R im Ergebnis auch insoweit ab, als diese kein Leistungsgegenstand zur Schließung einer Lücke in der vertragsärztlichen Versorgung sein kann. Die Beklagte wäre nicht befugt gewesen, die Klägerin unter dem Gesichtspunkt eines richtlinienbezogenen Systemversagens mit der Leistung zu versorgen, die die Klägerin selbst beschafft hat. Der GBA hat es nicht pflichtwidrig unterlassen, die Orthonyxiebehandlung in die HeilM-RL aufzunehmen. Auch die Qualifikation von Podologen als Heilpraktiker ist ohne Belang.

aa) Eine Leistungspflicht der KK wegen Systemversagens kann nach der Rspr des erkennenden Senats ausnahmsweise ungeachtet des in § 138 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung eines neuen Heilmittels darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Dafür, dass diese Voraussetzungen erfüllt waren, hat weder das LSG etwas festgestellt noch ist sonst etwas vorgetragen. Im Übrigen war die gesamte Orthonyxiebehandlung einschließlich Regulierung der Nagelspange im hier maßgeblichen Zeitraum 2014 und 2015 – wie dargelegt – Bestandteil des EBM (vgl Verzeichnis der nicht gesondert berechnungsfähigen Leistungen: Anlegen einer Finger- oder Zehennagelspange, enthalten in der Versichertenpauschale Kap 3 bzw 4 und möglicher Bestandteil der Grundpauschale<n>).

bb) Ein Systemversagen, das sich daraus ergibt, dass die Klägerin keine Vertragsärzte findet, die eine Orthonyxiebehandlung erbringen können und wollen, und die Beklagte sowie die Beigeladene der Klägerin auch keine leistungsbereiten Vertragsärzte benennen können, begründet keinen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf die Verschaffung einer als ärztliche Leistung gebotenen Behandlung durch einen Nichtarzt. Es handelt sich bei dem Erfordernis, im berufsrechtlichen Sinn Arzt zu sein, nicht bloß um eine spezifisch leistungserbringungsrechtliche Voraussetzung, die im Falle eines Systemversagens verzichtbar wäre, sondern um eine vom SGB V als zwingende berufliche Mindestqualifikation aufgestellte Tatbestandsvoraussetzung für den Behandlungsanspruch (vgl zu einer als Heilpraktikerin tätigen Diplompsychologin BSG Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 4/16 R – Juris RdNr 17).

Hingegen wäre es der Klägerin unbenommen gewesen, in der Situation eines durch Rückfragen bei der Beklagten abgesicherten vertragsärztlichen Systemversagens einen Privatarzt aufzusuchen und sich von ihm behandeln zulassen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ergibt sich nicht, dass auch kein Privatarzt bereit war, eine Orthonyxiebehandlung durchzuführen. In der Nr 2036 der Anlage Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen zur GOÄ ist das Anlegen einer Finger- oder Zehennagelspange aufgeführt und mit der Punktzahl 45 ausgewiesen. Allerdings ist es nicht auszuschließen, dass die Klägerin wegen der maximal vereinbarungsfähigen (§ 2 Abs 1 S 1 GOÄ) geringen Gebührenhöhe auch keinen Arzt findet, der bereit ist, die Leistung privatärztlich zu erbringen. Selbst wenn das Anlegen der Nagelspange deren Regulierung nicht erfassen würde, griffe § 6 Abs 2 GOÄ ein, wonach selbstständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, (nur) entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden können.

Die Beigeladene ist jedoch verpflichtet, entsprechend ihrem Sicherstellungsauftrag (§ 72, § 75 Abs 1 SGB V) zu gewährleisten, dass Vertragsärzte Orthonyxiebehandlungen erbringen. Gegebenenfalls sind disziplinarische Maßnahmen zu ergreifen (§ 81 Abs 5 SGB V). Kommt die Beigeladene ihren Verpflichtungen nicht nach, sind auch aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen die Beigeladene in Betracht zu ziehen. Seit 2016 umfasst der Sicherstellungsauftrag ausdrücklich auch die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung. Hierzu haben die Kassenärztlichen Vereinigungen Terminservicestellen einzurichten; die Terminservicestellen können in Kooperation mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen betrieben werden. Die Terminservicestelle hat Versicherten bei Vorliegen einer Überweisung zu einem Facharzt innerhalb einer Woche einen Behandlungstermin bei einem Leistungserbringer nach § 95 Abs 1 S 1 SGB V zu vermitteln (vgl näher § 75 Abs 1a SGB V). Behandelt ein Vertragsarzt einen Versicherten mit eingewachsenen Zehennägeln nicht und erleidet der Versicherte dadurch einen Gesundheitsschaden, haftet der Vertragsarzt insbesondere auch dann, wenn das Unterlassen der Behandlung einen chirurgischen Eingriff erfordert, der durch die Orthonyxiebehandlung vermeidbar gewesen wäre. Insoweit kommt aus der Garantenstellung des Vertragsarztes ein zivilrechtlicher Schmerzensgeldanspruch des Versicherten gegen den Vertragsarzt auch dann in Betracht, wenn der chirurgische Eingriff erfolgreich ist (vgl aber OLG Köln Urteil vom 25.3.2015 – I-5 U 100/14, 5 U 100/14 – Juris RdNr 28 = KHE 2015/26; Garantenstellung bei Nichtbehandlung nur bei einer Notlage).

Soweit Versicherte sich privatärztlich behandeln lassen müssen, kann die KK die den Versicherten zu erstattenden Kosten als Schadensersatz wegen pflichtwidriger Verletzung des Sicherstellungsauftrags bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung einfordern (§ 54 Abs 3 BMV-Ä; vgl auch BSGE 122, 112 = SozR 4-2500 § 75 Nr 18, RdNr 54, dort zur konzertierten Praxisschließung – „Ärztestreik“).

cc) Die Beklagte lehnte rechtmäßig einen Anspruch der Klägerin auf selbstständige podologische Behandlung im Ergebnis auch insoweit ab, als die behandelnde Podologin „Heilpraktikerin HPG (beschränkt auf das Gebiet der Podologie)“ ist. Der Ausschluss der Heilpraktiker von der selbstständigen Leistungserbringung in der GKV ist mit Art 12 Abs 1 GG vereinbar und verstößt auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG (BVerfGE 78, 155 = SozR 2200 § 368 Nr 11). Das BVerfG hat bezogen auf eine Heilpraktikerbehandlung zudem entschieden, dass sich aus Art 2 Abs 2 S 1 GG kein verfassungsrechtlicher Anspruch Versicherter darauf ergibt, dass ein bestimmter, im SGB V nicht vorgesehener Leistungserbringer im Rahmen der GKV tätig werden darf (BVerfG <Kammer> Beschluss vom 15.12.1997 – 1 BvR 1953/97NJW 1998, 1775). Auch das BSG hat sich mit der Problematik der Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Behandlung durch einen Heilpraktiker bereits mehrfach befasst und entschieden, dass der im Recht der GKV geregelte Arztvorbehalt einen generellen Ausschluss nichtärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen und eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten beinhaltet und dies verfassungsgemäß ist (BSGE 48, 47 = SozR 2200 § 368 Nr 4; BSGE 72, 227 = SozR 3-2500 § 15 Nr 2; BSG Urteil vom 11.10.1994 – 1 RK 26/92 – Juris = USK 94128; BSG Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 4/16 R – Juris RdNr 18). Hieran hält der erkennende Senat fest.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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