Äußerung „Klei mi ann Mors“ gegenüber einer Vorgesetzten rechtfertigt keine fristlose Kündigung

ArbG Hamburg, Urteil vom 12.5.2009 – 21 Ca 490/08

Äußerung „Klei mi ann Mors“ gegenüber einer Vorgesetzten rechtfertigt keine fristlose Kündigung

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 24.10.2008 beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Sachbearbeiter weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Streitwert beträgt 14.300,00 EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung sowie um Beschäftigung.

Die Beklagte beschäftigt in Deutschland rund 3.500 Arbeitnehmer, davon in H. rund 450. Der Kläger ist für die Beklagte seit dem 01.12.1999 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig. Er wurde 1966 geboren und ist verheiratet. Im Oktober 2008 hatte er ein Kind, seine Ehefrau war zu diesem Zeitpunkt mit einem zweiten Kind schwanger. Dieses zweite Kind ist mittlerweile geboren worden.

Die Beklagte setzt den Kläger in H. als Sachbearbeiter ein und zahlt ihm Arbeitsvergütung in Höhe von EUR 3.575,– brutto monatlich.

Am 13.10.2008 entstand zwischen dem Kläger und seiner Vorgesetzten Frau G. ein Konflikt. Der Kläger und Frau G. führten ein Gespräch, in dem es unter anderem um einen Urlaubswunsch des Klägers ging. Dritte waren nicht zugegen. Eine Einigung wurde nicht erzielt, die Atmosphäre und der Tonfall verschärften sich. Wer es zu verantworten hat, dass der Streit eskalierte, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls sagte der Kläger schließlich zu Frau G.: „ Klei mi ann Mors “.

Frau G. und die Beklagte empfanden dies als grobe Beleidigung. In einem Gespräch, an dem unter anderem der Kläger, der Betriebsratsvorsitzende sowie die Personalleiterin des Standorts H. Frau M. teilnahmen, erklärte der Kläger bezogen auf diese Äußerung, dass ihm dies leid tue.

Eine Abmahnung ist dem Kläger nicht erteilt worden. Es gab seitens des Klägers in der Vergangenheit auch kein Vorkommnis, das vergleichbar wäre.

Mit Schreiben vom 20.10.2008 teilte die Beklagte dem bei ihr gebildeten Betriebsrat mit, dass sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos zu kündigen (Bl. 17 d.A.). In diesem Schreiben wird angegeben, dass der Kläger verheiratet ist, es wird hingegen nicht mitgeteilt, dass der Kläger ein Kind hat.

Mit Schreiben vom 23.10.2008 (Bl. 19 d.A.) widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung.

Am 24.10.2008 kündigte die Beklagte außerordentlich (Anl. K1, Bl. 4 d.A.).

Mit seiner am 24.10.2008 bei Gericht eingegangenen und der Beklagte am 3.11. 2008 zugestellten Klage macht der Kläger geltend, dass die Kündigung unwirksam sei und begehrt Weiterbeschäftigung.

Im Gütetermin vom 8.1.2009 erklärte der Kläger: „Ich entschuldige mich für die Äußerung gegenüber Frau G. vom 13.10.2008 in aller Form.“

Der Kläger verweist darauf, dass die Beklagte hätte abmahnen können. Er räumt ein, dass er sich nicht korrekt verhalten habe, macht aber geltend, dass er sich entschuldigt hat und es in der Vergangenheit keinerlei Vorkommnisse gegeben hätte, die nahe legen würden, dass er sich diese Abmahnung nicht zu Herzen genommen hätte. Sein Interesse an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiege. Seine Weiterbeschäftigung sei für die Beklagte nicht unzumutbar.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 24.10.2008, dem Kläger zugegangen am 24.10.2008, aufgelöst wurde;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Sachbearbeiter weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

Die Klage abzuweisen.

Die Beklagte sieht in der Äußerung des Klägers eine grobe Beleidigung. Sie meint, dass es sich um das Götz-Zitat („Leck mich am Arsch“) handele. Dass der Kläger dies auf Plattdeutsch gesagt habe, mildere die Beleidigung nicht. Entscheidend sei, dass er in beleidigender Weise zum Ausdruck gebracht habe, dass ihm die Arbeit, die Kollegen und insbesondere die Vorgesetzte nicht interessieren und ihm mehr als nur egal seien. Die Beklagte betont, dass der Kläger sich nicht gegenüber Frau G. entschuldigt habe. Eine weitere vertrauensvolle und respektvolle Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und seiner Vorgesetzten sei kaum zu erwarten. Eine Weiterbeschäftigung sei daher für sie unzumutbar.

Weitere Einzelheiten des Vorbringens der Parteien ergeben sich aus den gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen sowie den mündlichen Erklärungen der Parteien. Darauf wird ergänzend gemäß § 313 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

Die Klage ist zulässig und begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 24.10.2008 nicht beendet worden. Es besteht fort. Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger weiter zu beschäftigen. Diese Entscheidung beruht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht kurz zusammengefasst im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen (§ 313 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG):

1. Die Kündigung ist rechtsunwirksam, weil der Betriebsrat nicht korrekt gemäß § 102 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung zu der beabsichtigten Kündigung unterrichtet worden ist. Denn zu einer ordnungsgemäßen Unterrichtung gehört, dass die Person des Arbeitnehmers mit den grundlegenden sozialen Daten bezeichnet wird. Dazu gehören das Alter, der Familienstand, die Kinderzahl, sonstige Unterhaltspflichten, die Beschäftigungsdauer sowie ggf. die Umstände, die geeignet sind, einen besonderen Kündigungsschutz zu begründen (vgl. Kittner/Bachner in DKK BetrVG, § 102 Rn 62 mit umfangreichen Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Dem ist die Beklagte nicht ausreichend nachgekommen. Denn in dem Unterrichtungsschreiben vom 20.10.2008 fehlt die Mitteilung, dass der Kläger einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet ist. Dies aber ist eine für die Interessenabwägung wichtige Information, die nicht hätte unterbleiben dürfen.

2. Die Wirksamkeit der Kündigung der Beklagten war am Maßstab des § 626 BGB zu prüfen. Die Kündigung ist auch deshalb unwirksam, weil die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben sind.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Die außerordentliche Kündigung wird in zwei Stufen geprüft:

aa) Eine schwere, regelmäßig schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Dabei kann ein wichtiger Grund an sich nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks dienen (Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl. Rn. 661), kann ein wichtiger Grund an sich zur außerordentlichen Kündigung sein. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verlangt von den Parteien eines Arbeitsverhältnisses, gegenseitig auf die Rechtsgüter und die Interessen der jeweils anderen Vertragspartei Rücksicht zu nehmen (BAG 24. Juni 2004, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65). Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann.

bb) Liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich vor, so kann eine hierauf gestützte beabsichtigte außerordentliche Kündigung gleichwohl das Arbeitsverhältnis nur wirksam beenden, wenn bei der umfassenden Interessenabwägung das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt (BAG 16.12.2004, AP BGG § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7; 17. März 1988, BAGE 58, 37).

Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend für alle Fälle festlegen (vgl. KR/Fischermeier, 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 236 ff.; APS-Dörner 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 115). Zunächst kommt der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreiem Bestand ein besonderes Gewicht zu. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist auch zu berücksichtigen, wenn eine Kündigung auf ein Vermögensdelikt zu Lasten des Arbeitgebers gestützt wird (BAG, 13. Dezember 1984, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94; 2. März 1989, AP BGB § 626 Nr. 101 = EzA BGB § 626 nF Nr. 118). Ferner können das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen Schädigung und auch die Frage in Betracht zu ziehen sein, ob dem Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit innewohnt. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können – je nach Lage des Falles – Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls nicht von vornherein von der Berücksichtigung ausgeschlossen (vgl. insbesondere BAG 16.12.2004, AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7), wenn sie auch im Einzelfall in den Hintergrund treten und im Extremfall sogar völlig vernachlässigt werden können. Die gegenteilige Auffassung, der zufolge bestimmte Umstände stets von der Berücksichtigung ausgeschlossen sein sollen (vgl. die Zusammenstellung bei APS-Dörner 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 111 f.), korrespondiert nicht ausreichend mit der gesetzlichen Vorgabe, nach der “alle” Umstände des Einzelfalles Bedeutung haben können.

b) Die Kündigung der Beklagten vom 24.10.2008 ist als außerordentliche Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte den Kläger vor ihrem Ausspruch nicht einschlägig abgemahnt hat. Nach ständiger und zutreffender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Kammer folgt, ist grundsätzlich ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens fristlos oder fristgemäß gekündigt werden soll, zunächst abzumahnen (ausdrückliche Bestätigung der ständigen Rechtsprechung durch Urteil vom 17.02.1994, S. 1477 ff.). Dieses Erfordernis leitet sich aus dem dem Kündigungsschutzrecht inne wohnenden Verhältnismäßigkeitsprinzip her. Eine solche Abmahnung hat die Beklagte unstreitig nicht ausgesprochen.

Es liegt auch keiner der Fälle vor, für die nach der genannten Rechtsprechung des BAG im Einzelfall von einer der Kündigung vorangehenden Abmahnung abgesehen werden könnte. Insbesondere geht es nicht um eine schwere Pflichtverletzung, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (so BAG, Beschluss vom 10.02.1999, DB 1999, S. 1121 ff.). Solche Fälle können bei eindeutigen und schwerwiegenden Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers gegeben sein (vgl. Schlachter, Fristlose Kündigung wegen Entwendung geringwertiger Sachen des Arbeitgebers, NZA 2005, 433 ff.; ArbG Hamburg, Urteil vom 2.10.2000, NZA-RR 2001, 416 ff.). Vorliegend war die Pflichtverletzung des Klägers nicht von vergleichbarem Gewicht.

c) Es fehlt aber auch ein wichtiger Grund. Der Kläger hat sich gegenüber Frau G. zwar nicht korrekt verhalten, indem er ihr gegenüber erklärte: „ Klei mi ann Mors “. Dies ist plattdeutsch und bedeutet auf Hochdeutsch: „Kratz mich am Hintern“. Hier irrt also die Beklagte, wenn sie meint, dass „Klei mi ann Mors“ mit: „Leck mich am Arsch“ zu übersetzen sei. Gleichwohl ist die Äußerung des Klägers ungehörig, denn sie ist unhöflich. Ein solcher Ton verbietet sich gegenüber einer Vorgesetzten, zumal wenn es sich um eine Frau handelt. Dass das Gewicht dieser Unhöflichkeit jedoch einer schweren Vertragsverletzung gleichkommen würde, die „an sich“ geeignet ist, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darzustellen, erscheint ausgesprochen zweifelhaft. Rechtlich maßgebend ist nicht die subjektive Bewertung der betroffenen Frau G., es findet vielmehr eine verobjektivierte Betrachtung statt (KR-Fischermeier, 8. Aufl., § 626 BGB Rn. 109 m.w.N.).

Selbst wenn man aber (mit dem BAG, vgl. KR-Fischermeier, 8. Aufl., § 626 BGB Rn. 100 m.w.N.) vorliegend einen wichtigen Grund „an sich“ bejahen wollte, würde die vorzunehmende Interessenabwägung zu dem Ergebnis führen, dass die Voraussetzungen des § 626 BGB gleichwohl nicht gegeben sind. Zu Gunsten des Klägers wäre nämlich zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits seit 1999 für die Beklagte tätig ist, dass der Kläger gegenüber 3 Personen unterhaltspflichtig ist, dass es sich um den ersten Vorfall dieser Art handelt, dass eine Abmahnung fehlt, dass die Äußerung nicht in Gegenwart Dritter gefallen ist, dass der Kläger seiner Äußerung unter anderem gegenüber der Personalleiterin der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung bedauert hat, dass sich der Kläger im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens auch gegenüber Frau G. in aller Form entschuldigt hat, dass die Äußerung spontan mündlich und nicht etwa schriftlich erfolgte und dass es sich nicht um eine vorsätzliche und kühl geplante Herabsetzung von Frau G. handelte, sondern dass die Äußerung im Rahmen eines Konflikts spontan gefallen ist.

Nach alledem konnte dem Feststellungsantrag der Erfolg nicht versagt werden. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) von Amts wegen in eine fristgemäße Kündigung findet nicht statt (zu den Einzelheiten KR-Friedrich, 8. Aufl., § 13 KSchG Rn. 82 ff.).

3. Auf dieser Basis war auch dem Leistungsantrag stattzugeben. In rechtlicher Hinsicht verweist das Gericht auf den Beschluss des Großen Senats des BAG vom 27. Februar 1985 (BAG AP Nr. 10 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Demzufolge war die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG.

5. Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Der Feststellungsantrag ist gemäß § 42 Abs. 4 GKG mit drei Bruttomonatsgehältern bewertet worden. Für den Leistungsantrag ist ein weiteres Bruttomonatsgehalt veranschlagt worden.

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