OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.07.2013 – I-18 U 183/11, 18 U 183/11
Entgegen seiner ursprünglichen Tendenz versteht der Senat den räumlichen Geltungsbereich einer Verkehrshaftungsversicherung nunmehr nicht schadensbezogen, sondern frachtvertragsbezogen. Eine schadensbezogene, räumliche Eingrenzung liefe auf eine Teilstreckenversicherung hinaus, die der Verkehrshaftungsversicherung grundsätzlich fremd ist (Rn.42).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 15.03.2011 (35 O 100/09) wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil des Senats und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des von ihr zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin hat mit der Behauptung, sie sei aufgrund der ihr von dem Transportführungsversicherer erteilten Assekuradeurvollmacht berechtigt, den Anspruch auf Deckungsschutz im eigenen Namen geltend zu machen, zunächst die Feststellung von Deckungsschutz begehrt, wobei die Feststellung auf den 20%igen Führungsanteil der B… Versicherung beschränkt worden ist. In der Berufungsinstanz hat sie ihr Begehren klageerweiternd auf eine Zahlungsklage in Höhe von 805.755,04 EUR umgestellt.
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Der Versicherungsnehmer der Beklagten, die Firma G… L… in K…, übernahm am 13.02.2006 im Auftrag der Firma N… AG in O… eine Sendung mit 6 Paletten Mobiltelefonen, die er nach Großbritannien zu befördern hatte. Die Sendung geriet nach der Übernahme durch den Fahrer des Versicherungsnehmers in Verlust. Die Beklagte verweigerte ihrem Versicherungsnehmer mit Schreiben vom 21.02.2006 und 10.05.2006 Deckungsschutz, weil nach dessen Angaben der Verlust der Sendung auf einem Rastplatz in Belgien eingetreten sei, sich der Geltungsbereich des Versicherungsscheins aber nur auf die Bundesrepublik Deutschland erstrecke. Die Klägerin hat beim Versicherungsnehmer der Beklagten G… L… den Haftpflichtprozess vor dem Landgericht K… geführt. Dieses Verfahren wurde im Hinblick auf die Insolvenz des Versicherungsnehmers unterbrochen.
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Im Rahmen des gegen den mehrfach vorbestraften Fahrers des Versicherungsnehmers, M… K…, einleiteten Ermittlungsverfahrens ist die Staatsanwaltschaft K… zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser und dessen Schwiegersohn H… K… die Sendung vermutlich kurz nach dem Antritt der Fahrt in Deutschland entwendet und zur Verschleierung der Tat einen Diebstahl auf der geplanten Fahrtroute in Belgien fingiert hätten. Daraufhin suchte die Klägerin bei der Beklagten erneut um Deckungsschutz, was diese aber mit Schreiben vom 06.05.2009 erneut zurückwies. Das Strafverfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.
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Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei zwar zulässig, da das von § 256 ZPO geforderte Feststellungsinteresse vorliege. In der Haftpflichtversicherung könne nach der Rechtsprechung des BGH auch der Geschädigte ein eigenes, aus der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung folgendes rechtliches Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung haben, dass der Versicherer dem Schädiger Deckungsschutz zu gewähren habe.
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Die Klage sei jedoch unbegründet, da die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Deckung aus dem Versicherungsvertrag habe. Dabei könne dahinstehen, ob die Klägerin aktivlegitimiert sei. Unerheblich sei auch, ob der von der Klägerin geltend gemachte Deckungsanspruch verjährt sei. Die Beklagte sei gegenüber ihrem Versicherungsnehmer nicht zur Entschädigung der in Verlust geratenen Sendung verpflichtet. Denn die Beklagte sei nach Maßgabe des Versicherungsscheins vom 19.08.2005 für den Verlust der Sendung nicht einstandspflichtig, wobei dahinstehen könne, ob die Paletten mit den Handys in Deutschland oder aber in Belgien in Verlust geraten seien. Eine Einstandspflicht würde für die Beklagte nur dann bestehen, wenn die Vertragsparteien eine CMR-Haftpflichtversicherung abgeschlossen hätten. Dies sei aber nicht der Fall. Aus dem Versicherungsschein in Verbindung mit der Risikobeschreibung des Versicherungsnehmers vom 09.03.2005 ergebe sich, dass vom Versicherungsnehmer der Beklagten eine solche Versicherung nicht gewollt gewesen sei. In der Risikobeschreibung habe der Versicherungsnehmer der Beklagten angegeben, nur Beförderungen innerhalb Deutschlands durchführen zu wollen. Grenzüberschreitende entgeltliche Beförderungen hätten ebenso wie Kabotage-Verkehre ausgeschlossen sein sollen. Auch aus den Ziffer 1.1 und 2.1 der Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Beförderungen im gewerblichen Straßenverkehr, die nach dem Versicherungsschein zur Vertragsgrundlage gemacht worden seien, folge, dass nur Transporte innerhalb Deutschlands versichert seien.
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Gegen die Entscheidung des Landgerichts richtet sich die Berufung der Klägerin.
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Sie rügt, das Landgericht habe entscheidungserheblichen Sachvortrag außer Acht gelassen und falsch bewertet. Das Landgericht habe die Voraussetzungen des versicherungsrechtlichen Deckungsfalles nicht in seine Entscheidungsgründe aufgenommen, so dass sich dort auch keine Ausführungen zur Fälligkeit und Verjährung des Deckungsanspruchs fänden.
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Die Klägerin begründet ihre Aktivlegitimation damit, dass sie sich sämtlich Rechte aus dem Schadensereignis von der Geschädigten, N… AG, habe abtreten lassen; zudem seien die Ansprüche gemäß § 67 VVG a.F. auf sie übergegangen.
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Das Landgericht habe sich allein auf die Frage konzentriert, wie der territoriale Deckungsbereich ausgestaltet sei. Die dahingehenden Entscheidungsgründe seien misslungen, da dem Landgericht bei der Auslegung des Versicherungsscheins sowie der Abweichung zwischen Antrag und Versicherungsschein und der unauflösbaren Widersprüche hinsichtlich des versicherten Risikos und des Geltungsbereichs der Versicherungsscheins eklatante Fehler bei der Anwendung der §§ 133, 157 BGB unter besonderer Berücksichtigung von § 5 VVG a. F. im Versicherungsrecht unterlaufen seien.
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Ausweislich Bl. 6 des Versicherungsscheins gelte ausschließlich der Inhalt des Versicherungsscheins. Die rechtliche Bedeutung der “Risikobeschreibung” (Anlage B 2) werde verkannt. Hierbei handele es sich gerade nicht um eine Risikobeschreibung, sondern um einen ergänzenden Antrag des ehemaligen Versicherungsnehmers. Deshalb hätte diese “Risikobeschreibung” bei der Auslegung nicht herangezogen werden dürfen.
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Eine Auslegung nach dem wirklich Gewollten im Versicherungsrecht verbiete sich bei Abweichungen von Antrag und Versicherungsschein, wenn die Abweichung für den Versicherungsnehmer günstig sei. Hier sei die Abweichung für den Versicherungsnehmer günstig gewesen, da der Deckungsumfang im Versicherungsschein weiter gehend sei, als im Antrag. Während der mit der Anlage B 2 zu der Akte gereichte Antrag, der offenbar bei den Ziffern 3.1 und 3.2 nachträglich verändert worden sei, keinen CMR- und Kabotage-Verkehr vorsehe, sehe dies der Versicherungsschein in der Beschreibung des versicherten Risikos vor. Diese für den ehemaligen Versicherungsnehmer der Beklagten günstige Erweiterung des Versicherungsumfangs sei maßgeblich. Das Landgericht habe in seinen Entscheidungsgründen den Widerspruch innerhalb des maßgeblichen Versicherungsscheins nicht erkannt.
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Der Deckungsumfang werde nach dem Wortlaut des Versicherungsscheins einerseits vom versicherten Risiko, u. a. CMR-Transporte, und andererseits vom Geltungsbereich umschrieben. Ein CMR-Transport könne partiell in Deutschland durchgeführt werden, wenn Übernahme-Ort oder Ablieferungs-Ort in Deutschland lägen. Dies sei der Fall gewesen: der Verlust sei in Wirklichkeit in Deutschland eingetreten.
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Eine Einschränkung auf den Geltungsbereich Deutschland sei nicht praktizierbar und würde den durch den Versicherungsschein umschriebenen Versicherungsschutz derart aushöhlen, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre.
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Auf eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers könne sich die Beklagte nicht berufen, da sie nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 6 VVG a.F. gekündigt habe.
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Die Klägerin hat zunächst beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil des LG Düsseldorf vom 15.03.2011 – 35 O 100/09 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihrem ehemaligen Versicherungsnehmer (VN), G… L…, … M…-straße 4 … , 3 … K…, aufgrund des Verkehrshaftpflicht-Versicherungsvertrages, Versicherungsscheinnummer T … 1 … .., Deckungsschutz anlässlich eines Schadens vom 13.02.2006 zu gewähren, indem die Beklagte die Kosten der Abwehr unberechtigter Forderungen und die Befriedigung berechtigter Forderungen gegen ihren VN leistet, wobei diese Feststellung auf den 20%igen Führungsanteil der von ihr vertretenen B… Versicherung beschränkt ist.
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Mit Schriftsatz vom 14.06.2013 hat die Klägerin die Klage erweitert und umgestellt und zu Begründung ausgeführt, dass ihre Forderung nunmehr in Höhe von 805.755,04 EUR incl. ausgerechneter Zinsen und Kosten vom Insolvenzverwalter am 14.09.2012 zur Insolvenztabelle festgestellt worden sei.
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Die Klägerin beantragt nunmehr,
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das erstinstanzliche Urteil des LG Düsseldorf vom 15.03.2011 – 35 O 100/09 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 805.755,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2012 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil. Sie erhebt auch im zweiten Rechtszug die Einrede der Verjährung, da etwaige Versicherungsansprüche ihr gegenüber zum 31.12.2008 verjährt seien, und weist darauf hin, dass das Landgericht zu Recht die Klage abgewiesen und offengelassen habe, ob der Deckungsanspruch fällig oder gar verjährt sei.
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Den bestrittenen Sachverhalt der Klägerin unterstellt, hätte der Sendungsdiebstahl in Deutschland begonnen und wäre dort auch vollendet worden. Hierbei handele es sich nicht um ein neues Schadensereignis.
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Auch wenn man unterstelle, dass die im Jahre 2009 angeblich ermittelte Unterschlagung durch Fahrpersonal vorliege, bestehe kein Versicherungsschutz, da der Geltungsbereich der Versicherung auf Deutschland fixiert gewesen sei. Insoweit stimmten sowohl der Versicherungsvertrag als auch die Risikobeschreibung überein. Soweit die Klägerin die mit Anlage B 2 zur Gerichtsakte gereichte Risikobeschreibung als ergänzenden Antrag des ehemaligen Versicherungsnehmers auffasse, spreche bereits das Zeitfenster dagegen, da die Risikobeschreibung zeitlich dem streitgegenständlichen Versicherungsschein vorausgegangen sei. In dieser Risikobeschreibung habe der ehemalige Versicherungsnehmer ausdrücklich Versicherungsschutz für grenzüberschreitenden Güterverkehr verneint. Letztlich folge auch aus Ziffer 1.1 und 2.1 ihrer allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Beförderungen im gewerblichen Straßenverkehr, dass nur Transporte innerhalb Deutschlands versichert sein sollten.
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Ergänzend bestreitet die Beklagte, wie bereits im ersten Rechtszug, die Aktivlegitimation der Klägerin sowie den Lieferwert der Mobiltelefone und weist darauf hin, dass jedenfalls auch eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers vorliege, da dieser als Fahrpersonal zwei erheblich vorbestrafte Fahrer eingesetzt habe.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
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Mit der Klägerin ist davon auszugehen, dass die in der Berufungsinstanz erweiterte und umgestellte Klage zulässig ist. Nachdem der Insolvenzverwalter seinen Widerspruch durch Schreiben vom 04.09.2012 zurückgenommen hat, hat sich der bisherige Freistellungsanspruch nach rechtskräftiger Feststellung in einen Zahlungsanspruch umgewandelt (vgl. Thume, VersR 2006, 1318 ff.).
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Der Senat folgt entgegen seiner ursprünglich geäußerten Rechtsauffassung nunmehr der Ansicht des Landgerichts, wonach die Beklagte gegenüber dem Versicherungsnehmer G… L… aufgrund der bei ihr genommenen Carrierversicherung mit der Nr.: T … 1 … .. nicht zur Entschädigung der in Verlust geratenen Sendung verpflichtet ist, weil der Versicherungsnehmer der Beklagten keine CMR-Verkehrshaftungsversicherung abgeschlossen hat und daher unabhängig von der Frage des Schadensortes, kein Versicherungsschutz für den streitgegenständlichen Transport bestand.
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Der Umfang der Versicherung richtet sich nach dem Versicherungsschein (§ 5 VVG).
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Im Versicherungsschein (Anlage K 1) wird das versicherte Risiko wie folgt beschrieben:
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“Die vertragliche Haftung nach den deutschen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere des Handelsgesetzbuches (HGB), nach dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) sowie nach den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften der im Geltungsbereich genannten Staaten für den Kabotage-Verkehr, für Beförderung mit nachstehenden Fahrzeugen”.
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Damit ist dem Wortlaut nach eine CMR-Beförderung nicht von vornherein aus dem versicherten Risiko ausgeschlossen.
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Auch aus Ziffer 1.1 und 2.1 der allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Beförderungen im gewerblichen Straßenverkehr (AVB Carrier 1998) folgt nichts Gegenteiliges:
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Ziffer 2.1 lautet wie folgt:
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“Versichert ist die vertragliche Haftung des Versicherungsnehmers – soweit im Versicherungsschein ausdrücklich genannt –
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2.1.1 nach den deutschen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere des Handelsgesetzbuches (HGB);
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2.1.2 nach dem Übereinkommen über dem Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehrt (CMR);
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2.1.3 nach den nationalen Rechtsvorschriften der im Versicherungsschein genannten und der europäischen Union zugehörigen Staaten über den innerstaatlichen Straßengüterverkehr (Kabotage-Verkehr)”.
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Allerdings wird der Geltungsbereich der Versicherung im Versicherungsschein ausdrücklich auf Deutschland beschränkt.
42
Entgegen seiner ursprünglichen Tendenz versteht der Senat diesen räumlichen Geltungsbereich nunmehr nicht schadensbezogen, sondern frachtvertragsbezogen. Eine schadensbezogene, räumliche Eingrenzung liefe auf eine Teilstreckenversicherung hinaus, die der Verkehrshaftungsversicherung grundsätzlich fremd ist. Gegenstand einer Verkehrshaftungsversicherung ist die Haftung des Versicherten aus Verkehrsverträgen über entgeltliche Beförderungen u. a. nach den Haftungsgrundlagen des HGB oder der CMR. Gegenstand der Versicherung ist mithin der eigentliche Verkehrsvertrag (vgl. Kollatz, in Thume/de la Motte/Ehlers, Transportversicherungsrecht; 2. Aufl., Teil 7., Rdnr. 7). Ein CMR-Vertrag liegt aber nur dann vor, wenn nach der maßgeblichen vertraglichen Vereinbarung der geschuldete Ort der Übernahme des Gutes zur Beförderung mit Kraftfahrzeugen und der im Frachtvertrag vereinbarte Ort der Ablieferung in zwei verschiedenen Staaten liegen (vgl. Art. 1 CMR).
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Die Verkehrshaftungsversicherung bietet den Transportunternehmern Versicherungsschutz im Hinblick auf Haftungsrisiken, die im Zusammenhang mit ihrem Gewerbe als Verfrachter, Frachtführer, Spediteur, Lagerhalter und im begrenzten Umfang bei ihrer Tätigkeit als Logistikunternehmer entstehen (vgl. Koller, in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., Grundzüge der Verkehrshaftung und ihre Versicherung, Rdnr. 1). Faktoren, die die Haftung und damit das Risiko des Versicherungsunternehmens und damit dessen Preiskalkulation beeinflussen, sind dabei insbesondere die Art der Transportstrecke (innerdeutsch, grenzüberschreitend, zwischen bestimmten Staaten) sowie die Art des Gutes (vgl. Koller a.a.O., Rdnr. 2). Insoweit versteht es sich von selbst, dass CMR-Verträge aufgrund von einzuhaltenden Lenkzeiten und dadurch bedingten Pausen bzw. Übernachtungen ein höheres Risiko aufweisen als ein rein innerdeutscher Verkehr.
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Auch in der Kommentarliteratur wird – soweit überhaupt erörtert – der räumliche Geltungsbereich frachtvertragsbezogen interpretiert. In den DTV-VHV unter Ziff. 5 “räumlicher Geltungsbereich” ist geregelt, dass, soweit die geschriebenen Bedingungen keine abweichenden Regelungen enthalten, Versicherungsschutz für Verkehrsverträge innerhalb und zwischen den Staaten des europäischen Wirtschaftsraumes sowie der Schweiz besteht. Diese Regelung wird dahin gehend verstanden, dass z. B. auch dann kein automatischer Versicherungsschutz besteht, wenn bei einem Straßentransport von Deutschland in die Türkei das Gut in Österreich beschädigt worden ist (vgl. Koller, a. a. O., DTV-VHV, Rdnr. 1).
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Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei der Auslegung von Versicherungsverträgen und den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ein eher objektiver Maßstab anzulegen ist und bei Versicherungsverträgen der vorliegenden Art üblicherweise beide Seiten mit der transport- und versicherungsrechtlichen Terminologie näher vertraut sind (vgl. BGH, VU vom 10.12.1998 – I-ZR 162/96, NJW 1999, 1711, 1713 f.).
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Es war für den Versicherungsnehmer der Beklagten ohne Weiteres erkennbar, dass ein CMR-Frachtvertrag aus dem Versicherungsschutz herausfällt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: BGH, Urteil vom 22.02.1995 – IV ZR 58/94, NJW-RR 1995, 859 ff.).
47
Dies belegt die von der Beklagten vorgelegten Versicherungshistorie. Über seinen Versicherungsmakler reichte Herr L… am 09.07.2001 bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss einer Carrierversicherung ein. Versichert werden sollte die vertragliche Haftung aus gewerblichen Straßengütertransporten. In dem Antrag ist der geografische Geltungsbereich mit Deutschland angegeben. Die Ausdehnung des Geltungsbereiches auf andere Staaten wurde mit “nein” angekreuzt (vgl. Anlage B1, 269 GA).
48
Die Beklagte erkundigte sich jährlich bei ihrem ehemaligen Versicherungsnehmer nach Änderungen im Risikobereich. Für das Versicherungsjahr vom 05.07.2002 bis 05.07.2003 geschah dies beispielsweise mit Schreiben vom 08.03.2002, wo der ehemalige Versicherungsnehmer der Beklagten ausdrücklich einen grenzüberschreitenden Verkehr ins Ausland (CMR) verneinte (vgl. Anl. B3, Bl. 271 GA).
49
Am 23.09.2002 beantragte Herr L… eine Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereiches und zwar für Transportaufträge von und nach Ungarn (Anl. B4, Bl. 273 GA). Die Beklagte änderte daraufhin die geschriebenen Bedingungen und tauschte Bl. 7 des Versicherungsscheins aus. Unter Ziffer 1. heißt es nunmehr: “Gelegentliche Transporte nach Ungarn gelten mitversichert” (vgl. Anl. B5, Bl. 274 GA).
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Am 19.04.2005 wurde auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn L… der Deckungsschutz wieder auf Transporte innerhalb Deutschlands beschränkt. Internationale Transporte nach Ungarn waren und sollten nicht mehr versichert werden. Dementsprechend wurde der Versicherungsschein, der bisher als Geltungsbereich Deutschland und Ungarn vorsah (vgl. Anl. B7, Bl. 277 GA) geändert und der Geltungsbereich auf Deutschland beschränkt (Anl. B8, Bl. 278 GA). Angesichts dessen kommt es auch nicht darauf an, wer die handschriftlichen Veränderungen in der Risikobeschreibung vom 09.03.2005 (Anl. B11; Bl. 285 f. GA) veranlasst hat, zumal Belgien ausdrücklich nicht aufgeführt ist. Allerdings belegen die handschriftlichen Einträge, die dann gestrichen worden sind, das frachtvertragliche Verständnis der Vertragsparteien, dass es nämlich auf den grenzüberschreitenden Güterverkehr in bestimmte Länder ankommt. Bis zum Schadensfall gab es dann keine weiteren Änderungswünsche.
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Das zuletzt noch eingeführte Argument der Klägerin, es sei lebendfremd, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten in dem Bewusstsein, keinen Versicherungsschutz zu genießen, einen Transport mit Gütern im Wert von über 600.000 EUR durchführt, ist nicht durchgreifend. Unstreitig hat der Versicherungsnehmer den Transport durchgeführt, obwohl er gewusst hat, dass für Belgien kein Versicherungsschutz besteht.
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Angesichts dieser Vertrags- und Versicherungshistorie kann es keinem Zweifel unterliegen, dass dem Versicherungsnehmer der Beklagten bekannt gewesen ist, dass CMR Transporte nicht versichert waren. Dementsprechend hat der Versicherungsnehmer der Beklagten die Ablehnung der Beklagten auf Deckungsschutz offensichtlich auch ohne Beanstandungen akzeptiert.
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Im Hinblick darauf, dass die Klage schon deshalb keinen Erfolg hat, weil der streitgegenständliche Transport nicht versichert ist, kommt es auf die weiteren zwischen den Parteien streitigen Fragen nicht an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
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Berufungsstreitwert: 616.250,- EUR (Hauptforderung der zur Insolvenztabelle festgestellten Forderung).