AG Schöneberg, Urteil vom 06.08.2007 – 6 C 339/07
Zur – verneinten – Pflicht von Mietern, die ersatzlose Entfernung von Stuck an der Außenfassade zu dulden
Tenor
1. Die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Schöneberg vom 19. Juli 2007 – … – wird aufrecht erhalten.
2. Die Verfügungsbeklagte hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Verfügungskläger mieteten durch schriftlichen Vertrag vom 15. Januar 1999 von der Verfügungsbeklagten ab dem 01. April 1999 eine im Vorderhaus Z.straße, B., 1. Obergeschoss rechts, gelegene Wohnung. Das Haus liegt in einem ehemaligen Sanierungsgebiet und verfügt über eine reich gegliederte Stuckfassade, die ebenso wie die Stuckfassaden der Nachbarhäusern Z.straße XX und XX sowie S.straße X und X Anfang der 80er Jahre unter Einsatz öffentlicher Fördermittel aufwändig restauriert worden sind.
Am 24. April 2007 kündigte die Verfügungsbeklagte durch einen Aushang an, im Rahmen eines Instandsetzungsprogramms Putz und Stuck an den Straßenfassaden instand zu setzen und mit einem neuen Anstrich zu versehen. Der Aushang betraf die Häuser S.straße X und X sowie Z.straße X. Dahinter befindet sich der handschriftliche Zusatz „X, X“. Alle 5 Häuser sind eingerüstet.
Unter dem 13. Juni 2007 teilte die Verfügungsbeklagte den Mietern des Hauses Z.straße mit, dass im Zeitraum vom 25. Juni 2007 bis zum 07. September 20007 Putz und Stuck der Straßenfassade instand gesetzt und mit neuem Anstrich versehen wird.
Anfang Juli 2007 begann die Verfügungsbeklagte, an den Häusern Z.straße X und S.straße X und X den Stuck abzuschlagen und durch eine glatte Putzfassade zu ersetzen.
Die Verfügungskläger forderten die Verfügungsbeklagte am 18. Juli 2007 auf zu erklären, dass am Haus Z.straße die Entfernung von Stuckelementen unterbleibt und die Baumaßnahmen eingestellt werden. Die Verfügungsbeklagte lehnte dies ab und verwies auf eine akute Verkehrsgefährdung durch den schlechten Zustand des Stucks.
Die Verfügungskläger tragen vor, der Bauunternehmer habe erklärt, der Stuck am Haus Z.straße solle ersatzlos entfernt und durch einen Glattputz ersetzt werden und haben zur Glaubhaftmachung eidesstattliche Versicherungen zweier Mieter aus dem Haus Zietenstraße 15 eingereicht. Ferner haben die Verfügungskläger mehrere Fotos eingereicht.
Auf Antrag der Verfügungskläger hat das Gericht der Verfügungsbeklagten durch einstweilige Verfügung vom 19. Juli 2007 untersagt, Stuckelemente der Fassade des Vorderhauses Z.straße, B., ersatzlos zu entfernen. Die Verfügungsbeklagte hat eingehend bei Gericht am 20. Juli 2007 Widerspruch erhoben.
Die Verfügungskläger meinen, es handele sich nicht um Instandsetzungsmaßnahmen, zu deren Duldung sie verpflichtet seien. Durch die Entfernung der Stuckelemente ändere sich die Mietsache und der Charakter des Gebäudes erheblich. Das gesamte Wohnumfeld werde beeinträchtigt.
Die Verfügungskläger beantragen,
die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Schöneberg vom 19.07.2007 zum Geschäftszeichen … aufrechtzuerhalten.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Schöneberg vom 19.07.2007 zum Geschäftszeichen … aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 18. Juli 2007 zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte behauptet, die Stuckfassade sei stark beschädigt. Diesen Zustand habe sie erst nach Stellung der Rüstung feststellen können. Vereinzelt sei es schon zu Ablösungen von Stuckelementen gekommen. Die Stuckrahmung an den Fenstern sei stellenweise abgefallen und lose. Die Verdachungen seien lose, gerissen und abgeplatzt. Auch seien die Pilaster lose. Die Schäden am Stuck seien von der Firma kartografiert worden. Die Fassade weise massive Putzrisse sowie großflächiges Ablösen von Putz mit Hohlstellen auf. Die Fassade solle nicht einheitlich mit Glattputz versehen werden, sondern in sich gegliedert werden. Die Rekonstruktion der Stuckfassade würde Mehrkosten von etwa 100.000,00 EUR verursachen. Ohne Rekonstruktion würden Kosten von etwa 150.000,00 EUR entstehen.
Die Verfügungsbeklagte hat ebenfalls Fotos eingereicht sowie einen Vermerk des Ingenieurbüros Tragwerksplanung vom 18. Juli 2007 (Bl. 52 d.A.) und ein Fotos der Vorderhausfassade mit roten Markierungen.
Entscheidungsgründe
Auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten war die einstweilige Verfügung vom 19. Juli 2007 in vollem Umfang zu bestätigen.
Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten sind Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund gegeben. Die Verfügungskläger haben durch die eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsbeklagte die vorhandene Stuckfassade durch Glattputz ersetzen will. Zur Duldung dieser geplanten Maßnahmen an der Straßenfassade des Hauses Z.straße sind die Verfügungskläger derzeit nicht verpflichtet.
Gemäß § 554 Abs. 1 BGB hat der Mieter nur Maßnahmen zu dulden, die zur Erhaltung der Mieträume oder des Gebäudes erforderlich sind. Die Mietsache umfasst dabei sowohl alle zur Wohnung gehörenden Räume und die Räume, an denen der Mieter ein Recht zur Mitbenutzung hat, als auch die Außenfassade eines Hauses als mittelbarer Bestandteil der Mietsache. Zwischen der Außenfassade und der hinter ihr liegenden Wohnung besteht ein natürlicher Zusammenhang und der Zustand der Außenfassade beeinflusst den Wert der Mietsache und den Mietzins. Dies ergibt sich bereits aus dem Berliner Mietspiegel 2007. Nach Ziffer 7. des Mietspiegels ist für die Einordnung einer Wohnung in die mittlere Wohnlage – wie hier – entscheidend, dass die Wohnung in einem Gebiet mit normalem Straßenbild, nicht von Gebäudeschäden geprägt und gutem Gebäudezustand, beispielsweise in sanierten Wohngebieten liegt. Auch die Orientierungshilfe zur Spanneneinordnung berücksichtigt das Erscheinungsbild der Außenfassade, denn in der Merkmalgruppe 4 wirkt sich der schlechte Instandhaltungszustand mit großen Putzschäden als wohnwertmindernd aus, während die neue Fassade wohnwerterhöhend ist.
Bei Anmietung der Wohnung durch die Verfügungskläger war die Stuckfassade restauriert. Dieser Zustand ist der von der Verfügungsbeklagten geschuldete. Die Verfügungsbeklagte hat aber vor, diesen Zustand zu ändern, denn sie hat unwidersprochen gelassen, dass die Stuckelemente entfernt und durch Glattputz ersetzt werden sollen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob die Verfügungsbeklagte Gliederungen innerhalb einzelner Putzflächen schaffen will. Die Verfügungsbeklagte hat aber weder glaubhaft gemacht, dass es sich bei den von ihr geplanten Maßnahmen um Erhaltungsmaßnahmen handelt noch, dass die Restaurierung der Stuckfassade wirtschaftlich nicht vertretbar ist.
Erhaltungsmaßnahmen sind solche, die zur Verhinderung oder Beseitigung drohender oder schon entstandener Schäden an der Mietsache notwendig sind und der Sicherung des Hauses in seinem ursprünglichen, wirtschaftlichen Bestand dienen. Die Verfügungsbeklagte behauptet zwar, die Stuckfassade des Hauses Z.straße sei schadhaft und aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht müsse sie den beschädigten Stuck entfernen. In welchem konkreten Umfang Schäden am Stuck vorliegen, hat sie nicht dargelegt. Das von ihr eingereichte Foto mit den „kartografierten Schäden“ stimmt mit dem Vermerk des Ingenieurbüros Tragwerksplanung nicht überein. Nach dem Vermerk sollen beispielsweise die Pilaster lose sein, die bei den kartografierten Schäden gerade ausgenommen sind. Der Vermerk vom 18. Juli 2007 lässt darüber hinaus nicht erkennen, welche Schäden an welchem Haus vorhanden sein sollen. Schließlich hat die Verfügungsbeklagte die von ihr behaupteten starken Beschädigungen trotz der Auflage des Gerichts nicht glaubhaft gemacht. Der eingereichte Vermerk des Ingenieurbüros Tragwerksplanung stellt keine Glaubhaftmachung im Sinn von § 294 ZPO dar. Gleiches gilt für die eingereichten Fotos.
Die Verfügungsbeklagte hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Restaurierung der Stuckelemente einen wirtschaftlichen nicht vertretbaren Aufwand verursacht. Den Mehraufwand von 100.000,00 EUR hat sie lediglich behauptet, wobei das Gericht Zweifel hat, dass die Verfügungsbeklagte die konkreten Kosten jetzt beziffern kann, da sie offenbar bisher nicht in der Lage ist, die konkreten Schäden mitzuteilen. Das konkrete Schadensbild dürfte aber Voraussetzung für die Bezifferung des Aufwand sein.
Angesichts der fehlenden Glaubhaftmachung von erheblichen Schäden an der Stuckfassade und der Unwirtschaftlichkeit ihrer Restaurierung bedurfte es keiner Entscheidung des Gerichts, ob die Verfügungsbeklagte zu einer restaurierenden Instandsetzung verpflichtet wäre. Eine solche Verpflichtung ist jedenfalls dann anzunehmen, wo die ästhetische Komponente bestimmter Bestandteile der Mietsache die funktionelle weit überragen.
Der Verfügungsgrund ergibt sich aus den Umständen, dass das Haus bereits eingerüstet ist und die Verfügungsklägerin an den Nachbarhäusern mit dem Abschlagen des Stucks begonnen hat. Da die Arbeiten auch mit erheblichen Beeinträchtigungen der Verfügungskläger verbunden sind, haben die Verfügungskläger ein Interesse daran, dass nicht belastende Arbeiten ausgeführt werden, die hernach von der Verfügungsbeklagten wieder rückgängig zu machen sind.
Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagte hat die einstweilige Verfügung einen vollstreckbaren Inhalt. Die einstweilige Verfügung untersagt nicht, Stuck, der ab zu fallen droht, zu entfernen, sondern nur dessen ersatzlose Entfernung. Die Verfügungsbeklagte hat also entfernte Elemente entweder wieder anzubringen oder durch andere zu ersetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.