LG Bonn, Urteil vom 31.03.2011 – 14 O 81/09
Verpflichtet sich der Frachtführer, Submissions-Unterlagen per Express- Brief zu einem festgelegten Datum vor 9.00 Uhr zuzustellen so haftet er gem. § 425 Abs. 1 HGB für den entstehenden Schaden, wenn er diesen Liefertermin nicht einhält (Rn.25).
Die Haftungsbegrenzung des § 431 Abs. 3 HGB entfällt, wenn die Hilfspersonen des Frachtführers im Sinne von § 428 HGB vorsätzlich oder leichtfertig in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (§ 435 HGB), gehandelt haben (Rn.29).
Voraussetzung für den Ersatz des Nichterfüllungsschadens wegen Nichteinhaltung der Frist im Submissionsverfahren ist immer, dass der nicht berücksichtigte Bieter den Zuschlag erhalten hätte und dabei die einschlägigen Vorschriften des Vergaberechts beachtet worden wären (Rn.29).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Die Klägerin trägt auch die Kosten der Nebenintervenientin und der Streithelferin.
Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen einer – nach ihrer Behauptung – am ….05.20… verspätet an die Fa. O GmbH (in den Akten als Streitverkündete zu 1) bezeichnet, nicht beigetreten) ausgelieferten Sendung.
2
Am ….05.20… lieferte der Niederlassungsleiter R der Klägerin eine Sendung mit einem Gewicht von 1634 g bei der Filiale der Beklagten in C ein; die Sendung sollte als Expressbrief am ….05.20… vor 09:00 Uhr bei dem Empfänger, der Fa. O GmbH, ankommen. Die Beklagte, deren Vortrag sich mit demjenigen der Nebenintervenientin deckt, und die Streithelferin haben zunächst den behaupteten Inhalt der Sendung: ein Angebot für das Gewerk Dachdeckungs-/-Dichtungsarbeiten Los 0… bestritten. Die Kammer hat gemäß § 142 ZPO unter anderem die Vorlage des Angebots durch die Fa. O GmbH angeordnet. Der Umschlag und das Angebot vom ….05.20… befinden sich in dem vorgelegten Ordner „O GmbH NG 2009 Los 0… Fa. U GmbH“. Der Umschlag enthält neben dem Adressaufkleber und einem weiteren in Rot gehaltenen Aufkleber: „Nicht öffnen! Submissions-Unterlagen-Bitte sofort weiterleiten an: Herrn T – letzter Abgabetermin: ….05.20…/10:00“ und einem Aufkleber der Beklagten: „Express Brief – Zustellung vor 09:00 Uhr“ oben rechts einen handschriftlichen Vermerk: ….05…. – 1106 LOS“. Die Fa. O GmbH, deren Gesellschafter das Land S und der Kreis B sind, hat das Gewerk im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. In den Bewerbungsbedingungen heißt es: „Das Vergabeverfahren erfolgt nach der „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen“, Teil A“ „Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen“ (VOB/A, Abschnitt 2).“ Nach Ziffer 1 der Bewerbungsbedingungen war auf Unklarheiten in den Vergabeunterlagen unverzüglich „vor Angebotsabgabe schriftlich, per E-mail oder per Telefax (…)“ hinzuweisen. Schlusstermin für den Eingang des Angebotes bzw. Teilnahmeanträge war der ….05.20…, 10:00 Uhr; zu diesem Zeitpunkt sollte die Öffnung erfolgen. Das Gebot der Klägerin endete mit einer Angebotssumme in Höhe von 6.277.979,96 €. Es wurde nicht berücksichtigt, weil es zu dem Zeit der Submission nicht vorgelegen haben soll – wegen des Ergebnisses des Nachprüfungsantrags der Klägerin bei der Vergabekammer S, N, wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom ….08.20… (Anl. K … = Bl. … ff d.A.) Bezug genommen. Den Zuschlag erhielt eine Firma I GmbH mit dem Gebot von 6.397.469,60 €. Die Klägerin, die aufgrund einer nachträglichen Prüfung behauptet, ein ca. 200.000,00 € günstigeres – und auch damit das wirtschaftlichste – Angebot abgegeben zu haben, stützt ihren Vortrag zum Schaden darauf, dass sie – als zuverlässiges, fachkundiges und leistungsfähiges Unternehmen, das bereits zahlreiche andere größere Flachdachabdichtungen durchgeführt habe – den Zuschlag erhalten hätte.
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Tatsächlich erscheint ihr Angebot in der Niederschrift der Verdingungsverhandlung nicht, weil – wie die Klägerin behauptet – das Paket weder um 08:40 Uhr noch vor 10:00 Uhr bei der O GmbH eingegangen ist, so dass deshalb ihr Angebot nicht berücksichtigt wurde.
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Die Beklagte hatte nach ihrem Vortrag die Nebenintervenientin, diese die Streithelferin als Unterfrachtführer, diese die Streitverkündete P, handelnd unter der Firma V, mit dem Transport beauftragt, die sich wiederum der Fahrerin S, auch als Zeugin gehört im o.g. Nachprüfungsverfahren, bediente. Die Sendungshistorie (Anlage K … = Bl. … d. A.) weist ebenso wie der Auszug aus der Rollkarte (Anlage K … = Bl. … d. A.) eine Auslieferung an die Mitarbeiterin J der O GmbH um 08:40 Uhr (handschriftliche Eintragung in der Anlage K … = Bl. … d. A.) aus. Der – entgegen einer Auflage nicht in weiterem Umfang vorgelegten – Rollkarte ist zugleich die Sollauslieferung (09:00) zu entnehmen. In der umfangreichen Korrespondenz berief sich die Beklagte zuerst darauf, dementsprechend ausgeliefert zu haben. Hiervon ist sie in der weiteren vorgerichtlichen Korrespondenz abgerückt. In dem Schreiben vom ….09.20… (Anlage K … = Bl. … d. A) heißt es unter anderem:
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„…
6
Ich hatte Ihnen mehrfach die verspätete Auslieferung bestätigt. (…) Die Zustelltour, in deren Rahmen die Sendung auch tatsächlich zugestellt worden ist, hat Frau S vor 08:10 Uhr begonnen; (…). Nach den Entfernungen wäre Frau S ohne Probleme vor 09:00 Uhr an der Adresse „W, X-Straße“ gewesen. Anhand der nach den per Scannung festgehaltenen weiteren Zustellung war Frau S um 08:32 Uhr in … E und um 08:56 Uhr in … H. Dass zwischen diesen sicheren Zustellungen noch die Zustellung zu o.a. Sendung gelegen hat, ist unter Berücksichtigung der örtlichen Lage nicht möglich.“ (Kursivschrift – Hervorhebung durch die Kammer)
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Die Uhrzeiten für die Auslieferungen in E und H sind in diesem Verfahren unstreitig; die Beklagte will die weitere Folgerung des Schreibens nicht nachvollziehen und hält eine rechtzeitige Zustellung in W für möglich. Wegen der zeitlichen und räumlichen Abstände zwischen E (08:32 Uhr), H (08:56 Uhr) und W werden die Karte und die Angaben aus Google Maps als Anlage zum Schriftsatz vom ….07.20… der Klägerin ( Bl. … ff. d. A.; siehe auch Anlage K … zur Klageschrift = Bl. … ff d.A.) in Bezug genommen.
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Die Beklagte hat am ….06.20… Schadensersatz in Höhe von 96,00 € geleistet (siehe Anlage K … = Bl. … d. A.). Die Klägerin beruft sich auf schuldhaftes Verhalten der Erfüllungsgehilfen der Beklagten (u. a. Seiten … ff. d. Schriftsatzes vom ….11.20… = Bl. … ff. d. A.) und trägt umfangreich zum Schaden und zur Schadenshöhe vor (u. a. Seiten … ff d. vorgenannten Schriftsatzes, Seiten … ff d. Schriftsatzes vom ….04.20… (Bl. … ff. d. A., im Schriftsatz vom ….04.20… (Bl. … ff. d. A.) und im Schriftsatz vom ….07.20… (Bl. … ff. d. A.)).
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 773.801,00 € zu zahlen zzgl. Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.09.2009 (Zustellung) zu zahlen,
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hilfsweise (nach Abänderung des Hilfsantrags), festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr, der Klägerin, den Erfüllungsschaden zu ersetzen, der ihr, der Klägerin, aus dem Ausschluss des Angebots für die Vergabe des Auftrags Bauvorhaben Neubau des Freizeit- und Businesszentrum „O 2009“ Gewerk Dachdeckungs-/-dichtungsarbeiten Los 021 wegen der verspäteten Zustellung der Sendung Nr. ……. … …DE am ….05.20… um 11:06 Uhr durch die Erfüllungsgehilfen der Streitverkündeten zu 2) an die Streitverkündete zu 1) (gemeint: durch die Streithelferin an die Streitverkündete O GmbH) entsteht.
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2. die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 5.084,80 € zu zahlen, zzgl. Prozesszinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem ….09.20… ( Zustellung der Klageschrift) zu zahlen.
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Die Beklagte, die Nebenintervenientin und die Streithelferin beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Streithelferin erhebt die Einrede der Verjährung, die Beklagte, deren Vortrag mit demjenigen der Nebenintervenientin identisch ist, den Einwand des § 254 BGB (Mitverschuldens); die Streithelferin verweist auf eine Fristversäumung im Sinne von § 438 Abs. 3 HGB. Sie bestreiten die Voraussetzungen des Vorsatzes und der Leichtfertigkeit im Sinne von § 435 HGB – Vortrag unter anderem im Schriftsatz der Streithelferin vom ….11.20… (Bl. … ff d. A.) – und die Höhe des geltend gemachten Schadens sowie dessen Entstehen überhaupt, unter anderem unter Hinweis auf das Anschreiben der Klägerin zum Angebot vom ….05.20…. In diesem Anschreiben (Original im oben bezeichneten Ordner der Fa. O GmbH (Streitverkündeten), Kopie als Anlage K … = Bl. … d. A.) heißt es auf Seite 2:
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„Bezug nehmend auf den Terminplan, welche der Ausschreibung beilag, möchten wir noch anmerken, dass eine Ausführung der Dachdeckung/-dichtung Indoor Attraktion in der geplanten Frist von 16 Tagen nicht realisierbar ist und somit einer Abstimmung bedarf.“
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Die Ausführungsfristen sind in dem Formblatt EVM (B) BVB (Besondere Vertragsbedingungen) im vorgenannten Ordner nach den Bewerbungsbedingungen zu finden, wobei es unter anderem heißt unter „1 Ausführungsfristen (§ 5)“:
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1.2 Verbindliche Fristen (Vertragsfristen) gemäß § 5 Nr. 1 sind: (…) folgende Einzelfristen: aus dem beigefügten Bauzeitenplan werden ausdrücklich als Vertragsfristen vereinbart (§ 5 Nr. 1 Satz 2) Fertigstellung Dach Indoor-Attraktion bis ….07.20… Fertigstellung Tribünendach ….01.20…
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Die Beklagte und die Streithelferin sehen hierin eine unzulässige Veränderung der Verdingungsunterlagen die zum Ausschluss führen müsse; für eine Rüge i.S.v. § 107 Abs.3 GWB sei diese Äußerung im Angebot verspätet. Sie bestreiten auch den Sachvortrag der Klägerin in Bezug auf deren Fachkunde und Leistungsfähigkeit. Hierzu werden u. a. die Schriftsätze der Streithelferin vom ….05.20… (Blatt … ff d. A.), vom ….08.20… (Bl. … ff d. A.) und vom ….10.20… (Bl. … ff d. A.) in Bezug genommen.
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Die Klägerin hält den oben zitierten Zusatz aus dem Anschreiben vom ….05.20… für eine zulässige Rüge, weil die Verbindlichkeit des Bauzeitenplans unterstellt werde (u.a. Seiten … ff d. Schriftsatzes vom ….04.20… = Bl. … ff d. A.). Er, der Zusatz, sei als Hinweis zu verstehen, dass bei Einhaltung des Bauzeitenplans Terminschwierigkeiten auftreten (u.a Schriftsätze vom ….04.20… = Bl. … d. A., und vom ….07.20… = Bl. … d. A.). Die Herstellung eines Daches mit einer Fläche von über 11000 m2, welches zunächst mit Trapezblechen herzustellen gewesen sei, während dann die eigentliche Dachabdichtung auszuführen gewesen sei, hätte aus technischen Gründen einen deutlich größeren Zeitraum, als im Bauzeitenplan vorgesehen, benötigt, so dass aus diesem Grunde 16 Tage für die Teile der Leistungen (für alle Bieter) nicht realisierbar gewesen seien (Beweis: Zeugnis Y, Seite … des Schriftsatzes vom ….04.20… = Bl. … d. A.). Wegen des Vortrages der Klägerin zur Leistungsfähigkeit wird unter anderem auf Seiten … ff des Schriftsatzes vom ….04.20… (Bl. … ff d. A.) verwiesen.
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Wegen der Bezugnahme auf Schriftsätze anderer Beteiligter und wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und ihrer Helfer wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden verwiesen.
22
Die Kammer hat die Vorlage der Vergabeakten der Firma O GmbH angeordnet durch Beschluss gemäß § 142 Abs. 1 ZPO vom 03.12.2009 (Bl. … d. A.). Durch den Beweisbeschluss vom 26.08.2010, ergänzt durch den weiteren Beschluss im Termin vom 10.03.2011, hat sie die Vernehmung der benannten Zeugen zu der Frage angeordnet, ob die mögliche Abänderung im Anschreiben vom ….05.20… zu einem Ausschluss der Klägerin vom Bieterverfahren geführt hätte. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Aussagen des Zeugen D vom ….09.20… (Bl. … f d. A.), des Zeugen T vom ….09.20… (Bl. … f. d. A.) und des Zeugen L vom ….02.20… (Bl. … d. A. – Beschluss betreffend die Anordnung der schriftlichen Beantwortung vom ….02.20…: Bl. … d. A.) verwiesen; wegen des Ergebnisses der Vernehmung der Zeugen D und T wird auf das Protokoll des Termins vom ….03.20… (Bl. … f. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
23
Die Klage ist nicht begründet.
I.
24
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gemäß § 425 Abs. 1 HGB auf Ersatz des (behaupteten) Schadens, der ihr, der Klägerin, dadurch entstanden ist, dass das am ….05.20… eingelieferte Angebot nicht rechtzeitig ausgeliefert worden ist.
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a) Gemäß § 425 Abs. 1 HGB haftet der Frachtführer für den Schaden, der durch die Überschreitung der Lieferfrist entsteht. Gemäß § 423 HGB ist er, der Frachtführer, verpflichtet, das Gut innerhalb der vereinbarten Frist oder, mangels Vereinbarung, innerhalb der Frist abzuliefern, die einem sorgfältigen Frachtführer unter Berücksichtigung der Umstände vernünftigerweise zuzubilligen ist.
26
Zwischen den Parteien ist der am ….05.20… geschlossene Frachtvertrag im Sinne von §§ 407 HGB ebenso unstreitig, wie die vereinbarte Frist, der die Verpflichtung der Beklagten folgte, den Express-Brief bis zum ….05.20…, 09:00 Uhr bei der Firma O GmbH auszuliefern. Nach den unstreitigen Tatsachen hat die Beklagte diese Verpflichtung nicht erfüllt. Die ursprüngliche Behauptung der Beklagten war eine Auslieferung um 8.40 Uhr; nach einer zwischenzeitlich geäußerten anderen Bewertung der Auslieferungszeit – aufgrund von Zeiten, die wegen der Scannung nicht manipulierbar waren/sind, hat die Beklagte diese Behauptung wiederholt (u.a. S.2 des Terminprotokolls vom ….08.20…) Die Kurierfahrerin S konnte jedoch nicht, wie von der Beklagten behauptet, um 08:40 Uhr in W sein, weil sie – unstreitig – um 08:32 Uhr in E, 26 Minuten von W entfernt, und um 08:56 Uhr in H, 38 Minuten von W entfernt, war. Die Überlegungen der Beklagten zu theoretischen Möglichkeiten als Grundlage ihrer Behauptung vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen; vielmehr bestehen insoweit erhebliche Bedenken wegen der bestehenden prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO), der auch die Beklagte nicht dadurch aus dem Wege gehen kann, dass sie sich unwissend stellt oder ihren prozessualen Erkundigungspflichten nicht (weiter) nachgeht, nachdem ihr Mitarbeiter, Herr Q, die notwendigen Erkundigungen angestellt hatte. Letztlich kann diese Frage jedoch genauso dahinstehen, wie die Rechtsfrage, ob die Beklagte oder einer ihrer Unterfrachtführer und/oder sonstigen Erfüllungsgehilfen vorsätzlich oder leichtfertig in dem Bewusstsein, dass ein Schaden entstehen werde, gehandelt hat, und ob insoweit noch – auch angesichts der vorgerichtlichen Äußerungen der Beklagten – eine Beweisaufnahme im Rahmen eines Strengweises notwendig ist.
27
b) Die Klägerin hat nicht dargelegt und bewiesen, dass ihr ein Schaden entstanden ist.
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Bei der Lieferfristüberschreitung haftet der Frachtführer grundsätzlich für jeden nachgewiesenen konkreten Schaden im Sinne der §§ 249 ff BGB bis zur Höchstsumme des dreifachen Betrages gemäß § 431 Abs. 3 HGB. Insoweit hat die Beklagte erfüllt.
29
Selbst wenn die Haftungsbegrenzung des § 431 Abs. 3 HGB entfallen würde, weil ihre, der Beklagten, Hilfspersonen im Sinne von § 428 HGB vorsätzlich oder leichtfertig in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (§ 435 HGB), gehandelt hätten, scheitert der Anspruch der Klägerin daran, dass sie den Eintritt eines Schadens nicht dargelegt hat. Voraussetzung für den Ersatz des Nichterfüllungsschadens ist nämlich immer, dass der nicht berücksichtigte Bieter, hier: die Klägerin, den Zuschlag erhalten hätte und dabei die einschlägigen Vorschriften des Vergaberechts beachtet worden wären (vgl. zuletzt BGH VersR 2010, 1092, 1093: „…in jeder Hinsicht rechtmäßigem Vergabeverfahren…“).
30
aa) Die Kammer ist nach Anhörung der Zeugen D und T überzeugt, dass die Klägerin, als der Anbieter mit dem niedrigsten Angebotspreis, den Zuschlag erhalten hätte, ohne dass der Zusatz zur Leistungszeit im Anschreiben vom ….05.20… zu ihrem Ausschluss geführt hätte. Beide Zeugen haben ausgesagt, dass die Frage der Leistungszeit in einem „Bietergespräch“ geklärt worden wäre; für sie bestand auch kein Anlass zur Rückfrage bei den beratenden Rechtsanwälten. Der Hauptgeschäftsführer L, Mitzeichner und letzter Entscheidungsträger, hat zwar in seiner schriftlichen Aussage vom ….02.20… (Bl. … d. A.) mitgeteilt, dass für ihn eine großzügige Handhabung formaler Fragen nicht in Frage gekommen wäre. Aus den Aussagen der Zeugen D und T ging jedoch hervor, dass der Zeuge L die Entscheidungen zum Vertragsschluss zur Unterschrift vorgelegt bekam, somit auf Unregelmäßigkeiten innerhalb des Vergabeverfahrens nicht hingewiesen wurde. Dann aber ist es wenig wahrscheinlich, dass sich der Hauptgeschäftsführer noch mit den umfangreichen Materialien und Rechtsfragen befasst hätte, die seine ihm zuarbeitenden, die Entscheidungen vorbereitenden, Mitarbeiter bereits bearbeitet und vorentschieden hatten.
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bb) Eine solche Entscheidung wäre bei Anwendung der VOB/A rechtswidrig gewesen. Das Angebot der Klägerin war deshalb gemäß §§ 25 Nr. 1 Abs. (1) lit. b), 21 Nr. 1 Abs. (1) VOB/A (in der im Mai 2008 geltenden Form) auszuschließen.
32
§ 25 Nr. 1 Abs.(1) lit. b) VOB/A bestimmt, dass Angebote, die § 21 Nr. 1 Abs.(1) und (2) VOB/A nicht entsprechen, zwingend von der Wertung der Angebote auszuschließen sind. Dem steht nicht entgegen, dass die die geforderten Erklärungen betreffende Bestimmung des § 21 Nr.1 Abs.(1) Satz 3 VOB/A als Sollvorschrift formuliert ist. Ein transparentes gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB auf Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Vergabeverfahren, wie es die VOB/A gewährleisten soll, ist nur zu erreichen, wenn Angebote in jeder sich aus den Verdingungsunterlagen ergebender Hinsicht und grundsätzlich ohne weiteres vergleichbar abgegeben werden. Das erfordert, dass lediglich in jeder sich aus den Verdingungsunterlagen ergebenden Hinsicht vergleichbare Angebote gewertet werden; dazu müssen hinsichtlich jeder Position der Leistungsbeschreibung alle zur Kennzeichnung der insoweit angebotenen Leistung geeigneten Parameter bekannt sein, deren Angabe den Bieter nicht unzumutbar belastet und (deren Angabe) ausweislich der Ausschreibungsunterlagen gefordert war, so dass sie als Umstände ausgewiesen sind, die für die Vergabeentscheidung relevant sein sollen (BGH NZBau 2005, 709, 710 m.w.N.; NZBau 2004, 457, 458). Die Leistungszeit gehört zu den angebotsrelevanten Inhalten. Hierauf bezieht sich das Begleitschreiben der Klägerin vom ….05.20…. Das Begleitschreiben eines Bieters ist regelmäßig Bestandteil seines Angebots (vgl. OLG München, Beschluss vom ….02.20…, Verg 1/08, 001/08, bei juris, Tz. 28; OLG Frankfurt vom 14.10.2008, IBR 2009, 161). Enthält das Begleitschreiben angebotsrelevante Inhalte, muss die Vergabestelle diese Erklärungen zu Gunsten oder zu Ungunsten des Bieters berücksichtigen, weil sie einen Anhaltspunkt für die Auslegung des Angebotes darstellen. Nach dem objektiven Erklärungswert der Erklärung der Klägerin aus der Sicht der Vergabestelle hat ihr, der Klägerin, Angebot eine Abänderung der Verdingungsunterlagen zum Inhalt. Den Hinweis auf die Leistungszeit konnte die Vergabestelle nur so verstehen, dass die Klägerin, abweichend von den Vorgaben der Verdingungsunterlagen, die Fertigstellung des Dachs Indoor-Attraktion bis zum ….07.20… ablehnte. Dieses bedeutete nach den allgemeinen Regeln (vgl. § 150 Abs.2 BGB) keine Annahme des Angebots; zwei korrespondierende Willenserklärungen lagen somit nicht vor. Damit entsprach das Angebot der Klägerin in inhaltlicher Hinsicht nicht den Verdingungsunterlagen, sondern änderte diese ab. Eine Änderung der Verdingungsunterlagen im Sinne von § 21 Nr. 1 Abs. (2) VOB/A liegt vor, wenn der Bieter die Anforderungen des Auftragsgebers in seinem Angebot inhaltlich verändert, also der vom Bieter angebotene Leistungsumfang nicht dem vom Auftraggeber mit der Leistungsbeschreibung geforderten Leistungsumfang entspricht. Eine solche Änderung ist unzulässig. Das Angebot der Klägerin war deshalb zwingend nach § 25 Nr. 1 Abs. (1) lit. b) VOB/A von der Wertung auszuschließen.
33
cc) Der Zusatz im Begleitschreiben vom ….05.20… enthält eine Abänderung und nicht nur eine Rüge im Sinne von § 107 Abs.3 GWB (in der Fassung vom 15.07.2005). Eine solche liegt bereits deshalb nicht vor, weil sie verfristet wäre. Der von der Klägerin in Anspruch genommene Zeitraum von ca. 3 Wochen reicht nicht, um die Anforderungen an eine „unverzügliche Rüge“ im Sinne von § 107 Abs. 3 GWB zu erfüllen, wenn Inhalt und Formulierung der Rüge nicht darauf schließen lassen, dass zur Prüfung, ob und ggfs. mit welchem Inhalt gerügt werden sollte, ein Zeitraum von mehreren Tagen benötigt würde (Vergabekammer des Landes Hessen vom 15.05.2006, 69 d VK – 24/06, bei juris; OLG München, B. v. 29.09.2009, Verg 12/09, bei juris).
34
dd) Eine Nachholung der nach den Ausschreibungsunterlagen mit dem Angebot abzugebenden Erklärungen, hier: Abklärung der Leistungszeit, kam entgegen der Auffassung der Zeugen nicht in Betracht. Ein transparentes und die Bieter gleichbehandelndes Vergabeverfahren ist nur zu erreichen, wenn lediglich in jeder Hinsicht vergleichbare Angebote gewertet werden. Dieses erfordert beispielsweise, dass hinsichtlich jeder Position der Leistungsbeschreibung alle zur Kennzeichnung der insoweit angebotenen Leistung geeigneten Parameter bekannt sind, deren Angabe den Bieter nicht unzumutbar belastet und die ausweislich der Ausschreibungsunterlagen gefordert waren, so dass sie als Umstände ausgewiesen sind, die für die Vergabeentscheidung relevant sein sollen; der Ausschlusstatbestand ist nicht erst dann gegeben, wenn das betreffende Angebot wegen fehlender Angaben im Ergebnis nicht mit anderen Angeboten verglichen werden kann (vgl. BGH a.a.O.). Deshalb ist die Berücksichtigung einer späteren Änderung der Ausgestaltung der Gebote nach § 23 Nr. 1 VOB/A ausgeschlossen. Eine solche ist immer dann gegeben, wenn sich die nachträgliche Erklärung nicht lediglich auf die inhaltliche Klärung eines an sich festgelegten Gebotes beschränkt (BGH, Urteil vom 18.09.2007, Beck RS 2007 19244, Tz. 13).
35
ee) An diese Grundsätze war auch die Firma O GmbH gebunden. Dabei handelte es sich zwar nicht um einen öffentlichen Auftraggeber, sondern um eine juristische Person des Privatrechts (§ 13 GmbHG), wenngleich zwei Körperschaften des öffentlichen Rechts ihre Gesellschafter waren/sind. Die Kammer ist auch nicht in die Lage versetzt worden, die Voraussetzungen des § 98 GWB in der vom 14.07.2005 bis zum 23.04.2009 geltenden Form zu überprüfen. Der Zeuge T hat ausgesagt, die Form der Vergabe sei einer Aufforderung des Landesrechnungshofes und der Tatsache geschuldet, dass es sich bei den Gesellschaftern der Firma O GmbH um Körperschaften des öffentlichen Rechts handele. Letztlich kann dieses dahinstehen.
36
Erklärt ein privater Auftraggeber, erst recht einer, hinter dem – allseits bekannt – als Gesellschafter ein Bundesland und ein Landkreis stehen, dass die von ihm durchgeführte Ausschreibung nach den Regeln der VOB/A durchgeführt werde, begründet er in gleicher Weise wie ein öffentlicher Auftraggeber, für den dieses für einen oberhalb der Schwelle liegenden Auftrag ohne ausdrückliche Vereinbarung gilt, Vertrauen bei denjenigen, die sich am Ausschreibungsverfahren beteiligen: Derjenige, der an einer solchen Ausschreibung teilnimmt, vertraut berechtigterweise darauf, dass sich der Ausschreibende wie ein öffentlicher Auftraggeber an die Regeln der VOB/A halten werde. Sieht die Ausschreibung keine Ausnahme hinsichtlich der Geltung der VOB/A-Regelungen vor – so ist es hier -, darf der Bieter deshalb auch bei einer solchen Ausschreibung eines Privaten unterstellen, dass der Ausschreibende die Ausschreibung insgesamt der VOB/A unterworfen hat. Er muss nicht annehmen, dass der Ausschreibende nur ihm günstige Regelungen der VOB/A akzeptiere, ihn beschränkende jedoch nicht anwenden will, so lange ein ausdrücklicher entsprechender Ausschluss nicht bestimmt ist (BGH NZBau 2006, 456, vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2010, I-27 U 1/09, bei juris, Tz. 53). Dementsprechend war auch die Firma O GmbH an die oben dargelegten Grundsätze gebunden. Sie hätte demnach die Klägerin ausschließen müssen, wenn sie rechtmäßig gehandelt hätte.
37
ff) Für die Feststellung der Ursächlichkeit der – unterstellten – Pflichtverletzung der Beklagten für einen Schaden der Klägerin kommt es mithin darauf an, ob die wahrscheinlich getroffene Entscheidung – Zuschlag an die Klägerin – oder die rechtmäßige Entscheidung – Ausschluss der Klägerin – maßgebend ist.
38
Kommt es für die Feststellung der Ursächlichkeit einer Pflichtverletzung darauf an, wie die Entscheidung einer Behörde – hier: die Entscheidung der einer Behörde gleichzusetzenden Firma O GmbH – ausgefallen wäre, ist im Allgemeinen darauf abzustellen, wie nach Auffassung des über den Ersatzanspruch entscheidenden Gerichts richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Hätte die Verwaltungsbehörde nach Ermessen zu entscheiden gehabt, ist ausschlaggebend, welche Ermessensentscheidung die Behörde tatsächlich getroffen hätte. Hätte sich die tatsächlich getroffene Entscheidung nicht im Rahmen des eingeräumten Ermessens gehalten, ist allerdings wieder darauf abzustellen, wie das Verfahren nach Meinung des Regressgerichts hätte ausgehen müssen (vgl. BGH NJW 2008, 440, bei juris Tz. 16, m. w. N.). Ein rechtswidriges Handeln der Firma O GmbH bei der Vergabe kann bei der Überlegung, ob die Klägerin Ersatz u.a. ihres entgangenen Gewinns verlangen kann, ihr, der Klägerin, nicht zum Vorteil gereichen: Dem Grundsatz, dass der Bieter nur dann ersatzberechtigt sein soll, wenn er ohne den Verstoß und bei auch ansonsten ordnungsgemäßer Vergabe den Zuschlag hätte erhalten müssen, liegt die Überlegung zugrunde, dass der Bieter auf die Einhaltung der Regeln der VOB/A vertrauen darf – die Verletzung dieses Vertrauens kann Ersatzansprüche gegen den Ausschreibenden aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs.1, 311 Abs.2 BGB) auslösen-; die Kehrseite ist, dass der Bieter erkennen kann, wenn er sich nicht an die Regeln der VOB/A hält: dann darf er auch nicht auf die Erteilung des Zuschlages vertrauen. Wäre der im Anschreiben vom ….05.20… angesprochene Zeitrahmen der Ausschreibung unerfüllbar gewesen wäre, hätte schon vor Abgabe ihres Angebotes kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin darauf bestanden, dass die Vergabestelle ihre für das Leistungsprogramm bestehenden vergaberechtlichen Bindungen einhalten werde (vgl. BGH NZBau 2006, 797 a. E.). Überdies ist die Klägerin ihrer Verpflichtung zur unverzüglichen Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Abs. 1 GWB nicht nachgekommen.
II.
39
Ein Anspruch aus §§ 280, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB wegen Nichtunterstützung der Klägerin im Vergabeverfahren vor der Vergabekammer N, auf den Klägerin im Schriftsatz vom ….05.20… (Bl. … d. A.) ihre Klage hilfsweise stützt, besteht nicht. Die Klägerin hat eine solche Pflichtverletzung der Beklagten weder dargelegt (vgl. oben unter I. a)) noch bewiesen. Im Übrigen wäre ihr nach dem oben unter I. b) Ausgeführten kein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung entstanden. Ein anderer Schaden ist nicht Gegenstand dieser Klage, erst recht nicht beziffert.
III.
40
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 101, 709 Satz 1 ZPO.
IV.
41
Streitwert: bis € 774.000,00