OLG Frankfurt, Urteil vom 11. Februar 2022 – 13 U 358/19
Zum Schadensersatzanspruch wegen Überschreitens der vereinbarten Transporttemperatur bei Tiefkühlware
1. Unter dem Begriff der Beschädigung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 CMR fallen auch Qualitätsminderungen infolge einer nicht durchgängigen Einhaltung der erforderlichen Transporttemperatur.
2. Die Nichteinhaltung der gesetzlichen Temperaturvorgaben hinsichtlich der Lagerung von Tiefkühlware begründet zugleich einen als Beschädigung des Frachtguts zu bewertenden Verdacht einer Substanzveränderung.
3. Bei Kühltransporten muss der Frachtführer nicht nur ein geeignetes Transportfahrzeug zur Verfügung stellen, sondern er muss außerdem während des Transportes mit verkehrserforderlicher Sorgfalt dafür sorgen, dass die richtige Temperatur laufend eingehalten wird.
4. Fällt dem Fahrer während des sich über zwei Tage erstreckenden Transports nicht auf, dass das Kühlaggregat nicht ordnungsgemäß arbeitet und der Laderaum weit erhöhte Temperaturen aufweist, begründet dies ein vorsatzgleiches Verschulden im Sinne des Art. 29 CMR.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin wird – unter Zurückweisung der Berufung und der Anschlussberufung im Übrigen – das am 24.9.2019 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Darmstadt teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 54.371,04 € nebst 5 % Zinsen p.a. seit dem 5.8.2017 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits (erstinstanzliches Verfahren und Berufungsverfahren) haben die Klägerin 10 % und die Beklagte 90 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens wird auf 60.371,04 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ersatz eines Güterschadens aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über die Beförderung von Tiefkühlware in Anspruch.
2
Im Dezember 2016 verkaufte die A1 GmbH, Stadt1, 29 Paletten tiefgekühlter Burgerfleisch-Patties an die B S.A.R.L., Stadt2, Frankreich (nachfolgend „Käuferin“). Die Klägerin wurde von der Käuferin mit dem Transport der Ware von Stadt3 nach Stadt4, Frankreich, beauftragt.
3
Die Klägerin beauftragte ihrerseits die Beklagte am 8.12.2016 mit dem Transport der Burgerfleisch-Patties von Stadt3 nach Stadt4. Der Transportauftrag (Anlage K 1, Bl. 13 d. A.) sah eine Transporttemperatur von -25°C vor. Die Beklagte beauftragte sodann die in Bulgarien ansässige Firma X Ltd. mit der Durchführung des Transports.
4
Die Burgerfleisch-Patties wurden am 29.11. und 1.12.2016 von der A2 GmbH in Stadt1 hergestellt. Hinsichtlich des Zustands der Ware wird auf die Prüfprotokolle (Bl. 122 ff. d. A.) und das Temperaturprotokoll (Bl. 126 d. A.) Bezug genommen. Am 29.11., 30.11. sowie 1.12.2016 wurden die Burgerfleisch-Patties von Stadt1 nach Stadt3 verbracht, insofern wird auf die Lagerbestandsliste in Stadt3 (Bl. 127 ff. d. A.), die Containerlieferscheine (Bl. 141 ff. d. A.) und die Temperaturprotokolle (Bl. 492 ff. d. A.) Bezug genommen. Anschließend wurden die Burgerfleisch-Patties bis zum 14.12.2016 in Stadt3 bei Temperaturen unter -21° C gelagert (Temperaturprotokoll Lager Bl. 16 d. A.).
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Die Firma X Ltd. übernahm die Sendung am 14.12.2016 gegen 11 Uhr im Lager in Stadt1. Aufgrund eines defekten Kühlsystems des eingesetzten Fahrzeugs beliefen sich die Temperaturen im Kühlauflieger zum Zeitpunkt der Übernahme auf -14,1°bis -15,2° C und stiegen in der Folgezeit bis auf -1° C an. Bei zwischenzeitlichem Funktionieren der Kühlung wurde zwischen 22:21 Uhr und 22:36 Uhr eine Transporttemperatur von -25° C erreicht, hiernach stiegen die Temperaturen erneut bis auf Werte knapp unter 0° C an. Hinsichtlich der Einzelheiten des Temperaturverlaufs wird auf das Temperaturprotokoll (Anlage K 8, Bl. 21 ff. d. A.) Bezug genommen. Nachdem die Beklagte der Klägerin schließlich am 15.12.2016 den Defekt der Kühlung meldete, organisierte die Klägerin eine Möglichkeit der Zwischenlagerung des Frachtguts in Stadt5, Frankreich. Bei Ankunft der Burgerfleisch-Patties in Stadt5 am 15.12.2016 um 19:47 Uhr wurde eine Warenkerntemperatur zwischen -14° C und -14,8° C gemessen und handschriftlich auf dem Frachtbrief (Anlage K 6, Bl. 18 d. A.) sowie dem Lieferschein (Anlage K 7, Bl. 19 ff. d. A.) vermerkt.
6
Das Landgericht hat über die Behauptung der Klägerin, das Frachtgut habe sich zum Zeitpunkt der Übergabe an die Firma X Ltd. in ordnungsgemäßem Zustand befunden und sei insbesondere ausreichend vorgekühlt gewesen, Beweis durch Vernehmung der Zeugin D erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.7.2019 (Bl. 370 ff. d. A.) Bezug genommen.
7
Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 403 ff. d. A.) Bezug genommen.
8
Mit am 24.9.2019 verkündetem Urteil (Bl. 402 ff. d. A.), der Beklagten zugestellt am 26.9.2019, hat das Landgericht der Klage vollumfänglich stattgegeben. Die Beklagte sei der Klägerin, so das Landgericht, gemäß Art. 17, 23, 25 CMR zum Schadensersatz verpflichtet. Aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Temperaturprotokolle und der Aussage der Zeugin D stehe fest, dass das Frachtgut zum Zeitpunkt der Übergabe an die von der Beklagten beauftragte Unterfrachtführerin ordnungsgemäß vorgekühlt gewesen sei. Auch sonstige Bedenken gegen einen ordnungsgemäßen Zustand der Ware bei Übergabe bestünden nicht, insbesondere lägen keine Anhaltspunkte für eine überhöhte Keimbelastung vor. Das Frachtgut sei während des Transports nach Frankreich beschädigt worden, weil die vereinbarte Transporttemperatur nicht eingehalten worden sei, woraufhin die Warenkerntemperatur auf -14° C angestiegen sei. Es sei damit die vorgeschriebene Kühlkette unterbrochen worden, da nach § 2 Abs. 4 TLMV nach dem Tiefgefrieren von Lebensmitteln die Temperatur an allen Punkten des Erzeugnisses ständig bei -18° C oder tiefer gehalten werden müsse. Der Beklagten sei ein qualifiziertes Verschulden anzulasten, da der Fahrer der Unterfrachtführerin versäumt habe, bei Übernahme der Ware und im Verlauf des Transports zu prüfen, ob die Kühlung des eingesetzten Fahrzeugs ordnungsgemäß funktioniere. Die Höhe des Schadens ergebe sich aus der vorgelegten Handelsrechnung. Anhaltspunkte dafür, dass das Frachtgut nach Unterbrechung der Kühlkette anderweitig hätte verwendet werden können, seien weder von der Beklagten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Ausweislich der vorgelegten Erklärung der Endabnehmerin D sei ein anderweitiger Absatz der Ware auch nicht zulässig gewesen. Eine Verjährung der Ansprüche sei nicht eingetreten, weil die Verjährungsfrist im Fall des qualifizierten Verschuldens nach Art. 32 Abs.1 Satz 2 CMR drei Jahre betrage und durch die am 11.5.2018 zugestellte Klage rechtzeitig gehemmt worden sei.
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Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 28.10.2019 (Bl. 420 f. d. A.), eingegangen bei Gericht am selben Tag, Berufung eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 25.11.2019 (Bl. 436 ff. d. A.), eingegangen bei Gericht ebenfalls am selben Tag, begründet hat.
10
Die Beklagte verfolgt mit der Berufung ihren Klageabweisungsantrag weiter. Sie ist der Auffassung, eine Aktivlegitimation der Klägerin sei schon nicht dargelegt. Im Hinblick auf die Frage der Beschädigung des Frachtguts hat die Beklagte zunächst vorgetragen, es sei davon auszugehen, dass das Frachtgut schon vor der Übergabe an die Beklagte nicht mehr verkehrsfähig gewesen sei, weil es bereits zu diesem Zeitpunkt eine erhöhte Keimbelastung aufgewiesen habe. Das Landgericht habe insofern zu Unrecht allein auf der Grundlage der Aussage der Zeugin D den der Klägerin obliegenden Beweis einer unversehrten Übergabe der streitgegenständlichen Güter als geführt angesehen. Zuletzt hat die Beklagte allerdings vorgetragen, dass das Frachtgut zum Zeitpunkt der Ablieferung durch die Beklagte in Stadt4 uneingeschränkt verkehrsfähig gewesen sei und keinerlei Schäden aufgewiesen habe, weil immer noch eine Warenkerntemperatur von unter -14° C bestanden habe. Das Frachtgut habe zu diesem Zeitpunkt auch keine unzulässige Keimbelastung aufgewiesen.
11
Das Landgericht habe außerdem übersehen, dass die zwingenden Vorschriften der TMLV zwar auf den Zeitraum vor der Übergabe des Frachtgutes Anwendung fänden, nicht aber auf grenzüberschreitende Beförderungen. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft keine Feststellungen dazu getroffen, ob das Frachtgut nach den einschlägigen internationalen Vorschriften verkehrsfähig gewesen sei. Im Übrigen folge aus §§ 1, 3 TLMV gerade nicht, dass bei etwaigen Verstößen gegen die TLMV Güter per se nicht mehr verkehrsfähig seien. Vielmehr bestimme § 3 TLMV lediglich, dass derartige Güter dann nicht mehr als „tiefgefrorene Lebensmittel“ bezeichnet werden dürften. Das Frachtgut hätte bei Ablieferung in Stadt4 durch erneutes Tiefkühlen wieder zu Tiefkühlware werden können. Vor dem Verzehr müssten die Burgerfleisch-Patties ohnehin aufgetaut werden, ohne dass sie hierdurch sogleich als Kat. III – Ware, d.h. Tierfutter, einzustufen seien. Der streitgegenständliche Schaden sei erst dadurch eingetreten, dass das Frachtgut nach Ablieferung durch die Beklagte aufgetaut und unzulässig mit Keimen belastet worden sei.
12
Jedenfalls hätte das Frachtgut einen erheblichen Restwert gehabt, der problemlos zu erzielen gewesen wäre. Maßgeblich seien insoweit die Verwertungsmöglichkeiten nach französischem Recht. Das Frachtgut hätte jedenfalls als „aufgetautes Lebensmittel“ verwertet werden können und müssen. Die Klägerin sei im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht zur Verwertung des Frachtgutes verpflichtet gewesen. Soweit der Sachverständige lediglich einen Restwert zwischen 6,9 % und 12,1 % des Warenwertes ermittelt habe, seien diese Feststellungen nicht zu verwerten. Der Sachverständige habe in unzulässiger Weise fernmündlich Auskunft des Havariekommissars F, der Diplom-Betriebswirt sei, zum Restwert der Burgerfleisch-Patties eingeholt.
13
Der Beklagten sei kein qualifiziertes Verschulden anzulasten, denn die Klägerin habe ein solches nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere sei es nicht Sache der Beklagten darzulegen, dass der Fahrer die Funktionsfähigkeit der Kühlung überprüft bzw. überwacht habe.
14
Das Landgericht sei schließlich zu Unrecht von einem Schaden in Höhe von 60.371,04 € ausgegangen, denn in den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen seien divergierende Beträge angegeben. Der Klägerin sei auch ein erhebliches Mitverschulden vorzuwerfen, weil sie vor Beladung des Fahrzeugs die Funktion des Kühlaggregats hätte überprüfen müssen.
15
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
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die Klage – unter Abänderung des der Beklagten am 26.9.2019 zugestellten Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 29.9.2019, Az. 12 O 15/18 – abzuweisen.
17
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
18
die Berufung zurückzuweisen,
19
sowie im Wege der Anschlussberufung, das Urteil des Landgerichts Darmstadt, Az. 12 O 15/18 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin aus einen Betrag in Höhe von 60.371,04 € Zinsen in Höhe von 5 % p.a. seit dem 5.8.2017 zu zahlen.
20
Die Beklagte beantragt,
21
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
22
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Insbesondere führt sie aus, sie sei aktivlegitimiert, denn die Käuferin der streitgegenständlichen Ware habe den Kaufpreis für die Ware bezahlt und den Schaden an die Klägerin weiterbelastet. Sie habe insofern eine Verrechnung mit offenen Frachtansprüchen der Klägerin vorgenommen. Die Klägerin sei deswegen materiell Geschädigte und schon aus diesem Grund anspruchsberechtigt. Die Klägerin habe den Nachweis einer durchgehenden Kühlkette vor Übergabe des Transportguts geführt. Die Behauptung der Beklagten, das Frachtgut sei vor der Übergabe mit einer zu hohen Keimzahl belastet gewesen, sei durch die Aussage der Zeugin D widerlegt. An dem Frachtgut sei in der Obhut der Beklagten durch die Überschreitung der in § 2 Abs. 4 TLMV geregelten Transporttemperatur von -15° C ein Schaden eingetreten, denn die Ware sei als Tiefkühlware nicht mehr verkehrsfähig gewesen. Die TLMV gehe auf die EU-Richtlinie 89/108/EWG zurück, so dass es unschädlich sei, dass das Frachtgut nach Frankreich verkauft worden sei. Es sei davon auszugehen, dass in Frankreich eine gleichlautende Norm erlassen worden sei. Im Hinblick auf eine mögliche Verwertung des beschädigten Frachtguts sei die Beklagte ihrer diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Die Klägerin gehe zwar davon aus, dass die Ware bei der Ablieferung noch anderweitig hätte verwertet werden können. Welcher Preis hierfür hätte erzielt werden können, bleibe jedoch ungewiss. Regelmäßig seien nur geringe Restwerte erzielbar. Die Klägerin sei schließlich nicht zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Kühlaggregats des eingesetzten Fahrzeugs verpflichtet gewesen, insbesondere habe es sich nicht um einen erkannten oder evidenten Mangel gehandelt.
23
Zur Begründung der Anschlussberufung trägt die Klägerin vor, zwar habe sie im erstinstanzlichen Verfahren Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gefordert. Art. 27 CMR gewähre jedoch feste Zinsen in Höhe von 5 % p.a. Da der Basiszinssatz seit Jahren negativ sei, sei die Regelung des Art. 27 CMR mithin für die Klägerin günstiger, so dass sie nunmehr auf dieser Grundlage Zinsen beanspruche.
24
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
25
Der Senat hat Beweis über den Restwert des Frachtguts nach Ankunft in Stadt4 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen G vom 30.4.2021 (Bl. 588 ff. d. A.) sowie das Ergänzungsgutachten vom 17.9.2021 (Bl. 632 ff. d. A.) und das Protokoll der Anhörung des Sachverständigen vom 17.12.2021 (Bl. 712 ff. d. A.) Bezug genommen.
II.
26
1. Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache nur zu einem geringen Teil Erfolg.
27
Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Ersatz des Güterschadens wegen Überschreitens der vereinbarten Transporttemperatur gemäß Art. 17, 25 Abs. 1, 29 CMR, § 435 HGB in Höhe von 54.371,04 € zu.
28
a) Auf das Vertragsverhältnis der Parteien findet das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im Internationalen Straßengüterverkehr (CMR) Anwendung. Der Vertrag hat eine entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen zum Gegenstand. Hierunter fällt auch der im Streitfall vorliegende Speditionsvertrag zu festen Kosten (BGH, Urt. v. 14.2.2008, I ZR 183/05, NJOZ 2009, 595, 598 f.; Koller, 10. A. 2020, Art. 1 CMR Rn. 3). Die für die Übernahme und die Ablieferung vorgesehenen Orte liegen in verschiedenen Staaten, nämlich in Deutschland und Frankreich, die beide Vertragsstaaten der CMR sind.
29
b) Die Klägerin ist aktivlegitimiert, denn sie ist als Absenderin berechtigt, Schadensersatzansprüche gemäß Art. 17 CMR wegen Beschädigung des Frachtguts geltend zu machen (OLG Köln, Urt. v. 15.12.2009, 3 U 175/08, TranspR 2010, 147; OLG Hamburg, Urt. v. 4.12.1986, 6 U 266/85, VersR 1987, 558; MüKoHGB/Jesser-Huß, 4. A. 2020, Art. 17 CMR Rn. 106). Da im Streitfall lediglich der objektive Schaden geltend gemacht wird – s. hierzu die nachfolgenden Ausführungen unter 1. e) – bedarf es insbesondere keines Rückgriffs auf die Regeln der Drittschadensliquidation (vgl. allgemein hierzu Koller, 10. A. 2020, § 425 HGB Rn. 63).
30
c) Das streitgegenständliche Frachtgut ist im Obhutszeitraum des Art. 17 Abs. 1 CMR beschädigt worden.
31
aa) Dass das Frachtgut der von der Beklagten eingesetzten Unterfrachtführerin in ordnungsgemäßem, insbesondere ausreichend vorgekühlten Zustand übergeben worden ist, ist mittlerweile zwischen den Parteien unstreitig. Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren zunächst vorgetragen hat, es sei davon auszugehen, dass das Frachtgut schon vor der Übergabe an die Beklagte nicht mehr verkehrsfähig gewesen sei, weil es bereits zu diesem Zeitpunkt eine erhöhte Keimbelastung aufgewiesen habe, hat sie diesen Vortrag im Laufe des Berufungsverfahrens dahingehend geändert, dass sie zuletzt vorgetragen hat, das Frachtgut sei zum Zeitpunkt der Ablieferung durch die Beklagte in Stadt4 uneingeschränkt verkehrsfähig gewesen und habe keinerlei Schäden aufgewiesen, was eine Übergabe in einem ebensolchen Zustand an die Beklagte impliziert. Derartiger widersprüchlicher Sachvortrag ist nicht etwa unbeachtlich. Eine Partei darf vielmehr ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits ändern, insbesondere präzisieren, ergänzen oder berichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 21.6.2018, IX ZR 129/17, juris Rn. 21; Beschluss v. 8.9.2021, VIII ZR 258/20, juris Rn. 23), wobei es Aufgabe des Gerichts ist aufzuklären, welcher Vortrag letztlich gelten soll (BGH, Urt. v. 8.5.2014, VII ZR 282/12, juris Rn. 38). Im Streitfall hat die Beklagte im Rahmen der Stellungnahme zum Sachverständigengutachten vom 30.4.2021 mit Schriftsatz vom 26.5.2021 (Bl. 612 ff. d. A.) ihren Vortrag dahingehend umgestellt, dass das Frachtgut von der Beklagten in ordnungsgemäßem Zustand in Stadt5 angeliefert worden sei. Diesen Vortrag hat die Beklagte in zahlreichen weiteren nachfolgenden Schriftsätzen beibehalten und vertieft, so dass schon aufgrund des zeitlichen Ablaufs davon auszugehen ist, dass es sich hierbei um den letztlich maßgeblichen Vortrag handeln soll.
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Der Vollständigkeit halber soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass – auch wenn es hierauf nach den vorstehenden Ausführungen nicht mehr ankommt – der Senat sich der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils, wonach der Klägerin der Nachweis der Übergabe des Frachtgutes im ordnungsgemäßen, insbesondere ausreichend vorgekühltem Zustand gelungen ist, vollumfänglich anschließt. Insbesondere verfängt der Vorwurf der Beklagten nicht, das Landgericht habe sich insofern alleine auf die Aussage der Zeugin D gestützt. Abgesehen davon, dass die Aussage der Zeugin D in sich konsistent, nachvollziehbar und mithin in jeder Hinsicht glaubhaft ist, wird diese zusätzlich von zahlreichen weiteren Dokumenten, insbesondere Prüfprotokollen (Bl. 122 ff. d. A.), Lagerbestandslisten (Bl. 127 ff. d. A.), Containerlieferscheinen (Bl. 141 ff. d. A.) und Temperaturprotokollen (Bl. 126 ff. d. A., Bl. 492 ff. d. A.) gestützt. Zu dem gleichen Ergebnis kommt im Übrigen auch der Sachverständige G, auch wenn es sich hierbei nur um eine Vorfrage des eigentlichen Beweisthemas – Ermittlung des Restwerts des streitgegenständlichen Frachtguts – handelt (vgl. Gutachten vom 30.4.2021, S. 7 f./Bl. 594 f. d. A.) An der Übergabe des Frachtgutes in ordnungsgemäßem Zustand kann mithin aus Sicht des Senats kein Zweifel bestehen.
33
bb) An dem streitgegenständlichen Frachtgut ist während des Transports von Stadt3 nach Stadt4 durch die Einwirkung von Wärme ein Güterschaden eingetreten.
34
Eine Beschädigung von Frachtgut im Sinne von Art. 17 Abs. 1 CMR liegt vor, wenn eine innere oder äußere Substanzveränderung eingetreten ist, die eine Wertminderung zur Folge hat (MüKoHGB/Jesser-Huß, 4. A. 2020, Art. 17 CMR Rn. 11). Unter den Begriff der Beschädigung fallen auch Qualitätsminderungen infolge einer nicht durchgängigen Einhaltung der erforderlichen Transporttemperatur (OLG Köln, Urt. v. 15.12.2009, 3 U 175/08, TranspR 2010, 147, 148; Senat, Urt. v. 22.11.2010, 13 U 33/09, juris Rn. 25; OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.11.2017, 18 U 173/15, juris Rn. 18; MüKoHGB/Jesser-Huß, 4. A. 2020, Art. 17 CMR Rn. 11; Koller, Transportrecht, 10. A. 2020, Art. 17 CMR, Rn. 2, § 425 Rn. 13). Der Verdacht einer Substanzveränderung ist als Beschädigung zu bewerten, wenn er zu einer Wertminderung des Gutes geführt hat, weil er etwa Tests notwendig macht oder er objektiv nicht ausgeräumt werden kann. Objektiv nicht ausräumbar ist beispielsweise der Verdacht, der Anlass für ein Verbot der Verwertung des Gutes oder für ein Einfuhrverbot ist, oder der nur unter Kosten ausgeräumt werden kann, die voraussichtlich höher sind als der Wert des Gutes (BGH, Urt. v. 11.7.2002, I ZR 36/00, juris Rn. 15; Koller, Transportrecht, 10.A. 2020, Art. 17 CMR, Rn. 2, § 425 Rn. 13).
35
Im Streitfall liegt eine Beschädigung in Form einer Qualitätsminderung des streitgegenständlichen Frachtguts vor. Ausweislich des Transportauftrags handelte es sich bei dem Frachtgut um Tiefkühlware („TK-Ware“). Gleiches ergibt sich im Übrigen auch aus dem – von den Parteien nicht angegriffenen – unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils. Gemäß § 2 der Verordnung über tiefgefrorene Lebensmittel vom 29.10.1991 (BGBl. I 1991, 2051, nachfolgend „TLMV“) müssen tiefgefrorene Lebensmittel nach dem ersten Einfrieren bis zur Abgabe an den Verbraucher an allen Punkten des Erzeugnisses ständig bei -18° C oder tiefer gehalten werden. Während des Versands sind dabei kurzfristige Schwankungen von höchstens 3° C zulässig. Die Regelung beruht auf der Richtlinie 89/108/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über tiefgefrorene Lebensmittel, so dass davon auszugehen ist, dass gleichlautende Regelungen in allen EU-Mitgliedstaaten gelten. Aus den Erwägungsgründen der Richtlinie ergibt sich zudem, dass die Temperaturvorgabe gerade deswegen gewählt worden ist, um Qualitätsveränderungen von tiefgefrorenen Lebensmitteln zu verhindern. Die Richtlinie führt insofern nämlich aus, dass bei einer Temperatur von -18 °C jede mikrobiologische Aktivität, durch die die Qualität eines Lebensmittels verändert werden könnte, zum Stillstand komme, woraus sich die Notwendigkeit ergebe, während der Lagerung und des Vertriebs der tiefgefrorenen Lebensmittel vor ihrem Verkauf an den Endverbraucher mindestens diese Temperatur, wenn auch mit einem gewissen technisch unvermeidbaren Spielraum, aufrechtzuerhalten. Art. 5 Abs. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 89/108/EWG konkretisiert dies dahingehend, dass Toleranzen für die Temperatur tiefgefrorener Lebensmittel im Rahmen redlicher Aufbewahrungs- und Vertriebsverfahren 3 °C nicht übersteigen dürfen.
36
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das streitgegenständliche Frachtgut wegen eines Defekts der Kühlung während der Beförderung bei Ankunft im Zwischenlager Stadt5 eine Warenkerntemperatur zwischen -14° C bis -14,8° C aufwies. Damit sind die in der TLMV sowie in der Richtlinie 89/108/EWG normierten Qualitätsanforderungen an Tiefkühlware – auch unter Berücksichtigung der dort vorgesehenen Toleranzen – nicht eingehalten worden. Dies hat zur Folge, dass das streitgegenständliche Frachtgut nach der Ankunft im Zwischenlager in Stadt5 in der Europäischen Union nicht mehr als Tiefkühlware in den Verkehr gebracht werden durfte (Art. 13 Abs. 1 Richtlinie 89/108/EWG, § 7 i.V.m. § 3 TLMV). Vielmehr hätte jeglicher Hinweis darauf, dass es sich um tiefgekühlte Ware handelt, unterbleiben müssen. Ausdrücklich geschützt sind nach § 3 TLMV dabei die Bezeichnungen „tiefgefroren“, „tiefgekühlt“, „Tiefkühlkost“ und „gefrostet“. Darüber hinaus gelten für die Verwendung anderer Bezeichnungen, die auf die Eigenschaft der Ware als tiefgefroren hindeuten, die allgemeinen Irreführungsverbote des Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 vom 25.11.2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (Lebensmittelinformations-VO), so dass auch die Verwendung der bisherigen Bezeichnung „Tiefkühlware“ bzw. der auf den Kartons aufgedruckte Hinweis auf eine Aufbewahrungstemperatur von -18° C nicht mehr zulässig war (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2021, § 3 Rn. 3). Von einer Qualitätsminderung des Frachtguts infolge der Nichteinhaltung der Temperaturvorgaben – auch vor dem Hintergrund von dessen Ausfuhr in den EU-Mitgliedstaat Frankreich – ist mithin auszugehen.
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Darüber hinaus hat die Nichteinhaltung der Kühlkette auch Auswirkungen auf das – auf den jeweiligen Kartons aufgedruckte – (vgl. Anlage B 2, Besichtigungsbericht von H, Foto 2/Bl. 76 d. A.) – Mindesthaltbarkeitsdatum des streitgegenständlichen Frachtguts. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe r) der Lebensmittelinformations-VO ist unter dem Mindesthaltbarkeitsdatum eines Lebensmittels das Datum zu verstehen, bis zu dem dieses Lebensmittel bei „richtiger Aufbewahrung“ seine spezifischen Eigenschaften behält. Von einer „richtigen Aufbewahrung“ im Sinne der Lebensmittelinformations-VO kann aber nicht die Rede sein, wenn – wie vorstehend ausgeführt – die Vorgaben der Richtlinie 89/108/EWG bzw. der in Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen TLMV nicht eingehalten worden sind. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) Lebensmittelinformations-VO dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, worunter auch Informationen über die Haltbarkeit eines Lebensmittels fallen. Damit ist davon auszugehen, dass das auf dem streitgegenständlichen Frachtgut angebrachte Mindesthaltbarkeitsdatum nicht mehr gültig ist, was ebenfalls als Qualitätsminderung zu bewerten ist.
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Die Nichteinhaltung der gesetzlichen Temperaturvorgaben hinsichtlich der Lagerung von Tiefkühlware begründet schließlich zugleich einen – ebenfalls als Beschädigung des Frachtguts zu bewertenden – Verdacht einer Substanzveränderung. Denn wenn die Richtlinie 89/108/EWG in ihrem Erwägungsgrund ausführt, dass bei einer Temperatur von -18 °C jede mikrobiologische Aktivität, durch die die Qualität eines Lebensmittels verändert werden könnte, zum Stillstand komme, besteht im Umkehrschluss zumindest das Risiko, dass sich bei einer Lagertemperatur unter -18° C eine qualitätsverändernde mikrobiologische Aktivität entfalten kann. Insofern ist ebenfalls von einer Wertminderung des Gutes auszugehen, weil hierdurch zumindest weitere – kostenintensive – Tests erforderlich werden, um den begründeten Verdacht auszuräumen.
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Soweit die Beklagte rügt, der Vortrag der Klägerin, dass die Ware entsprechend der Vorschriften der TLMV gekennzeichnet gewesen sei, sei verspätet, vermag der Senat dem jedenfalls nicht im Hinblick auf die Kennzeichnung der Kartons mit der Vorgabe „Lagern bei mindestens -18° C“ zu folgen. Eine solche Kennzeichnung der Verpackung des streitgegenständlichen Frachtguts ergibt sich vielmehr aus dem seitens der Beklagten selbst im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Besichtigungsbericht von H vom 28.6.2017, dort Lichtbilder 3 und 4 (Anlage B 2, Lichtbildteil S. 2/Bl. 77 d. A.).
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Auch der Einwand der Beklagten, das Frachtgut hätte bei Ablieferung in Stadt4 durch erneutes Tiefkühlen wieder zu Tiefkühlware werden können, verfängt nicht. Die Beklagte verkennt insofern den Regelungsgehalt der Richtlinie 89/108/EWG bzw. der TMLV. Hiernach müssen tiefgefrorene Lebensmittel nach dem ersten Einfrieren bis zur Abgabe an den Verbraucher ständig bei mindestens -18° C zuzüglich der erlaubten Toleranzen gehalten werden. Wird dieser Temperaturbereich unterschritten darf die Ware nicht mehr unter als Tiefkühlkost oder unter ähnlichen Bezeichnungen – insofern wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen – in den Verkehr gebracht werden. Insbesondere ist ein Auftauen der Ware für eine entsprechende Qualitätsminderung – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht erforderlich. Dass die Burgerfleisch-Patties, wie die Beklagte weiter einwendet, vor dem Verzehren ohnehin aufgetaut werden müssen, spielt ebenfalls keine Rolle. Die Temperaturvorgaben der Richtlinie 89/108/EWG und der TMLV gelten vielmehr ausdrücklich (nur) für den Zeitraum bis zur Abgabe an den Endverbraucher.
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d) Eine Haftungsbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 Buchstabe d CMR kommt nach Art. 18 Abs. 4 CMR nicht in Betracht, weil die Beklagte nicht dargelegt hat, dass die eingesetzte Unterfrachtführerin alle ihr nach den Umständen obliegenden Maßnahmen hinsichtlich der Auswahl, Instandhaltung und Verwendung des Kühlsystems des eingesetzten Lkw getroffen und die erteilten Weisungen beachtet hat. In diesem Zusammenhang muss der Frachtführer substantiiert die Art der Kühleinrichtung, ihre Wartung und Bedienung, Methoden und Umfang der Kontrollen sowie die Kühlung und deren Überwachung während Fahrtpausen oder Standzeiten vortragen und im Falle des Bestreitens beweisen (OLG Hamm, Urt. v. 21.6.1999, 18 U 201/98, juris). Entsprechender Vortrag fehlt vorliegend gänzlich.
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e) Ein Mitverschulden der Klägerin im Hinblick auf die Entstehung des Schadens gemäß Art. 17 Abs. 5 CMR ist nicht zu berücksichtigen. Der Senat teilt insbesondere die Auffassung der Beklagten nicht, dass der Klägerin ein Mitverschulden vorzuwerfen sei, weil sie vor der Beladung die Funktion des Kühlaggregats des eingesetzten Fahrzeugs hätte überprüfen müssen. Vielmehr ist es grundsätzlich Sache des Frachtführers, das eingesetzte Fahrzeug auf seine Tauglichkeit hin zu untersuchen (OLG Koblenz, Urt. v. 4.2.2021, 6 U 728/20, juris Rn. 4; Koller, 10. A. 2020, CMR Art. 17 Rn. 31b), wozu bei der Vereinbarung eines Kühltransports auch die Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Kühlaggregats gehört. Soweit bei evidenten Mängeln oder ersichtlich ungeeigneten Fahrzeugen ausnahmsweise etwas anderes gelten kann (Koller, 10. A. 2020, CMR Art. 17 Rn. 31b), kommt es hierauf im Streitfall nicht an, denn Anhaltspunkte hierfür hat die Beklagte nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
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e) Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 54.371,04 € zu. Die Haftungshöhe richtet sich vorliegend nach Art. 25 CMR i.V.m. Art. 23 CMR. Hiernach findet das Wertersatzprinzip des Art. 23 CMR auch im Fall der Beschädigung von Frachtgut Anwendung. Die Wertminderung errechnet sich dabei aus einem Vergleich zwischen dem Versandwert des unbeschädigten Frachtguts und dem (hypothetischen) Versandwert des beschädigten Frachtguts (vgl. hierzu MüKoHGB/Jesser-Huß, 4. A. 2020, Art. 25 CMR Rn. 2 ff.). Der Ersatzberechtigte – vorliegend mithin die Klägerin – trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Höhe der objektiven Wertminderung (Koller, 10. A. 2020, Art. 25 CMR Rn. 3).
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aa) Der Versandwert des unbeschädigten Frachtguts ergibt sich aus der vorgelegten Handelsrechnung vom 15.12.2016 (Anlage K 2, Bl. 14 d. A.), die einen Betrag von 60.371,04 € ausweist, und dem entsprechenden Lieferschein (Anlage K 7, Bl. 19 f. d. A.). Dass die Klägerin mit Schreiben vom 30.1.2018 (Anlage K 10, Bl. 38 f. d. A.) auf der Grundlage der Schadensrechnung vom 20.4.2017 (Anlage K 16, Bl. 248 d. A.) zunächst einen höheren Schadensbetrag geltend gemacht hat, steht dem nicht entgegen.
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bb) Entgegen der Ansicht der Klägerin und – dieser folgend – des Landgerichts muss sich die Klägerin allerdings einen Restwert des beschädigten Frachtguts in Höhe von 6.000,00 € entgegenhalten lassen.
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Insbesondere steht der Berücksichtigung eines Restwerts nicht der – seitens der Beklagten bestrittene – Vortrag der Klägerin entgegen, wonach eine anderweitige Verwertung des Frachtguts nicht möglich war, weil die Auftraggeberin der Klägerin die Waren aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit der Firma E nur an E-Restaurants verkaufen durfte. Soweit die Klägerin hierzu ein Schreiben der J SAS vom 28.9.2018 (Anlage K 19, Bl 253 d. A.) vorlegt, genügt sie ihrer Darlegungslast nicht, denn aus dem Schreiben ergibt sich schon kein konkreter Bezug zum streitgegenständlichen Frachtgut. Insbesondere ist unklar, ob dieses unter die in dem Schreiben angesprochenen „approved products“ fällt. Der in dem Schreiben in Bezug genommene „Distribution Contract“ ist seitens der Klägerin nicht vorgelegt worden.
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Der Senat schätzt den Restwert des Frachtguts gemäß § 287 ZPO auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens auf 6.000,00 €. Der Sachverständige hat hierzu in jeder Hinsicht nachvollziehbar ausgeführt, er habe den Restwert auf der Grundlage des Zustands der Burgerfleisch-Patties im Lager Stadt4 ermittelt. Zu diesem Zeitpunkt seien die Patties nicht aufgetaut gewesen. Gleiches gelte für die Ankunft der Patties im Zwischenlager Stadt5, so dass er im Ergebnis davon ausgehe, dass sich die Keimzahl zum Bewertungszeitpunkt im zulässigen Bereich befunden habe. Trotzdem seien die Patties aus lebensmittelrechtlichen Gründen wegen der zu hohen Transporttemperaturen nicht mehr als Tiefkühlware verkehrsfähig gewesen. Eine Verwertung sei deswegen nur im Rahmen der Kategorie 3 – Material mit geringem Risiko – hier: ehemalige Lebensmittel tierischen Ursprungs (VO (EG) 1774/2002 und VO (EG) 999/2001 i.d.F. 1974/2005) möglich gewesen. Zur Ermittlung der Marktsituation habe er eine Auskunft von Herrn F, Ltd. Havariekommissar, I & Co. Stadt6 eingeholt, der im mitgeteilt habe, Kategorie 3 – Ware könne in Deutschland als Tierfutter zu einem Preis von 0,20 bis 0,35 € pro Kilogramm verwertet werden.
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Der Senat ist hiernach überzeugt davon, dass das streitgegenständlichen Frachtgut als Kategorie 3 – Ware in Deutschland verwertbar war. Dass der Sachverständige hinsichtlich der aktuellen Marktpreise für derartige Ware eine Auskunft eines Havariekommissars eingeholt hat, ist nicht zu beanstanden. Der Sachverständige hat insbesondere die Regelung des § 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO beachtet und die Mitarbeit des Herr F im Gutachten ausgewiesen. Soweit die Beklagte pauschal die Qualifikation des Herrn F in Zweifel zieht, weil dieser Diplom-Betriebswirt sei, vermag der Senat dem angesichts der unstreitigen Tätigkeit des Herrn F als Havariekommissar nicht zu folgen. Konkrete Beanstandungen in der Sache hinsichtlich der ermittelten Preise trägt die Beklagte nicht vor. Angesichts der vom Sachverständigen angegebenen Restwertspanne zwischen 6,9 % und 12,1% des Warenwerts schätzt der Senat den angemessenen Restwert auf 6.000,00 €.
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Soweit die Beklagte hiergegen schließlich einwendet, maßgeblich seien die Verwertungsmöglichkeiten in Frankreich bzw. „nach französischem Recht“, verkennt sie die Regelung des Art. 25 Abs.1 CMR i.V.m. Art. 23 Abs. 1 CMR. Hiernach ist die Beschädigung ausdrücklich nach dem Wert des Frachtguts am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung zu berechnen. Maßgeblich ist mithin der sog. Versandwert, und zwar nicht nur zur Ermittlung des Werts des unbeschädigten Frachtguts, sondern auch im Hinblick auf die Ermittlung des (hypothetischen) Werts des beschädigten Frachtguts. Übernahmeort ist vorliegend unstreitig Stadt3, so dass es auf die Verwertungsmöglichkeiten der Burgerfleisch-Patties in Deutschland ankommt.
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cc) Die Haftungshöchstgrenze gemäß Art. 25 Abs. 2 Buchstabe a CMR i.V.m. Art. 23 Abs. 3 CMR kommt nicht zum Tragen, da angesichts eines unstreitigen Rohgewichts des Frachtguts von 20.838,24 kg die dort normierten Haftungshöchstgrenzen unterschritten sind.
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f) Schließlich greift auch die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung nicht durch, denn der Beklagten ist ein qualifiziertes Verschulden anzulasten, so dass die Verjährungsfrist nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 CMR drei Jahre beträgt und durch die am 11.5.2018 zugestellte Klage rechtzeitig gemäß Art. 32 Abs. 3 Satz 1 CMR i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt wurde. Der Senat schließt sich insofern den Ausführungen des Landgerichts vollumfänglich an, wonach der Umstand, dass dem seitens der Unterfrachtführerin eingesetzten Fahrer, dessen Verhalten sich die Beklagte zurechnen lassen muss, der bereits unstreitig am 14.12.2016 eingetretene Defekt der Kühlung erst am 15.12.2016 aufgefallen ist, als qualifiziertes Verschulden im Sinne des Art. 29 CMR i.V.m.§ 435 HGB zu bewerten ist.
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Ein derartiges qualifiziertes Verschulden liegt vor, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer vorsätzlich oder bewusst leichtfertig begangen hat. Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine Leute in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Welche Sicherheitsvorkehrungen der Frachtführer ergreifen muss, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalles ab (BGH, Urt. v. 19.3.2015, I ZR 190/13, juris Rn. 30 m.w.N.). Bei Kühltransporten muss der Frachtführer nicht nur ein geeignetes Transportfahrzeug zur Verfügung stellen, sondern er muss außerdem während des Transportes mit verkehrserforderlicher Sorgfalt dafür sorgen, dass die richtige Temperatur laufend eingehalten wird. Er hat mithin während der Beförderung die Kühltemperatur in zeitlichen Abständen zu kontrollieren und hierbei die ihm zur Verfügung stehenden Kontrollmöglichkeiten auszuschöpfen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 9.10.2002, 18 U 38/02; OLG Zweibrücken, Urt. v. 12.3.2019, 5 U 63/18, juris Rn. 50 f.; Koller, Transportrecht, 10. A. 2020, Art. 17 CMR Rn 51). Diese Kontrollpflicht hat der Fahrer im Streitfall gröblichst vernachlässigt, denn andernfalls wäre ihm aufgefallen, dass das Kühlaggregat schon vor Beginn des streitgegenständlichen Transports nicht mehr ordnungsgemäß arbeitete und der Laderaum während des sich über zwei Tage erstreckenden Transports weit erhöhte Temperaturen aufwies.
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2. Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Anschlussberufung der Klägerin hat in der Sache überwiegend Erfolg.
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Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren höhere Zinsen als im erstinstanzlichen Verfahren beansprucht, handelt es sich um eine Klageerweiterung im Sinne des § 264 Nr. 2 ZPO, die nicht den Regeln über eine Klageänderung unterliegt. Hierfür ist im Berufungsverfahren – wie die Klägerin zutreffend erkannt hat – die Einlegung einer Anschlussberufung erforderlich (BGH, Urt. v. 7.5.2015, VII ZR 145/12, juris Rn. 28). In der Sache stehen der Klägerin aus der Schadensersatzforderung wegen der Beschädigung von Frachtgut – allerdings nur in Höhe von 54.371,04 € – gemäß Art. 27 CMR Zinsen in Höhe von 5 % p.a. ab dem Tag der schriftlichen Reklamation gegenüber der Beklagten (Anlage K 10, Bl. 38 f. d. A.) zu.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich für die Beklagte aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO und für die Klägerin aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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5. Eine Zulassung der Revision ist nicht geboten, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Revisionsgerichts weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 ZPO).
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6. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §§ 47 GKG, 3 ZPO.