OLG Dresden, Beschluss vom 05. August 2021 – 4 W 276/21
1. Liegen keine konkreten Hinweise auf Unverträglichkeiten oder Allergien vor, besteht keine Verpflichtung des Zahnarztes, bei dem Patienten vor dem Einsetzen von Zahnersatz einen Allergietest durchzuführen.
2. Die substantiierte Darlegung eines Haushaltsführungsschadens erfordert auch konkrete Ausführungen dazu, inwieweit die Beschwerden bestimmte Tätigkeiten einschränken; bloße Prozentangaben reichen insoweit nicht aus.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Zwickau – 1 O 1050/19 – vom 12.01.2021 wie folgt abgeändert:
Der Antragstellerin wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt für eine Klage gegen den Antragsgegner auf Schmerzensgeld i.H.v. 20.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und soweit sie begehrt festzustellen, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren materiellen Schäden aus der falschen zahnärztlichen Behandlung im Zeitraum von 2009 bis 2017 (Verwendung von Allergenen trotz bekannter Allergie) zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Der Antragstellerin wird Rechtsanwalt T…… P……, …, beigeordnet.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde sowie der weitergehende Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeentscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten der Parteien werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin war von 2001 bis April 2017 in zahnärztlicher Behandlung bei dem Antragsgegner. Am 17.07.2007 wurde bei einer Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Allergologie eine Allergie gegen p-Phenylendiamin (kurz: PPD; chemische Formel: C6H8N2; CAS-Nr. 106-50-3) festgestellt und am 19.07.2007 ein Allergiepass ausgestellt. Am 18.12.2018 wurde bei einem Facharzt für Hals, Nasen Ohren eine allergische Reaktion auf den Stoff 2-Hydroxyethylmethacrylat (kurz HEMA; chemische Formel C6H10O3; CAS-Nr. 868-77-9) festgestellt.
2
Die Antragstellerin behauptet, sie habe dem Antragsgegner im Juli 2007 den Allergiepass übergeben. Der Antragsgegner habe jedoch zahnärztliche Materialien verwendet, die PPD enthielten. Darüber hinaus sei auch zu berücksichtigen, dass ausweislich des Allergiepasses Gruppenallergien mit allen Parastoffen möglich seien. Der Antragsgegner habe die verwendeten Materialien nicht auf ihre Verträglichkeit für die Antragstellerin überprüft. Dies sei grob fehlerhaft gewesen. Zudem könne es zu zahlreichen Kreuzallergien kommen. Der Antragsgegner hätte sich auch nicht auf die Datenblätter der Hersteller und die dort aufgeführten Inhaltsstoffe verlassen dürfen. Denn aufgrund der REACH-Verordnung der Europäischen Union seien die Hersteller nicht verpflichtet, sämtliche Inhaltsstoffe aufzuführen. Der Antragsgegner habe gegen seine Pflicht zur Erhebung und Sicherung der medizinisch gebotenen Befunden verstoßen, da er nicht sicher habe ausschließen können, dass die Antragstellerin bei der zahnärztlichen Behandlung eine allergische Reaktion zeigen werde. Er hätte daher jedes Produkt untersuchen müssen, habe aber nur das Material der Metallkeramikbrücke getestet nicht aber die Befestigungsmaterialien, sie aber gleichwohl im Glauben gelassen, dass alle Materialien unbedenklich seien. Die Beschwerden der Antragstellerin hätten sich von 2007 bis 2017 verschlimmert, es sei zu offenen Hautstellen an Händen und Füßen, Entzündungen der Haut, Atembeschwerden, Schwellungen und Rötungen im Mund und Rachen, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Kreuzallergien gekommen. Ein Schmerzensgeld von 200.000,00 € sei daher angemessen. Wegen der Abgeschlagenheit habe sie kein normales Leben mehr führen können und sei von 2007 bis 2017 arbeitsunfähig gewesen. Sie sei auch nicht in der Lage gewesen, den Haushalt zu führen und habe einen Haushaltsführungsschaden von 136.467,50 € erlitten.
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Der Antragsgegner behauptet, der Allergiepass sei ihm erst im Mai 2017 vorgelegt worden. PPD komme in Haarfärbemitteln und anderen Färbemitteln vor, nicht aber in den von dem ihm verwendeten Materialien. Ausweislich der im Internet abrufbaren Sicherheitsdatenblätter sei in keinem der Produkte p-Phenylendiamin enthalten. Das Anästhetikum Procain habe er nicht verwendet.
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Das Landgericht hat mit Beschluss vom 12.01.2021 den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Beschluss des Landgerichtes Bezug genommen. Gegen den der Antragstellerin am 18.01.2021 zugestellten Beschluss hat sie mit am 17.02.2021 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, der das Landgericht mit Beschluss vom 19.04.2021 nicht abgeholfen hat.
II.
5
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 567 ff., 127 ZPO statthaft und zulässig. Sie ist nur zum Teil begründet.
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Der Antragstellerin ist Prozesskostenhilfe für eine Klage auf ein Schmerzensgeld i.H.v. 20.000,00 € sowie hinsichtlich des Feststellungsantrages für weitere materielle Schäden für die Zeit der Behandlung von 2009 bis 2017 zu gewähren. Nur insoweit bietet die Rechtsverfolgung der Antragstellerin hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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An die Voraussetzung der hinreichenden Erfolgsaussicht sind keine überspannten Anforderungen zu stellen. Sie besteht, wenn die beabsichtigte Klage soweit das Tatsachenvorbringen – als richtig unterstellt – das Klagebegehren rechtfertigt. Prozesskostenhilfe ist in der Regel bereits dann zu bewilligen, wenn der Erfolg der Rechtsverfolgung zum Ausgang einer Beweisaufnahme abhängt; dabei genügt es, dass die Beweisaufnahme ernstlich in Betracht kommt (vgl. Schultzky in Zöller, Kommentar zur ZPO, 33. Aufl., § 114 Rn. 33). Anders ist es nur, wenn die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Hilfsbedürftigen als nahezu ausgeschlossen erscheinen lässt (vgl. Schultzky a.a.O.). Nach diesen großzügigen Maßstäben bestehen für die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussichten in Höhe der gewährten Prozesskostenhilfe.
8
Ob der Klägerin ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gegen den Beklagten gem. §§ 280, 249, 253 BGB zusteht, bedarf der Beweisaufnahme.
1.
9
Die Antragstellerin trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Antragsgegner sie entgegen dem Facharztstandard fehlerhaft behandelt hat.
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Liegen keine konkreten Anhaltspunkte für etwaige Unverträglichkeiten vor, so besteht für den Zahnarzt grundsätzlich keine Verpflichtung zur Durchführung von Allergietests vor dem Einbringen von Zahnersatz (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 28.02.2007 – 5 U 147/05 – juris).
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Der Antragstellerin obliegt der Beweis dafür, dass dem Antragsgegner ihre Allergien bekannt waren. Zunächst wird die Antragstellerin darlegen und beweisen müssen, dass sie – entgegen der Dokumentation des Antragsgegners – den Allergiepass im Juli 2007 übergeben hat. In den Behandlungsunterlagen ist im Juli 2007 keine Vorstellung der Antragstellerin dokumentiert und auf der Kopie des Allergiepasses in den Behandlungsunterlagen des Antragsgegners ist das Datum 03.05.2017 notiert. Grundsätzlich ist einer formell und materiell ordnungsgemäßen ärztlichen Dokumentation bis zum Beweis des Gegenteils Glauben zu schenken (vgl. Senat, Beschluss vom 26.02.2018 – 4 U 1663/17 – juris). Die Antragstellerin hat für ihre Behauptung ihren Sohn als Zeugen benannt, der die Richtigkeit des Vortrages an Eides statt versichert hat.
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Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass sich aus den Behandlungsunterlagen auch zu einem späteren Zeitpunkt bis zum 03.05.2017 nicht entnehmen lässt, dass dem Antragsgegner die Allergie gegen PPD oder der anderen im Allergiepass benannten Substanzen bekannt war. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Eintrag vom 17.06.2010. Dort ist Folgendes dokumentiert:
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„Pat. möchte keine Impl. bekommen.
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wegen Metalllegierung der
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Brücke überlegt sie noch.
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(NEM oder ECO-Gold)
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Testung/Allergie bei Hautarzt
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Voll-Keramikbrücke geht aus stat. Gründen nicht
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hat Proben für Hautarzt am 30.06. abgeholt.“
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Angaben zum Thema Allergie finden sich erst am 08.07.2015 in den Behandlungsunterlagen wieder. Dokumentiert wurde, dass ihr der Beipackzettel für Ligosan wegen Allergien mitgegeben worden sei und sie am 17.07.2015 kein Ligosan wegen möglicher Allergien gewünscht habe. Am 25.04.2016 äußerte die Antragstellerin den Wunsch, alle Materialzusammensetzungen, die in der Mundhöhle verwendet worden waren, zu erhalten. Es sind der Dokumentation bis Mitte 2015 auch keine Anhaltspunkte zu entnehmen, aus denen dem Antragsgegner das Vorliegen von Allergien gegen die verwendeten Materialien sich hätte aufdrängen müssen. Erstmals erfolgte eine Behandlung wegen entzündeten Zahnfleisches in der Zeit vom 01.07.2015 bis 17.07.2015. Weitere Eintragungen zu Entzündungen im Mundraum sind nicht vorhanden. Ebenso wenig sind Aufzeichnungen zu allergischen Reaktionen an anderen Körperstellen vorhanden. Soweit die Antragstellerin behauptet, sie habe seit 2005 unter massiven allergischen Reaktionen, wie z. B. an offenen, wunden Händen gelitten und dies sei dem Antragsgegner bekannt gewesen, so trägt sie die Darlegungs- und Beweislast dafür.
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Des Weiteren obliegt ihr der Beweis, dass der Antragsgegner Procain verwendet hat, wofür sich aus der Behandlungsdokumentation keine Anhaltspunkte ergeben.
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Gelingt der Antragstellerin der Beweis für die Kenntnis des Antragsgegners von ihrer Allergie, so ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlasst. Die Antragstellerin stellt nicht mehr in Abrede, dass PPD nicht in den Sicherheitsdatenblättern der von dem Antragsgegner verwendeten Materialien aufgeführt ist. Ein Sachverständiger wird die Frage beantworten zu haben, ob es dem Facharztstandard entspricht, bei Kenntnis einer Allergie gegen bestimmte Stoffe – wie hier PPD und der im Allergiepass genannten Substanzen – die von einem Zahnarzt verwendeten Materialien einer Allergietestung zu unterziehen, obwohl in den Sicherheitsdatenblättern die entsprechenden Stoffe nicht aufgeführt sind oder ob sich der Zahnarzt auf einen Abgleich mit der Inhaltsangabe der Hersteller beschränken darf. Ob der behandelnde Zahnarzt – unabhängig von der Kenntnis des Allergiepasses – auf die Mitteilung einer Patientin, sie leide an Hautekzemen an Händen und Füßen und anderen Beschwerden – wie z. B. Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Atemnot – nach dem Facharztstandard verpflichtet gewesen wäre, die von ihm verwendeten Materialien einer Testung auf eventuelle Allergien zu überprüfen, ist eine Frage, die auch nur ein Sachverständiger beantworten kann.
2.
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Unterstellt der Antragstellerin gelingt der Beweis für einen Behandlungsfehler, steht ihr allenfalls ein Schmerzensgeldanspruch von 20.000,00 € zu. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes kommt es auf die Dauer und die Heftigkeit der Schmerzen und Leiden an. Auch wenn die Antragstellerin behandlungsbedürftige Beschwerden für die Zeit von 2009 bis 2017 behauptet, haben in der zweiten Hälfte des Jahres keine Behandlungen stattgefunden. Im Jahr 2008 erfolgten zwei Vorstellungen, bei denen die Antragstellerin untersucht und Zahnstein entfernt wurde. Die Verwendung der von ihr beanstandeten Materialien ist nicht ersichtlich. Erst am 06.08.2009 wurde das Material Omni Ceran verwendet. Die letzte Behandlung fand am 04.04.2017 statt. Auch anhaltende allergische Beschwerden – wie immer wiederkehrende Ekzeme, offen Stellen an Händen und Füßen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Atembeschwerden, Kopfschmerzen – rechtfertigen kein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000,00 €.
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Ein Haushaltsführungsschaden steht der Antragstellerin nicht zu. Der Vortrag ist nicht schlüssig. Zur Darlegung eines Haushaltsführungsschadens genügt es materiell nicht, lediglich abstrakt auf eine entsprechende Einschränkung der Haushaltsführungstätigkeit hinzuweisen. Vielmehr ist die konkrete Lebenssituation darzustellen, um gemäß § 287 ZPO ermitteln zu können, nach welchen wesentlichen Auswirkungen auf die Hausarbeit sich der Haushaltsschaden berechnen lässt (vgl. Senat, Beschluss vom 03.01.2018 – 4 W 1152/17 – juris; OLG Celle, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 14 U 73/06 –, Rn. 27, juris). Es bedarf auch unter Berücksichtigung der durch § 287 ZPO herabgesetzten Anforderungen eines hinreichend substantiierten Vortrags (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen BGH VersR 1992, 618; vgl. Senat a.a.O.; Senat, Beschluss vom 20.04.2020 4 U 137/20 – juris). Die Antragstellerin hat zwar dargelegt, wieviel Zeit sie für die Zubereitung der Mahlzeiten, Einkaufen, Hausarbeit, Haustierpflege und Grundstückspflege in der Woche – insgesamt 40,5 h – aufgewandt hat. Jedoch ist nicht ersichtlich, inwieweit sie im Hinblick auf die Beschwerden in ihrer Tätigkeit eingeschränkt war. Dazu genügt die Angabe von Prozentsätzen – wie z. B. 100 % Beeinträchtigung bei der Zubereitung von warmen Mahlzeiten und 75 % bei der Zubereitung von kalten Mahlzeiten – nicht.
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Einen Anspruch auf Feststellung der Erstattungsfähigkeit immaterieller Zukunftsschäden hat die Antragstellerin nicht. Diese sind mit dem Schmerzensgeld abgegolten. Nicht vorhersehbare Schäden sind nicht plausibel, nachdem die streitgegenständlichen Materialien entfernt wurden.