Zur Haftung eines Hörgeräteakustikers für etwaige Fehler bei der Durchführung eines Hörtests

OLG Frankfurt, Urteil vom 10. Dezember 2020 – 26 U 29/19

Tätigkeiten von Angehörigen der gesundheitshandwerklichen Berufe unterfallen nicht dem Anwendungsbereich der §§ 630a ff. BGB.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung des Klägers und Berufungsklägers gegen das am 14. Juni 2019 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug hat der Kläger und Berufungskläger zu tragen.

Das am 14. Juni 2019 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

1
Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und von der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird gemäß den §§ 540 Abs. 1, 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

2
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

3
1. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (vgl. § 513 Abs. 1 ZPO).

4
Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

5
Nach der Beweisaufnahme vor dem Senat steht fest, dass die Beklagten keine Nebenpflicht des abgeschlossenen Vertrages verletzt haben (a). Selbst wenn man eine solche Pflichtverletzung im Streitfall – zu Unrecht – annähme, würde es zumindest an einem dadurch hervorgerufenen Gesundheitsschaden fehlen (b).

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a. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich bereits nicht feststellen, dass die Beklagten bei dem Hörtest am 6. Mai 201X eine Nebenpflicht des abgeschlossenen Vertrags verletzt haben, wobei offenbleiben kann, ob insoweit ein Dienst- oder ein Werkvertrag vorliegt. Die Sachverständige A hat deutlich gemacht, dass sich weder anhand der Aufzeichnungen über die Messung noch anhand der Schilderungen des Klägers über den Ablauf der Messung eine nicht fachgerechte Durchführung des Hörtests feststellen lässt (s. etwa S. 14 des schriftlichen Gutachtens, Bl. 298 d. A.). Es ist aus fachlicher Sicht – so die Sachverständige weiter – insbesondere nicht zu beanstanden, dass der Kläger bei dem Hörtest zum Teil einer Lautstärke von 120dB ausgesetzt gewesen ist (s. etwa S. 14 des schriftlichen Gutachtens, Bl. 298 d. A., und S. 4 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2020, Bl. 362 d. A.). Diesen in sich schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen folgt der erkennende Einzelrichter.

7
Der in diesem Zusammenhang vom Kläger in der Berufungsbegründung erhobene Einwand, das Landgericht habe zu Unrecht im unstreitigen Tatbestand festgehalten, dass die Töne bei dem Hörtest in kleinen Schritten von leise nach laut abgegeben wurden, geht fehl.

8
Der erkennende Einzelrichter des Senats ist vielmehr gemäß § 314 Satz 1 ZPO an die tatbestandliche Feststellung des Landgerichts gebunden, dass bei dem Hörtest am 6. Mai 201X die Lautstärke der Töne in kleinen Schritten von leise nach laut gesteigert wurden (S. 2 f. des angegriffenen Urteils).

9
Der Tatbestand des Ersturteils liefert nach § 314 ZPO nämlich den Beweis für das mündliche Vorbringen einer Partei im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.1995 – V ZR 179/94 -, WM 1996, 89, 90; Urteil vom 02.02.1999 – VI ZR 25/98 -, BGHZ 140, 335, 339; Versäumnisurteil vom 15.06.2000 – III ZR 305/98, WM 2000, 1548, 1549; Urteil vom 28.06.2005 – XI ZR 3/04 -, juris). Diese Beweiswirkung erstreckt sich auch darauf, ob eine bestimmte Behauptung bestritten ist oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.2000 – VII ZR 216/99 -, WM 2000, 1871, 1872; Urteil vom 28.06.2005 – XI ZR 3/04 -, juris; BAG, Urteil vom 18.09.2003 – 2 AZR 498/02 -, NJW 2004, 1061, 1062). Daher ist eine im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig dargestellte Tatsache selbst dann, wenn sie in den erstinstanzlichen Schriftsätzen tatsächlich umstritten war, als unstreitig und als für das Berufungsgericht bindend anzusehen, wenn der Tatbestand – wie hier – nicht berichtigt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24.06.2010 – III ZR 277/09 -, juris; Urteil vom 06.06.2012 – VIII ZR 198/11 -, NJW 2012, 2659, Tz. 17; Urteil vom 18.07.2013 – III ZR 208/12 -, MDR 2013, 1115; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.05.2016 – 8 U 159/14 -, juris; Urteil vom 05.10.2018 – 8 U 203/17 -, NJOZ 2019, 901, 903).

10
Entsprechendes gilt für die Rüge des Klägers, das Landgericht habe es zu Unrecht als unstreitig angesehen, dass das Testen eines Tonsignals von 120 dB nicht unüblich ist (S. 3 der Berufungsbegründung vom 19. August 2019, Bl. 224 d. A.). Auch insoweit ist der erkennende Einzelrichter gemäß § 314 ZPO an den Tatbestand des angefochtenen Urteils gebunden. Es kommt insoweit noch hinzu, dass die Sachverständige – wie oben ausgeführt – deutlich gemacht hat, dass es aus fachlicher Sicht nicht zu beanstanden ist, dass der Kläger bei dem Hörtest zum Teil einer Lautstärke von 120dB ausgesetzt gewesen ist.

11
Auch die Rüge des Klägers, aus dem Messprotokoll ergebe sich nicht die Reihenfolge der Tests, greift nicht durch. Der Kläger vertritt insoweit die Ansicht, die „Folge der fehlenden Dokumentation“ sei „als unterlassene Befunderhebung“ zu werten (s. S. 8 der Berufungsbegründung vom 19. August 2019, Bl. 229 d. A.). Diese schon sprachlich schwer verständliche These trifft nicht zu.

12
Zunächst unterfallen Tätigkeiten von Angehörigen der gesundheitshandwerklichen Berufe nicht dem Anwendungsbereich der §§ 630a ff. BGB (vgl. etwa Lafontaine in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, Stand: 01.02.2020, § 630a BGB, Rdnr. 124; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, Vorb v § 630a, Rdnr. 3). Auf einen Vertrag zwischen einem Hörgeräteakustiker und einem Kunden finden die §§ 630a ff. BGB daher keine Anwendung. Daher kann der Kläger im Streitfall eine Beweiserleichterung weder aus § 630h Abs. 3 BGB noch aus § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB herleiten. Zudem traf die Beklagten auch keine Dokumentationsverpflichtung nach § 630f BGB.

13
Auch eine analoge Anwendung dieser Normen kommt nicht in Betracht. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, da sich der Gesetzgeber ganz bewusst dafür entschieden hat, mit den Sonderregeln der §§ 630a ff. BGB nur Behandlungen durch Angehörige der Heilberufe im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG sowie durch Heilpraktiker zu erfassen (s. den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.08.2012, BT-Drs. 17/10488, S. 18).

14
b. Überdies hat die Sachverständige deutlich gemacht, dass es aus fachlicher Sicht aus zwei Gründen nicht möglich ist, den von dem Kläger geklagten Hörschaden auf den Hörtest vom 6. Mai 201X zurückzuführen.

15
Zum einen lässt es sich nach den überzeugenden und auch für einen Laien gut nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen nicht feststellen, dass die Hörleistung des Klägers nach dem Hörtest vom 6. Mai 201X schlechter ist als zuvor. Die Sachverständige hat in diesem Zusammenhang erläutert, dass bei entsprechenden Hörtests Abweichungen in einer Größenordnung bis zu 10 dB dem Toleranzbereich und/oder dem Bereich der Messungenauigkeit zuzuordnen sind. Berücksichtigt man dies, so wird deutlich, dass es keine signifikanten Unterschiede im Mittel der audiometrischen Prüfungen vor und nach dem 6. Mai 201X gibt (s. S. 15 des schriftlichen Gutachtens, Bl. 298 d. A.; S. 5 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2020, Bl. 363 d. A.). Auf der Basis der im Rahmen der Vorbereitung des Gutachtens der Sachverständigen erhobenen Werte ist der Hörverlust des Klägers nunmehr sogar ein wenig geringer als am 9. Mai 201X, wobei die Sachverständige zugleich deutlich gemacht, dass man einzelne Messergebnisse nicht überinterpretieren darf, weil nicht unerhebliche Schwankungen bei diesen Werten nicht unüblich sind (s. S. 5 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2020, Bl. 363 d. A.).

16
Zum zweiten hätte sich hier – wenn der Hörtest bei dem Kläger zu einem audiologischen Schaden geführt hätte – als zentrales diagnostisches Kriterium eine sogenannte C5-Senke zeigen müssen. Dies ist jedoch beim Kläger nicht der Fall (s. S. 16 des schriftlichen Gutachtens, Bl. 300 d. A.).

17
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

18
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in den §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 713 ZPO.

19
4. Die Revision ist nicht zuzulassen.

20
Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Sie wirft keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf. Es handelt sich vielmehr um eine von den tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalls geprägte Sache.

21
Die Zulassung der Revision ist im Streitfall auch nicht zur „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Dieser Zulassungsgrund ist insbesondere dann gegeben, wenn das Berufungsgericht von einer Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, namentlich des Bundesgerichtshofes, abweicht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn das Berufungsgericht ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit dem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten Rechtssatz nicht deckt (vgl. BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZR 75/02 -, NJW 2002, 2295; Beschluss vom 27.03.2003 – V ZR 291/02 -, NJW 2003, 1943, 1945; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.10.2013 – 15 U 127/13 -, juris). Eine so verstandene Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes findet im Streitfall nicht statt.

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