Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 30. Juli 2020 – 6 U 46/18
Zur Haftung für Verletzungen bei gemeinsamem Nordic Walking
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck geändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte gegenüber der Klägerin zum Ersatz sämtlicher weiterer Schäden aus dem Schadensereignis vom 01.12.2013 zu Lasten der Versicherten der Klägerin, Frau …, geboren am …1962, verpflichtet ist, soweit diese gemäß § 116 SGB X auf die Klägerin übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 79 % und der Beklagte zu 21 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
Die Klägerin macht als Trägerin der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung einen nach § 116 SGB X übergegangenen angeblichen Schadenersatzanspruch ihrer Versicherten, der Zeugin …, geltend. Die 1962 geborene Zeugin betrieb am 01.12.2013 Nordic Walking. Der Beklagte ging neben ihr. Er trat gegen einen seiner Stöcke, der dadurch zwischen die Beine der Zeugin geriet. Sie stürzte und erlitt eine Luxation des rechten Daumengrundgelenkes mit Abriss des ulnaren Seitenbandes.
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Zum Unfallzeitpunkt war die Zeugin als Krankenschwester im M. Klinikum in K. beschäftigt. Wegen einer erheblichen Bewegungseinschränkung des rechten Daumengrundgelenkes sowie einer beginnenden Arthrose mit belastungsabhängigen Schmerzen (Bl. 29 d. A.) konnte sie nicht mehr als Krankenschwester arbeiten. Sie wurde arbeitsunfähig krankgeschrieben. Mit Schreiben vom 28.05.2015 kündigte ihr das M. Klinikum zum 31.05.2015 (Anlage BLD 1, Bl. 54 d. A.) oder 30.06.2015 (Anlage MW 5, Bl. 33 d. A.). Ihre Arbeitsunfähigkeit als Krankenschwester bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ist unstreitig. Streitig ist nur eine – von dem Beklagten behauptete – spätere Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.
3
Im April 2015 hatte sich die Zeugin erfolglos beim … um eine Übernahme in den Bürodienst beworben. Nach der Kündigung war sie bis zum 15.02.2017 arbeitslos. Seitdem hat sie eine Stelle als Arzthelferin. Vom 04.06.2015 bis zum 14.02.2017 zahlte die Klägerin an die Zeugin insgesamt 15.297,34 € (Bl. 6 d. A.). Diesen Betrag nebst Rechtshängigkeitszinsen und den Antrag auf Feststellung weiterer Schadensersatzpflicht des Beklagten macht die Klägerin im Rechtsstreit geltend. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
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Wegen des Sachverhalts und der im ersten Rechtszug zuletzt gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Der Klägerin stünde der geltend gemachte Anspruch aus auf sie übergegangenem Recht ihrer Versicherten zu. Dieser habe einen Anspruch gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB wegen fahrlässiger Körperverletzung zugestanden.
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Ein Haftungsausschluss liege nicht vor. Nordic Walking gehöre nicht zu den sogenannten gefährlichen Sportarten, bei denen in einem gewissen Umfang mit gewöhnlichen Verletzungen gerechnet werden könne. Es handele sich um ein schnelles Gehen, bei dem die dazu benutzten Stöcke jeweils hinter dem bewegten Bein gehalten würden, sodass der Gehende nicht versehentlich gegen den eigenen Stock treten könne. Der Stock befinde sich beim Nordic Walking hinter dem jeweils bewegten Bein und damit nicht „in der Schusslinie“ eines Fußes. Nur bei einem regelwidrigen Bewegungsablauf könne der Stock vor den eigenen Fuß geraten. Mit einer solchen „Regelwidrigkeit“ müsse ein anderer Nordic Walker, der nebenher laufe, nicht rechnen.
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Die Schadenshöhe sei unstreitig. Ein Mitverschulden der Versicherten liege nicht vor. Es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, gegen die Kündigung ihrer Arbeitgeberin vorzugehen. An ihren bisherigen Arbeitsplatz habe sich nicht zurückkehren können und ein neuer, leidensgerechter Arbeitsplatz habe bei ihrer Arbeitgeberin nicht zur Verfügung gestanden. Dass sie ihre Tätigkeit als Krankenschwester nicht mehr habe ausüben können, ergebe sich aus dem von dem Beklagten selbst eingeholten Gutachten vom 09.01.2015. Mit einem Erfolg der Kündigungsklage wäre der Versicherten daher wenig gedient gewesen, denn an ihren Arbeitsplatz hätte sie nicht zurückkehren können und auch ein Einkommen hätte sie – nach Ablauf von Lohnfortzahlung und Krankengeld – nicht mehr bezogen. Eine erfolgreiche Anfechtung der Kündigung hätte auch den Beklagten wirtschaftlich nicht entlastet. Der Versicherten wäre bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit nach Auslaufen des Anspruchs auf Krankengeld ein verletzungsbedingter Verdienstausfall in Höhe ihres bisherigen Gehaltes entstanden. Dieser wäre höher gewesen als die durch die Klägerin tatsächlich gezahlten Lohnersatzleistungen. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Versicherte bei ihrer bisherigen Arbeitgeberin mit Erfolg einen Anspruch auf Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz hätte geltend machen können. Es fehle an konkretem Vortrag des Beklagten dazu, dass ein solcher Arbeitsplatz vorhanden gewesen sei. Der von dem Beklagten angebotene Zeugenbeweis sei auf eine Ausforschung des Sachverhalts gerichtet gewesen. Den personalverantwortlichen Geschäftsführer des Unternehmens habe der Beklagte nicht als Zeugen benannt. Allerdings wäre selbst dann, wenn es einen solchen Arbeitsplatz gegeben haben sollte, ein Mitverschulden der Versicherten nicht gegeben. Diese habe sich auf die Richtigkeit der Auskünfte ihres bisherigen Arbeitgebers verlassen dürfen, dass ein solcher Arbeitsplatz nicht vorhanden sei. Sie sei nicht gehalten gewesen, auf eigene Kosten (§ 12a ArbGG) einen aus ihrer Sicht sinnlosen Rechtsstreit zu führen. Aus dem Umstand, dass die Versicherte sich bereits im April 2015 – vor der Kündigung durch ihren Arbeitgeber – nach einem anderen Arbeitsplatz umgesehen habe, lasse sich nicht darauf schließen, dass der Arbeitsplatzverlust unabhängig von den unfallbedingten Verletzungen eingetreten sei. Die Versicherte habe vielmehr ihrer Schadensminderungspflicht entsprochen als sie sich zu einem Zeitpunkt, zu dem ihre Arbeitsunfähigkeit festgestellt und mit einer Wiederherstellung ihres früheren Zustandes nicht zu rechnen gewesen sei, beruflich umzuorientieren versucht habe. Der Feststellungsantrag sei wegen nicht auszuschließender weiterer Verschlechterung der Verletzung – infolge des Fortschreitens der Arthrose – und daraus drohender Schäden begründet.
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Der Beklagte verfolgt mit der Berufung sein Ziel vollumfänglicher Klagabweisung weiter.
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Er hält daran fest, dass eine Haftung dem Grunde nach ausscheide, weil es sich um eine parallele Sportausübung handele. Die sozialadäquate Haftungsprivilegierung gelte auch dann, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem kein Wettbewerbsverhältnis bestünde, sich jedoch eine Gefahr verwirklicht habe, die der Sportausübung immanent sei und von jedem Teilnehmer in Kauf genommen werde. Einen solchen Fall nimmt der Beklagte auch dann an, wenn beim Nordic Walking der Stock falsch geführt werde und gegen den Fuß gerate. Der Beklagte hält weiter daran fest, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht gehalten gewesen wäre, gegen die – aus Sicht des Beklagten – formell und materiell offensichtlich unzulässige – Kündigung vorzugehen. Er verweist auf Rechtsprechung, der zufolge ein Geschädigter verpflichtet sei, sich nach dem Verlust seiner Erwerbsstelle um einen neuen Erwerbsplatz zu bemühen (OLG München, Beschluss vom 30.11.2016 – 10 U 1006/16 (NJW 2018, 866 u. a.)). Wenn ein Geschädigter schon nach dem Verlust der Erwerbsstelle gegenüber dem Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung verpflichtet sei, sich eine neue Erwerbsstelle zu suchen, so müsse erst recht gelten, dass er sich um den Erhalt einer noch vorhandenen Beschäftigung bemühen müsse, wenn diese – wie hier – mit einer offensichtlich unzulässigen Kündigung arbeitgeberseits beendet werden solle. Es habe auch keine negative Zukunftsprognose vorgelegen, was dadurch bestätigt werde, dass die Geschädigte letztlich wieder in vergleichbarer Position Arbeit gefunden habe. Keine negative Zukunftsprognose habe es auch für einen Büroarbeitsplatz gegeben, um den sich die Geschädigte selbst bemüht habe. Die Geschädigte hätte auch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz im M. Klinikum – etwa im administrativen Bereich – umgesetzt werden können. Die Kündigung sei nicht betriebsbedingt erfolgt, sondern aus anderen Gründen. Wie die Bewerbung der Geschädigten im April 2015 eindeutig zeige, sei diese selbst an der Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit interessiert und gesundheitlich in der Lage gewesen. Der Arbeitsplatzverlust sei beabsichtigt erfolgt, nicht vorfallbedingt. Als einen Beweggrund der Geschädigten benenne das Landgericht selbst, dass das Krankengeld enden würde. Die Geschädigte habe deshalb das Anstellungsverhältnis nicht mehr gewollt.
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Der Beklagte rügt, dass das Landgericht seinen Beweisangeboten zu der Möglichkeit eines leidensgerechten Arbeitsplatzes im M. Klinikum hätte nachgehen müssen. Es habe die Anforderungen an die Substantiierung seines Vortrags entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 21.10.2014 – VIII ZR 34/14 (NJW RR 2015, 910)) überspannt. Er habe beispielsweise sämtliche Ärzte als Zeugen für die Möglichkeit eines Umsetzens der Geschädigten benannt. Hätte das Landgericht darauf hingewiesen, dass der personalverantwortliche Arzt als Zeuge zu benennen sei – wozu es nach § 139 ZPO verpflichtet gewesen wäre -, so hätte er den Betreffenden benannt (Privatdozent Dr. med. …). Der Zeuge könne auch bezeugen, dass die Geschädigte als Krankenschwester oder im administrativen Bereich im M. Klinikum einsetzbar gewesen wäre. Durch Schwangerschaften, Erkrankungen, Renteneintritt oder Kündigungen würden im M. Klinikum derartige Stellen regelmäßig frei und neu besetzt. Spätestens zum 01.05.2015 hätte der Geschädigten ein administrativer Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden können. Das habe sie gewusst.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Eine Haftungsprivilegierung des Beklagten scheitere bereits an der Grundvoraussetzung, dass sie nur für eine gemeinsam ausgeübte gefährliche Sportart gelte. Die Geschädigte treffe kein Mitverschulden am Verlust des Arbeitsplatzes. Sie habe seit dem Gutachten vom 09.01.2015 gewusst, dass ihre orthopädischen Gesundheitsbeeinträchtigungen sich nicht bessern würden. Ihr Arbeitgeber habe ihr mit Schreiben vom 20.05.2015 mitgeteilt, dass ein leidensgerechter Arbeitsplatz für sie nicht zur Verfügung stünde. Davon sei sie ausgegangen. Zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage sei sie nicht verpflichtet gewesen. Der Vorwurf des Beklagten, dass die Geschädigte sich nach eingetretenem Verlust der Erwerbsstelle um einen neuen Erwerbsplatz hätte bemühen müssen, sei wenig nachvollziehbar, denn dies habe sie getan und ab dem 15.02.2017 als Arzthelferin ein neues Beschäftigungsverhältnis eingehen können. Dieser Arbeitsplatz sei leidensgerecht. Die Tätigkeit einer Arzthelferin unterscheide sich deutlich von der einer Krankenschwester. Die Klägerin teilt die Auffassung des Landgerichts, dass der Vortrag des Beklagten zu einer Umsetzung der Geschädigten auf eine leidensgerechte Arbeitsstelle im M. Klinikum zu pauschal gewesen sei, als dass Beweis darüber hätte erhoben werden dürfen. Der jetzige Beweisantritt sei verspätet.
II.
16
Die Berufung hat überwiegend Erfolg.
1.
17
Der Beklage haftet dem Grunde nach für die der Versicherten der Klägerin am 01.12.2013 beim Walken zugefügte Verletzung.
18
a) Der Haftungstatbestand des § 823 Abs. 1 BGB liegt vor. Unstreitig hat der Beklagte die Versicherte der Klägerin verletzt, indem er gegen einen seiner Walkingstöcke trat, der Stock dadurch zwischen die Beine der Versicherten der Klägerin geriet und diese so zu Fall kam. Bei dem Sturz verletzte sie sich die rechte Hand. Dieser Sachverhalt ist dem unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils zu entnehmen (UA Seite 2) und für den Senat deshalb nach § 314 ZPO bindend. Ausweislich des als Anlage MW 3 vorgelegten Gutachtens des UKSH (dort S. 3, Bl. 16 d. A.) soll der Beklagte ihn in seiner Schadensmeldung selbst so geschildert haben.
19
Nach dem allgemeinen Verschuldensmaßstab, wonach fahrlässig handelt, wer die im Verkehr gebotene Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 BGB), liegt auch haftungsbegründendes Verschulden vor. Hätte der Beklagte die Stöcke achtsam geführt, hätte er nicht gegen einen der Stöcke geraten dürfen. Im angefochtenen Urteil wird der Bewegungsablauf beim Nordic Walking anschaulich beschrieben. Danach dürfe der Stock nicht vor die Beine gesetzt, sondern müsse daneben eingesetzt werden. Diese nach Kenntnis des Senats zutreffende Beschreibung greift der Beklagte in der Berufung nicht an. Nordic Walking geht somit nicht mit einem raumgreifenden Stockeinsatz vor dem Körper einher. Gerät der Stock vor die Beine, hat der Walkende ihn nicht richtig eingesetzt. Dass der Beklagte die Kontrolle aus einem für ihn nicht absehbaren Umstand – Glätte, die ihn ins Rutschen, oder einen verborgenen Stein, der ihn ins Stolpern brachte oder dergleichen – verloren hätte, ist nicht vorgetragen.
20
b) Der Umstand, dass sich der haftungsauslösende Vorfall anlässlich einer Sportausübung ereignet hat, ändert nichts an der Haftung des Beklagten.
21
aa) Finden sich mehrere Personen zu gemeinsamer Sportausübung zusammen, geschieht dies – je nach Sportart – vielfach in dem Wissen, dass sie den anderen dabei verletzen und auch selbst verletzt werden können. Im Grundsatz besteht Einigkeit, dass die bewusste Inkaufnahme des Risikos zu einer Haftungsbegrenzung führen muss. Umstritten ist die rechtliche Begründung. Eine mutmaßliche Einwilligung in die Verletzung wird – ausgenommen allenfalls bei besonders kampfbetonten Sportarten – nach heute ganz h. M. allerdings nicht mehr angenommen (BGH NJW-RR 2006, 672, 674 Rn. 11; BGH NJW 2003, 2018, 2020; Wagner in MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 694; Schiemann in Staudinger, Bearb. 2017, § 254 Rn. 66). Es kommt aber in Betracht, die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens daran zu messen, ob sich der Schädigende an die Spielregeln gehalten hat (dafür MüKo BGB/Wagner § 823 Rn. 694; so auch BGH NJW 2010, 537, 538 Rn. 10). Der BGH und ihm folgend die wohl ganz h. M. greifen hingegen auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zurück, aus dem die Unzulässigkeit widersprüchlichen Verhaltens folgt (venire contra factum proprium). Verletzungen, die auch bei regelgerechtem Verhalten auftreten können, nimmt jeder Spielteilnehmer in Kauf Deshalb verstößt es – unabhängig davon, auf welcher Prüfungsebene die Haftung verneint wird – jedenfalls gegen das Verbot des Selbstwiderspruchs, wenn der Geschädigte den Schädiger in Anspruch nimmt, obschon ebensogut er ihn hätte verletzen können und er sich dann dagegen gewehrt hätte, Ersatz leisten zu müssen (BGH NJW-RR 2006, 672, 674 Rn. 11; BGH NJW 2003, 2018, 2019; BGHZ 63, 140, bei juris Rn. 9; Sprau in Palandt, 79. Aufl. 2020, § 823 Rn. 216; Bacher in Geigel „Der Haftpflichtprozess“, 27. Aufl. 2015, Kapitel 12 Rn. 54). Die Haftungsbegrenzung mag auch aus § 254 BGB abgeleitet werden; das Ergebnis ist nicht anders (so bei Schiemann in Staudinger, Bearb. 2017, § 254 Rnrn. 66 f).
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bb) Umstritten ist weiter, inwieweit diese Rechtsprechung auf sogenannte Individual- oder Parallelsportarten anwendbar ist. Darunter sind Sportarten zu verstehen, die nebeneinander ausgeübt werden und bei denen sich die Teilnehmer bei regelgerechter Ausübung nicht berühren (Behrens/Rühle NJW 2007, 2079).
23
Auch bei solchen Sportarten gilt ein – wie auch immer begründeter – Haftungsausschluss jedenfalls dann, wenn Wettkämpfe ausgetragen werden, bei denen auch bei Einhaltung der Wettkampfregeln oder geringfügigen Regelverletzungen mit Schäden gerechnet werden muss. Zu denken ist etwa an Auto-, Rad- und Pferderennen (MüKo BGB/Wagner § 823 Rn. 698; Geigel/Bacher Kapitel 12 Rn. 55; Behrens/Rühle NJW 2007, 2080). Auch bei gemeinsamer sportlicher Betätigung ohne Wettkampfcharakter ist ein Haftungsausschluss denkbar. Er kommt in Betracht, wenn die gemeinsame Sportausübung zu für alle erkennbare Gefahren führt, die sich auch bei regelgerechtem Verhalten nicht vermeiden lassen. So ist ein Haftungsausschluss angenommen worden, wenn sich Radfahrer zu einer Trainingsfahrt zusammenfinden und „Windschattenfahren“ üben (OLG Zweibrücken, VersR 1994, 1366) oder im Pulk fahren (OLG Stuttgart, NJW RR 2007, 1251). In diesen Fällen ist jedem Teilnehmer bewusst, dass weder er noch die anderen die von der StVO vorgeschriebenen Sicherheitsabstände zum Vorder- und Nebenmann einhalten und jeder weiß auch um das damit unweigerlich verbundene erhöhte Sturzrisiko. Ähnlich ist es beim Doppelspiel im Tennis. Jeder der Doppelpartner muss damit rechnen, dass er im hektischen Spiel mit dem anderen zusammenstößt (so OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.02.2015 – 15 U 78/04 – Rn. 36, Anlage BLD 7, Bl. 83, 86 d. A.).
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Ansonsten aber gibt es für die Annahme eines Haftungsausschlusses keinen Anlass. Verneint worden ist ein solcher für das Schlittschuhlaufen auf einer öffentlichen Eisfläche. Hier können alle Schlittschuhläufer gegenseitig erwarten, dass sie sich so verhalten, dass sie andere nicht gefährden (BGH NJW 1982, 2555). Deshalb ist das Risiko „bei einem friedlichen nebeneinander ausgeübten Individualsport wie dem Eislauf“ nicht dem einem Wettkampf innewohnenden Risiko vergleichbar (BGH a. a. O.). Den von der Berufung herangezogenen Entscheidungen (BB Seite 2 f., Bl. 204 f. d. A.) ist nicht zu entnehmen, dass in vergleichbaren Fällen bereits einmal ein Haftungsausschluss bejaht worden wäre. Sie beziehen sich entweder auf Wettkampfsituationen (BGHZ 63, 140; BGH VersR 1975, 155; OLG Düsseldorf VersR 1992, 841: Fußball) oder aber auf einen Sport, bei dem die Gefahr eines Zusammenstoßes nie auszuschließen ist (OLG Nürnberg VersR 2003, 1134: voneinander unabhängiges Befahren einer Motocrossbahn).
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cc) Auch ein Haftungsausschluss bei Ausübung einer Parallelsportart kommt im Ergebnis nicht in Betracht.
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Wären sich die Zeugin und der Beklagte nur zufällig beim Nordic Walking begegnet, wäre für die Annahme eines stillschweigenden Haftungsausschlusses von vornherein kein Raum. Der Fall wäre dem gleichzeitigen, aber voneinander unabhängigen Schlittschuhlaufen gleichzustellen. Allerdings behauptet der Beklagte, dass er und die Zeugin gemeinsam spazieren gegangen seien (Schriftsatz vom 26.06.2017, Seite 5, Bl. 50 d. A.). Diese selbst hatte bei der Unfallanamnese gegenüber dem … angegeben, „einen Stock ihres Partners zwischen die Beine bekommen“ zu haben (Gutachten UKSH S. 7, Bl. 20 d. A.). Die Klägerin bestreitet den Vortrag allerdings zulässigerweise mit Nichtwissen.
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Die Behauptung des Beklagten kann als richtig unterstellt werden. Auch auf ihrer Grundlage ließe sich ein Haftungsausschluss nicht begründen. Als die Zeugin und der Beklagte sich zum Nordic Walking verabredeten – dies einmal unterstellt -, rechnete keiner damit, dass einer den anderen bei dem gemeinsamen Spaziergang verletzen könne. Aus der zum Nordic Walking gehörenden Benutzung der Stöcke drohte eine solche Gefahr nicht. Wie im landgerichtlichen Urteil anschaulich beschrieben, werden die Stöcke beim Nordic Walking nur unterstützend zum Gehen und eng am Körper geführt eingesetzt. Es droht also keine Gefahr aus einem raumgreifenden oder kraftvollen Gebrauch der Stöcke. Die gemeinsame Sportausübung führte auch nicht durch die örtlichen Gegebenheiten zu einer erhöhten Gefahr, wie sie sich bei gemeinsamem Radfahrtraining ergeben kann. An der Unfallstelle war der Spazierweg nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Beklagten etwa 2 m breit (Schriftsatz vom 26.06.2017 S. 5, Bl. 50 d. A.). Unwegsamkeit des Geländes, rutschigen Boden oder sonstige Umstände, aufgrund derer mit einer erhöhten Stolpergefahr hätte gerechnet werden müssen, werden nicht behauptet. Dann aber konnten die Zeugin und der Beklagte nebeneinander gehen, ohne befürchten zu müssen, den anderen zu gefährden oder von ihm gefährdet zu werden. Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zu den Fällen des Radfahrens im Pulk. Dort weiß jeder Teilnehmer, dass der Sicherheitsabstand zwischen ihnen nicht gewahrt ist und auch nicht gewahrt werden kann, wenn sinnvoll „Windschattenfahren“ geübt werden soll. Jedem ist deshalb bewusst, dass er den anderen gefährdet und selbst gefährdet wird.
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Einen Haftungsausschluss vermag auch der Vortrag des Beklagten nicht zu begründen, dass Teilnehmer beim Nordic Walking nicht immer auf die Füße und den Boden schauten, sondern sich auch an der Landschaft erfreuten und sich unterhielten. Der Vortrag ist lebensnah, beschreibt aber ein Verhalten, das nicht notwendig zur Sportausübung gehört, sondern aus der Ablenkung beim Gang durch die Natur entsteht. Jeder Sportler / jede Sportlerin trägt jedoch selbst die Verantwortung dafür, inwieweit er oder sie sich von der sportlichen Betätigung ablenken lässt, und dafür, dass sich das Risiko eines Unfalls erhöht. Der Beklagte konnte also nicht damit rechnen, dass die Geschädigte ihm eine unkonzentrierte Sportausübung zubilligte und die ihr dadurch drohenden Gefahren in Kauf nahm.
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Ebenso wenig kann der Beklagte damit gehört werden, dass bei mehreren 1000 Stockeinsätzen auf einer mehrere Kilometer langen Laufstrecke kein Maßstab angelegt werden dürfe, der es in jedem Fall ausschließe, dass man mit seinem eigenen Fuß gegen den Stock gerate. Eine solche Konzentration könne niemandem abverlangt werden. Auch dieses Vorbringen ist zunächst einmal nachvollziehbar. Lebensnah ist anzunehmen, dass der Walkende im Laufe der Tour erschöpfter und unkonzentrierter wird. Auch ist es vorstellbar, dass sich der Walkende beim Nordic Walking im Winter – wie hier (01.12.2013) – nach einiger Zeit etwa seiner Handschuhe entledigen oder seine Jacke öffnen will. Eine etwaige Schwächung der Konzentration oder von der sportlichen Betätigung unabhängige Verhaltensweisen senken jedoch nicht die Anforderungen an die eigenen Sorgfaltspflichten, sondern steigern dieselben mit Blick auf die erhöhten Gefahren für die eigene Sicherheit und die anderer. Gegebenenfalls erfordert die Gefahrenlage dann, dass der Sicherheitsabstand vergrößert wird. Beeinträchtigungen bei der sportlichen Betätigung des Nordic Walking sind damit nicht verbunden. Hierin liegt wiederum der entscheidende Unterschied etwa zum Radfahren im Pulk oder einem „Doppel“ beim Tennisspielen. Bei diesen sportlichen Betätigungen ist enger Kontakt bis zum Schluss nicht zu vermeiden. Die Radfahrer müssen im Pulk bleiben, um das Windschattenfahren zu üben, und die beiden zusammenspielenden Tennisspieler müssen bis Spielende auf einer Feldhälfte agieren. Beim Nordic Walking hingegen kann derjenige, der etwa merkt, dass er unkonzentriert wird, für einen größeren Abstand sorgen, ohne dass dies der sportlichen Betätigung Abbruch täte.
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Der Fall unterscheidet sich auch von dem vom OLG Nürnberg VersR 2003, 1134 entschiedenen. Das OLG hat schon in dem voneinander unabhängigen Befahren einer Motocrossbahn außerhalb eines Wettbewerbs die Ausübung einer gefährlichen Sportart gesehen, bei der ein Haftungsausschluss anzunehmen sei. Ausschlaggebend hierfür war das dem Motocross eigene hohe Risiko. Es sei, so das OLG Nürnberg, ohne Wettkampf die Regel, dass Fahrer ihre Geschicklichkeit testeten, die größtmögliche Geschwindigkeit zu erreichen suchten und die sogenannten Tables in möglichst weitem Sprung zu überwinden suchten. Es könne dadurch leicht zu Kollisionen mit schweren Folgen kommen. Nordic Walking birgt eine solche Kollisionsgefahr nicht in sich.
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Da die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses nicht vorliegen, kommt es nicht darauf an, ob ein Haftungsausschluss außerdem daran scheiterte, dass der Beklagte offenkundig haftpflichtversichert ist. Auch dieser Umstand könnte ansonsten der Annahme eines Haftungsausschlusses entgegenstehen. Ist der Schädiger haftpflichtversichert, spricht dies in der Regel gegen eine stillschweigende Haftungsbeschränkung (BGH NJW 2008, 1591, 1592 Rn. 12; Geigel/Bacher Kap. 12 Rn. 58).
2.
32
Die Höhe des der Klägerin bislang entstandenen Schadens ist unstreitig. Sie hat in der Zeit vom 04.06.2015 bis zum 14.02.2017 Arbeitslosengeld und Sozialversicherungsbeiträge an die Zeugin … gezahlt (Klagschrift Seite 6, Bl. 6 d. A. mit Anlagen MW 6 und 7, Bl. 34 – 36 d. A.). Hinzu kommen Fahrtkosten in Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Wiedereingliederungsmaßnahme (9,60 €, Anlage MW 8, Bl. 37 d. A.). Ihre Leistungen an die Versicherte – insgesamt 15.297,34 € – kann sie von dem Beklagten erstattet verlangen, soweit die Klägerin diese zum Ausgleich solcher Schäden hat erbringen müssen, die die Versicherte durch den Unfall vom 01.12.2013 erlitten hat. Bei der Zahlung für Juni 2015 ist indes schon nicht schlüssig dargetan, dass sie Folge der angeblich unfallbedingten Kündigung vom 28.05.2015 gewesen ist (a). Wegen der weiteren Zahlungen kann sich der Beklagte auf ein der Klägerin zurechenbares, anspruchsausschließendes Mitverschulden der Zeugin … berufen. Die Zeugin hätte gegen die Kündigung vorgehen und auf der Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes bei ihrem Arbeitgeber M. Klinikum bestehen müssen (b).
33
a) Die Klägerin trägt vor, das M. Klinikum habe der Zeugin … zum 30.06.2015 gekündigt (Klagschrift S. 6, Bl. 6 d. A.). Die Klägerin zahlte der Zeugin jedoch schon für den Monat Juni Arbeitslosengeld in Höhe von 826,47 € (Anl. MW 6, Bl. 34 d. A.). Ob es dazu kam, weil der Klägerin zunächst ein anderes Kündigungsschreiben vorlegte, demzufolge der Arbeitsvertrag bereits zum 31.05.2015 endete (Anl. BLD 1, Bl. 54 d. A.), oder wie die Zahlung sonst zu erklären wäre, kann offenbleiben. Da das Arbeitsverhältnis unstreitig erst zum 30.06.2015 endete, schuldete die Klägerin jedenfalls für den Monat Juni noch keine Zahlung.
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b) Die Erstattungsfähigkeit des weiteren Betrages scheitert an dem berechtigt erhobenen Einwand anspruchsausschließenden Mitverschuldens.
35
aa) Den Geschädigten trifft ein Mitverschulden, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein verständiger Mensch im eigenen Interesse aufwendet, um sich vor einem Schaden zu bewahren (Böttger in MüKo BGB, 8. Aufl. 2019, § 254 Rn. 30; Palandt/Grüneberg § 254 Rn. 8). Die Sorgfaltsverletzung mindert seinen Schadensersatzanspruch aber nur dann, wenn sie den Schaden mitverursacht hat. Hat sich die Sorgfaltsverletzung auf den Schadensablauf nicht ausgewirkt, behält der Geschädigte seinen vollen Ersatzanspruch (MüKo BGB/Oetker § 254 Rn. 32; Palandt/Grüneberg § 254 Rn. 12).
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bb) Berücksichtigungsfähiges Mitverschulden liegt vor. Eine Kündigungsschutzklage hätte offensichtlich Erfolg gehabt, so dass die Klägerin nicht leistungspflichtig geworden wäre.
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aaa) Schon rein formal genügt das Schreiben nicht den Anforderungen an eine wirksame personenbedingte Kündigung. Es enthält nicht ansatzweise Ausführungen zum voraussichtlichen künftigen Gesundheitszustand der Gekündigten und zur Unzumutbarkeit ihrer Weiterbeschäftigung. Das Schreiben wird stattdessen als betriebsbedingte Kündigung bezeichnet. Ob es als solches den Wirksamkeitsanforderungen genügt oder nicht, kann offenbleiben, denn eine betriebsbedingte Kündigung wäre nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen. Die Klägerin haftet jedoch nur für unfallbedingte Schäden.
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bbb) Auch im Falle einer wiederholten, formal wirksamen personenbedingten Kündigung hätte eine Kündigungsschutzklage der Geschädigten Erfolg gehabt. Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass ihr ein leidensgerechter Arbeitsplatz hätte zur Verfügung gestellt werden können.
39
Das Landgericht ist zutreffend von der grundsätzlichen Darlegungslast des Schädigers für das Verschulden des Geschädigten und dessen Ursächlichkeit für die Schadensentstehung ausgegangen (MüKo/Oetker § 254 Rn. 145; Palandt/Grüneberg § 254 Rn. 72; Luckey in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 4. Aufl. 2019, § 254 Rn. 5,7). Allerdings kann der Geschädigte gehalten sein, im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflichten darzulegen, was er unternommen hat, um den Schaden gering zu halten; so etwa auch was er unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden (BGH NJW 2007, 64, 65, Rn. 8; MüKo BGB/Oetker § 254 Rn. 145; Baumgärtel u. a./Luckey § 254 Rn. 20). Eine sekundäre Darlegungslast trifft ihn, wenn der Schädiger ausreichend zum Vorwurf des Mitverschuldens vorgetragen hat. Kommt er ihr nach, bleibt die Beweislast für das Mitverschulden allerdings bei dem Schädiger (BGH NJW RR 2018, 714, 717 Rn. 29; Baumgärtel u. a./Luckey § 254 Rn. 20).
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Die Klägerin trifft eine sekundäre Darlegungslast. Der Beklagte hat ausreichend zu den Möglichkeiten eines anderweitigen leidensgerechten Arbeitsplatzes für die Zeugin … im M. Klinikum vorgetragen. Er hat dargelegt, dass es sich um einen großen Klinikbetrieb handele, der aus 19 Ärzten, 3 weiteren Therapeuten, verschiedenen Mitarbeiterinnen für OP, Pflege und Hausservice bestünde. Mindestens 25 Angestellte seien namentlich bekannt, darüber hinaus werde es mindestens weitere 40 gegeben haben (Schriftsatz vom 26.06.2017, Seite 2, Bl. 47 d. A.). Er hat seinen Vortrag durch einen Auszug offenbar aus der Homepage des M. Klinikums, aus dem sich dessen breit gefächertes Angebot ergibt, belegt (Bl. 49 d. A. i. V. m. Anlage BLD 5, Bl. 77 – 79 d. A.).
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Dem hat die Klägerin nichts von Substanz entgegengehalten. Sie hat lediglich darauf verwiesen, dass die Geschädigte nachgefragt und die mit „Bescheinigung“ überschriebene Antwort des Geschäftsführers des M. Klinikums, des auch als Zeugen benannten Priv. Doz. Dr. med. …, vom 20.05.2015 erhalten habe. Die Antwort lautet wörtlich:
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„Sehr geehrte Frau …,
wie in meinem Schreiben vom 12.05.2015 bereits angedeutet, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ich Ihnen in unserem Unternehmen keinen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen kann“.
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Das Schreiben vom 12.05.2015 ist weder aktenkundig noch ist sonst Näheres zum Inhalt vorgetragen.
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Dieser Vortrag reicht nicht aus, den aus dem substantiierten Bestreiten des Beklagten sprechenden Anschein zu erschüttern, dass sich im Betrieb des M. Klinikums mit seinem breit gefächerten medizinischen Dienstleistungsangebot ein leidensgerechter Arbeitsplatz für die Zeugin hätte finden lassen. Der klägerische Vortrag beschränkt sich auf ein allgemeines Bestreiten, das jedoch angesichts der detaillierten Darlegungen des Beklagten mit nachprüfbaren Begründungen hätte untermauert werden müssen. Sollte das Schreiben vom 12.05.2015 nähere Erläuterungen enthalten, so hätte die Klägerin diese darlegen müssen.
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Nach Aktenlage hat der Senat deshalb davon auszugehen, dass der Zeugin von Seiten des M. Klinikums keinerlei weitere Begründung zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung gegeben worden ist. Kein Arbeitnehmer, dem am Erhalt seines Arbeitsplatzes gelegen ist, hätte sich damit zufrieden gegeben.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Zeugin mithin durchaus eine fahrlässige Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten anzulasten. Die Klägerin meint, daran fehle es, weil die Geschädigte nicht einfach hingenommen habe, dass sie ihren Arbeitsplatz aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr ausüben könne, sondern sich gezielt bei ihrem Arbeitgeber nach der Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz erkundigt habe. Sie habe auf die Richtigkeit der Angabe, dass dies nicht möglich sei, vertraut; das könne ihr nicht vorgeworfen werden. Ein solcher Vorwurf wäre indes, sollte sich die Zeugin tatsächlich schlicht mit der Auskunft zufrieden gegeben haben, durchaus gerechtfertigt. Der Zeugin waren die Größe und Vielfältigkeit des Betriebs bekannt. Die Notwendigkeit einer erläuternden Auskunft ihres Arbeitgebers und die Erfolgsaussicht einer Kündigungsschutzklage gegen die lapidare „betriebsbedingte“ Kündigung hätten sich ihr aufdrängen müssen.
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Im Übrigen dürfen die Anforderungen an die Erfüllung der sekundären Darlegungslast hier auch deshalb nicht zu gering angesetzt werden, weil ein gewisser Anschein dafür spricht, dass sich die Zeugin und ihr Arbeitgeber einvernehmlich auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses geeinigt haben. Nicht nur die Bezeichnung der Kündigung als angeblich betriebsbedingt spricht dafür. Vor Allem hatte sich die Zeugin bereits im April 2015 – also noch vor dem angeblichen Schreiben vom 12.05.2015 – bei dem … offenkundig ernsthaft um eine Stelle im Bürodienst beworben (Klagerwiderung S. 3, Bl. 48 d. A., UA S. 3). Offenbar wollte die Geschädigte den Arbeitgeber wechseln. Auf eine abgesprochene Kündigung deutet es auch, dass das Kündigungsschreiben in zwei Versionen existiert, die beide unter demselben Datum von demselben Vertreter des M. Klinikums – Priv. Doz. Dr. med. … – ausgestellt worden sind. Die eine Version sieht eine Kündigung zum 30.05.2015 (BLD 1, Bl. 54 d. A.), die andere zum 30.6.2015 (MW 5, Bl. 33 d. A.) vor. Dass ein am Erhalt seines Arbeitsplatzes interessierter Arbeitnehmer nicht nur das Fehlen einer näheren Begründung für die Kündigung, sondern auch noch die Widersprüchlichkeit der Schreiben hinnimmt, ohne auf den Gedanken zu verfallen, dass eine solche Kündigung angreifbar sein könnte, ist lebensfremd.
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Die Klägerin kann nicht darauf verweisen, dass der Beklagte den in dem Schreiben des M. Klinikums vom 20.05.2015 als verantwortlichen Geschäftsführer handelnden Priv. Doz. Dr. med. … gegenbeweislich als Zeugen hätte benennen können, den sie unter Protest gegen die Beweislast nun ihrerseits als Zeugen benenne (Schriftsatz vom 26.02.2020 S. 2, Bl. 232 d. A.). Die sekundäre Darlegungslast findet ihre Grundlage nicht in einer Beweisnot des Gegners, ebenso wenig wie sie zu einer Umkehr der Beweislast führt. Es geht vielmehr darum, dass ein Geschädigter insoweit, als es um Umstände aus seiner Sphäre geht, an der Sachaufklärung mitwirken und erforderlichenfalls darlegen muss, was er zur Schadensminderung unternommen hat (BGH NJW 2007, 64, 65). Daran fehlt es auf Seiten der Klägerin. Ihr fehlender Vortrag kann nicht durch die Bezugnahme auf das Zeugnis Priv. Doz. Dr. med. … ersetzt werden. Es fehlt nicht am Beweisantritt der – nicht beweisbelasteten – Klägerin, sondern an Vortrag, der als beachtliches Bestreiten des Beklagtenvortrags gelten könnte. Erst, wenn – auch unter Berücksichtigung einer bestehenden sekundären Darlegungslast – ein Sachverhalt streitig ist, kommt es auf das Vorliegen von Beweisangeboten an (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 42).
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Zu kurz greift der Einwand der Klägerin, dass ein Erfolg der Kündigungsschutzklage den Schaden deshalb nicht verhindert hätte, weil eine Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz nach Auskunft Priv. Doz. Dr. med. … nicht möglich gewesen wäre (Schriftsatz vom 16.07.2020 S. 2, Bl. 242 d. A.). Der Einwand verkennt, dass mangels erheblichen Bestreitens von der Richtigkeit des Beklagtenvortrags und damit gerade davon ausgegangen werden muss, dass ein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden hätte. Deshalb kann die Klägerin auch nicht mit dem schon in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgebrachten Einwand gehört werden, dass sie trotz der Kündigungsschutzklage weiter leistungspflichtig gewesen wäre. Dies wäre im Falle eines Klageerfolgs eben nicht der Fall gewesen, weil eine unwirksame Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hätte. Hätte die Klägerin während des Klageverfahrens weiter Leistungen an die Zeugin erbracht, hätte sie sie zurückfordern können.
3.
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Auch wenn damit kein Anspruch wegen der bereits entstandenen Schäden besteht, hat die Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht für etwaige weitere unfallbedingte Schäden Erfolg. Grundsätzlich ist der Beklagte schadensersatzpflichtig (s. o. Ziff. 1). Künftige Schäden sind nicht ausgeschlossen. Es ist noch nicht absehbar, dass auch ihre Erstattung am Einwand des Mitverschuldens scheitern könnte.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.