Zur Haftung des Grundstückseigentümers bei Baumsturz

OLG Hamm, Urteil vom 15.04.2010 – 6 U 160/09, I-6 U 160/09

Dem Eigentümer eines Baumes ist bei dessen Sturz aufgrund von Wurzelfäule und einem dadurch verursachten Schadensereignis keine Verletzung seiner Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen. sofern die Erkrankung des Baums trotz erfolgter regelmäßiger Kontrollen mangels entsprechender Krankheitszeichen nicht erkennbar war.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 06. Juli 2009 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

I.
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Die Klägerin befuhr mit dem Pkw ihres Vaters am 15.03.1986 die Anliegerstraße I-Straße in N2. Auf das Fahrzeug stürzte eine Birke, die seitlich der Straße in einem Wald stand, wobei die Klägerin schwerste Verletzungen erlitt. Das Waldgrundstück steht im Eigentum der Beklagten zu 1. Diese hatte die Verkehrssicherungspflicht für das Grundstück im Rahmen eines Vertrages über die Forstbewirtschaftung aus Mai 1994 auf die Beklagte zu 2. übertragen. Der Beklagte zu 3. ist bei der Beklagten zu 2. als Baumkontrolleur angestellt und hatte zuletzt am 01.03.2006 das Waldgebiet in Augenschein genommen. Ursache des Baumsturzes war, dass die Birke aufgrund von Wurzelfäule nahezu über kein Wurzelwerk mehr verfügte und ihr damit der erforderliche Halt im Waldboden fehlte.
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Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien in erster Instanz einschließlich ihrer Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 353 ff. GA) verwiesen.
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Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der sachverständigen Zeugen C und N; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.07.2009, Bl. 344 ff. GA, Bezug genommen. Es hat sodann die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass die für die Birke bestehende Verkehrssicherungspflicht verletzt worden sei. Beide Zeugen hätten übereinstimmend festgestellt, dass die Wurzelfäule und damit verbunden das Fehlen ausreichenden Wurzelwerkes für den Beklagten zu 3. nicht erkennbar gewesen seien. Der Beklagte zu 3. habe auch keinen Anlass gehabt, die Birke näher zu untersuchen. Soweit die Birke am 07.10.2006 eine relativ spärliche Belaubung der Krone aufgewiesen habe und Totholz vorhanden gewesen sei, wobei der Umfang des Totholzes nicht habe festgestellt werden können, beginne der Laubverlust der Birke zum einen bereits Ende August/Anfang September. Zum anderen habe die Birke im Verbund mit weiteren Bäumen, u.a. Birken, gestanden. Die Krone der Birke habe erst mehrere Meter oberhalb des Erdbodens begonnen und sei in das Laubwerk der umgebenden Bäume eingebunden gewesen. Unter Berücksichtigung des weiteren Waldbestandes hätten für den Beklagten zu 3. keine Anhaltspunkte vorgelegen, die eine nähere Kontrolle des Baumes erforderlich machten. Dies gelte auch für die Kontrolle im unbelaubten Zustand des Baumes; auch dann hätte das Astwerk der Birke in einem einheitlichen Verbund mit den weiteren Bäumen gestanden. Eine zweite Kontrolle bis zum 07.10.2006 sei schließlich noch nicht zwingend erforderlich gewesen.
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Gegen das Urteil richtet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie trägt vor:
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Das Landgericht hätte dem Antrag auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens nachkommen müssen, da die von den Parteien beauftragten Sachverständigen unterschiedliche Angaben zu der Frage, ob der Sturz des Baumes vorhersehbar gewesen sei, gemacht hätten. Die Beklagte zu 2. sei zudem verpflichtet gewesen, eine Sichtprüfung zweimal jährlich vorzunehmen, und zwar einmal in unbelaubtem und einmal in belaubtem Zustand. Da eine Baumkontrolle letztmalig am 01.03.2006 in unbelaubtem Zustand stattgefunden habe, hätte die nächste Kontrolle in belaubtem Zustand spätestens bis Ende August erfolgen müssen. Wäre dies geschehen, wäre einem sorgfältigen Baumkontrolleur der marode Zustand der Birke nicht verborgen geblieben. Die Auffassung des Landgerichts, eine Kontrolle vor dem Schadensfall sei nicht durchzuführen gewesen, sei nicht haltbar. Aber auch schon am 01.03.2006 hätte angesichts des vorhandenen Totholzes im Baum die Birke näher untersucht werden müssen. Die Kontrolle vom 01.03.2006 sei insoweit nicht hinreichend gewesen.
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Die Klägerin beantragt unter Abänderung des Urteils des Landgerichts vom 06.07.2009,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.08.2007 zu zahlen, das jedoch einen Betrag von 80.000,- € nicht unterschreiten solle;
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2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 07.10.2006 auf der Straße I-Straße in N2 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen;
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3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 5.675,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz von 5.225,92 € seit Klagezustellung und von 450,- € seit Zustellung des Schriftsatzes vom 12.03.2009 zu zahlen;
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4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 6.114,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.08.2007 zu zahlen;
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5. die Beklagte zu 1. zu verurteilen, an sie vorgerichtlich entstandene Kosten in Höhe von 2.245,89 € nebst 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;
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6. hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des Urteils vom 07.07.2009 an das Landgericht Bochum zurückzuverweisen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und tragen vertiefend vor:
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Die Birke habe sich im Waldsaum eines zudem sehr dichten Waldbestandes befunden. Es habe sich bei der Unfallstelle ferner um eine wenig befahrene Anliegerstraße gehandelt. An die Kontrollen derartiger Bäume seien geringere Anforderungen zu stellen als an Kontrollen bei Bäumen, die eine stark und hochfrequentierte Straße säumten. Vorliegend sei daher eine Kontrolle im Abstand von 9 bis 12 Monaten ausreichend gewesen. Selbst bei einer weiteren Kontrolle bis August 2006 wäre einem sorgfältigen Baumkontrolleur der marode Zustand des Baumes aber nicht aufgefallen. Die Krone der Birke sei durch die daneben befindlichen Kiefern verdeckt gewesen. Dementsprechend sei auch die Entwicklung der Birke nicht optimal gewesen; die streitgegenständliche Birke habe zu den anderen Birken keine Besonderheiten aufgewiesen.
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Gleichfalls sei der Zustand des Baumes nicht am 01.03.2006 erkennbar gewesen. Soweit der Baum Totholz aufgewiesen habe, handele es sich ab einem bestimmten Baumalter nicht um eine Besonderheit, die Anlass zu eingehenden Untersuchungen gebe. Eine endgültige Klärung der Frage, wie hoch der tatsächliche Totholzanteil gewesen sei und welche Belaubung die Birke noch aufgewiesen habe, sei auch nicht mehr möglich. Dies gelte erst Recht unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Laubfall im Unfallzeitpunkt bereits eingesetzt habe und Vitalitätsmängel vorgelegen hätten, die aber allein noch nicht auf eine Gefährdung der Standsicherheit hingewiesen hätten. Der vom sachverständigen Zeugen N entdeckte Birkenporling sei von einem Baumkontrolleur nicht ohne weiteres zu erkennen gewesen, da die Birkenäste durch übergreifende Äste und Zweige teilweise verdeckt gewesen seien.
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Wegen des weitergehenden Sachvortrags der Parteien wird auf ihre wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen W. Wegen des Inhaltes des mündlich erstatteten Gutachtens wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 15.04.2010, Bl. 431 ff. GA, Bezug genommen.

II.
21

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten zu 1. bis 3. aus §§ 823, 831, 249 BGB zu, wobei dahin gestellt bleiben kann, ob eine Haftung der Beklagten zu 1. und 3. dem Grunde nach überhaupt in Betracht kommt. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hat die Klägerin jedenfalls nicht bewiesen.
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Dass die Birke keine äußerlich sichtbaren Faulstellen aufgewiesen und sich das von Fäulnis befallene Wurzelwerk erst nach dem Umsturz in seinem ganzen Ausmaß offenbart hat, war in erster Instanz unstreitig; die entsprechende Feststellung des Landgerichts ist von der Klägerin mit der Berufung nicht angegriffen worden. Auch der Sachverständige W hat im Übrigen wie die sachverständigen Zeugen N und C bestätigt, dass die eigentliche Umsturzursache eine Wurzelfäule gewesen sei, die im Rahmen einer Sichtkontrolle äußerlich – ob in unbelaubtem oder belaubtem Zustand des Baumes – aufgrund des Bodenbewuchses, u.a. Brombeersträucher, nicht habe erkannt werden können.
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Nach den Darlegungen des Sachverständigen W, denen sich der Senat anschließt, lagen ebenfalls keine Defektsymptome vor, die zu einer näheren Untersuchung des Baumes Anlass hätten geben müssen, und zwar weder im März noch im Oktober 2006. Der Sachverständige hat insoweit nachvollziehbar und überzeugend erklärt, dass die nach dem Schadensfall gefertigten Lichtbilder zwar ein schlechtes Kronenbild – vergleichbar mit dem Kronenbild auf Foto 10 seiner Anlage – zeigten. Die geringere Belaubung der Krone und der Totholzanteil konnten nach den Ausführungen des Sachverständigen aber ohne weiteres auch darauf zurückgeführt werden, dass es sich bei der Birke um einen im Waldverbund stehenden Baum gehandelt hat. Bäume im Waldverbund – so der Sachverständige – würden dicht bepflanzt, damit der Stamm kein Sonnenlicht bekomme und keine Äste entwickele. Jeder Ast, der nicht wachse, bilde Totholz. Der Totholzanteil sei bei Waldbäumen daher immer höher als bei freistehenden Straßenbäumen; er weise ebenso wenig wie eine geringere Belaubung auf eine Erkrankung des Baumes – stehe dieser im Wald – hin. Der Sachverständige hat weiter bekundet, dass der Umfang des Totholzes allein anhand der Lichtbilder zudem nicht bestimmt werden könne; ob der Totholzanteil überhaupt auffällig gewesen sei oder nicht, ließe sich letztlich nicht mehr feststellen. Dass Zuwachsstreifen am Baum gefehlt hätten, sei – so die Angabe des Sachverständigen – ebenfalls normal gewesen und habe keinen Grund zu einer weiteren Untersuchung gegeben.
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Darüber hinaus hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass Auffälligkeiten im Kronenbild sowie Totholzanteile bei Bäumen, die sich im Wald oder am Waldsaum befänden, schwerer festzustellen seien als bei einem freistehenden Baum. Bei Straßenbäumen ergebe sich ein relativ freier Blick gegen den Himmel, während bei Waldbäumen überlagernde Äste sowie die Dunkelheit im Wald die Kontrolle erschwerten; im Juli und August komme die Belaubung der übrigen Waldbäume hinzu. Soweit das Kronenbild der Birke auffällig gewesen sei, habe es im Verbund der Bäume – so der Sachverständige – daher auch nicht ohne weiteres erkannt werden können.
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Soweit der Zeuge N bei der Begutachtung des umgestürzten Baumes schließlich einen Birkenporling an einem Ast der Krone entdeckt hat, ist von der Klägerin schon nicht hinreichend vorgetragen worden, dass dieser einzelne Pilz bei einer ordnungsgemäßen Kontrolle des Baumes hätte entdeckt werden können und müssen.
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In Übereinstimmung mit den Angaben der sachverständigen Zeugin C hat der Sachverständige W insgesamt nachvollziehbar erläutert, dass keine Anzeichen vorhanden waren, die auf eine Erkrankung des Baumes schließen ließen. Insbesondere das Kronenbild, etwaiges Totholz oder fehlende Zuwachsstreifen hatten nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen im vorliegenden Fall eine nähere Begutachtung der Birke nicht geboten. Diese Auffälligkeiten konnten – anders als bei einem freistehenden Straßenbaum – gerade auf die vorgefundenen Bedingungen im Wald, u.a. dem dichten Baumbestand, zurückgeführt werden.
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Soweit zwischen den Parteien streitig ist, in welchen Abständen der Waldbestand hätte kontrolliert werden müssen, hat der Sachverständige W ausgeführt, dass eine zweimalige Baumkontrolle im Jahr nur bei Straßenbäumen erforderlich sei, weil diese Bäume höheren Belastungen (u.a. Straßenbau, parkenden Fahrzeugen, Emissionen) ausgesetzt seien. Für Bäume im Waldbestand erachtete der Sachverständige eine einmalige Kontrolle im Jahr für ausreichend. Letztlich kommt es auf diese Frage nicht an, da – wie dargelegt – auch bei einer Kontrolle der Birke im belaubten Zustand keine Defekte festgestellt worden wären, die eine weitere Untersuchung des Baumes erfordert hätten.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind solche des Einzelfalls oder höchstrichterlich bereits geklärt.

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