Zu irreführenden Angaben über die Wirksamkeit eines Mittels zur Kopflausbekämpfung

OLG Frankfurt, Urteil vom 28. November 2019 – 6 U 200/18

Die auf der Packung eines Mittels zur Kopflausbekämpfung blickfangartig hervorgehobene Angabe, dass eine Anwendung des Mittels genüge, ist irreführend, wenn – auch nach dem Ergebnis einer entsprechenden Studie – die Möglichkeit besteht, dass bei der ersten Anwendung Läuse oder Nissen übersehen worden sein könnten und daher nach einer Woche eine Kontrolle und gegebenenfalls eine weitere Anwendung empfehlenswert ist. Dies gilt auch dann, wenn diese Empfehlung auf der Seitenlasche der Packung in kleingedruckter Form gegeben wird.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Beklagte gegen das am 8.11.2018 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt a. M. wird auf Kosten der Beklagte zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 70.000,- abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe
I.

1
Die Beklagte stellt her und vertreibt unter Bezeichnung „A“ sowie „A1“ Mittel zur Bekämpfung von Kopfläusen mit einem Wirkstoff, der – anders als andere Mittel – nicht nur die Läuse, sondern auch die Nissen abtötet. Auf der Vorderseite der Verpackungen wirbt sie mit den Angaben „Benötigt nur eine 15-minütige Anwendung“ sowie „1 x Anwendung genügt“. Auf den Seitenlaschen der Verpackung wird darauf hingewiesen, dass eine Woche nach der Anwendung eine Nachuntersuchung durchgeführt werden sollte, um sicherzustellen, dass keine Läuse oder Nissen übersehen worden sind. Sollten lebende Läuse entdeckt werden, könne die Behandlung nochmals durchgeführt werden. Der klagende Wettbewerbsverband hält die Angaben auf der Verpackung für irreführend. Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, mit dem das Landgericht die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten verurteilt hat, Bezug genommen (§ 540 I, 1 ZPO).

2
Im Berufungsverfahren wiederholen und vertiefen beide Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen; wegen der Einzelheiten wird auf die nachfolgenden Ausführungen unter II. sowie die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

3
Die Beklagte beantragt,

4
unter Abänderung des angefochtenen Urteil die Klage abzuweisen.

5
Weiter stellt die Beklagte Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO, weil ein Rückruf der betroffenen Produkte einen großen Imageschaden für die Beklagte darstellen würde.

6
Der Kläger beantragt,

7
die Berufung zurückzuweisen.

8
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

II.

9
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

10
Wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, steht der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 3a, 8 III Nr. 2 UWG i.V.m. 3 I HWG zu.

a)

11
Das heilmittelrechtliche Irreführungsverbot (§ 3 I HWG), das als Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG einzustufen ist, ist anwendbar, weil es sich bei dem Mittel der Beklagten um ein Medizinprodukt handelt.

b)

12
Die angegriffenen, auf der Produktverpackung hervorgehobenen Aussagen

13
„Benötigt nur eine 15-minütige Anwendung“
„1 x Anwendung genügt“

14
erwecken beim angesprochenen Verkehr – zumal in Verbindung mit dem Bestandteil „…“ der Produktbezeichnung – die Vorstellung, mit nur einer Anwendung könne der Lausbefall zuverlässig bekämpft werden. Der angesprochene Verkehr rechnet bei diesen Aussagen, mit denen die einmalige Anwendung als Vorteil herausgestellt wird, insbesondere nicht damit, dass nach der ersten Anwendung eine Kontrolle und gegebenenfalls eine weitere Anwendung erforderlich sein könnten.

15
Die Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang zwar darauf, dem angesprochenen Verkehr sei bekannt, dass die meisten Lausbekämpfungsmittel schon mangels ihrer oviziden Wirkung zweimal angewendet werden müssen, um bei der zweiten Anwendung die nach der ersten Anwendung geschlüpften Läuse abzutöten; die Erwähnung der einmaligen Anwendung von „C“ werde daher nur als zutreffender Hinweis darauf verstanden, dass dieses Mittel bereits bei der ersten Anwendung die Nissen abtöte. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Beklagte richtet sich mit ihrem Produkt auch an eine nicht unerhebliche Zahl von Erstanwendern, deren Verständnis bei der Beurteilung nicht vernachlässigt werden kann. Diesen Erstanwendern sind die dargestellten Zusammenhänge jedoch gerade nicht geläufig. Sie werden die Aussagen daher nicht in der von der Beklagten dargestellten Weise relativieren, sondern orientiert am Wortsinn davon ausgehen, dass bereits eine Anwendung genüge, um die gewünschte Wirkung zuverlässig zu erzielen.

c)

16
Die demnach mit den angegriffenen Aussagen hervorgerufene Vorstellung ist unzutreffend, weil mit nur einer Anwendung des in Rede stehenden Mittels der Lausbefall tatsächlich nicht zuverlässig bekämpft werden kann.

17
Die Unrichtigkeit der Aussage wird schon dadurch indiziert, dass es auf der Seitenlasche der Packung heißt, nach einer Woche solle eine Nachuntersuchung durchgeführt werden, um „sicherzustellen, dass keine Läuse oder Nissen übersehen wurden“. Auf diese Nachuntersuchung könnte verzichtet werden, wenn bereits die einmalige Anwendung zuverlässig wirksam wäre.

18
Auch aus der von der Beklagten in Bezug genommenen zweiten Studie von D aus dem Jahr 2013 (Bl. 63 ff. d.A.) ergibt sich, dass die einmalige Anwendung für eine zuverlässige Beseitigung der Läuse und Nissen nicht ausreicht. Denn nach dem Ergebnis dieser Studie waren 14 Tage nach der ersten Anwendung lediglich 77,1 % der Probanden läusefrei, so dass eine erneute Anwendung erforderlich war.

19
Zwar hat sich die Beklagte bereits in erster Instanz darauf berufen, dieses Ergebnis habe nichts mit der eigentlichen Wirksamkeit des Mittels zu tun, sondern sei – wie die Verfasser der Studie selbst erklärt hätten – auf Anwendungsfehler zurückzuführen (vgl. die Feststellungen zum Beklagtenvorbringen im Tatbestand des angefochtenen Urteils, S. 8, 4. Absatz; Bl. 217 d.A.). Dieser Einwand greift jedoch nicht durch. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob überhaupt noch von einem Anwendungsfehler gesprochen werden kann, wenn es selbst im Rahmen einer kontrollierten Studie einem nicht unerheblichen Teil der Probanden nicht gelungen ist, das Mittel in einer Weise aufzubringen, die eine Wirkung bei nur einer Anwendung garantiert. Es dürfte sich vielmehr um ein dem Produkt innewohnendes Risiko der nicht zuverlässigen Wirkung bei nur einer Anwendung handeln. Diese Bewertungsfrage kann jedoch dahinstehen, weil der angesprochene Verkehr jedenfalls nicht damit rechnet, dass die versprochene Wirkung bei nur einer Anwendung unter dem Vorbehalt einer besonders sorgfältigen Anwendung steht, welche selbst im Rahmen einer Studie bei einem beträchtlichen Teil der Fälle misslungen ist.

20
Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte in der Berufung weiter darauf, dass das genannte Ergebnis nach Auffassung der Studienautoren nicht nur durch Anwendungsfehler, sondern auch andere Unwägbarkeiten, insbesondere einen Neubefall, verursacht worden sein könne (Berufungsbegründung vom 14.2.2019, Seite 13, Bl. 273 d.A.; Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 25.10.2019, Seite 5, Bl. 298 d.A.). An der von der Beklagten insoweit in Bezug genommenen Stelle der Studie (Anlage K 6, Seite 6, linke Spalte, Bl. 68 d.A.) wird die Möglichkeit eines zwischenzeitlichen Neubefalls lediglich in allgemeiner Form angesprochen, ohne dass konkrete Aussagen darüber getroffen werden, in welchem Umfang es bei den Probanden zu einem solchen Neubefall gekommen ist. Unter diesen Umständen muss davon ausgegangen werden, dass die geringe Erfolgsquote von 77,1 % zumindest zu einem erheblichen Teil auf Anwendungsfehlern beruht, die aus den oben bereits genannten Gründen bei der rechtlichen Beurteilung jedoch keine Berücksichtigung finden können.

d)

21
Die hervorgerufene Fehlvorstellung, die das beworbene Produkt besonders vorteilhaft erscheinen lässt, führt auch zu einer relevanten Irreführung, weil sie geeignet ist, den Verbraucher zur einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Dieses Relevanzkriterium, das für den allgemeinen Irreführungstatbestand nunmehr in § 5 I 1 UWG geregelt ist, gilt in gleicher Weise für den heilmittelrechtlichen Irreführungstatbestand des § 3 I HWG, weil nach dessen sekundärem Normzweck die Abnehmer auch vor eine wirtschaftlichen Übervorteilung geschützt werden sollen (vgl. Doepner/Heese, HWG, 3. Aufl., Rdz 24, 185 zu § 3).

22
Der Relevanz der Irreführung steht nicht entgegen, dass sich auf der Seitenlasche der Packung der bereits unter b) erwähnte Hinweis auf die erforderliche Nachuntersuchung nach einer Woche befindet. Es ist nämlich nicht sichergestellt, dass der Verbraucher, der den streitgegenständlichen, blickfangartig herausgestellten Aussagen ein verlässliche Wirksamkeit bei einmaliger Anwendung entnommen hat, diese „relativierenden“ Hinweise im Fließtext auf der Seitenlaschen vor dem Kauf überhaupt zur Kenntnis nimmt. Die Hinweise sind daher nicht geeignet, den irreführenden Gehalt der angegriffenen Aussagen vor der Kaufentscheidung zu beseitigen.

2.

23
Der zuerkannte Kostenerstattungsanspruch ergibt sich aus § 12 I 2 UWG.

3.

24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Vollstreckungsschutzantrag der Beklagten nach § 712 ZPO hat keinen Erfolg; der von der Beklagten befürchtete Imageschaden ist kein nicht zu ersetzender Nachteil, der über die Folgen hinausgeht, die in Wettbewerbssachen mit einer Unterlassungsvollstreckung im Allgemeinen verbunden sind.

25
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 II ZPO) sind nicht erfüllt.

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