AG Hamburg-Wandsbek, Urteil vom 23. Februar 2016 – 715 C 449/14
Zur Haftungsverteilung bei Kfz-Unfall bei Öffnen der Fahrzeugtür in den fließenden Verkehr hinein
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht mit der Klage Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 05.09.2013 gegen 13:30 Uhr in der Wandsbeker Chaussee ereignete.
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Die Klägerin hatte ihre Pkw Mercedes Benz mit dem amtlichen Kennzeichen zum Unfallzeitpunkt in Höhe des Hauses in dem parallel zur Fahrbahn belegenen Parkstreifen in einer Parklücke in Fahrtrichtung eingeparkt.
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Sie öffnete zum Zweck des Aussteigens die Fahrertür.
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Es kam zu einer Kollision mit dem auf der rechten Fahrspur vorbeifahrenden vom Beklagten zu 1) geführten und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Lkw Daimler mit dem amtlichen Kennzeichen. Dabei stieß die Seitenstütze aus Metall des LKW gegen die Kante der Fahrertür des Pkw, die gestaucht wurde.
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Die Klägerin verlangt Zahlung der durch Schadensgutachten kalkulierten Reparaturkosten, Ersatz einer Unkostenpauschale und Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten.
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Die Klägerin behauptet, sie habe die Fahrertür nur wenige Zentimeter geöffnet. Die seitliche Metallstütze des Lkw sei nicht ganz eingefahren gewesen. Außerdem habe der Beklagte zu 1) nicht den erforderlichen Seitenabstand eingehalten.
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Die Klägerin beantragt nach Klagerücknahme in Höhe von € 5,00,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie € 4.994,11 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.10.2013 zu zahlen sowie die Klägerin von einer Forderung ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe von € 285,17 aus der Angelegenheit des Verkehrsunfalls vom 05.09.2013 zuzüglich Zinsen ab Rechtshängigkeit freizuhalten.
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die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie machen geltend, die Klägerin habe während des Vorbeifahrens des Lkw die Tür geöffnet und dadurch den Schaden selbst verursacht. Die seitlichen Metallstützen des Lkw seien ordnungsgemäß befestigt gewesen und hätten nicht in den Verkehr geragt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin M. S. sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens.
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Ferner wurden die Klägerin und der Beklagte zu 1) persönlich angehört.
15
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 31.03.2015 und auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Phys. M. W. vom 09.12.2015 Bezug genommen.
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Ferner hat das Gericht die Bußgeldakte, polizeiliches Aktenzeichen: 031/5V/612453/2013 beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin kann keinen Schadensersatz von den Beklagten verlangen.
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Die Haftung der Beklagten nach §§ 7, 17, 18 StVG, 115 VVG, 823, 249 BGB ist zwar nicht nach § 7 ausgeschlossen.
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Es kann nicht festgestellt werden, dass der Unfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar im Sinne des § 17 III STVG oder ein Verschulden des Fahrzeugführers gemäß § 18 III STVG ausgeschlossen ist.
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Durch die Beweisaufnahme konnte nicht aufgeklärt werden, ob die Fahrzeugtür des Pkw bereits eine Zeitlang vor der Vorbeifahrt des Lkw offen stand oder die Klägerin sie erst während des Vorbeifahrens geöffnet hat. Es ist nicht auszuschließen, dass die Fahrzeugtür schon offen stand und es dem Beklagten zu 1) möglich gewesen wäre, rechtzeitig nach links auszuweichen.
22
Die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile nach §§ 17 I, 18 III StVG führt jedoch zu einer vollen Haftung der Klägerin für den Unfallschaden.
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Der Klägerin ist ein Verstoß gegen § 14 I StVO anzulasten, wonach derjenige, der ein- oder aussteigt, sich so verhalten muss, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
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Hierfür spricht der Beweis des ersten Anscheins.
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Auch nach den Angaben der Klägerin in ihrer Anhörung ist davon auszugehen, dass der Anstoß im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Türöffnen stand.
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Sie hat zwar angegeben, dass zwischen dem Türöffnen und dem Anstoß ein Zeitraum von 2-3 Minuten gelegen habe. Dies ist jedoch angesichts ihrer übrigen Bekundungen nicht plausibel. Sie hat bekundet, sie habe den LKW gesehen als sie die Tür geöffnet habe. Vor dem Lkw seien keine anderen Fahrzeuge an ihr vorbeigefahren. Sie habe auf das Vorbeifahren des LKW gewartet, um dann in Ruhe aussteigen zu können. Die Zeugin M. S. hat zum Zeitpunkt des Türöffnens keine genauen Angaben machen können.
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Danach ist ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Türöffnen und Unfall anzunehmen.
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Dies begründet einen Beweis des ersten Anscheins für einen Verstoß gegen § 14 I StVG.
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Der Ein- bzw. Aussteigende muss aber dabei das Vorrecht des fließenden Verkehrs beachten. Er darf die Wagentür nur öffnen, wenn er sicher sein kann, dass er insbesondere keinen von rückwärts Kommenden gefährdet.
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Gegen diese Regel hat die Klägerin verstoßen. Sie hat die Tür nicht nur einen Spalt bzw. 5- 10 cm geöffnet, sondern ca. 48 cm, sodass die Tür in die Fahrbahn hineinragte. Dies steht aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens fest.
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Der Sachverständige Dipl.-Phys. M. W. hat unter Auswertung der ihm von der Klägerin zur Verfügung gestellten noch am Unfallort aufgenommenen Fotos von der Unfallendstellung, der Fotos aus dem Schadensgutachten und der Inaugenscheinnahme des Lkw die Anstoßkonfiguration rekonstruiert. Er hat die Kontaktzonen an den Fahrzeugen festgestellt, insbesondere bei dem Lkw Lackabriebspuren im unteren Bereich der rechten vorderen Seitenstütze und eine Verformung des Griffs der Stütze in Längsrichtung nach hinten.
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Er hat die Kontaktprofile festgestellt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass bei einer Türöffnungsweiter von 15 cm des Pkw es zu keinem Kontakt mit dem Griff der Stütze kommt. Erst bei einer Türöffnungsweite von ca. 28 cm treffen sowohl der Griff als auch die Stütze selbst die Kontaktzonen an der Außenkante der Fahrertür des Pkw der Klägerin.
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Bei einer Türöffnungsweite von 10 bis 15 cm hätten die dokumentierten Beschädigungen an dem Fahrzeug der Klägerin nicht erzeugt werden können.
34
Bei einer Öffnung der Fahrertür um ca. 48 cm sind die Fahrzeugbeschädigungen nach den Feststellungen des Sachverständigen erklärbar.
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Die Fahrertür habe daher beim Anstoß rund 20 cm in den rechten Richtungsfahrstreifen der Wandsbeker Chaussee, richtigerweise ausgehend davon, das entsprechend der Aussage der Zeugin S. der Pkw rund 30 cm vom rechten Rand des Richtungsfahrstreifens entfernt in der Parklücke gestanden habe, geragt.
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Es sei sowohl technisch möglich, dass die Fahrertür schon bei Beginn der Vorbeifahrt des LKW geöffnet gewesen sei als auch, dass sie während der Vorbeifahrt geöffnet worden sei. Dies sei durch ein Sachverständigengutachten nicht feststellbar.
37
Das Gericht folgt den fundierten, gut nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, der dem Gericht auch aus anderen Gutachtenaufträgen als gründlich, gewissenhaft und erfahren bekannt ist.
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Danach hat die Klägerin die Fahrertür im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Anstoß weit geöffnet.
39
Ein Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 1) ist nicht bewiesen.
40
Es steht nicht fest, dass er einen zu geringen Seitenabstand eingehalten hat.
41
Auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen hat er zu dem Fahrzeug der Klägerin einen seitlichen Abstand von rund 50 cm eingehalten.
42
Wegen der dort vorhandenen zwei Richtungsfahrspuren ist ein spurttreues Fahren in der rechten Fahrspur ordnungsgemäß. Wegen der Breite des Fahrzeuges von 2,50 m musste er die Fahrspur nahezu ausschöpfen. Ein akkurates Einhalten der genauen Mitte der Fahrspur konnte nicht erwartet werden. Es steht ferner nicht fest, dass der Beklagte zu 1) im fließenden Verkehr der Autotür noch hätte ausweichen können.
43
Die Betriebsgefahr des Lkw tritt angesichts des erheblichen Verschuldens der Klägerin zurück.
44
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO.
45
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.