OLG Celle, Urteil vom 22. Januar 2020 – 14 U 173/19
1. Entfallen der Betriebsgefahr aus § 7 Abs. 1 StVG bei der bewussten Bildung eines Hindernisses auf der Fahrbahn.
2. Derjenige, der mit seinem Fahrzeug bewusst ein Hindernis auf der Fahrbahn bereitstellt, um einen Auffahrunfall zu provozieren, haftet allein (§ 17 Abs. 1 StVG).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 29. August 2019 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stade <6 O 142/19> wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil und das vorgenannte Urteil des Landgerichts Stade sind vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger aufgrund der Urteile vollstreckbaren Beträge abzuwenden, sofern dieser nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.990,79 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Kollisionsgeschehen in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 2018 in H. auf der C. Straße in Höhe der Hausnummer … zwischen dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Toyota Yaris, …, einem Mietfahrzeug der Firma S. GmbH, das B. C. mit überhöhter Geschwindigkeit gesteuert hatte, und dem Audi A 6, …, der der V. Bank GmbH – im Rahmen einer Kaufpreisfinanzierung – sicherungsübereignet worden ist (K 1). Die V. Bank GmbH hat den Kläger ermächtigt, im eigenen Namen Zahlungsklage gegen die Beklagte zu erheben (Anlage K 2). Der Audi erlitt einen massiven rechtsseitigen Anstoß gegen das Heck (Anlage K 3). Polizei und Staatsanwaltschaft Stade <113 Js 47688/18> (im Folgenden BA) haben das Geschehen als eine provozierte Kollision nach einer Verfolgungsjagd im Rahmen einer familieninternen Auseinandersetzung gewertet, bei der D. T. mit einem Pkw Daimler Benz E 220, …, B. C. und seine Freundin R. K. in dem Toyota Yaris verfolgt und zum Auffahren auf den zwischen einer Verkehrsinsel und dem Gehweg stehenden Audi A 6 getrieben habe, um ihn verprügeln zu können (Bl. 1, 6 – 9, 29, 30 d. BA). Zuvor seien am Bahnhof in O., wo sich C. und D. T. verabredungsgemäß getroffen hätten, von D. T. und seinen Begleitern Gleissteine auf den Toyota geworfen worden. C. sei mit dem Toyota geflohen. Nach den Angaben von C. und seiner Freundin R. K. habe T. T. während der Kollision nicht in dem Audi A 6 gesessen, sondern auf dem Gehweg gestanden. T. T. habe dagegen angegeben, C. sei aufgefahren, während er – T. – versucht habe, mit dem Audi auf einen Parkstreifen zu fahren.
2
Der Kläger hat behauptet, C. sei infolge Unaufmerksamkeit und überhöhter Geschwindigkeit auf den Pkw Audi A 6 aufgefahren, als sein Bruder T. T. dabei gewesen sei, den Wagen auf dem Seitenstreifen neben der Spielbank in H. zu parken. Diesen Parkvorgang habe T. T. durch Bremsen und Blinken angezeigt gehabt. Für T. T. sei das Unfallgeschehen unvermeidbar gewesen. Der Kläger hat die Nettoreparaturkosten laut Sachverständigengutachten in Höhe von 7.131,60 EUR ersetzt verlangt neben einer Kostenpauschale von 25,- EUR sowie 834,19 EUR als Sachverständigenkosten und 729,23 EUR als vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren.
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Die Beklagte hat ein Unfallereignis im eigentlichen Sinne bestritten und behauptet, die Kollision sei Folge einer Verfolgungsjagd gewesen, bei der das klägerische Fahrzeug bewusst als Hindernis aufgestellt worden sei, um C. zum Anhalten zu zwingen, damit man ihn verprügeln könne. Dieser sei in die Kollision getrieben worden. Die Kausalität der Reparaturkosten hat die Beklagte bestritten.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 51 – 53 d. A.) verwiesen.
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Der Einzelrichter der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stade hat nach Anhörung des Klägers gemäß § 141 ZPO und Vernehmung der Zeugen T. T. und B. C. die Klage abgewiesen. Sowohl den Kläger als auch die Beklagte treffe eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG. Im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG trete die Haftung der Beklagten aus der Betriebsgefahr des Toyota Yaris und wegen Verschuldens des Zeugen B. C. hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des T. T., das sich der Kläger anrechnen lassen müsse, vollständig zurück. Das Klägerfahrzeug sei als Hindernis zweckentfremdet worden, auf das der Zeuge C. mit einer Verfolgungsjagd zugetrieben worden sei. Die Angaben des Zeugen C. hat der Einzelrichter als glaubhafter gewertet als diejenigen des Zeugen T. T. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 53 – 58 d. A.) Bezug genommen.
6
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge vollumfänglich weiter. Er rügt eine fehlerhafte Beweiswürdigung seitens des Einzelrichters, der den Anscheinsbeweis, der gegen den auffahrenden Zeugen C. spreche, außer Acht gelassen habe. Der Zeuge C. sei seinen eigenen Angaben zufolge durch die eingeschaltete Warnblinkanlage des Audi A 6 hinreichend gewarnt gewesen. Eine Zweckentfremdung des Klägerfahrzeugs sei gerade nicht bewiesen, was sich auch aus der Verfahrenseinstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO seitens der Staatsanwaltschaft Stade ergebe. Der Zeuge C. sei nicht glaubwürdiger als der Zeuge T. T.; er habe auch nicht glaubhafter ausgesagt.
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Der Kläger beantragt,
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1. unter Abänderung des am 29. August 2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Stade, Az. 6 O 142/19, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.156,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 729,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit;
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hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der Kostenrechnung des Rechtsanwalts A. K. vom 5. Dezember 2018, Rechnungsnummer …, in Höhe von 729,23 EUR in Sachen T. ./. … Versicherung freizustellen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Gutachterkosten in Höhe von 834,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der Rechnung des Sachverständigenbüros G. H. vom 23. Juli 2018, Rechnungsnummer … in Höhe von 834,19 EUR freizustellen.
12
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen. Die Akte der Staatsanwaltschaft Stade <113 Js 47688/18> war zu Informations- und Beweiszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
II.
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene und begründete,
Berufung des Klägers hat in der Sache nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme keinen Erfolg. Der Einzelrichter der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stade hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte haftet nicht für die Schäden, die am 18./19. Juli 2018 in H. auf der C. Straße in Höhe der Hausnummer … am Fahrzeug des Klägers entstanden sind.
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1. Aktivlegitimation und Haltereigenschaft des Klägers
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Der Kläger hat erstinstanzlich mit den Anlagen K 1 und K 2 unwidersprochen belegt, dass die Sicherungseigentümerin – die V. Bank GmbH – den Kläger zur Prozessführung gegen die Beklagte im eigenen Namen ermächtigt hat. Der Kläger ist auch wirtschaftlich für den Einsatz des Audi A 6 im Straßenverkehr verantwortlich [vgl. BGHZ 87, 133 (135)]: Er hat in seinen informatorischen Anhörungen gemäß § 141 ZPO am 1. August 2019 (Bl. 34 d. A.) und am 10. Dezember 2019 (Bl. 114 d. A.) glaubhaft erklärt, er sei der Halter des Audi A 6, den sein Bruder T. T. nur habe benutzen dürfen, während er – der Kläger – auf Montage gewesen sei. Ausweislich der Anlagen K 1 und K 2 ist der Kläger der Darlehensnehmer für den Kredit, mit dem der Kaufpreis für den Audi A 6 finanziert worden ist.
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2. Beweiswürdigung
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Die Beweiswürdigung des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stade ist nicht zu beanstanden; sie deckt sich mit dem eigenen Eindruck, den sich der Senat von den Zeugen T. T. und C. im Termin am 10. Dezember 2019 gemacht hat. Der Senat hält die Angaben des Zeugen C. ebenfalls für glaubhafter als diejenigen des Zeugen T. T. Er teilt – nach kritischer Überprüfung und eigener Bewertung – die ausführliche Beweiswürdigung des Einzelrichters in dem angefochtenen Urteil auf Seiten 6 – 8, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Der Einzelrichter hat bei der Würdigung der Beweisaufnahme nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen; seine Urteilsbegründung ist widerspruchsfrei und vollständig. Der Zeuge C. hat von Anfang an konstant ausgesagt, dass er T. T. nach dem Unfall auf dem Gehweg stehend und nicht im Pkw sitzend wahrgenommen hat (Bl. 7 d. A.). Die Vorwürfe des Klägers, der Zeuge C. habe zu seinen Wahrnehmungen zweifelhafte Angaben gemacht, gehen ins Leere: Es ist glaubhaft, dass der Zeuge C. unmittelbar nach der Kollision seinen Cousin auf dem Gehweg hat stehen sehen können und ihm dies als Besonderheit aufgefallen ist, die er bei der Unfallaufnahme von sich aus dem Zeugen S. geschildert hat.
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Die Glaubwürdigkeit des Zeugen T. T. ist zweifelhaft. Er zeichnet sich – wie vom Einzelrichter zutreffend festgestellt – durch eine sehr eingeschränkte Aussagebereitschaft aus. Ausweislich des Protokolls vom 1. August 2019 (Bl. 33 – 41 d. A.) hat er in erster Instanz trotz Belehrung mehrfach explizit erklärt, nur eingeschränkte Angaben – nämlich lediglich zu dem Kollisionsgeschehen als solches – machen zu wollen und nur das zu sagen, was er möchte (Bl. 34 a d. A. unten, Bl. 35 d. A. oben und unten, Bl. 36 d. A. oben). Auch vor dem Senat beantwortete er die ihm gestellten Fragen nur zögerlich und unwillig. Ein solches wiederholt gezeigtes Aussageverhalten begründet Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben des Zeugen T. T.
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Der Zeuge T. T. hat zwar die Darstellung des Klägers zum Unfallgeschehen während eines Einparkvorganges bestätigt. Allerdings ist dies nicht glaubhaft geschehen. Die Zeugenaussage erklärt nämlich nicht, warum die Cousins des Klägers (D. T. mit Begleitern einerseits sowie C. andererseits) mit zwei weiteren Fahrzeugen mitten in der Nacht ebenfalls vor Ort gewesen sind. Auch die Angaben des Anzeigeerstatters zu einer Schlägerei unter Beteiligung von acht Personen (Bl. 6 der BA), die ersichtlichen Körperverletzungsspuren im Gesicht des B. C. (Bl. 6 unten der BA) sowie die „Ansprache“ des Zeugen T. T. gegenüber B. C. in Gegenwart der Polizei (Bl. 7 d. BA), wonach C. nicht mit R. K. liiert sein dürfe, sprechen gegen ein zufälliges Aufeinandertreffen der Familienmitglieder und gegen eine Aggression allein wegen des Kollisionsgeschehens. Vielmehr belegen sie eine familieninterne Auseinandersetzung wegen der Beziehung zwischen B. C. und R. K. Darüber hinaus hat der Zeuge T. T. den Einparkvorgang nicht schlüssig dargelegt: Es fragt sich, warum er sich für den von ihm benannten Parkplatz entschieden hat, obwohl dieser einen mehrzügigen Einparkvorgang benötigte, während andere leichter zu befahrene Parklücken zur Verfügung standen. Nicht nachvollziehbar ist auch, warum er längere Zeit für den Einparkvorgang gebraucht hat. Des Weiteren erschließt sich nicht, warum sich der Zeuge T. T. überhaupt nicht verletzt hat, wenn er mit dem Fuß auf der Bremse in dem Audi A 6 gesessen hat, als der Zeuge C. mit 70 bis 90 km/h nach dessen Angaben bzw. mit 180 – 200 km/h nach den Angaben des Zeugen T. T. auf den Audi aufgefahren ist. Die Kollisionsgeschwindigkeit muss tatsächlich recht hoch gewesen sein, weil die Fahrzeuge unstreitig nach dem Aufprall ineinander verkeilt gewesen waren und durch ein Abschleppfahrzeug getrennt werden mussten (siehe Bl. 6 und 9 d. BA). Die Airbags im Toyota wurden ausgelöst.
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Dagegen stimmt die Aussage des Zeugen C. vor dem Einzelrichter und dem Senat mit seinen Angaben gegenüber der Polizei überein. Er hat von Anfang an erklärt, T. T. habe während der Kollision nicht in dem Audi A 6 gesessen, was für die bewusste Aufstellung des Fahrzeugs als Hindernis ebenso spricht wie dessen Standort zwischen Verkehrsinsel und Gehsteig. Auf dem Satellitenbild bei google maps zur C. Str. … in … H. ist eine langgezogene Verkehrsinsel auf der B … in Höhe des Fliesenmarktes zu sehen, die zu dem Vorbringen des Zeugen C. passt. Darüber hinaus ist zu erkennen, dass es dort vielfältige Parkmöglichkeiten gibt, sodass sich nicht erschließt, warum der Zeuge T. T. mitten in der Nacht auf der Straße rangieren und dort zeitweise anhalten musste, um zu parken. R. K. hat ausweislich der beigezogenen Ermittlungsakte die Angaben des Zeugen C. gegenüber der Polizei bestätigt (Bl. 8 d. BA). Auch die vom Zeugen C. geschilderten späteren Entschuldigungen seiner Cousins und deren Finanzierung seiner Selbstbeteiligung gegenüber der Autovermietungsfirma sprechen für die Richtigkeit seiner in sich schlüssigen und konstanten Darstellung.
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Der Zeuge PHK S. hat die Angaben des Zeugen C. und seinen Bericht vom 19. Juli 2018 (Bl. 6 – 9 d. BA) vollumfänglich bestätigt, insbesondere bezüglich der „Ansprache“ des Zeugen T. T. gegenüber C. Auch ihm erschien die Darstellung des Zeugen C. schlüssig und glaubhaft.
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Bei dieser Wertung gibt es keinen Anscheinsbeweis gegen den Zeugen C., denn es handelte sich nicht um einen typischen Auffahrunfall, sondern um eine außer Kontrolle geratenen Flucht, die zu der Kollision mit dem vom Zeugen T. T. bewusst als Hindernis aufgestellten Klägerfahrzeug geführt hat. Die Verfahrenseinstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO seitens der Staatsanwaltschaft Stade (Bl. 30 d. BA) steht dieser Beurteilung nicht entgegen, weil der Einzelrichter und der Senat sich – anders als die ermittelnde Staatsanwältin – einen eigenen Eindruck von den Zeugen verschafft und die durchgeführte Beweisaufnahme selbstständig gewürdigt haben.
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3. Haftung der Beklagten
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Grundsätzlich haftet die Beklagte gemäß § 115 Abs. 1 VVG, § 7 Abs. 1 StVG für die Schäden, die dem Kläger als Halter des Audi A 6 durch den Betrieb des Toyota Yaris am 18. Juli 2018 entstanden sind. Denn die Beklagte ist die Haftpflichtversicherung der Halterin des Toyota Yaris – Firma S. GmbH -, die den Pkw an B. C. und R. K. vermietet hatte.
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Wenngleich der Begriff „bei dem Betrieb“ im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG weit zu fassen ist [BGH, VersR 2005, 992; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, Bearbeiter König zu § 7 StVG Rn. 4 m. w. N.] und das Beklagtenfahrzeug auf das Klägerfahrzeug aufgefahren ist, verneint der Senat vorliegend die Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG. Denn nach der Rechtsprechung des BGH [Urteil vom 31. Januar 2012 – VI ZR 43/11 -, Rn. 17, zitiert nach juris] muss es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d. h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist [ebenso: BGHZ 37, 311 (315); BGHZ 79, 259 (262); BGH, VersR 1989, 923 (924); BGH, VersR 1991, 111 (112)]. Das ist hier nicht der Fall.
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Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken sozialer Verantwortung für
eigene Wagnisse; sie bezweckt den Ausgleich für Schäden aus den durch zulässigen Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder Kraftfahrzeuganhängers entstehenden Gefahren [BGH, VersR 2005, 992; Hentschel/König/Dauer, Bearbeiter König zu § 7 StVG Rn. 1 m. w. N.]. Eine Haftung besteht nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu
deren Anwendung die verletzte Norm erlassen worden ist [BGH, Urteil vom 26. Februar 2013 – VI ZR 116/12 -, Rn. 13, zitiert nach juris]. Hier ist die Kollision dadurch entstanden, dass die Cousins des Klägers den Führer des Beklagtenfahrzeugs in die Kollision mit dem Klägerfahrzeug getrieben und den Audi A 6 bewusst als Hindernis für das Beklagtenfahrzeug benutzt haben. Damit hat sich keine der allgemeinen Gefahren verwirklicht, die üblicherweise mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs zusammenhängen, und für deren Regelung § 7 Abs. 1 StVG geschaffen worden ist. Der Zeuge C. ist mit dem Beklagtenfahrzeug vor der Aggression seiner Cousins (Steinewerfen am Bahnhof) geflohen. Er war seinen eigenen unwiderlegten Angaben zufolge darum bemüht, eine persönliche Auseinandersetzung mit seinen Familienmitgliedern zu vermeiden. Letztlich wurde er von ihnen auf ein vom Zeugen T. T. aufgebautes Hindernis – dem Klägerfahrzeug – zu getrieben und daran gehindert, dieses Hindernis zu umfahren. Seine Fahrweise war mithin von seinen Familienmitgliedern in einer Art und Weise beeinflusst worden, die seiner freien Willensbestimmung entgegenstand und mit den üblichen Gefahren im Straßenverkehr nichts mehr zu tun hatte.
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Eine Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG ist folglich zu verneinen. Schon deshalb war die Klage abzuweisen. Das benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen. Denn ihm dürften Schadensersatzansprüche gegenüber seinem Bruder und seinen Cousins aus § 823 BGB zustehen, weil diese mit ihrem Verhalten die Beschädigung seines Fahrzeugs in Kauf genommen (dolus eventualis) haben. Gegen eine Haftung der Beklagten spricht auch der Rechtsgedanke des § 103 VVG, wonach der Versicherer von der Versicherungsleistung befreit ist, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat. Dieser Fall ist mit dem zugrundeliegenden Rechtsstreit vergleichbar.
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4. Vorsorglich Quote
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Aber selbst wenn man eine Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG bejahen wollte, ist es sachgerecht und geboten, im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG eine alleinige Haftung des Klägers anzunehmen. Der Senat teilt die entsprechenden Erwägungen des Einzelrichters nach einer eigenen kritischen Überprüfung und Bewertung der Sach- und Rechtslage in vollem Umfang.
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Der Kläger haftet gemäß § 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich aus der Betriebsgefahr des Audi A 6.
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Das Verhalten des T. T. und der Cousins ist ihm zuzurechnen, selbst wenn er keinerlei Kenntnis davon hatte. Er musste zwar nicht damit rechnen, dass sein Bruder und seine Cousins B. C. im Straßenverkehr verfolgen und das Klägerfahrzeug als Hindernis benutzen würden, um C. aufzuhalten und verprügeln zu können: Der Kläger war auf Montage. Das Geschehen vom 18. Juli 2018 hat den Zeugen C. völlig überrascht (vgl. Bl. 8 d. BA). Dann dürfte es auch für den Kläger überraschend gewesen sein. Wenngleich die Vorgehensweise hinsichtlich der konkreten Ausführung mit dem Klägerfahrzeug als Hindernis für den Zeugen C. verabredet wirkte, dürfte dies aber spontan und kurzfristig geschehen sein, nachdem C. vom Bahnhof in O. geflohen war und die Cousins erkannten, in welche Richtung er sich bewegte. Es ist aber zu konstatieren, dass der Zeuge T. T., als er das Klägerfahrzeug bewusst als Hindernis für den Zeugen C. eingesetzt hat, dessen Betrieb im Straßenverkehr für seine Zwecke ausgenutzt hat. Ein solches Verhalten ist dem Kläger genauso zuzurechnen, wie das für den Fahrzeughalter unerwartete Verschulden eines Fahrzeugführers im Straßenverkehr durch Alkohol- oder Drogenkonsum oder dessen grob verkehrswidriges Fahrmanöver unter bewusster Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer.
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Den Zeugen T. T. trifft an dem Zustandekommen der Kollision ein erhebliches Verschulden, indem er ohne verkehrsbedingten Anlass ein Hindernis auf der Fahrbahn geschaffen hat (§§ 12 Abs. 1 und Abs. 6, 32 Abs. 1 StVO, § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB).
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Der Zeuge C. hat die Kollision mitverschuldet: Er ist nach eigenen Angaben mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren, nämlich ca. 70 bis 90 km/h innerorts (Bl. 40 d. A.), und hat auf den Verkehr voraus nicht genügend geachtet (Bl. 8 d. BA). Damit hat er gegen § 3 Abs. 1 StVO verstoßen.
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Bei der Abwägung einer angemessenen Haftungsquote zwischen dem Kläger und der Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 StVG erscheint es dem Senat geboten, eine alleinige Haftung des Klägers anzunehmen, weil das Verschulden des Zeugen T. T. gegenüber demjenigen des Zeugen B. C. deutlich überwiegt. T. T. hat sich bewusst strafbar verhalten, während C. aus Angst und Schrecken – quasi blindlings – vor seinen Cousins, die ihm Gewalt antun wollten, geflohen ist. Sein Sorgfaltsverstoß im Straßenverkehr fällt so viel weniger ins Gewicht als derjenige des Zeugen T. T., dass es gerechtfertigt erscheint, die Haftung der Beklagten vollends zurücktreten zu lassen hinter dem gravierenden Verschulden des Zeugen T. T., für das der Kläger einstehen muss. Mit dieser Auffassung steht der Senat im Einklang mit anderen gerichtlichen Entscheidungen, in denen Auffahrunfälle durch ein grob verkehrswidriges Verhalten des Vorausfahrenden verursacht worden sind, und dieser für die Folgen des Unfalles allein haften musste: So haben das Landgericht Essen [Urteil vom 12. Januar 2018 – 17 O 235/16 –, Orientierungssatz und Rn. 15, 17 und 33 m. w. N., zitiert nach juris], das Oberlandesgericht München [Urteil vom 22. Februar 2008 – 10 U 4455/07 –, Orientierungssatz und Rn. 37, zitiert nach juris] und das Landgericht Mönchengladbach [Urteil vom 16. April 2002 – 5 S 86/01 –, Orientierungssatz, zitiert nach juris] entschieden, dass bei einem scharfen Abbremsen zum Zweck der Disziplinierung / Verkehrserziehung des Nachfolgenden der Bremser voll hafte. Das ist mit dem bewussten Hindernisbereiten, um den Nachfolgenden zum Anhalten zu zwingen, damit man ihn verprügeln kann, vergleichbar. Das zuletzt genannte Verhalten muss erst recht zu einer alleinigen Haftung desjenigen führen, der das Hindernis bereitet.
38
Die Berufung des Klägers ist somit aus mehreren rechtlichen Gründen unbegründet und war zurückzuweisen.
III.
39
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.
40
Die Revision war zuzulassen (§ 543 ZPO) im Hinblick auf die Erwägungen des
Senats zum Begriff „bei dem Betrieb“ im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG, die das Recht fortbilden und grundsätzliche Bedeutung haben und daher eine Beurteilung durch das Revisionsgericht erfordern.
IV.
41
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren folgt aus §§ 3, 5 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG. Der Streitwert setzt sich aus der Addition der beiden Zahlungsanträge über 7.156,60 EUR plus 834,19 EUR zusammen.