Zu den organisatorischen Anforderungen an einen Unternehmer für Gefahrguttransporte

BGH, Urteil vom 30.01.1996 – VI ZR 408/94

1. Zu den Anforderungen an die organisatorischen Vorkehrungen, denen ein Unternehmer, der Gefahrenguttransporte durchführt, zur Gefahrgutsicherung genügen muß.

2. Zu den Anforderungen an die Kontrollpflicht des Geschäftsherrn, der in seinem Unternehmen die Durchführung von Gefahrguttransporten einem angestellten Gefahrgutbeauftragten überläßt.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg vom 6. April 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand
1
Am 4. Januar 1989 explodierte auf dem Bahnhofsgelände in W. ein sog. Wechselkoffer (Großbehälter zum Transport von Gütern auf Eisenbahnwagen oder Lastwagen). Die Explosion führte zur Beschädigung von Transportmitteln und Anlagen der Rechtsvorgängerin der Klägerin, der Deutschen Bahn AG, sowie zur Vernichtung von Transportgut. Die Klägerin beziffert ihre Aufwendungen zur Beseitigung der Folgen der Explosion auf 686.187,41 DM. In Höhe dieses Betrages nimmt sie die Beklagte, ein in der Schweiz ansässiges Speditionsunternehmen, auf Schadensersatz in Anspruch.

2
Nach der Behauptung der Klägerin ist die Explosion darauf zurückzuführen, daß die Beklagte den Wechselkoffer für den Transport von Verdünner und Klebstoff – entzündbare flüssige Stoffe der Gefahrklasse 3 Ziffer 3 b und 5 b der Anlage zur Gefahrgutverordnung Eisenbahn/Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Stoffe (GGVE/RID) – eingesetzt habe, obwohl er für Gefahrguttransporte nicht geeignet gewesen sei. Dem Gefahrgutkoordinator der Beklagten, dem Angestellten A., sei bekannt gewesen, daß mit dem Behälter, mit dem sonst nur Obst und Gemüse befördert worden seien, gefährliche Güter transportiert werden sollten.

3
Die Beklagte hat behauptet, daß sie nur als Empfangsspediteur tätig gewesen sei. Ihr Angestellter A. habe die Verwendung des Wechselkoffers, auf dessen Einsatz der Schaden im übrigen nicht zurückzuführen sei, lediglich vermittelt. Überdies entfalle ihre Haftung auch deshalb, weil sie ihren Angestellten als Gefahrgutkoordinator sorgfältig ausgewählt, ausgebildet und überwacht habe.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Schadensersatzansprüche weiter.

Entscheidungsgründe
I.

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Das Berufungsgericht verneint die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten aus § 831 Abs. 1 BGB. Zwar sei der Schaden, aus dem die Klägerin die Klageansprüche herleite, durch den Angestellten A., den Gefahrgutbeauftragten der Beklagten, in Ausführung der ihm von der Beklagten übertragenen Aufgaben verursacht worden. Die Beklagte habe die Beförderung der gefährlichen Stoffe von H. in der Bundesrepublik Deutschland nach R. in der Schweiz im Rahmen eines umfassenden Speditionsauftrags übernommen. Sie hätte für diesen Transport nur einen Wechselkoffer einsetzen dürfen, der den Anforderungen des Anhangs IV Rdn. 1400 der Anlage zur Gefahrgutverordnung Eisenbahn (Explosionen ausschließende Bauart) genügte. Diesen Anforderungen habe der Wechselbehälter, den der Gefahrgutbeauftragte A. für den Transport zur Verfügung gestellt habe, aber nicht entsprochen. Durch die Verwendung dieses für Gefahrguttransporte ungeeigneten Containers sei es – so stellt das Berufungsgericht fest – zur Explosion gekommen. A. habe es pflichtwidrig versäumt, eigenverantwortlich die Eignung des Behälters für diesen Transport zu prüfen. Dennoch sei die Beklagte nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB nicht zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie nachgewiesen habe, daß sie bei der Auswahl und Überwachung des A. die erforderliche Sorgfalt angewandt und auch ihren sonstigen Aufsichts- und Organisationspflichten in Bezug auf Gefahrguttransporte genügt habe. Sie habe seit 1985 ihr Personal für Gefahrguttransporte laufend ausbilden und überwachen lassen und im Dezember 1987 eine zentrale Gefahrgut-Koordinationsstelle eingerichtet. Ihr Angestellter A., der 1987 als verantwortlicher Gefahrgutkoordinator eingesetzt worden sei, habe sich mit den Problemen der Gefahrguttransporte zunächst autodidaktisch befaßt und in den Jahren 1987/1988 an Ausbildungslehrgängen teilgenommen, so daß er für seine Tätigkeit geeignet gewesen sei. Er habe über seine Arbeit als Gefahrgutkoordinator der Geschäftsleitung in gewissen Zeitabständen berichten müssen. Daß A. bereits vor diesem Vorfall mehrere Male Güter derselben Gefahrenklasse mit den gleichen dafür ungeeigneten Wechselbehältern habe transportieren lassen, stehe der Führung des Entlastungsbeweises nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB nicht entgegen, weil die Frage, welche Wechselbehälter für solche Transporte eingesetzt werden müßten, nicht ohne weiteres und zweifelsfrei zu beantworten sei.

II.

6
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis nicht stand.

7
1. Allerdings macht die Revision ohne Erfolg geltend, daß die Beklagte für die Folgen der Explosion aus dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens aufkommen müsse.

8
a) Die Revision weist zwar mit Recht darauf hin, daß die Beklagte verpflichtet war, durch die erforderlichen Vorkehrungen dafür zu sorgen, daß ein Schadensfall wie der vorliegende nicht eintritt. Wer die Organisationsgewalt über ein betriebliches Unternehmen innehat, hat für Gefahrensicherung in seinem Organisationsbereich zu sorgen. Verletzt er schuldhaft diese Pflicht, dann ist er für die dadurch eingetretenen Schäden nach § 823 BGB verantwortlich (vgl. BGHZ 17, 214, 220 f; BGB – RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rdn. 155).

9
Nach den Feststellungen, die das Berufungsgericht getroffen hat, kann der Beklagten ein solches Organisationsverschulden aber nicht angelastet werden. Danach hat die Beklagte seit 1985 ihr Personal in Bezug auf Gefahrguttransporte laufend ausbilden und überwachen lassen und im Dezember 1987 eine zentrale Gefahrgut-Koordinationsstelle eingerichtet, die mit detaillierten schriftlichen Weisungen für die Transportabwicklung, Informationsbeschaffung und Kontrolle versehen wurde. Der Angestellte A. wurde 1987 als verantwortlicher Gefahrgutkoordinator eingesetzt. Ausweislich der zu den Akten gereichten Belege nahm er an Fortbildungsveranstaltungen teil, deren Thema die Sicherung des Transports von gefährlichen Gütern war; im August 1988 erwarb er ein Zertifikat über die erfolgreiche Teilnahme an einem 24-stündigen Lehrgang “Die Fachkraft für Gefahrguttransport” im Haus der Technik in Essen. Die Geschäftsleitung der Beklagten ließ sich von A., der die Gefahrguttransporte im einzelnen zu registrieren hatte, in gewissen Abständen über die Einhaltung der Weisungen innerhalb des Betriebes, die Ausbildung der Mitarbeiter und die Vorfälle im Bereich der Gefahrguttransporte berichten. Mit diesen organisatorischen Vorkehrungen hat die Beklagte ihrer Pflicht zur Gefahrensicherung bei Gefahrguttransporten genügt.

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b) Der Revision kann auch nicht zugegeben werden, daß die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der “Fiktionshaftung” für den eingetretenen Schaden aufkommen müsse. Zwar kann ein Geschäftsherr verpflichtet sein, einem Gehilfen, der für einen bestimmten Aufgabenkreis bestellt ist, eine Organstellung zu verschaffen, so daß er für dessen Pflichtwidrigkeiten ohne eine Entlastungsmöglichkeit einzustehen hat; kommt er dieser Pflicht nicht nach, dann hat er sich haftungsrechtlich so behandeln zu lassen, als habe er dem Gehilfen eine Organstellung eingeräumt (Senat BGHZ 24, 200, 212 f.; 77, 74, 79; vgl. BGB – RGRK/Steffen, 12. Aufl. § 31 Rdn. 5 und 10). Voraussetzung für eine solche Organisationspflicht des Geschäftsherrn ist aber, daß der Gehilfe das Unternehmen in seinem Aufgabenbereich repräsentiert (vgl. etwa BGHZ 49, 19, 21; ferner Senatsurteile vom 21. September 1971 – VI ZR 122/70 – LM BGB § 31 Nr. 17 und vom 3. Februar 1970 – VI ZR 245/67WM 1970, 633, 634). So liegen die Dinge hier aber nicht. Gewiß übte A. als Gefahrgutkoordinator eine verantwortungsvolle Tätigkeit aus. Dadurch wurde er jedoch noch nicht zum Repräsentanten der Beklagten, vielmehr war seine Tätigkeit der eines gehobenen Sachbearbeiters in anderen Bereichen vergleichbar. So sieht denn auch die Gefahrgutbeauftragtenverordnung vom 12. Dezember 1989 (BGBl. I 1989, 2185) nicht vor, daß der Gefahrgutbeauftragte eine Organstellung innehat. Zwar ist die Gefahrgutbeauftragtenverordnung erst nach der hier zur Erörterung stehenden Explosion in Kraft getreten. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß vor ihrem Inkrafttreten für die Gefahrgutsicherung strengere Anforderungen gegolten haben als sie durch diese Rechtsverordnung statuiert worden sind.

11
2. Die Angriffe der Revision führen indes zum Erfolg, soweit sie sich dagegen richten, daß das Berufungsgericht den Entlastungsbeweis gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB als geführt erachtet hat.

12
a) Allerdings wendet sich die Revision vergeblich dagegen, daß das Berufungsgericht den Gefahrgutkoordinator A. als für seine Aufgabe geeignet angesehen hat. A. hatte durch eine autodidaktische Beschäftigung mit den Problemen der Gefahrguttransporte sowie durch seine praktische Tätigkeit in diesem Bereich Kenntnisse erworben, die er – wie ausgeführt – in den Jahren 1987/1988 vertieft und erweitert hat. Weitere Eignungsvoraussetzungen wurden im Unfallzeitpunkt nicht verlangt (vgl. § 2 der Gefahrgutbeauftragtenverordnung).

13
Auch soweit die Revision geltend macht, der Beklagten habe eine Einweisungs- und Leitungspflicht obgelegen, deren Erfüllung nicht ersichtlich sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Die Einweisung und Leitung des Gefahrgutkoordinators hätte sinnvollerweise nur durch Personal erfolgen können, dessen Spezialkenntnisse auf dem Gebiet der Beförderung gefährlicher Güter den Spezialkenntnissen des A. überlegen sind. Es ist nicht erkennbar, daß die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, solches Personal einzustellen. Nach § 2 ff. der Gefahrgutbeauftragtenverordnung ist es Aufgabe des Gefahrgutbeauftragten selbst, sich durch Schulung die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen und die mit seiner Aufgabenstellung verbundenen Rechte und Pflichten wahrzunehmen, während es Sache des Dienstherrn ist, dafür zu sorgen, daß der Gefahrgutbeauftragte an den vorgeschriebenen Schulungsveranstaltungen teilnehmen und seine Vorschläge und Bedenken unmittelbar der entscheidenden Stelle im Unternehmen oder Betrieb vortragen kann. Diesen Anforderungen ist hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts genügt. Es besteht kein Anlaß, für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Gefahrgutbeauftragtenverordnung weitergehende Anforderungen aufzustellen. Im übrigen ist nicht ersichtlich, daß auf dem Arbeitsmarkt überhaupt Personal zur Verfügung stand, das die Einweisung und Leitung eines Gefahrgutbeauftragten hätte übernehmen können.

14
b) Die Revision hat hingegen Erfolg, soweit sie sich darauf beruft, daß die Feststellungen des Berufungsgerichts den Schluß auf eine ausreichende Überwachung des Gefahrgutbeauftragten durch die Beklagte nicht tragen.

15
Zwar geht es zu weit, mit der Revision die Kontrolle des A. durch einen externen Spezialisten oder Sachverständigen zu verlangen. Das Maß und der Umfang der Pflicht des Geschäftsherrn zur Auswahl, Überwachung und Leitung des Verrichtungsgehilfen läßt sich nicht nach starren Regeln beurteilen, sondern nach der Verkehrsanschauung und den Besonderheiten des Falles (vgl. etwa Senatsurteil vom 14. Juli 1987 – VI ZR 199/86NJW-RR 1987, 1469, 1470 und Senatsbeschluß vom 9. Juli 1985 – VI ZR 18/84VRS 69, 403, 404 m.w.N.). Es ist schon nicht erkennbar, ob es überhaupt faktisch möglich gewesen wäre, die Tätigkeit des A. als Gefahrgutkoordinator durch externe Spezialisten oder Sachverständige kontrollieren zu lassen. Jedenfalls bedurfte es einer solchen Kontrolle nicht. Die Geschäftsführung der Beklagten war nämlich auch ohne die Hinzuziehung fremden Sachverstands durchaus imstande, die Tätigkeit des A. als Gefahrgutkoordinator wirkungsvoll zu überprüfen. Sie hatte die Möglichkeit, sich stichprobenartig für einzelne Gefahrguttransporte von A. erläutern zu lassen, welche Sicherheitsanforderungen für diese Transporte zu beachten waren und was A. veranlaßt hatte, um den Sicherheitsanforderungen zu genügen. Nichts spricht dagegen, daß – wovon das Berufungsgericht ausgeht – die Geschäftsleitung der Beklagten aufgrund ihrer allgemeinen Erfahrung im Speditionswesen zu einer solchen nachvollziehenden Kontrolle der Tätigkeit des A. als Gefahrgutkoordinator imstande gewesen ist.

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Die Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen indes nicht die Annahme, daß die Beklagte die ihr mögliche Kontrolle der Tätigkeit des A. auch tatsächlich wirkungsvoll ausgeübt hat. Die Revision verweist mit Recht darauf, daß – wovon auch das Berufungsgericht ausgeht – A. über einen längeren Zeitraum Gefahrguttransporte in ungeeigneten Transportbehältnissen hatte durchführen lassen, ohne daß Kontrollen der Beklagten zur Aufdeckung oder Verhinderung dieser Praxis geführt hätten. Es gilt der Grundsatz, daß dann, wenn der gefahrbringende Zustand eine längere Zeit angedauert hat, angenommen werden kann, daß der Geschäftsherr seine Überwachungspflicht nicht ausreichend erfüllt hat (vgl. BGB – RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 31 Rdn. 10 m.w.N.). Das bedeutet, daß es unter diesem Blickwinkel Sache der Beklagten ist, im einzelnen konkret darzutun, in welchen zeitlichen Intervallen und mit welchem Inhalt der Gefahrgutkoordinator A. der Geschäftsleitung der Beklagten über seine Tätigkeit berichtet und ob anläßlich solcher Berichte die Geschäftsleitung den Gefahrgutkoordinator stichprobenartig aufgefordert hat, seine Sicherungsmaßnahmen für einzelne Gefahrguttransporte zu erläutern und insbesondere darüber zu berichten, von wem er die Behälter mit welchem Sicherheitsstandard für welches Gefahrgut bezogen hat. Nur auf diese Weise kann die Beklagte den hohen Anforderungen genügen, die für Gefahrguttransporte an die Kontrollpflicht des Dienstherrn zu stellen sind.

III.

17
Der Senat hat daher das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, um ihm Gelegenheit zu geben, zur Frage der Intensität der Kontrolle der Geschäftsleitung der Beklagten Feststellungen zu treffen.

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