OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.12.2010 – 24 U 126/10
Zum Umfang der Aufklärungspflicht des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit Schadenersatzansprüchen gegenüber einem Vermieter
Tenor
1. Die Berufung der Kläger gegen das am 07. Juli 2010 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Der Berufungsstreitwert wird auf 7.647,55 EUR festgesetzt
Gründe
I.
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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Landgericht hat die gegen den beklagten Rechtsanwalt gerichtete Klage auf Ersatz der von den Klägern geltend gemachten Schäden in Höhe von insgesamt 7.647,55 EUR (5.517,55 € Kostenschäden im Vorprozess 10 C 271/08 AG Solingen = 16 S 114/08 LG Wuppertal [künftig Vorprozess] und 2.230,00 € Umzugskosten zzgl. Zinsen und außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten) im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die dagegen vorgebrachten Berufungsgründe rechtfertigen keine den Klägern günstigere Entscheidung. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf seinen Hinweisbeschluss vom 15. November 2010. Dort hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt:
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„1. Allerdings stößt die Rechtsauffassung des Landgerichts auf Bedenken, den Beklagten treffe schon keine Pflichtverletzung. Das beurteilt der Senat anders. Der Beklagte hat die Kläger in doppelter Hinsicht unrichtig beraten.
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a) Richtig ist zwar der vom Landgericht eingenommene rechtliche Ausgangspunkt zum Umfang der den Rechtsanwalt im Verhältnis zum Mandanten treffenden Beratungspflicht. Das entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung, wie sie auch der Senat stets anwendet (vgl. zuletzt Senat MDR 2010, 769 [ juris Tz 3 ]). Das Landgericht hat aber übersehen, dass zur vollständigen und umfassenden Beratung auch gehört, den Mandanten über die zu erwartenden Risiken der Rechtsverfolgung aufzuklären. Der Rechtsanwalt muss den ihm vorgetragenen Sachverhalt darauf prüfen, ob er geeignet ist, den begehrten Anspruch zu stützen (BGH MDR 2000, 297). Durch geeignete Befragung des Mandanten muss er rechtlich relevante Sachverhaltslücken aufklären (BGH NJW 1982, 437; 1994, 1472). Das gilt vor allem dann, wenn nach den Umständen für eine zutreffende rechtliche Einordnung die Kenntnis weiterer Tatsachen erforderlich ist, deren rechtliche Bedeutsamkeit für den Mandanten nicht ohne Weiteres ersichtlich ist. In diesen Fällen darf sich der Anwalt nicht mit dem begnügen, was sein Auftraggeber berichtet, sondern hat sich durch zusätzliche Fragen um eine ergänzende Aufklärung zu bemühen (BGH NJW 1996, 2929; NJW 1998, 2048 = FamRZ 1998, 896; NJW 2000, 730 = MDR 2000, 297; NJW 2002, 1413; NJW 2006, 501 = MDR 2006, 238). Ferner hat er zu klären, ob für beweisbedürftige Tatsachen geeignete Beweismittel zur Verfügung stehen (BGH NJW 1988, 2113, 2114 sub III.3). Schließlich muss der Rechtsanwalt prüfen und den Mandanten darüber aufklären, ob und welche tatsächlichen und rechtlichen Risiken mit der außergerichtlichen und/oder gerichtlichen Verfolgung des geltend gemachten Anspruchs verbunden sind (vgl. BGH NJW-RR 2003, 194; NJW 2001, 115; 1996, 2648; 1994, 1211; 1992, 1159; Senat FamRZ 2004, 1647 m.w.Nachw.). Dabei obliegt es dem Rechtsanwalt zwar nicht, die Erfolgsaussicht mit mathematischer Genauigkeit anzugeben. Er muss aber auf ein besonders hohes Risiko aufmerksam machen (BGH NJW 1994, 791; 1988, 2113; Senat aaO und zuletzt MDR 2010, 769 [ juris Tz 4 ]).
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b) Über die mit der Rechtsverfolgung verbundenen Risiken, insbesondere über das den Klägern drohende Kündigungsrisiko aus § 543 Abs. 1 S. 1 Nr. 3a BGB, wenn sie die Mietzahlung unter Berufung auf die von ihnen beanspruchte Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen einstellen würden, hat der Beklagte nicht ausreichend aufgeklärt.
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aa) Dabei geht der Senat mit dem Landgericht allerdings davon aus, dass die Aufrechnung entgegen der vom Amtsgericht im Vorprozess vertretenen Meinung nicht erst im Schreiben vom 4. Oktober 2007, sondern, wie es bereits das Landgericht im Berufungsverfahren des Vorprozesses zutreffend erwogen hat, schon im Schreiben vom 28. August 2007 unmissverständlich angekündigt worden war, so dass in Verbindung mit den entsprechend der Ankündigung ab September 2007 eingestellten Mietzahlungen die Aufrechnung seither Monat für Monat konkludent erklärt worden war.
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bb) Unrichtig und deshalb pflichtwidrig war aber der den Klägern erteilte Rat, mit der Aufrechnung bereits im September 2007 zu beginnen. Das verstieß gegen die vereinbarte, auch in Wohnungsmietverträgen zum Schutz der Liquidität des Vermieters zulässige Klausel (vgl. jetzt § 556 b Abs. 2 S. 1 BGB), nach der der Mieter die Aufrechnung einen Monat zuvor anzukündigen hat. Der Beklagte hätte daher die Kläger darauf hinweisen müssen, mit Blick auf die erst Ende August 2007 erfolgte Ankündigung mit der Aufrechnung erst im Oktober 2007 zu beginnen.
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cc) Ferner hat der Beklagte über die Risiken nicht ausreichend beraten, die den Klägern im Streitfall im Zusammenhang mit der Feststellung einer aufrechenbaren Gegenforderung drohten. Die Kläger hatten den Wohnungsvermietern vorgeworfen, ihre Verkehrssicherungspflicht schuldhaft dadurch verletzt zu haben, dass sie die im Keller des Hauses verlegte Wasserleitung nicht regelmäßig kontrolliert und dadurch den am 29. Juli 2007 eingetretenen Wasserschaden zu verantworten hätten, durch den die im Kellerraum gelagerten elektronischen Geräte (Wert: 10.519,86 €) unbrauchbar geworden seien. Da unstreitig gewesen ist, dass sich der Schaden im Obhutsbereich der Vermieter ereignet hatte, hafteten diese für den eingetreten Schaden verschuldensunabhängig, wenn ein bei Mietvertragsschluss bereits vorhandener (anfänglicher) Mangel der Mietsache schadensursächlich gewesen war (§ 536 a Abs. 1, 1. Altn. BGB), während andernfalls, nämlich bei erst nachträglich eingetretenem Mangel, nur eine schuldhafte Verletzung von Handlungs-, insbesondere von Verkehrssicherungspflichten zu einer Haftung führte.
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(1) Obwohl der Mangel (unstreitig) dem Obhutsbereich der Vermieter entstammte, hatte der Beklagte in Betracht zu ziehen, dass es den insoweit darlegungspflichtigen Klägern nicht gelingen werde, einen anfänglichen Mangel der Mietsache vorzutragen, geschweige denn zu beweisen. Allein der erhebliche Zeitablauf zwischen Vertragsschluss (1998) und Schadenseintritt (2007) sprach ersichtlich gegen einen anfänglichen Mietmangel.
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(2) Die feststehende Schadensursache im Verantwortungsbereich der Vermieter enthob die Kläger auch nicht von der Last, schlüssig eine Verletzung der die Vermieter treffenden Verkehrssicherungspflicht in Ansehung der Dichtigkeit der im Hauskeller verlegten Wasserrohre darzulegen. Die Verkehrssicherungspflicht umfasst nur diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend erachtet, um andere vor Schäden zu bewahren. Erforderlich ist daher, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (BGH NJW 2004, 1449 sub II.1; 2006, 610 st. Respr.; vgl. auch Senat OLGR Düsseldorf 2008, 585 und 2009, 535 m. w. Nachw.). Solche nahe liegenden Gefahren sind bei ordnungsgemäß installierten Wasser- und Abwasserleitungen in Gebäuden nicht ohne Weiteres zu bejahen (vgl. OLG Frankfurt ZMR 2003, 674 [ juris Tz 9 ]; KG Berlin KGR 1999, 313 [ juris Tz 4 ]; OLG Hamm ZMR 1997, 253 [ juris Tz 38 ]; Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. [2007], § 535 Rn 60; Wall WuM 1998, 524 ff. sub IV; vgl. jetzt auch BGH NJW 2009, 143 [ juris Tz 18 f. ] für Elektroleitungen -geräte und -anlagen). Daraus folgt, dass bei fachgerechter Installation eine Pflicht zur Durchführung regelmäßiger Kontrollen der Wasser- und Abwasserrohre nicht besteht. Der Vermieter muss vielmehr erst dann handeln, wenn dazu ein konkreter Anlass besteht, wie das Landgericht im vorausgegangenen Berufungsverfahren in seinem Beschluss vom 12. März 2009 (16 S 114/08) zutreffend ausgeführt hat. Das ist z. B. der Fall, wenn der Mieter Mängel anzeigt, die sich auf wasserführende Rohre beziehen, wenn ungewöhnliche oder wiederholte Störungen in den wasserführenden Leitungen oder punktuelle Feuchtigkeitserscheinungen in den Wänden und/oder Decken auftreten oder bei u. ä. Unregelmäßigkeiten (vgl. die Nachw. aaO und BGH VersR 1969, 754 sub II.2a).
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(3) Da die Kläger einen solchen Vortrag nicht halten konnten, bestand das überdurchschnittlich große Risiko, einerseits den Bestand einer aufrechenbaren Gegenforderung schon dem Grunde nach nicht darlegen, geschweige denn beweisen zu können, andererseits die mit der Einstellung der Mietzahlung verbundene Gefahr, wegen Zahlungsverzugs einer begründeten Kündigung und eines im Rechtsstreit dann auch für die Vermieter durchsetzbaren Räumungsanspruchs ausgesetzt zu werden. Über diese Risiken hätte der Beklagte die Kläger aufklären müssen, die Nichtaufklärung ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung im Sinne der §§ 611, 675, 280 Abs. 1 S. 1 BGB.
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2. Gleichwohl ist die Klageabweisung im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Schadensersatzanspruch scheitert nämlich daran, dass die Kläger infolge der außerordentlichen Kündigung in feststellbarer Weise keinen Schaden erlitten haben, den sie nicht auch ohne die hier umstrittene außerordentliche Kündigung erlitten hätten. Der Beklagte hat nämlich dargelegt, dass die Vermieter am 7. Februar 2008 nicht nur wegen Zahlungsverzugs, sondern gleichzeitig und hilfsweise auch wegen eines näher dargelegten Eigenbedarfs ordentlich gekündigt hatten, und zwar gemäß §§ 573 Abs. 2 Nr. 3, 573 c Abs. 1 BGB mit Wirkung zum 1. Dezember 2008. Die Kläger haben weder den in der Klageerwiderung vorgetragenen ordentlichen Kündigungsgrund noch den Vortrag des Beklagten bestritten, dass sie es auch insoweit auf die Erhebung einer Räumungsklage hätten ankommen lassen. Daraus folgt, dass ihnen die Kosten, die sie hier infolge der außerordentlichen Kündigung geltend machen, wenig später auch zur Abwehr der ordentlichen Kündigung entstanden wären, zumal sie selbst vortragen, sie wären, weil sie Haus und Garten lieb gewonnen hätten, freiwillig nicht ausgezogen.“
II.
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Insbesondere an den Erwägungen zur fehlenden Kausalität der festgestellten Pflichtverletzung (oben sub I.2), die die Kläger in der Schrift ihres Prozessbevollmächtigten vom 29. November 2010 allein angreifen, hält der Senat fest. Die gegen die Erwägungen des Senats gerichteten Einwendungen geben keinen Anlass zu abweichender Beurteilung.
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1. Der Ansicht der Kläger, die Vermieter hätten die Räumungsklage im Vorprozess bei fehlerfreier Bearbeitung der Angelegenheit durch den Beklagten nicht auf den hilfsweise geltend gemachten Kündigungsgrund (Eigenbedarf) gestützt, folgt der Senat nicht. Der Eigentümergemeinschaft (Vermieter) ging es im Vorprozess ersichtlich darum, gegen die sich sträubenden Kläger (Mieter) so schnell wie möglich ein Räumungsurteil zu erlangen. Dieses Ziel konnten sie nur mit der auf Zahlungsverzug gestützten fristlosen Kündigung und der darauf gestützten Räumungsklage erreichen, weil die Kläger diesem so im Vorprozess begründeten Räumungsbegehren weder ein erhebliches Gegenrecht entgegenzusetzen vermochten, noch wegen der für die fristlose Kündigung maßgebenden unstreitigen Tatsachen eine zeitraubende Beweisaufnahme erforderlich war. Das hatten, wie die Vorkorrespondenz belegt, die Rechtsanwälte auf Vermieterseite richtig erkannt, so dass es nicht notwendig gewesen ist, das Räumungsbegehren im Vorprozess zusätzlich auf die hilfsweise auf Eigenbedarf gestützte Kündigung zu stützen. Die rechtlich gut beratene Vermieterseite hätte deshalb im Bedarfsfall, nämlich bei abweichendem Sachverhalt (etwa bei fehlendem Zahlungsverzug der Kläger oder bei Verschulden der Vermieter für den Wasserschaden) auch erkannt, dass die Kündigung und das Räumungsbegehren dann nicht mit Erfolg auf Zahlungsverzug, sondern (nur) auf den außergerichtlich geltend gemachten und begründeten Eigenbedarf gestützt werden konnte. Es besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Vermieter bei fehlender oder berechtigter Zahlungsverweigerung der Kläger so vorgegangen wären; denn sie wollten die Kläger ersichtlich als Mieter loswerden.
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2. Auch der jetzt aufgestellten Behauptung der Kläger, den (im ersten Rechtszug des hiesigen Regressverfahrens nicht bestrittenen) Eigenbedarf hätten die Vermieter im Bedarfsfall im Vorprozess nicht in schlüssiger Weise begründen können, ist nicht zu folgen. Die Frage, ob der nahe Angehörige, dem die Vermieter die früher von den Klägern innegehaltene Wohnung zum Gebrauch überlassen wollten, sein Studium hätte finanzieren können, vermag doch den geltend gemachten Eigenbedarf rechtlich nicht in Frage zu stellen, zumal das Studium nicht durch den Studierenden selbst, sondern regelmäßig durch die Unterhaltspflichtigen, notfalls auch aus öffentlichen Transfergeldern (BaföG) finanziert wird. An der Berechtigung der Eigenbedarfskündigung wären allenfalls dann Zweifel angebracht gewesen, wenn die Kläger konkrete und selbsttragende Anhaltspunkte dafür vorgebracht hätten, der Wohnbedarf des nahen Angehörigen sei nur vorgeschoben gewesen. An solchen Anhaltspunkten fehlt es.
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3. Die Argumentationsweise der Kläger belegt ferner, dass sie – auch aus heutiger Sicht – tatsächlich nicht bereit gewesen waren, die von ihnen innegehaltene Wohnung freiwillig zu räumen, so dass es, wie der Beklagte geltend macht, auch ohne seinen Beratungsfehler zum Räumungsprozess gekommen wäre.
III.
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Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung im Beschlussverfahren liegen vor. Die Rechtssache hat nämlich weder grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats im Urteilsverfahren (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO).
IV.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.