Zur Frage, ob ein Sperrpfosten in der Mitte eines Radweges ursächlich für den Unfall eines Radfahrers ist

OLG Hamm, Urteil vom 30. September 2020 – 11 U 81/19

Zur Frage, ob das Aufstellen eines Sperrpfostens in der Mitte eines Radweges, das nicht in jeder Hinsicht nach den Vorgaben der ERA 2010 entspricht, für den Unfall eines gegen den Sperrpfosten fahrenden Radfahrers ursächlich ist und zur Bewertung eines groben Mitverschuldens des Radfahrers.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 10. Mai 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleitung vorläufig vollstreckbar.

Gründe
I.

1
Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

II.

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Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

3
Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht aufgrund seines Fahrradunfalls am 00.06.2017 gegen 20.30 Uhr auf dem X-Radweg im Bereich Q kein Schadensersatzanspruch gegen den beklagten Kreis gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 StrWG NW als der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage zu.

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Es erscheint bereits sehr fraglich, ob dem beklagten Kreis bei der seinerzeit bestehenden Gestaltung des Radweges eine Verletzung der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht zur Last fällt (dazu 1.). Jedenfalls lässt sich aber nicht feststellen, dass die Gestaltung des Radweges ursächlich für den Sturz des Klägers geworden ist (dazu 2.). Zudem scheitert ein etwaiger Anspruch des Klägers daran, dass ihn ein weit überwiegendes und daher anspruchsausschließendes Mitverschulden i.S.d. § 254 Abs. 1 BGB trifft (dazu 3.).

1.

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Es erscheint sehr fraglich, ob der beklagte Kreis bei der Gestaltung des Radweges überhaupt eine Verkehrssicherungspflicht verletzt hatte.

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a) Ein Pflichtenverstoß steht zunächst nicht schon dadurch fest oder wird zumindest indiziert, weil der Beklagte seit dem Unfall des Klägers inzwischen zweimal Veränderungen im Bereich des Sperrpfostens vorgenommen hat. In diesem Verhalten liegt weder ein Eingeständnis einer vorangegangenen Pflichtverletzung noch gar die Anerkennung eines Schadensersatzanspruchs. Vielmehr muss es jedem Sicherungspflichtigen freistehen, auch über das haftungsrechtlich Notwendige hinaus die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer zu verbessern.

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b) Der beklagte Kreis hatte bei der Gestaltung des Radweges die nachfolgenden Grundsätze zu beachten:

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Gemäß §§ 9, 9a, 47 StrWG NW bestand für ihn die hoheitlich ausgestaltete Verpflichtung, die von ihm unterhaltenen Verkehrsflächen von abhilfebedürftigen Gefahrenquellen freizuhalten. Er hatte daher im Rahmen des ihm Zumutbaren nach Kräften darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer auf den in seinen Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen nicht zu Schaden kommen. Allerdings muss der Sicherungspflichtige nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen, da eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, praktisch nicht erreichbar ist. Vielmehr bestimmt sich der Umfang der Verkehrssicherungspflichten danach, für welche Art von Verkehr eine Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist und was ein vernünftiger Benutzer an Sicherheit erwarten darf. Dabei haben die Wegebenutzer die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen und sich ihnen anzupassen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten, und mit typischen Gefahrenquellen zu rechnen. Ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist erst dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung anderer ergibt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Benutzer bei Beachtung der zu erwartenden Eigensorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag. Die Grenze zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen wird dabei maßgeblich durch die sich im Rahmen des vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt, wobei dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und ihrer Verkehrsbedeutung maßgebliche Bedeutung beikommt. Dabei ist an die Sicherungspflicht ein strenger Maßstab anzulegen, wenn eine Gefahrenstelle, wie hier der auf dem Radweg stehende Sperrpfosten, nicht durch Naturereignisse oder Eingriffe Dritter entstanden ist, sondern vom Verkehrssicherungspflichtigen selbst geschaffen worden ist.

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c) Bei Anwendung dieser Grundsätze spricht viel für die Annahme, dass der Beklagte diesen Anforderungen genügt hat.

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So hat er durch das Aufstellen des Sperrpfostens nicht in unzulässiger Weise und unter Verstoß gegen die Bestimmung des § 32 StVO ein Verkehrshindernis geschaffen. Zwar werden Sperrpfosten seit einer Gesetzesänderung im Jahre 2009 nicht mehr als zulässige Verkehrseinrichtungen im Sinne des § 43 StVO in der Anlage zu § 43 Abs. 3 StVO aufgeführt. Indes wird § 32 StVO einschränkend dahin ausgelegt, dass ein Hindernis im Sinne dieser Norm nur dann vorliegt, wenn es einen verkehrsfremden Zustand verursacht (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 32 StVO Rdn. 9 und 14 m. w. N.). Zudem werden geringfügige Behinderungen ausgegrenzt (a.a.O. Rdn. 18). Da der Sperrpfosten, wie der Beklagte plausibel und unwiderlegt dargelegt hat, dem Zweck diente, das Befahren des Radweges mit Kraftfahrzeugen zu unterbinden und damit gerade die Radfahrer zu schützen, stellt er kein Hindernis im Sinne des § 32 StVO dar.

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Indes sind auch Pfosten, die der Verkehrslenkung dienen, so zu gestalten, dass sie von einem in der gebotenen Weise sorgfältigen Radfahrer rechtzeitig wahrzunehmen sind, so dass er ihnen ausweichen kann. Aus diesem Grunde müssen die Pfosten farblich so gestaltet sein, dass sie sich vom Belag des Radweges absetzen und bei Tageslicht hinreichend deutlich sichtbar sind. Wird der Radweg nicht durch Straßenlaternen oder andere Lichtquellen ausgeleuchtet, müssen zudem eine bei Dunkelheit reflektierende Farbe aufgetragen oder Reflektoren angebracht werden, so dass die Sperrpfosten auch unter derartigen Sichtverhältnissen erkennbar bleiben (vgl. OLG Hamm, 9. Zivilsenat, Urteil vom 09.11.2001, 9 U 252/98, MDR 2002, S. 643).

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Im vorliegenden Fall war der Sperrpfosten inmitten des Radweges aufgestellt und wies eine auffällige rot-weiße Färbung auf. Ob er auch bei Dunkelheit ausreichend das Licht herannahender Räder reflektierte, kann dahinstehen. Zum einen war es im Unfallzeitpunkt am 00.06.2017 um 20.30 Uhr nicht dunkel und noch nicht einmal dämmerig. Allein der Umstand, dass zum damaligen Zeitpunkt nach Behauptung des Klägers tief hängende Regenwolken vorhanden waren, kann nicht dazu führen, dass der Pfosten bei dem dennoch vorhandenen Tageslicht nicht mehr erkennbar war. Zudem hatte der Kläger auch keine Beleuchtung an seinem Fahrrad eingeschaltet. Daher sind auf den vorliegenden Fall die Ausführungen des 9. Zivilsenats des hiesigen Oberlandesgerichts (a.a.O.) nicht übertragbar, da dessen Entscheidung eine Kollision eines Radfahrers bei Nacht mit einem unbeleuchteten, nicht weithin sichtbaren Pfosten auf einem Radweg zugrunde lag.

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Des Weiteren steht aufgrund der von den Parteien vorgelegten Fotos außer Frage, dass der Pfosten nicht unmittelbar hinter dem Kurvenbereich oder sonst schlecht sichtbar aufgestellt worden war. Vielmehr stand der Pfosten mit einiger Entfernung vom Ausgang der (in Fahrtrichtung des Klägers) vorangehenden Rechtskurve. Soweit im Bereich der sich in einiger Entfernung anschließenden Linkskurve weitere rot-weiße Pfosten aufgestellt waren, ist der Einwand des Klägers, dass sich der auf dem Radweg stehende Sperrpfosten optisch nicht genügend von diesen anderen Pfosten abheben würde, schon nach den vorgelegten Fotos nicht nachvollziehbar.

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Der beklagte Kreis war auch nicht verpflichtet, statt des aus Metall gefertigten Pfostens einen Pfosten aus biegsamem Kunststoff aufzustellen. Das Aufstellen von Metallpfosten war und ist auch weiterhin noch üblich und aus dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht nicht zu beanstanden, weil der Verkehrssicherungspflichtige keine Vorkehrung zu treffen hat, dass das Verletzungsrisiko gering ist, wenn ein Radfahrer auf den Pfosten auffährt. Sein Pflichtenkreis erschöpft sich vielmehr darin, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, dass ein ausreichend sorgfältiger Radfahrer den Pfosten rechtzeitig erkennen und ihm ausweichen kann.

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Der Kläger macht weiter ohne Erfolg geltend, dass der Pfosten an einer Stelle aufgestellt worden sei, an welcher er nicht damit habe rechnen müssen, weil er nicht unmittelbar dort gestanden habe, wo der Radweg auf einen Bereich trifft, in dem regelmäßig Kraftfahrzeugverkehr stattfindet. Ein zugunsten von Radfahrern geltendes Gebot, dass Sperrpfosten nur an einer möglichst straßennahen Stelle aufgestellt werden dürfen, besteht nicht. Auch an der Stelle, an welcher der Kläger verunglückte, war der Pfosten geeignet, Kraftfahrer vom Befahren des Radweges abzuhalten. Die berechtigte Erwartungshaltung eines Radfahrers kann lediglich sein, dass ein Sperrpfosten für ihn kein überraschendes Hindernis bildet, auf das er sich bei Einhaltung der eigenüblichen Sorgfalt nicht rechtzeitig einzustellen vermag.

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Einer Pflichtverletzung des beklagten Kreises kommt daher allein deshalb in Betracht, weil bei dem Aufstellen des Sperrpfostens die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen 2010 der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (ERA 2010) nicht vollständig eingehalten wurden. Denn nach deren Ziff. 11.1.10 ist u. a. bestimmt, dass Poller bzw. Sperrpfosten in der Zufahrt in einem ca. 20 m langen Keil aus weißer Randmarkierung einzufassen sind, welcher den Weg teilt. Ein solcher Keil war im Zeitpunkt des Unfalls des Klägers auf dem Weg nicht vorhanden. Die inmitten des Weges eingezeichnete weiße Linie erreichte die optische Wirkung eines auf den Pfosten zulaufenden Keils nicht und war daher nicht in gleichem Maße imstande, die Wahrnehmung der herannahenden Radfahrer auf den Pfosten zu richten.

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Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann die Nichteinhaltung der ERA 2010 eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht begründen, soweit nämlich der Sicherungspflichtige den geltenden Stand der Technik nicht berücksichtigt hat. Dieses Regelwerk stellt nicht lediglich eine unverbindliche Empfehlung dar. Zwar handelt es sich nicht um materielle Rechtssätze oder Verwaltungsvorschriften. Die Bestimmungen der ERA 2010 sind jedoch aufgrund der Tatsache, dass sie durch ein fachkundiges Gremium erstellt wurden, als antizipiertes Sachverständigengutachten zu berücksichtigen. Obwohl sie weder gegenüber der Behörde noch gegenüber dem Gericht rechtliche Bindungswirkung entfalten, treffen sie wie ein Sachverständigengutachten Aussagen zu tatsächlichen Umständen, die bei der rechtlichen Würdigung des streitigen Sachverhalts zu werten sind (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 1. Dezember 2009 zu 14 K 5458/08, Ziff. 115, veröffentlicht bei Juris). Sie geben somit den Stand der Technik wieder und sind zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung gebotenen in besonderer Weise geeignet. Daher können sie regelmäßig zur Feststellung von Inhalt und Umfang bestehender Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden (vgl. für DIN-Normen BGH, VersR 2019, Seit 1381; Schmidt in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 1 Rdn. 71, jeweils m. w. N.).

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Die ERA 2010 war im vorliegenden Fall auch anzuwenden, obwohl nicht der gesamte Radweg neu gebaut worden war, sondern lediglich am 16.03.2017 der Pfosten auf dem Radweg aufgestellt worden war. Denn auch bei dieser begrenzten Veränderung bestand Anlass, den geltenden Stand der Technik einzuhalten.

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Gleichwohl erscheint fraglich, ob die hier zu beurteilende Abweichung von der ERA 2010 eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht begründet, denn der beklagte Kreis hatte zur Sicherung des Radverkehrs eine in der ERA 2010 nicht vorgesehene zusätzliche Sicherungsmaßnahme getroffen, indem er vor Einfahrt in die Rechtskurve, hinter welcher der Sperrpfosten aufgestellt war, das Verkehrszeichen 101 zu § 40 Abs. 6 StVO („Gefahrstelle“) mit Zusatzschild „Poller“ aufgestellt hatte. Durch dieses nach den vorgelegten Lichtbildern für herannahende Radfahrer deutlich sichtbare Schild war es diesen möglich, die Gefahr durch einen auf dem Radweg befindlichen Sperrpfosten rechtzeitig zu realisieren und ihre Fahrweise darauf einzustellen. Gründe, warum die Warnbeschilderung für die Radfahrer eine geringere Sicherheit bieten sollten als die Einzeichnung eines auf den Pfosten zulaufenden Keils auf dem Weg selbst, sind dem – allerdings nicht sachverständig beratenen – Senat nicht ersichtlich.

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Letztlich kann aber die Frage, ob dem beklagten Kreis eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zur Last fällt, dahinstehen, weil auch in dem Fall, dass man eine schuldhafte Pflichtverletzung durch ihn zugunsten des Klägers unterstellt, ein Schadensersatzanspruch aus anderen Gründen nicht besteht.

2.

21
Denn jedenfalls ist die Kausalität der – unterstellten – Pflichtverletzung für den Unfall des Klägers und den dadurch eingetretenen Schaden nicht feststellbar.

22
Zwar hat der Senat aufgrund der Anhörung des Klägers keinen Zweifel, dass er zur angegebenen Zeit am angegebenen Ort mit seinem Fahrrad auf den auf dem Weg stehenden Pfosten aufgefahren ist.

23
Der Senat hat jedoch unüberwindliche Zweifel daran, dass sich der Unfall bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten – also zusätzlicher Einfassung des Pfostens durch einen auf ihn zulaufenden Keil aus weißer Randmarkierung – nicht ereignet hätte.

24
Insoweit verkennt der Senat nicht, dass nach verbreiteter Rechtsprechung, welche der Senat teilt, eine tatsächliche Vermutung für den Kausalzusammenhang besteht, wenn der Geschädigte im Bereich einer pflichtwidrig bestehenden Gefahrenstelle zu Schaden kommt. In einem solchen Fall obliegt es dem Verkehrssicherungspflichtigen, die Vermutung des ursächlichen Zusammenhangs auszuräumen (vgl. BGH, Urteil vom 03.03.1983, III ZR 34/82, NJW 1983, Seite 2241; OLG Rostock, Urteil vom 13.05.2004, 1 U 187/02 OLGR 2005, Seite 704).

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Indes ist die zugunsten des Klägers sprechende Vermutung für den Kausalzusammenhang aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls erschüttert. Der Kläger musste auf Befragen des Senats einräumen, dass er bereits das vor der Kurve angebrachte Verkehrszeichen nicht wahrgenommen hatte. Seine Einschätzung, dass das Schild zu klein und zu hoch angebracht worden sei, ist nach den von ihm selbst vorgelegten Fotos einer Anlage zur Klageschrift nicht nachvollziehbar. Der Kläger hat weiter eingeräumt, dass er die Kurve mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h durchfahren hatte, also mit einer relativ hohen Geschwindigkeit, die eine Reaktion auf von ihm nicht erwartete Hindernisse erschwerte. Des Weiteren räumte der Kläger ein, dass er seinen Blick wohl in die Ferne gerichtet habe und dadurch den auf dem Weg befindlichen Pfosten erst realisiert habe, als er ungebremst darauf gefahren sei. Auch die vorhandene weiße Linie habe er erst im Nachhinein gesehen.

26
Bei der von ihm beschriebenen Fahrweise hatte der Kläger keine der drei zur Sicherung des Radverkehrs vorhandenen Vorrichtungen (Warnbeschilderung, weiße Linie, auffällige Färbung des Sperrpfostens) wahrgenommen. Vielmehr war er allein aufgrund früherer Benutzung des Radweges und damit ohne hinreichenden Grund davon ausgegangen, dass er an der betreffenden Stelle unbesorgt den Weg in seiner gesamten Breite würde nutzen können. Bei der somit vorhandenen Unaufmerksamkeit und Sorglosigkeit erscheint es als bloße Spekulation, dass der Kläger durch eine keilförmige Einfassung des Pfostens noch rechtzeitig die für ihn bestehende Gefahr realisiert und es vermocht hätte, dem Pfosten auszuweichen. Der Geschehensablauf ist deshalb so untypisch, dass eine tatsächliche Vermutung zugunsten des Klägers nicht eingreift. Den ihm daher obliegenden Nachweis des Kausalzusammenhangs vermag er nicht zu führen.

3.

27
Ein Anspruch des Klägers scheitert des Weiteren aber auch, weil ihn, wie bereits vom Landgericht zutreffend angenommen wurde, ein weit überwiegendes und somit anspruchsausschließendes Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls trifft.

28
Der Kläger hat es in mehrfacher Hinsicht an der im Verkehr gebotenen Sorgfalt fehlen lassen. So hat er das vor der Kurve aufgestellte Warnzeichen 101 zu § 40 Abs. 6 StVO mit Zusatzschild „Poller“ nicht wahrgenommen. Sodann hat er, obwohl er die Rechtskurve mit einer relativ hohen Geschwindigkeit durchfahren hat, den weiteren Zustand des vor ihm liegenden Weges nicht beobachtet, sondern seinen Blick so gerichtet, dass ihm der bei einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit unübersehbare Sperrpfosten entging.

29
Dieses grobe Verschulden des Klägers führt zu seiner Alleinhaftung. Der Senat verkennt nicht, dass die Alleinhaftung eines Geschädigten wegen überwiegenden Mitverschuldens nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Die Feststellung dessen erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteil vom 04.02.2006, VI ZR 20/05, NJW-RR 2006, S. 672; BGH, Urteil vom 04.11.2008, VI ZR 171/07, NJW-RR 2009, S. 239). Das Handeln des Geschädigten muss von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.2013, III ZR 326/12 VersR 2013, S. 1322).

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So liegen die Dinge jedoch im vorliegenden Fall. Das Verschulden des Klägers ist als besonders grob zu bewerten, weil er grundlegende Verhaltensgebote im öffentlichen Verkehrsraum außer Acht ließ, deren Einhaltung sich jedem in der gegebenen Situation aufdrängen musste, weshalb der Unfall für einen unbeteiligten Außenstehenden schlechthin nicht mehr verständlich ist.

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An dieser Beurteilung würde sich nichts ändern, wenn der vom Kläger benannte Zeuge F am 11.05.2018 oder 2019 gegen 22.00 Uhr an gleicher Stelle ebenfalls verunfallt wäre. Abgesehen davon, das nach dem Vortrag des Klägers eine Vergleichbarkeit beider Schadensverläufe nicht feststellbar ist und dies aufgrund des deutlich späteren Zeitpunktes, zu dem der Zeuge F verunfallt sein soll, wenig plausibel erscheint, entfällt der Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht schon dadurch, dass sich eine weitere Person in vergleichbarer Weise sorglos verhält.

32
Dem gegenüber ist auf Seiten des beklagten Kreises allenfalls ein leicht fahrlässiger Pflichtverstoß in Ansatz zu bringen. Auch wenn von ihm die Anforderungen der ERA 2010 nicht in vollem Umfang beachtet wurden, hat er mehrere geeignete Vorkehrungen getroffen, um sicherzustellen, dass der auf dem Weg stehende Sperrpfosten nicht von den herannahenden Radfahrern übersehen werden konnte. Die Diskrepanz zwischen den beiderseitigen Verursachungsbeiträgen ist daher so gravierend, dass eine auch nur anteilige Mithaftung des beklagten Kreises nicht mehr gerechtfertigt erscheinen würde.

4.

33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

34
Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen. Die vorliegende Sache betrifft einen Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung. Von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs oder anderer Oberlandesgerichte ist der Senat nicht abgewichen.

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