BGH, Beschluss vom 21.12.2017 – IX ZB 31/16
§ 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO gilt auch bei einem Anwaltswechsel zwischen dem Mahnverfahren und dem nachfolgenden streitigen Verfahren.(Rn.10)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden der Beschluss des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 15. März 2016 und der Kostenfestsetzungsbeschluss der 30. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 28. Oktober 2015 abgeändert:
Die von der Klägerin den Beklagten nach dem Endurteil des Landgerichts München I vom 28. August 2015 zu erstattenden Kosten werden auf 3.146,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. September 2015 festgesetzt.
Von den Kosten der Rechtsmittelverfahren tragen die Beklagten 94 v.H. und die Klägerin 6 v.H.
Der Wert der Beschwerdeverfahren wird auf 930,40 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Klägerin machte gegen die Beklagten, die eine gemeinsame Anwaltskanzlei betreiben, Schadensersatzansprüche aus Anwaltshaftung geltend. In dem von der Klägerin betriebenen Mahnverfahren vertraten sich die Beklagten selbst. Nach Übergang in das streitige Verfahren beauftragten sie eine andere Rechtsanwaltskanzlei.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28. Oktober 2015 hat das Landgericht die von der Klägerin an die Beklagten zu erstattenden Kosten auf 4.016,80 € festgesetzt. Dabei hat es entsprechend dem Antrag der Beklagten auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 50.000 € eine 0,8-fache Verfahrensgebühr für das Mahnverfahren nach Nr. 3307, Nr. 1008 VV RVG in Höhe von 930,40 € berücksichtigt, ohne diese auf die ebenfalls festgesetzten Gebühren für das streitige Verfahren anzurechnen. Die von der Klägerin wegen der unterlassenen Anrechnung dieser Gebühr eingelegte sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter, die Kostenfestsetzung um 930,40 € zu ermäßigen.
II.
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Die Rechtsbeschwerde hat weitgehend Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (abgedruckt u.a. in JurBüro 2016, 295) ausgeführt: Eine Anrechnung der im Mahnverfahren entstandenen Verfahrensgebühr auf die Verfahrensgebühr für den nachfolgenden Rechtsstreit nach Nr. 3307 Satz 2 VV RVG scheide aus, weil verschiedene Rechtsanwälte tätig geworden seien. Im Übrigen betreffe diese Anrechnungsvorschrift nur das Innenverhältnis zwischen dem Mandanten und seinem Rechtsanwalt. Sie diene grundsätzlich nicht dem Schutz des Prozessgegners. Die erstattungspflichtige Gegenpartei könne sich im Falle eines Anwaltswechsels auch nicht auf die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO berufen. Der Nichteintritt einer Gebührenersparnis sei nicht unter diese Norm zu fassen.
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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Mit Recht hat das Beschwerdegericht allerdings angenommen, dass die Verfahrensgebühr für die Vertretung des Antragsgegners im Mahnverfahren nach Nr. 3307 Satz 1 VV RVG nicht gemäß Satz 2 dieser Bestimmung auf die Verfahrensgebühr für das nachfolgende streitige Verfahren anzurechnen ist, wenn die Gebühren von verschiedenen Rechtsanwälten verdient sind (vgl. zur Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG: BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – VII ZB 41/09, JurBüro 2010, 190, 191; zur Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG: BGH, Beschluss vom 27. August 2014 – VII ZB 8/14, NJW 2014, 3518 Rn. 19; vom 26. Oktober 2017 – V ZB 188/16, zVb Rn. 6; zur Anrechnung nach Nr. 3307 VV RVG: Mayer/Kroiß/Gierl, RVG, 7. Aufl., Nr. 3307 VV RVG Rn. 10). Dies gilt auch, wenn – wie im Streitfall – ein Rechtsanwalt sich zunächst selbst vertreten und nach § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO Anspruch auf Gebührenerstattung wie im Falle der Mandatierung durch einen Dritten hat.
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b) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts findet im Streitfall jedoch die Bestimmung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO Anwendung.
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aa) Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Die Regelung in § 91 ZPO betrifft die Kosten des Rechtsstreits. Anwaltsgebühren für eine außergerichtliche Tätigkeit gehören nicht zu diesen Kosten. Wird eine Partei vorprozessual von einem anderen Rechtsanwalt vertreten als im Rechtsstreit, beschränkt § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO deshalb die Erstattung der gerichtlichen Verfahrensgebühr nicht. Umstritten ist hingegen, ob die Norm bei einem Anwaltswechsel nach einem Mahnverfahren oder nach einem selbständigen Beweisverfahren anzuwenden ist.
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bb) Der Bundesgerichtshof hat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden, dass § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Fall des Anwaltswechsels zwischen einem selbständigen Beweisverfahren und dem nachfolgenden Hauptsacheverfahren anwendbar ist (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2017 – V ZB 188/16, zVb Rn. 8 ff). Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO sei Ausdruck des in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO verankerten Grundsatzes, dass jede Partei die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten hat, wie es sich mit einer ihre Rechte wahrenden Prozessführung verträgt. Da es insoweit um die Kosten des Rechtsstreits gehe, sei nur ein Anwaltswechsel innerhalb des gerichtlichen Verfahrens angesprochen. Zu dem gerichtlichen Verfahren in diesem Sinne gehöre auch ein selbständiges Beweisverfahren. Zwar handele es sich gebührenrechtlich um eine gegenüber dem Klageverfahren eigene Angelegenheit. Das Beweis- und das Erkenntnisverfahren seien aber sachlich, zeitlich und hinsichtlich der Beteiligten eng verflochten (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2017, aaO Rn. 13).
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cc) Für den Fall eines Anwaltswechsels zwischen Mahn- und streitigem Verfahren kann nichts anderes gelten (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 23. März 2004 – VIII ZB 145/03, FamRZ 2004, 866; vom 20. Oktober 2005 – VII ZB 53/05, NJW 2006, 446 Rn. 9 f; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 23. Aufl., Nr. 3305-3308 VV RVG Rn. 86a; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 38. Aufl., § 91 Rn. 38). Das Mahnverfahren ist Teil des in § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO angesprochenen gerichtlichen Verfahrens. Zwar sind das Mahnverfahren und das nachfolgende streitige Verfahren gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 2 RVG). Darauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Maßgeblich ist vielmehr, dass das Mahnverfahren – mehr noch als das selbständige Beweisverfahren – mit dem streitigen Verfahren so eng verflochten ist, dass es als Teil des Rechtsstreits im Sinne von § 91 ZPO zu betrachten ist. Das Mahnverfahren ist kein eigenständiges Streitverfahren, sondern ein diesem nur vorgelagertes Verfahren zur vereinfachten und beschleunigten Erlangung eines Vollstreckungstitels (BGH, Beschluss vom 11. April 1991 – I ARZ 136/91, NJW 1991, 2084). Den engen Zusammenhang verdeutlicht insbesondere die gesetzliche Regelung in § 696 ZPO. Sie sieht vor, dass im Falle eines Widerspruchs „der Rechtsstreit“ an das Prozessgericht abgegeben wird (§ 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit Eingang der Akten bei diesem Gericht gilt der Rechtsstreit als dort anhängig (§ 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Erfolgt die Abgabe alsbald nach Erhebung des Widerspruchs, gilt die Streitsache als mit der Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden (§ 696 Abs. 3 ZPO). Die im Verfahren vor dem Mahngericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die vor dem Prozessgericht erwachsen (§ 696 Abs. 1 Satz 5, § 281 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Sie sind deshalb Gegenstand der Kostenentscheidung im streitigen Verfahren nach § 91 ZPO. Entsprechendes gilt nach § 700 ZPO im Falle eines Einspruchs gegen einen Vollstreckungsbescheid.
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dd) Der Anwendung von § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO steht auch nicht entgegen, dass die Beklagten nicht mehrere Rechtsanwälte beauftragt, sondern sich zunächst selbst in eigener Sache vertreten haben mit der Folge eines Gebührenerstattungsanspruchs nach § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Die Bestimmung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO regelt nach ihrem Zweck auch einen solchen Fall.
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3. Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen Bestand haben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO). Die von der Klägerin den Beklagten zu erstattenden Kosten sind lediglich in Höhe von 3.146,40 € festzusetzen. Die Mehrkosten, die dadurch entstanden sind, dass sich die Beklagten im Mahnverfahren selbst vertreten und im streitigen Verfahren andere Rechtsanwälte beauftragt haben, muss die Klägerin nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht erstatten.
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a) Die von den Beklagten geltend gemachten Kosten übersteigen die Kosten, die angefallen wären, wenn die Beklagten sich auch im streitigen Verfahren selbst vertreten hätten oder bereits im Mahnverfahren die im streitigen Verfahren tätigen Rechtsanwälte beauftragt hätten. Wegen der Anrechnungsvorschrift in Nr. 3307 Satz 2 VV RVG hätte sich in beiden Fällen die Verfahrensgebühr für die Vertretung im streitigen Verfahren um die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens ermäßigt.
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b) Der Wechsel in der Person des Rechtsanwalts – hier der Wechsel von der Selbstvertretung zur Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts – musste nicht eintreten. Der Umstand, dass nach dem Vortrag der Beklagten ihre Haftpflichtversicherung die Beauftragung einer auf Anwaltshaftung spezialisierten Kanzlei für das streitige Verfahren verlangte, begründet keine zwingende Erforderlichkeit im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Selbst eine versicherungsvertragliche Verpflichtung der Beklagten, einer entsprechenden Weisung ihres Versicherers zu folgen, rechtfertigt es nicht, entstehende Mehrkosten dem Gegner aufzuerlegen (vgl. OLG Nürnberg, VersR 2012, 636, 637). Im Übrigen war ein solches Verlangen des Versicherers für die Beklagten voraussehbar. Sie hätten deshalb bereits im Mahnverfahren den vom Versicherer gewünschten Rechtsanwalt beauftragen können.
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c) Als erstattungsfähig festzusetzen sind daher nur die Kosten, die ohne Anwaltswechsel angefallen wären. Die 0,8-fache Verfahrensgebühr für die Vertretung des Antragsgegners im Mahnverfahren wäre nach Nr. 3307 Satz 2 VV RVG auf die Verfahrensgebühr für das streitige Verfahren anzurechnen gewesen, allerdings nur auf der Grundlage des geringeren Gegenstandswerts des streitigen Verfahrens, der hier 42.721,86 € betrug (vgl. OLG München, JurBüro 2013, 303, 304; Schons in Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., Nr. 3305-3308 VV RVG Rn. 27, 32; Bräuer in Bischof/Jungbauer, RVG, 7. Aufl., Nr. 3307 VV RVG Rn. 14). Der Anrechnungsbetrag beläuft sich danach auf 870,40 €. Anstelle des vom Landgericht festgesetzten Betrags von 4.016,80 € ist der Betrag von 3.146,40 € festzusetzen.