OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.02.2011 – I-18 U 179/10, 18 U 179/10
Liefert ein Zustellfahrer eine aus vier Paketen bestehende Sendung unter völlig falscher Anschrift an einen nicht berechtigten Empfänger ab, stellt dies einen so eklatanten Verstoß gegen Kardinalpflichten des Frachtführers dar, dass sich hieraus hinreichende Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Verschulden ergeben (Rn. 22).
Ein Mitverschulden der Versenderin lässt sich nicht daraus ableiten, dass sie die Beklagte in Kenntnis des Umstandes beauftragt haben soll, dass sie keine Schnittstellenkontrollen durchführt. Denn die bloße Kenntnis und Billigung der Transportorganisation durch den Versender reicht nicht aus, um ein Mitverschulden zu bejahen. Erforderlich ist danach vielmehr, dass er den schadensstiftenden und schadensanfälligen Charakter der Betriebsorganisation und der Arbeitsabläufe kennt, der Versender also einen Frachtführer beauftragt, von dem er weiß oder hätte wissen müssen, dass es in dessen Unternehmen auf Grund grober Organisationmängel zu Schäden kommt (Rn. 27).
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 23.09.2010 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf ( 31 O 6/10) wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin macht als Transportversicherer der Firma T. D. D.GmbH in D., Deutschland, einen Schadensersatzanspruch wegen eines Transportschadensfalles aus abgetretenem bzw. übergegangenem Recht geltend.
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Die Versicherungsnehmerin der Klägerin beauftragte im Juni 2009 die Beklagte mit der Beförderung einer aus vier Paketen bestehenden Sendung an die Firma U. M. ……, P., Frankreich, Rue ……
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Die Beklagte übernahm die Sendung am 02.06.2009 bei der Versicherungsnehmerin der Klägerin, lieferte sie indes nicht bei der vorstehend genannten Empfängerin, sondern ausweislich der Zustellbenachrichtigungen (Anlage K1 , Bl. 5 ff GA) bei einer Firma P., P., Frankreich, 3…….., ab.
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Die Klägerin hat behauptet, die Sendung habe Mobilfunkgeräte enthalten, deren Wert laut Handelsrechnung vom 29.05.2009 (Anlage K 2, Bl.9 ff GA) 51.290,– € betragen habe. Diesen Schaden habe sie mit 48.960,–€ reguliert, welche sie, die Klägerin, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.09.2009 im vorliegenden Rechtsstreit ersetzt begehrt.
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Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass sich ihre Aktivlegitimation aus der erfolgten Abtretung ergebe. Die Beklagte habe für den entstandenen Schaden in voller Höhe einzustehen. Sie sei mangelhaft organisiert, da sie nicht in der Lage sei, den Verbleib der Sendung aufzuklären.
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Dem ist die Beklagte entgegengetreten und hat behauptet, die Sendung habe die berechtigte Empfängerin erreicht. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass das Montrealer Übereinkommen einschlägig sei, weil – so die Behauptung der Beklagten – der Transport von K. nach P. per Luftfracht erfolgt sei. Im übrigen ergebe sich ein Anspruch allenfalls in Höhe des Haftungshöchstbetrages entsprechend ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen, da eine Wertdeklaration durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin nicht erfolgt sei. Deswegen müsse sich die Klägerin auch ein Mitverschulden anrechnen lassen. Außerdem sei ihr – der Beklagten – die Sendung in Kenntnis fehlender Schnittstellenkontrollen übergeben worden.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
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Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die nach wie vor die Vorschriften des Montrealer Übereinkommens für einschlägig hält, weiterhin Paketinhalt und -wert bestreitet und den Mitverschuldenseinwand wiederholt.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 23.09.2010 ( Aktenzeichen 31 0 6/10 ) die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
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Die Berufung der Beklagten gegen das angefochtene Urteil ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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Gem. §§ 452 a i. V. m. 425 Abs. 1, 435 HGB muss die Beklagte für den in ihrem Frachtführergewahrsam eingetretenen Frachtverlust unbeschränkt einstehen.
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1. Bei dem streitgegenständlichen Transport handelt es sich nach dem Vorbringen der Beklagten um einen Multimodaltransport vor, auf den gemäß § 452 S. 1 HGB die Vorschriften der §§ 407 ff HGB Anwendung finden, soweit sich aus den §§ 452 ff HGB oder anzuwendenden internationalen Übereinkommen nicht etwas anderes ergibt.
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Die Vorschriften des Montrealer Übereinkommens gelten gem. dessen Art. 38 im Falle einer gemischten Beförderung nur für die Luftbeförderung vorbehaltlich des Art 18 Abs. 4 MÜ. Erfolgt ein Transport auf dem Landweg zum Zwecke der Verladung, Ablieferung oder der Umladung wird gemäß Art. 18 Abs. 4 S. 2 MÜ bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Schaden durch ein während der Luftbeförderung eingetretenes Ereignis erfolgte. Gerade das Gegenteil ist hier jedoch bewiesen, da der Schaden unstreitig dadurch eingetreten ist, dass die Ware auf der Straße per Kraftfahrzeug an den falschen Empfänger ausgeliefert wurde. Die Vorschriften des Montrealer Übereinkommens mit der daraus folgenden Haftungsbeschränkung greifen mithin nicht, weil feststeht, dass sich der Schaden auf dem Landweg ereignete, so dass die Vermutungsregel des Art. 18 Abs. 4 S. 2 MÜ widerlegt ist. Die übrigen Streckenabschnitte außerhalb der Luftbeförderung unterliegen dem auf sie anwendbaren Recht. (MünchKomm.HGB/Ruhwedel, 2. Aufl., Art. 38 MÜ Rdn. 7 ).
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2. Da die Beklagte unstreitig die Sendung an einen anderen als den frachtbriefmäßigen Empfänger unter einer komplett anderen Anschrift ausgeliefert hat, ist von einem Totalverlust auszugehen. Denn die Falschablieferung bedeutet grundsätzlich den Verlust des Frachtgutes (Koller, Transportrecht, 7. Aufl. § 425 HGB Rdnr. 7). Den Nachweis ordnungsgemäßer Ablieferung kann die Beklagte nicht erbringen.
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Ebenso wenig war ihrem Beweisantritt – Vernehmung des Geschäftsführers der frachtbriefmäßigen Empfängerin – nachzugehen zu der völlig unsubstantiierten Behauptung, die Ware habe den rechtmäßigen Empfänger erreicht. Der Senat verkennt nicht, dass grundsätzlich eine Partei ihrer Darlegungslast genügt, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen und dass unerheblich ist, wie wahrscheinlich die Darstellung ist.
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Hier aber steht der Vortrag der Beklagten in diametralem Gegensatz zur Dokumentenlage, die auf Urkunden aus ihrem Geschäftsbereich beruht. Daraus lässt sich u.a. entnehmen (Postleitzahl), dass die Sendung in einem anderen Stadtteil von P. abgeliefert wurde. Deshalb hätte die Beklagte hier vortragen müssen, auf welchem Wege die Pakete in den Besitz der wahren Empfängerin gelangt sein sollen. Insofern lässt sich der vorliegende Fall nicht mit demjenigen vergleichen, welcher Gegenstand des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 02.04.2009 – I ZR 16/07 – (Transportrecht 2009, 410) war. Denn dort ging es um die wesentlich substantiiertere Behauptung, die berechtigte Empfängerin der Fracht habe diese in dem Center der Beklagten abgeholt.
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3. Der Beklagten ist es gem. § 435 HGB verwehrt, sich auf Haftungsbefreiungen und Haftungsbegrenzungen zu berufen. Denn es spricht eine nicht ausgeräumte Vermutung dafür, dass die Beklagte bzw. eine in § 428 HGB genannte Person der Vorwurf qualifizierten Verschuldens trifft.
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Der unstreitige Umstand, dass der Zustellfahrer eine aus vier Paketen bestehende Sendung unter völlig falscher Anschrift an einen nicht berechtigten Empfänger abgeliefert hat, stellt einen so eklatanten Verstoß gegen Kardinalpflichten des Frachtführers dar, dass sich hieraus hinreichende Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Verschulden ergeben. Es wäre dann an der Beklagten gewesen, im Rahmen ihrer Einlassungsobliegenheit näher darzutun, wie es zu dem Fehler kommen konnte bzw. gekommen ist, welche Vorsorge getroffen ist, derartige Falschablieferungen zu vermeiden, wann die konkrete Falschablieferung entdeckt wurde und welche Anstrengungen die Beklagte unternommen hat, um den Fehler zu korrigieren.
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Zu alle dem schweigt sich die Beklagte indes aus, so dass zu ihren Lasten von den Voraussetzungen des § 435 HGB auszugehen ist. Daran ändert auch der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 10.02.2011 nichts, da er die vorstehend wiedergegebenen Fragen nicht beantwortet, sondern nur Rechtsansichten enthält.
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4. Die Klage ist auch der Höhe nach begründet. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ( vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2002, Az.: I ZR 104/00 ) ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass ein Anscheinsbeweis zu Gunsten der Klägerin dafür besteht, dass die Sendung auch den behaupteten Inhalt aufwies, den die Beklagte durch ihr einfaches Bestreiten mit Nichtwissen nicht ausgeräumt hat. Die Klägerin hat sowohl die Rechnung als auch den Lieferschein vorlegt. Die Anregung der Beklagten, der Senat möge seine Rechtsprechung überdenken, nach der ein Bezug zwischen Dokumenten und Transport nicht erforderlich sei, geht bereits wegen des hier tatsächlich vorliegenden Zusammenhangs ins Leere. Wie die Klägerin zutreffend ausführt, liegt der Zusammenhang darin, dass den Zustellbenachrichtigungen der Beklagten gemäß Anlage K 1 neben den Trackingnummern der Beklagten auch jeweils die Belegnummer der Versicherungsnehmerin der Klägerin -2……..- zu entnehmen ist. Soweit die Beklagte noch dadurch Zweifel zu begründen sucht, dass sie das Datum von Rechnung und Lieferschein – 29.05.2009 – dem Abholdatum – 02.06.2009 – gegenüberstellt, beweist ein Blick in den Kalender des Jahres 2009, dass dazwischen allein das Pfingstwochenende lag, so dass die zeitliche Differenz den Zusammenhang zwischen den vorgelegten Dokumenten nicht in Frage zu stellen vermag.
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Da der Inhalt der Sendung feststeht, treffen auch die Ausführungen des Landgerichts zum Wert der Sendung zu (vgl. § 429 Abs. 3 S. 2 HGB).
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5. Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht wegen eines Mitverschuldens der Versenderin gemindert, §§ 425 Abs. 2 HGB, 254 BGB.
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Ein Mitverschulden der Versenderin lässt sich nicht daraus ableiten, dass sie die Beklagte in Kenntnis des Umstandes beauftragt haben soll, dass sie keine Schnittstellenkontrollen durchführt. Denn die bloße Kenntnis und Billigung der Transportorganisation durch den Versender reicht nicht aus, um ein Mitverschulden zu bejahen. Erforderlich ist danach vielmehr, dass er den schadensstiftenden und schadensanfälligen Charakter der Betriebsorganisation und der Arbeitsabläufe kennt, der Versender also einen Frachtführer beauftragt, von dem er weiß oder hätte wissen müssen, dass es in dessen Unternehmen auf Grund grober Organisationmängel zu Schäden kommt (vgl. BGH TranspR 2008, 362, 363). Diese Voraussetzungen sind hier nicht ersichtlich.
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Ebenso wenig ergibt sich ein Mitverschulden der Versenderin daraus, dass sie eine Wertdeklaration unterlassen hat. Zwar kann ein Versender in einen nach § 425 Abs. 2 HGB beachtlichen Selbstwiderspruch geraten, wenn er trotz Kenntnis, dass der Frachtführer die Sendung bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, von einer Wertdeklaration absieht und bei Verlust gleichwohl vollen Schadensersatz verlangt. Im vorliegenden Fall scheitert ein hierauf gestützter Mitverschuldenseinwand jedoch daran, dass positiv feststeht, dass die unterlassene Wertdeklaration den Schaden nicht verursacht hat. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Betriebsorganisation der Beklagten für wertdeklarierte Pakete eine (zusätzliche) Sicherungsmaßnahme bei der eigentlichen Ablieferung der Fracht an den Empfänger vorsähe. Dieser Vorgang gestaltet sich bei wertdeklarierten und Standardpaketen gleich.
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Schließlich kann der Mitverschuldenseinwand nicht darauf gestützt werden, dass die Versenderin die Beklagte nicht auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens hingewiesen hat. Die Beklagte hat in zahlreichen Rechtsstreitigkeiten vorgetragen und es ist gerichtsbekannt, dass sie die Beförderung von Paketen nicht ablehnt, auch wenn deren Inhalt mehr als 5.000,– EUR wert ist, solange nicht die Verbotsgutgrenze von 50.000,– USD pro Paket überschritten ist. Dies war hier nicht der Fall.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt.