BGH, Urteil vom 19. März 2008 – VIII ZR 68/07
Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an eine prozessunfähige Partei
Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an eine – aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar – prozessunfähige Partei die Einspruchsfrist in Gang setzt.
Dem heute verkündeten Urteil liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger erwirkte gegen den Beklagten wegen einer Mietforderung in Höhe von 900 € einen Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart, der dem Beklagten am 24. September 2003 zugestellt wurde. Sein Einspruch ging am 6. März 2006 bei dem Amtsgericht ein. Der Beklagte hat geltend gemacht, die Einspruchsfrist sei mangels wirksamer Zustellung des Vollstreckungsbescheids noch nicht abgelaufen, weil er von Mitte 2002 bis Ende 2004 wegen einer Alkoholerkrankung geschäftsunfähig gewesen sei. Das Amtsgericht hat den Einspruch als unzulässig verworfen. Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten blieb ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Zustellung des Vollstreckungsbescheids an den Beklagten am 24. September 2003 die zweiwöchige Einspruchsfrist (§ 700 Abs. 1, § 339 ZPO) auch dann in Gang gesetzt hat, wenn der Beklagte zu diesem Zeitpunkt geschäfts- und damit auch prozessunfähig war. Das entsprach bereits unter Geltung von § 171 Abs. 1 ZPO alter Fassung* der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 104, 109). Daran ist auch unter Geltung von § 170 Abs. 1 ZPO neuer Fassung** festzuhalten. Die dafür maßgeblichen Gründe bestehen unverändert fort.
Zum einen sieht die Zivilprozessordnung eine Nichtigkeitsklage gegen einen Vollstreckungsbescheid auch für den Fall vor, dass eine Partei im Verfahren nicht ordnungsgemäß vertreten war (§ 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 586 Abs. 3 ZPO). Dies setzt voraus, dass ein Vollstreckungsbescheid rechtskräftig werden kann, obwohl der (unerkannt) Geschäftsunfähige im Verfahren nicht vertreten war.
Zum anderen ist es im Interesse von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit geboten, Prozesse möglichst bald durch den Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung zu beenden. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der formelle Akt der Zustellung in seiner Wirkung, die Rechtsbehelfsfrist in Lauf zu setzen, durch Mängel, die bei der Zustellung nicht erkennbar sind und erst in einem längeren Verfahren geprüft werden müssten, in Frage gestellt würde.
Die betroffene Partei ist durch die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage ausreichend geschützt. Die (einmonatige) Frist für die Erhebung einer solchen Klage beginnt erst mit der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung an den gesetzlichen Vertreter bzw. – bei nur vorübergehender Geschäftsunfähigkeit – mit der erneuten Zustellung an die wieder prozessfähige Partei. Da eine erneute Zustellung hier noch nicht erfolgt ist, steht dem Beklagten die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage noch zur Verfügung.
*§ 171 Abs. 1 ZPO (in der bis zum 30. Juni 2002 gültigen Fassung) lautete: „Die Zustellungen, die an eine Partei bewirkt werden sollen, erfolgen für die nicht prozessfähigen Personen an ihre gesetzlichen Vertreter.“
**§ 170 Abs. 1 ZPO (in der Fassung des am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Zustellungsreformgesetzes vom 25. Juni 2001, BGBl. I S. 1206) lautet: „Bei nicht prozessfähigen Personen ist an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Die Zustellung an die nicht prozessfähige Person ist unwirksam.“
Quelle: Pressemitteilung Bundesgerichtshof