Zur Zulässigkeit der Videoüberwachung des eigenen Grundstücks bei Verpixelung der Aufnahmen des Nachbargrundstücks

AG Wedding, Urteil vom 25. Juni 2014 – 8a C 63/13

Zur Zulässigkeit der Videoüberwachung des eigenen Grundstücks bei Verpixelung der Aufnahmen des Nachbargrundstücks

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteil zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand
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Die Parteien sind Nachbarn und Bewohner der freistehenden Einfamilienhäuser in …. Die Parteien sind in umfassenden und langwierigen nachbarschaftlichen Streitigkeiten befangen, die u. a. mit der wechselseitigen Stellung von Strafanzeigen verbunden gewesen sind und wegen deren Einzelheiten auf die schriftsätzliche Darstellung der Parteien verwiesen wird. Der Beklagte hat unter dem Dachgiebel seines Hauses in Höhe von ca. 5-7 Metern zwei Videokameras installiert, eine an der von der Straße aus gesehen linken hinteren Ecke, eine weitere an der von der Straße aus gesehen vorderen rechten Seite des Hauses. Auf die fotografische Darstellung Bl. 7, 8 d. A. wird Bezug genommen. Der Beklagte weist mittels eines Hinweisschildes am Eingang darauf hin, dass das Grundstück videoüberwacht wird. Der Beklagte wurde mehrfach, zuletzt mit anwaltlichen Schreiben vom 21. Januar 2013 aufgefordert, die Kameras zu entfernen. Der Beklagte ist dem nicht nachgekommen.

2
Der Kläger behauptet, beide Kameras seien so ausgerichtet, dass sie jedenfalls auch das Grundstück des Klägers filmen würden. Es handele es sich um so genannte 360-Grad-Kameras, die in der Lage seien, ein Rundumbild zu filmen. Sofern Aufnahmen des Grundstücks des Klägers nachträglich verpixelt würden, sei eine solche Verpixelung jederzeit einfach wieder aufzuheben, die Verpixelung liege ausschließlich im Ermessen des Verwenders.

3
Der Kläger beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, die auf den in der Anlage vorhandenen fotografieren ersichtlichen Kameras, welche sich ab dem Grundstück des Beklagten an den nördlichen und südlichen Hausecken, in ca. fünf bis sieben Meter Höhe, in Höhe der zweiten Etage befinden, zu entfernen.

5
Hilfsweise beantragt er,

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den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, eine Videokamera oder sonstige technische Geräte, welche zur dauerhaften Aufzeichnung von Bildern geeignet sind, so zu installieren, dass das Haus und Grundstück des Klägers bzw. Teile hiervon gefilmt werden können; für den Fall des Verstoßes die Verhängung eines Ordnungsgeldes.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte behauptet, etwaige Aufnahmen des angrenzenden öffentlichen Straßenlandes wie auch des Grundstücks des Klägers seien verpixelt. Die Kameras seien gerade so installiert worden, dass keine öffentlichen Räume und Nachbargrundstücke gefilmt würden. Entsprechend werde das Grundstück des Klägers von der Kamera nicht erfasst. Die Kameras seien flach, die Linse grundsätzlich nach unten gerichtet. Die Kameras seien auch nicht schwenkbar. Die Installation sei durch eine Fachfirma erfolgt, diese habe auch die Verpixelung eingestellt. Der Beklagte verfüge über keinen Festplattendecoder, sondern über eine sich alle 24 Stunden ändernde Datenleitung zum Smartphone, das auf Bewegungen aktiviert werden könne und dann den Befehl zur Fotoaufnahme gibt. Es bestehe weder die theoretische noch praktische Möglichkeit der Kameraüberwachung. Der Beklagte verfüge nicht über die technischen und persönlichen Voraussetzungen, um die Verpixelung aufzuheben.

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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf das Vorbringen der Parteien im Rahmen der vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

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Das Gericht hat Beweis erhoben auf der Grundlage des Beweisbeschlusses vom 31. Juli 2013, Bl. 69,70 d. A. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen für den Bereich der Videoanalytik Dipl.- Ing. Ulrich Diezel sowie durch mündliche Erläuterung des Gutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das von schriftliche Gutachten Bl. 129-145 d. A. und die Sitzungsniederschrift vom 21.05.2014 Bl. 181-183 d. A. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Entfernung der am Haus des Beklagten an den nördlichen und südlichen Hausecken in ca. fünf bis sieben Metern Höhe installierten Videokameras zu.

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Die Installation der genannten Videokamera verletzt den Kläger nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit der Folge, dass kein auf §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB gestützter Entfernungsanspruch besteht.

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Nach gefestigter Rechtsprechung greift eine Videoüberwachung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung ein, dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung öffentlicher Daten zu bestimmen (BGH, NJW 2010, 1533 ff, zitiert nach juris Rn 11,12;BVerfGE 65, 1,42 ff; NJW 2009, 3239 ff.). Bei der Installation von Anlagen der Videoüberwachung auf einem Privatgrundstück muss sicher gestellt sein, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen von den Kameras erfasst werden, sofern nicht ein das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen überwiegendes Interesse des Betreibers der Anlage im Rahmen der Abwägung bejaht werden kann (BGH a. a. O. m. w. N.). Dabei kann schon dann ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vorliegen, wenn der betroffene Eigentümer objektiv ernsthaft eine Überwachung befürchten muss. Allein die hypothetischen Möglichkeit einer Überwachung durch eine Videokamera beeinträchtigt das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen jedoch nicht, maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfalls (BGH, Urt. v. 21.10.2011, V ZR 265/10, NJW-RR 2012, 140 f).

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Ein Anspruch auf Entfernung der von vorne gesehen an der linken hinteren Hausecke installierten Videokamera besteht nicht. Diese Kamera erfasst bei der derzeitigen Ausrichtung das Grundstück des Klägers nicht. Eine Änderung der Einstellung ist auch nicht ohne einen erheblichen, von außen erkennbaren Aufwand möglich.

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Der Sachverständige Dietzel hat insoweit folgende Feststellungen getroffen: Diese Kamera ist nicht so ausgerichtet, dass sie das Grundstück des Klägers filmt. Hinsichtlich der Art der montierten Kameras hat der Sachverständige festgestellt, dass sich das Objektiv mittig im Gehäuse befindet und vertikal nach unten fest ausgerichtet ist. Eine Mechanik zur Bewegung des Objektivs besitzt die Kamera nicht. Soweit in Beschreibungen eine Neig-, Zoom- und Schwenkfunktion genannt wird, handelt es sich lediglich um eine kamerainterne virtuell softwarebasierte Bildbereichsauswahl. Aufnahmen des klägerischen Grundstücks wären lediglich bei Einsatz eine 11 mm-Objektivs mit 180° -Bildwinkel möglich. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige klargestellt, dass für die hintere Kamera die Erfassungsgrenze aufgrund des unveränderten Sensors und der Pixel physikalisch begrenzt wäre. Er hat ferner erläutert, dass ein solcher Wechsel des Objektivs oder aber des gesamten Moduls mit einem erheblichen technischen und praktischen Aufwand verbunden wäre, der das Anstellen einer hohen Leiter, die Durchführung der Montage, das Verbringen in eine Werkstatt und das anschließende Wiederanbringen mit einem Zeitraum von mindestens 45-60 Minuten erfordern würde.

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Auf dieser tatsächlichen Grundlage ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts die Möglichkeit einer Überwachung aufgrund des erheblichen technischen und von außen wahrnehmbaren Aufwandes hypothetischer Natur und begründet keinen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Anders als die Möglichkeit eines manuellen Verstellens der Kameraeinstellung von außen sind die vorliegend vom Sachverständigen als erforderlich beschriebenen Arbeiten mit einem erheblichen zeitlichen und von außen wahrnehmbaren Aufwand verbunden. Aufgrund der Höhe der Kamera müsste eine hohe und weithin sichtbare Leiter aufgestellt werden, gefolgt von aufwändigen Montagearbeiten. Würde man in dieser Konstellation eine Beeinträchtigung annehmen, müsste man eine solche auch bejahen, wenn eine Erfassung des Nachbargrundstückes eine komplette Neuanbringung einer anderen Kamera erfordern würde, womit man – abweichend von den Kriterien der Entscheidung des BGH v. 21.10.2011, V ZR 265/10 – im Ergebnis doch das Bestehen einer hypothetischen Überwachungsmöglichkeit für ausreichend erachten würde.

19
Gleiches gilt für die von vorne gesehen an der rechten vorderen Hausecke installierte Kamera. Der Sachverständige hat insoweit festgestellt, dass der Erfassungswinkel dieser Kamera den Einfahrtsbereich des Klägers umfasst, was diesen grundsätzlich in seinem Persönlichkeitsrecht berührt. Dem steht nicht entgegen, dass hier nur ein vergleichsweise geringer Bereich betroffen ist. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass gerade die Erfassung des Einfahrtbereichs eine weitgehende Kontrolle des Lebens des Klägers ermöglicht, da faktisch jede Bewegung im Bereich des Einganges und der Garage dokumentiert werden kann. Der Annahme einer Beeinträchtigung steht jedoch entgegen, dass die Aufnahmen in diesem Bereich verpixelt sind und eine Aufhebung der Verpixelung mit einem so großen bürokratischen und technischen Aufwand verbunden wäre, dass ihre Realisierung ebenfalls im hypothetischen Bereich angesiedelt werden kann. Dabei sei nicht verkannt, dass im Gegensatz zum Einbau eines neuen Objektivs oder Moduls eine Veränderung der Verpixelung zunächst von außen nicht wahrnehmbar und auch grundsätzlich technisch durchführbar ist. Der Sachverständige hat dies in der mündlichen Verhandlung wie folgt erläutert: eine Veränderung/ Aufhebung der Verpixelung erfordert eine spezielle Software. Deren Anwendung erfordert, dass der Nutzer über Administratorenrechte und ein entsprechendes Passwort verfügt. Diese zu erlangen, ist für einen normalen Nutzer schwer bis unmöglich. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Herstellerfirma der streitbefangenen Kameras ihre Software sehr gut schütze. Aus der Vergabepraxis seiner eigenen Firma wisse er, dass die Vergabe an strenge Vorgaben geknüpft sei – so habe er eine Erklärung zur Haftung unterschreiben müssen und sei zur Teilnahme an Schulungen verpflichtet, um seine Nutzungsrechte nicht wieder zu verlieren. Bei Anwendern, die selbst über Administratorenrechte verfügten, handele es sich zumeist um öffentliche Träger. Der Sachverständige hat diese Angaben aus seiner eigenen Erfahrung als Errichter von Anlagen heraus gemacht, es besteht kein begründeter Anlass, an ihrem Erfahrungs- und Wahrheitsgehalt zu zweifeln. Entsprechend ist davon auszugehen, dass es für den Beklagten schwer bis unmöglich sein würde, Administratorenrechte zu erlangen und sich damit in die Lage zu versetzen, die Verpixelung selbst zu verändern. Soweit der Sachverständige darauf verweist, dass die Firma L, die die Anlage errichtet hat, über entsprechende Befugnisse verfügen wird, ist davon auszugehen, dass diese aufgrund der strengen Vorgaben einem eventuellen Änderungswunsch des Beklagten nicht nachkommen würde. Auch hier ist die theoretisch nicht völlig auszuschließende Möglichkeit einer Änderung der Verpixelung nicht ausreichend, um einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu begründen.

20
Soweit es um die Möglichkeit einer Änderung des Erfassungswinkels durch einen Austausch von Objektiv oder Modul geht, wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen; hier kommt erschwerend dazu, dass die Kamera sich an der zur Straße gerichtete Seite in unmittelbarer Angrenzung an das Grundstück des Klägers befindet.

21
Insoweit ist auch der auf Unterlassung der Installation gerichtete Hilfsantrag unbegründet. Da die derzeitige Praxis keinen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstellt, fehlt es an der Voraussetzungen eines auf §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB gestützten Unterlassungsanspruchs; das Bestehen von Streitigkeiten im Nachbarschaftsverhältnis in Verbindung mit der Existenz von Videokameras ist insoweit alleine nicht ausreichend. da eine Erfassung des klägerischen Grundstückes durch eine Veränderung der Einstellung gerade nicht möglich ist.

22
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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