Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30.06.2010 – 2 Sa 12/10
Ein Aufhebungsvertrag ist nicht deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktrittsrecht einräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gespräches nicht vorher mitgeteilt hat (vgl. BAG vom 30.09.1993 – 2 AZR 268/93 -).(Rn.17)
Tenor
I. Die Berufung des Klägers wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Anfechtung einer Eigenkündigung.
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Zwischen den Parteien bestand seit 1991 ein Arbeitsverhältnis zu einem durchschnittlichen Monatseinkommen von zuletzt 2.215,65 EUR brutto. Die Beklagte ist u. a. im Gerüstbau für die ortsansässige Werft tätig. Am 05.06.2009 stellte die Werft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Seit diesem Zeitpunkt waren die Arbeitnehmer der Beklagten nicht mehr beschäftigt und für die gesamte Belegschaft war Kurzarbeit beantragt. Im Juli 2009 wandte sich eine Firma aus G. an die Beklagte und bekundete Interesse, mit erfahrenen Gerüstbauern neue Arbeitsverhältnisse zu beginnen.
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Der Kläger wurde daraufhin am 14.07.2009 zu einem Personalgespräch eingeladen, bei dem für die Beklagte und für die Firma aus G. jeweils zwei Personen anwesend waren. Dem Kläger wurden die Konsequenzen aus der Insolvenz der Werft erläutert und die Konditionen eines Arbeitsverhältnisses bei der Firma in G.. Der Kläger habe nach kurzer Überlegung erklärt, dass er künftig in G. arbeiten wolle. Er hat daraufhin einen neuen Arbeitsvertrag mit dieser Firma und eine von der Beklagten vorbereiteten Eigenkündigung unterschrieben.
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Mit Anwaltschreiben vom 16.07.2009 hat der Kläger beide Unterschriften angefochten (vgl. Blatt 7 d. A.). Eine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch Aufhebung/Kündigung vom 14.07.2009 aufgelöst worden sei, sondern über den 14.07.2000 hinaus fortbestehe, hat das Arbeitsgericht Schwerin durch Urteil vom 25.11.2009 – 55 Ca 1420/09 – abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, einen Anfechtungsgrund gem. § 123 sei nicht gegeben. Eine Täuschung bzw. eine widerrechtliche Drohung sei nicht gegeben. Im Übrigen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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Dieses Urteil ist dem Kläger 04.01.2010 zugestellt worden. Er hat dagegen Berufung eingelegt, die am 14.01.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist. Die Berufungsbegründung ist am 17.02.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.
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Der Kläger trägt vor, er habe sich erheblich unter Druck gesetzt gefühlt. Er sei angeschrien worden sinngemäß mit der Bemerkung „Schau doch raus, da sind die Holzwerke, da ist die Werft – alles ist tot -.“ Er sei wie geschockt gewesen und nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichtes Schwerin vom 25.11.2009 aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch Aufhebung/Kündigung vom 14.07.2009 aufgelöst wurde, sondern über den 14.07.2009 hinaus fortbesteht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tritt der angefochtenen Entscheidung bei. In dem Gespräch sei mit einer Kündigung nicht gedroht worden.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereiteten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Gründe für eine Anfechtung des Arbeitsverhältnisses gem. § 123 Abs. 1 BGB sind nicht dargetan bzw. nicht unter Beweis gestellt. Selbst wenn man davon ausginge, dass dem Kläger mit einer Kündigung gedroht worden wäre, wäre eine derartige Drohung angesichts der wirtschaftlichen Situation der Beklagten nicht widerrechtlich gewesen. Eine Drohung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Hiervon kann angesichts des Umstandes, dass unstreitig für die gesamte Belegschaft zum damaligen Zeitpunkt Kurzarbeit angemeldet war und der Insolvenz des Hauptauftraggebers nicht ausgegangen werden.
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Problematisch ist die Kündigung lediglich unter dem Gesichtspunkt, dass nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts ein fairer Arbeitgeber sich anders verhalten hätte. Ihm wäre klar gewesen, dass nicht nur er, sondern auch der bei ihm beschäftigte Arbeitnehmer sich in einer ausgesprochen belasteten Situation befunden hat. Er hätte ihm entweder bereits bei der Einladung des Gespräches darauf hingewiesen, dass es bei dem Gespräch um den Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber gehen wird oder er hätte von sich aus ihm freiwillig angeboten, dass er über das Angebot noch eine Nacht nachdenken könne und sich erst am nächsten Morgen entscheiden müsse. Ein fairer Arbeitgeber hätte sich deshalb so verhalten, weil ihm klar gewesen wäre, dass ein derartiges Gespräch ohne Vorwarnung vom Arbeitnehmer als einen Schlag in die Magengrube empfunden wird, der bei nicht sehr robusten Naturen bestimmte Verhaltensmöglichkeiten ausschließt. Die Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass der Kläger angesichts der angemeldeten Kurzarbeit auch ausreichend Gelegenheit gehabt hätte, sich innerlich auf derartige Ge-sprächssituationen vorzubereiten.
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Der Arbeitnehmer hat hierzu in der mündlichen Verhandlung für das Gericht überzeugend erklärt, der Geschäftsführer habe in den Tagen vor dem fraglichen Gespräch immer wieder erklärt, die Arbeitsplätze seien trotz der Kurzarbeit zunächst einmal sicher. Er habe deshalb mit einem derartigen Gespräch nicht gerechnet. Belastend kommt im vorliegenden Fall noch hinzu, dass der Kläger sich allein einer Personenmehrheit gegenübergesehen hat. Es ist gerichtsbekannt, dass manche Arbeitgeber eine derartige zahlenmäßige Überlegenheit und die Überraschungssituation gezielt einsetzen, um Verhandlungsergebnisse zu erreichen, die sie bei fairer Gestaltung nicht erzielt hätten.
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Gleichwohl scheidet eine analoge Anwendung des § 123 BGB auf Fälle, in denen der Arbeitgeber lediglich eine Überraschungssituation ausnutzt, nach Ansicht des Gerichtes aus. Es kann hierzu auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 30.09.1993 – 2 AZR 268/93 – Bezug genommen werden. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Einzelnen wird nicht allgemein gegen jede Art von Beeinträchtigung durch eine Zwangslage geschützt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 4 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO.
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Das Gericht hat die Revision gem. § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG vorsorglich zugelassen.