Zur versicherungsrechtlichen Regresshaftung des Fahrzeugsführers wegen Entfernens vom Unfallort als Verletzung der Aufklärungspflicht

OLG Frankfurt am Main — Beschluss vom 27.12.2017 – 10 U 218/16

Zu versicherungsrechtlichen Regresshaftung des Fahrzeugsführers wegen Entfernens vom Unfallort als Verletzung der Aufklärungspflicht

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1.12.2016 – 2/24 O 82/16 – wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe
I.

Die klagende Haftpflichtversicherung nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Beklagte verursachte mit einem bei der Klägerin haftpflichtversicherten Pkw einen Verkehrsunfall. Er war nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis. Obwohl er den Unfall bemerkt hatte, verließ er zu Fuß die Unfallstelle. Der Beklagte wurde deshalb vom Amtsgericht Stadt1 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt.

Die Klägerin musste den Geschädigten die durch den Unfall entstandenen Schäden ersetzen, insgesamt 9.193,41 €. Sie nimmt deshalb den Beklagten wegen dieses Betrages nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Regress.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Klägerin stehe ein Regressanspruch nur in Höhe von 5.000,00 € zu.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin einen Anspruch in geltend gemachter Höhe aus übergegangenem Recht gemäß § 117 Abs. 5 S. 1 VVG habe. Im Innenverhältnis sei sie dem Beklagten gegenüber leistungsfrei geworden, weil dieser die in den Versicherungsbedingungen festgelegten Obliegenheiten verletzt habe (D.1.1.3. und E 1.1.3 AKB). Er habe zunächst das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen ohne die erforderliche Fahrerlaubnis benutzt und sich nach dem Unfallereignis vom Unfallort entfernt sowie seine Aufklärungspflicht verletzt. Die Leistungsfreiheit der Klägerin sei der Höhe nach für die Obliegenheitsverletzung „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ (in Entsprechung zu § 5 Abs. 3 S. 1 KfzPflVV) und für die Obliegenheitsverletzung „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“ (in Entsprechung zu § 6 Abs. 3 S. 2 KfzPflVV) jeweils auf 5.000,00 € beschränkt. Die Regressbeträge seien zu addieren, wenn – wie hier – die eine Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls und die andere im Anschluss daran begangen worden sei. Komme die Verletzung von Obliegenheiten, die vor und nach dem Versicherungsfall zu erfüllen seien, zusammen, erhöhe sich die Grenze bis auf 10.000,00 €. Eine besondere Schutzwürdigkeit des Versicherungsnehmers bzw. Mitversicherten, der zwei Obliegenheitsverletzungen begehe, sei nicht erkennbar. Die KfzPflVV stehe dem nicht entgegen. Die §§ 5 und 6 KfzPflVV führten ebenfalls Obliegenheiten mit unterschiedlichem und eigenständigem Charakter auf, die in ihrer Zielsetzung differierten und als Sanktion jeweils eine beschränkte Leistungsfreiheit des Versicherers vorsähen. Auch wenn die Verordnung eine Zusammenrechnung der Regressbeträge nicht ausdrücklich vorsehe, schließe sie eine Verdopplung der Leistungsfreiheitsbeträge jedenfalls nicht aus. Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, der vom Landgericht festgestellten Tatsachen sowie der Begründung im Einzelnen wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen (Bl. 75-80 d. A.).

Gegen das am 14.12.2016 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 21.12.2016 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel binnen verlängerter Frist am 14.3.2017 begründet. Er wendet sich gegen die Auffassung des Landgerichts, die Regressbeträge seien zu verdoppeln. Es sei nicht ersichtlich, wo dies eine gesetzliche Grundlage habe. Die von solchen Additionen Betroffenen hätten regelmäßig bereits erhebliche strafrechtliche Sanktionen hinter sich. Unter Abwägung der Interessen aller Versicherten einerseits und des Schädigers andererseits könne diese Waage nicht ohne klare gesetzliche Grundlage zu Lasten des Schwächsten – nämlich des Schädigers – ausfallen. Es sei nicht ersichtlich, dass eine besondere Schutzwürdigkeit des Versicherungsnehmers bzw. des Mitversicherten – wie vorliegend der Fall – nicht bestehe. Es gebe keine besondere Belastungsnotwendigkeit, die aber bei Verdopplung der Regressbeträge de facto eintrete. Dies sei vor allem dann von erheblichem Belang, wenn der Beklagte, wie hier, zwar beide Obliegenheitsverletzungen für sich betrachtet vorsätzlich begangen habe, aber rein tatsächlich kein Bewusstsein für eine versicherungsrechtliche Problematik und demgemäß keinen Vorsatz für die Verletzung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten gehabt habe. Konsequenterweise könne es zur Vervierfachung des Regresses oder zu weiteren Erhöhungen kommen. Aus dem angefochtenen Urteil ergebe sich auch nicht, warum wegen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort § 6 Abs. 3 KfZPflVV für besonders schwerwiegende vorsätzlich begangene Verletzungen der Aufklärungs- oder Schadensminderungspflicht gelte.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1.12.2016, Az.: 2/24 O 82/16, ihn zu verurteilen, an die Klägerin 5.000,00 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.2.2015 zu zahlen und im Übrigen die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Beklagte ist darauf hingewiesen worden, das beabsichtigt ist, seine Berufung gegen das Urteil des Landgerichts durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Dazu hat er nicht mehr Stellung genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO.

Das Landgericht hat den Beklagten zu Recht nicht nur zur Zahlung von 5.000,00 €, sondern zum Ersatz des gesamten Schadens verurteilt. Die Klägerin ist bei ihrem Rückgriff nicht auf den Betrag von 5.000,00 € beschränkt. Vielmehr sind bei Verletzung von Obliegenheiten, die den Versicherten vor und die ihn nach dem Versicherungsfall treffen, die Beträge zu addieren, für die Leistungsfreiheit besteht. Insoweit ist der herrschenden und vom Bundesgerichtshof vertretenen Auffassung zu folgen (z. B. BGH, Urteil vom 14.9.2005 – IV ZR 216/04 = NJW 2006, 147, 148 Tz. 8; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.7.2014 – 3 U 66/13 = NJW-RR 2015, 276, 277 [BGH 28.10.2014 – VI ZR 15/14]; Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl., AKB D.2 Rdn. 73). Zu Unrecht meint der Beklagte, dass es für diese Verdopplung keine Rechtsgrundlage gebe. Rechtsgrundlage ist, wie der Bundesgerichtshof an der angegebenen Stelle ausgeführt hat, die Auslegung der Versicherungsbedingungen. Sie steht, wie der Bundesgerichtshof dort (NJW 2006, 149 Tz. 15) ebenfalls dargestellt hat, nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht wie der KfZPflVV, die in den §§ 5 und 6 ebenfalls zwischen Obliegenheiten vor und nach dem Versicherungsfall unterscheidet. Die Annahme des Klägers geht fehl, bei dieser Argumentation komme man gegebenenfalls zu einer noch höheren Vervielfachung des Betrags der Leistungsfreiheit, wenn der Versicherte gegen weitere Obliegenheiten verstoßen hat. Die Erhöhung des Betrags der Leistungsfreiheit auf das Doppelte knüpft nicht an die Zahl der insgesamt verletzten Obliegenheiten an, sondern allein an die Unterscheidung von Obliegenheiten vor und nach dem Versicherungsfall an. Hat der Versicherungsnehmer mehrere Obliegenheiten verletzt, die er vor dem Versicherungsfall zu erfüllen hat, beschränkt sich die Leistungsfreiheit gleichwohl auf 5.000,00 € (Stiefel/Maier a.a.O., Rdn. 71 f.). Das gleiche gilt bezüglich der Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall.

Ebenso hat das Landgericht zutreffend eine besonders schwerwiegende vorsätzlich begangene Verletzung der Aufklärungspflicht im Sinne des § 6 Abs. 3 KfZPflVV bejaht, bei der die Obergrenze der Leistungsfreiheit des Versicherers nicht nur – wie bei einer einfachen Obliegenheitsverletzung nach dem Versicherungsfall – bei 2.500,00 €, sondern bei 5.000,00 € liegt. Grundsätzlich ist zwar nicht bereits das unerlaubte Entfernen vom Unfallort ein solcher besonders schwerwiegender Verstoß, vielmehr müssen weitere erschwerende Umstände hinzukommen (Stiefel/Maier a.a.O., E.2 Rdn. 61). Im Streitfall war ein solcher zusätzlicher Umstand, dass der Beklagte, wie in der Berufungserwiderung dargestellt, im Nachhinein bestritten hat, das Unfallfahrzeug gefahren zu haben, weshalb im Strafverfahren gegen ihn zu seiner Identifizierung als Täter ein Abgleich der DNA-Spuren im Fahrzeug mit der DNA des Beklagten angeordnet wurde. Damit hat er nicht nur durch das Entfernen von der Unfallstelle die Aufklärung des Unfallhergangs, sondern durch das Bestreiten seiner Fahrereigenschaft auch die Feststellung der verantwortlichen Person zu verhindern versucht. Zwar führt im Strafverfahren ein Leugnen des Angeschuldigten zu keiner Strafschärfung. Im Versicherungsrecht obliegen dem mitversicherten Fahrer jedoch Aufklärungspflichten, auf die der Versicherer angewiesen ist, schon um im Ergebnis unnötige Kosten eines gegen ihn geführten Rechtsstreits zu verhindern (vgl. zur Weigerung des Versicherungsnehmers, den Fahrer zu benennen, OLG Hamm, Beschl. vom 18.7.1983 – 20 W 17/83 = VersR 1984,176; OLG Köln, Urteil vom 20.2.1986 – 5 U 193/85 = ZfS 1986,181; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 12.3.1986 – 9 U 157/84 = NJW-RR 1986,1408, 1409).

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch nicht aus anderen Gründen geboten ist.

Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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