OLG Koblenz, Urteil vom 04.12.2009 – 2 U 565/09
Es liegt keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor, wenn in einem Kaufhaus im Rahmen von Montagearbeiten eine Vierkantstange zwischen zwei Standleitern in einem abgegrenzten Bereich liegt und für den Kunden sichtbar ist, dass die dort befindlichen Warenkörbe und Auslagen nicht zugänglich sind.(Rn.14)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Der Senat hat die Sache beraten. Er erwägt die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
Die Gründe werden nachfolgend dargestellt.
Der Klägerin wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 28. Dezember 2009.
Es wird zur Vermeidung weiterer Kosten angeregt, dass die Berufung zurückgenommen wird.
Gründe
I.
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Die Klägerin befand sich am Nachmittag des 04.10.2007 gemeinsam mit ihrem Ehemann im …-Warenhaus der Beklagten zu 1) in L…. Die Beklagte zu 2) ist ein von der Beklagten zu 1) mit diversen Montagearbeiten betrautes Unternehmen. Auch am 04.10.2007 waren Mitarbeiter der Beklagten zu 2) damit befasst, an die Decke des zweiten Obergeschosses des Warenhauses sogenannte Verkaufsstangen (vgl. Lichtbild 2, BI. 145 GA) zu montieren. Die Klägerin, die in einer sich im 2. Obergeschoss des …-Warenhauses der Beklagten zu 1) in L… befindlichen Aktionsfläche der Textilabteilung verunfallte, hat von den Beklagten gesamtschuldnerisch sowohl bereits bezifferten als auch künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schadenersatz aufgrund der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten begehrt. Über den Montageaufbau und den Unfallhergang besteht im Einzelnen Streit.
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Die Klägerin hat vorgetragen, im Zuge der für die Beklagte zu 1) durch die Beklagte zu 2. ausgeführten Montagearbeiten hätten Mitarbeiter der Beklagten zu 2) zur Vorbereitung der Montage eine ca. 5 m lange Vierkantstange mit einem Umfang von ca. 5 x 5 cm zwischen mit Jacken bestückten Rundständern quer durch die Einkaufsgänge auf den Boden gelegt. Die Stange sei nicht gesichert oder kenntlich gemacht gewesen. Insbesondere sei die Stange nicht durch das Aufstellen von Leitern für Kunden deutlich sichtbar abgesperrt gewesen. Eine Absperrung des gesamten von den Montagearbeiten betroffenen Bereichs habe vielmehr gänzlich gefehlt. Deshalb und mangels deutlichen Kontrastes zwischen beige-farbiger Stange und beige-ocker-farbigem Boden habe sie die Unebenheit übersehen, sei gestolpert und zu Fall gekommen. Hierbei habe sie insbesondere eine verschobene Speichenfraktur am rechten Handgelenk und großflächige Hämatome an beiden Handgelenken, an beiden Händen, am Kopf sowie am hinteren Becken erlitten. Spätfolgen des Unfalls seien erst im Laufe der Zeit erkennbar.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 5.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2008 zu zahlen.
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2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 04.10.2007 im Warenhaus der Beklagten zu 1) in L… gesamtschuldnerisch zu übernehmen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
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3. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 452,29 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 46,41 Euro zu erstatten.
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Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten und haben vorgetragen, eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liege bereits deshalb nicht vor, da der von den Mitarbeitern der Beklagten zu 2) für die zu montierende Vierkantstange in Anspruch genommene Montagebereich entgegen dem Vortrag der Klägerin für Kunden deutlich sichtbar durch zwei Leitern im Bereich von ca. 2 x 2 m abgesperrt gewesen sei. Diese Standleitern hätten links und rechts unmittelbar an Verkaufstische und -ständer angeschlossen und seien zudem über die Enden der Stange postiert gewesen. Die Klägerin habe trotz dieser sichtbaren Absperrung den Arbeitsbereich betreten, obwohl sich dort weder eine Verkaufsfläche befunden habe, noch der Montagebereich als Durchgang zu Verkaufsflächen diene, weshalb sich die Klägerin jedenfalls ein weit überwiegendes Mitverschulden entgegen halten lassen müsse. Überdies könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Stange – unabhängig von einer farblichen Abhebung vom Boden – angesichts der von der Klägerin selbst vorgetragenen Dicke und Länge für diese nicht erkennbar gewesen sein soll. Den Unfall selbst hätte kein Mitarbeiter der Beklagten beobachten können, weshalb vorsorglich mit Nichtwissen bestritten werde, dass die Klägerin über die Stange gestolpert sei. Schließlich sei die Beklagte zu 2) als zuverlässiges und ordnungsgemäß arbeitendes Unternehmen bekannt, weshalb die Beklagten zu 1) für etwaige Nachlässigkeiten der Beklagten zu 2) keinesfalls hafte.
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Das Landgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin sei es nicht gelungen, eine Verkehrssicherungspflichtverletzung durch die die Montagearbeiten unmittelbar ausführenden Mitarbeiter der Beklagten zu 2), welche sich die Beklagte zu 1) möglicherweise zurechnen lassen müsste, zu beweisen. Das Gerichts sei nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Mitarbeiter der Beklagten zu 2) in einer Abteilung des Warenhauses der Beklagten zu 1) ungesichert eine ca. 5 m lange Vierkantstange mit einem Umfang von ca. 5 x 5 cm zwischen Kleiderständern quer durch die Einkaufsgänge zur Vorbereitung der Montage auf den Boden gelegt hätten. Die Absicherung der Verkaufsstange durch jeweils über deren Enden postierte Standleitern weise in geeigneter und ausreichender Weise auf die mit den Montagearbeiten verbundenen Gefahren und Hindernisse hin und schütze zudem vor einem versehentlichen Betreten des Montagebereiches. Außerdem sei ein Anspruch der Klägerin jedenfalls auf Grund eines ihr anzulastenden, weit überwiegenden Mitverschuldens ausgeschlossen.
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Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Sie erstrebt eine Abänderung des angefochtenen Urteils unter Aufrechterhaltung ihrer erstinstanzlichen Anträge.
II.
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Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
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Das Landgericht hat zu Recht Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) aus Verschulden bei Vertragsschluss (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 1, 278 BGB) oder Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1, § 831BGB) bzw. die Beklagte zu 2) ausschließlich aus unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB) verneint. Die Klägerin ist als Geschädigte darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass eine schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung vorliegt. Beweiserleichterungen kommen ihr nur zugute, wenn die Höhe des Schadens streitig ist oder bestimmte Schäden auf der Rechtsguts- oder Gesetzesverletzung beruhen (MünchKommBGB/Wagner, 5. Aufl. § 823 Rn. 323).
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Die Verkehrssicherungspflicht verpflichtet grundsätzlich denjenigen, der eine Gefahrenlage schafft, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH VersR 1997, 250; VersR 2003, 1319; OLG Celle Urteil vom 25.01.2007 _ 8 U 161/06 _ Juris Rn. 5, VersR 2008, 1553). Der Verkehrssicherungspflichtige ist aber nicht gehalten, für alle denkbaren, entfernt liegenden Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge zu treffen. Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Erforderlich sind die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger des betroffenen Verkehrskreises für notwendig und ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (BGH NJW 2003, 1352; NJW 2006, 2326;VersR 2006, 665), d.h. nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, solche Gefahren von Dritten tunlichst abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßem oder bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen (BGH NJW 1978, 1629). Der Dritte ist aber nur vor den Gefahren zu schützen, die er selbst, ausgehend von der sich ihm konkret darbietenden Situation bei Anwendung der von ihm in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden kann (OLG Hamm VersR 2003, 605; NJW-RR 2006, 1100).
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Für Geschäftsräume, insbesondere für Kaufhäuser und Supermärkte, die dem Publikumsverkehr offen stehen, gelten strenge Sicherheitsstandards (MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 464, 482 u.a. BGH NJW 1986, 2757; 1988, 1588; OLG Köln Beschluss vom 28.06.2000 _ 22 W 22/00- Juris Rn. 6). Für Fußböden in Kaufhäusern und Supermärkten gilt, dass der Belag so auszuwählen und zu unterhalten ist, dass die Stand- und Trittsicherheit der Kunden selbst dann noch gewährleistet ist, wenn sie sich auf die in den Regalen ausgestellten Waren konzentrieren (MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 484; Staudinger/Hager, § 823 Rn. 249; BGH NJW 1994, 2757). Selbst kleine Niveauunterschiede zwischen den Platten des Fußbodenbelags sind zu vermeiden (MünchKommBGB/Wagner, ebd.; OLG Celle, ebd., = OLG Köln VersR 2001, 596 f.). Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung läge vor, wenn sich die streitgegenständliche Vierkantstange ohne jedwede Sicherung auf dem Boden zwischen den Verkaufsauslagen und -ständern befunden und zudem durch die farbliche Gestaltung des beige-farbigen oder beige-ocker-farbigen Bodens nicht farblich abgehoben hätte. Die Warenständer und Warenauslagen dienen dazu, die Aufmerksamkeit des Kunden zu erzielen. Damit ist zwangsläufig verbunden, dass der Kunde – anders als bei einem Gehweg – sein Augenmerk nicht auf die Beschaffenheit des Bodens legt. Dies hat zur Folge, dass besondere Anforderungen an die Beschaffenheit des Fußbodens, die Anordnung der Warenständer und -auslagen, der Regale etc. zu stellen sind. Stolperfallen sind zu vermeiden.
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Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Landgericht zu Recht nicht zu der Überzeugung gelangt, dass eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorliegt. Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass die Mitarbeiter der Beklagten zu 2) ungesichert eine ca. 5 m lange Vierkantstange mit einem Umfange von 5 mal 5 cm zwischen den Kleiderständern quer durch die Einkaufsgänge zur Vorbereitung der Montage auf den Boden gelegt hatten.
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Zwar hat der Zeuge L…, der Ehemann der Klägerin, bekundet, dass die Vierkantstange in keiner Weise abgesichert gewesen sei (GA 134) und überdies versteckt zwischen den Rundständern, auf welchen Kleidern gelegen hätten, senkrecht zum Hauptgang auf dem Boden gelegen habe (Skizze des Zeugen L…, GA 147). Den Sturz selbst habe er aber nicht unmittelbar erlebt, da er nicht gemeinsam mit seiner Ehefrau durch die Kleiderständer gegangen sei, sondern währenddessen ca. 6 m entfernt auf einer am Hauptgang stehenden Bank gesessen habe.
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Demgegenüber hat die Zeugin B…, Bereichsleiterin der Non-Food-Abteilung im …-Warenhaus in L…, bekundet, dass die Vierkantstange nicht völlig ungesichert unter mit Kleidern bestückten Rundständern auf dem Boden gelegen habe. Die mit der Aufhängung der Vierkantstange betrauten Mitarbeiter der Beklagten zu 2) hätten zunächst die Warenauslage zur Seite geschoben, um die Leiter an die richtige Stelle zu postieren. Die Vierkantstange habe gut sichtbar auf dem Boden gelegen. Zudem habe die Stange parallel zum Hauptgang und rechts und links je durch eine Leiter gesichert auf dem Boden gelegen (Skizze der Zeugin B…, GA 148).Zwischen der auf dem Boden liegenden Vierkantstange und dem Haupteingang habe sich keine Ware befunden.
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Die Zeugen T… und P…, die mit der Aufhängung der Stange befassten Mitarbeiter der Beklagten, haben übereinstimmend bekundet, dass die Stange in einem Bereich an der Decke angebracht werden sollte, in dem Drehständer mit Kleidern gestanden hätten. Der Zeuge T… hat sich dahingehend geäußert, dass die Stange parallel mit einem Abstand von ca. 40 cm zum Haupteingang auf dem Boden zwischen den postierten Standleitern gelegen habe. Die Rundständer seien nach hinten geschoben worden (Skizze des Zeugen T…, GA 149). Bei der Montage der Verkaufsstangen würden sie, die Mitarbeiter der Beklagten zu 2), sich einen abgeschlossenen Bereich einrichten, um zum einen die Arbeiten gefahrlos verrichten zu können und die unter der Decke befindliche Ware nicht zu beschmutzen. Der Zeuge P… hat ergänzend ausgeführt, dass es Probleme mit den zur Aufhängung dienenden Haken gegeben habe. Deshalb sei die Stange zwischen den Füßen der aufgestellten Standleitern abgelegt worden (Skizze des Zeugen P…, GA 150). Mit Sicherheit seien aber die Verkaufskörbe und Kleiderständer derart weiträumig beiseite geräumt worden, dass sie bei den Montagearbeiten ausreichend Platz gehabt hätten.
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Aufgrund der divergierenden Aussagen des Zeugen L… einerseits und den Bekundungen der Zeugen B…, T… und P… andererseits hinsichtlich der Lage der Stange, der Position der Standleitern und der Anordnungen der Verkaufsauslagen hat das Landgericht zu Recht eine Verkehrssicherungspflichtverletzung als nicht bewiesen angesehen (§ 286 ZPO).
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Für die Klägerin war aufgrund der sichtbaren Standleitern erkennbar, dass in diesem Bereich des Warenhauses Montagearbeiten vorgenommen werden. Sie hätte deshalb diesen Bereich meiden müssen oder sich nur mit der erforderlichen Vorsicht nähern dürfen.
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Die Klägerin greift mit ihrer Berufung ohne Erfolg die Beweiswürdigung des Landgerichts an. Soweit die Klägerin auf Widersprüche in den Aussagen der Zeugen verweist, ist zu bemerken, dass der Zeuge L…, ebenso wenig wie die Zeugen T…, P… und B… den Sturz der Klägerin selbst gesehen hat. Es ist nicht von Relevanz, ob die Zeugin B… auf der Skizze (GA 148) die Lage der Vierkantstange parallel zum Haupteingang exakt eingezeichnet hat und sich im Verlaufe der Vernehmung nicht festlegen konnte, ob die Stange möglicherweise von der Ware verdeckt gewesen war und sich auf der Aktionsfläche auch Tische oder Rundständer befunden hatten. Daraus lässt sich nicht schließen, dass die Warenständer nicht zur Seite geschoben waren. Ebenfalls nicht von entscheidender Bedeutung ist, ob die Zeugin B… von der Rolltreppe gekommen war oder aus der entgegengesetzten Richtung. Auch die Aussagen der Zeugen P… und T… sind in sich nicht widersprüchlich.
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Die Klägerin ist darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass sie über eine nicht erkennbare, ungesicherte Vierkantstange gestolpert ist. Ihr Ehemann, der Zeuge L…, hat den Unfall selbst unstreitig nicht gesehen. Mit seiner Aussage kann die Klägerin eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht beweisen. Deshalb kommt es auf etwaige Ungereimtheiten in den Aussagen der übrigen Zeugen nicht an. Im Kernpunkt ist entscheidend, dass die Klägerin angesichts der vorhandenen Standleitern erkennen konnte, dass Montagearbeiten im Gange waren und sie deshalb diesen räumlich abgegrenzten Bereich hätte meiden müssen oder sich ihm nur mit Vorsicht hätte nähern dürfen.
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Die Berufung hat aus den dargelegten Gründen keine Aussicht auf Erfolg.
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Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 6.000,–Euro festzusetzen.