OLG Köln, Urteil vom 12.11.2010 – I-1 U 26/10, 1 U 26/10
1. Die fristlose Kündigung des Gewerbemietvertrages bzgl. des Betriebs einer Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie wegen vertragswidrigen Gebrauchs ist unwirksam, selbst wenn in der Praxis – trotz entsprechender Abmahnung – Drogenersatztherapien angeboten werden (anders noch LG Bonn, 12. April 2010, 9 O 440/09, ZMR 2010, 689) (Rn.21)(Rn.22)(Rn.24)(Rn.26)(Rn.30).
2. Grundsätzlich ist jeder Vertragspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen (Rn.33)(Rn.34)(Rn.35).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 12.04.2010 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn, 9 O 440/09, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Kläger als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Kläger verlangen vom Beklagten Räumung und Herausgabe von als Arztpraxis genutzten Räumlichkeiten.
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Der Beklagte ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Durch Vertrag vom 24.09.2009 mietete er von den Klägern Praxisräume im Gesamtkomplex N-Straße in Bonn, der sog. X-Y. In § 2 des Mietvertrages wurde als Nutzungszweck „Betrieb einer Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie“ festgelegt. Das Mietverhältnis ist bis zum 30.09.2014 befristet. Noch vor Beginn des Mietverhältnisses, der für den 01.10.2009 vorgesehen war, erfuhren die Kläger, dass der Beklagte in den angemieteten Räumlichkeiten auch eine Drogenersatztherapie (Substitutionsbehandlung) durchzuführen beabsichtigte. Mit Schreiben vom 29.09.2009 mahnten die Kläger den Beklagten daraufhin ab und forderten ihn auf, diese Behandlung zu unterlassen. Mit Schreiben vom 13.10.2009 kündigten die Kläger das Mietverhältnis und erklärten hilfsweise die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
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Der Kläger nahm die Substitutionsbehandlung auf. Nach eigenen Angaben hat er ca. 100 Patienten, die im Zusammenhang mit der Substitutionsbehandlung täglich erscheinen. Darüber hinaus behandelt er nach eigenen Angaben ca. 150 Patienten wegen anderweitiger Erkrankungen.
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Die Kläger haben die Auffassung vertreten, der Beklagte nutze die Praxisräume vertragswidrig. Sie haben auch gemeint, der Beklagte hätte sie vor Vertragsschluss über die beabsichtigte Nutzung aufklären müssen. Die Kläger haben behauptet, bei der Besichtigung sei der Beklagte darauf angesprochen worden, zu welchem Zweck er die Gewerberäumlichkeiten anmieten wolle. Er habe lediglich die Absicht erklärt, in den Räumen psychiatrische Beratungen durchzuführen; er führe eine Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie. Auf Nachfrage, ob er Einzelberatungen auf diesem Gebiet durchführe, habe er mit „ja“ geantwortet. Die Kläger haben weiterhin behauptet, von den Patienten des Beklagten gehe eine abstrakte Gefahr aus. In diesem Zusammenhang haben sie auch konkrete Vorfälle benannt, die auf das Verhalten von Substitutionspatienten des Beklagten zurückzuführen gewesen seien.
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Die Kläger haben beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, die auf dem Grundstück N-Straße, …3 Bonn, im 2. Obergeschoss vorne links gelegene Gewerbeeinheit, bestehend aus 5 Räumen, 1 Teeküche, 1 Empfangsraum, 2 kleinen halboffenen Räumen, 1 Toilette sowie 1 Besenkammer, zu räumen und an die Kläger herauszugeben;
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2. hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, die Substitutionsbehandlung in den von ihm gemieteten Räumen auf dem Grundstück N-Straße, …3 Bonn, im 2. OG vorne links zu unterlassen;
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3. den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.050,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat die Auffassung vertreten, die Substitutionsbehandlung gehöre zum Berufsbild eines Psychiaters und Psychotherapeuten. Sie sei vom Vertragszweck gedeckt. Zu einem entsprechenden Hinweis auf die beabsichtigte Tätigkeit bei den Vertragsverhandlungen sei er nicht verpflichtet gewesen. Zu den Vertragsgesprächen hat er behauptet, als Mietzweck eine Facharztpraxis für Psychiatrie und Psychotherapie angegeben zu haben. Hierbei habe er allumfassend auf die Diagnostik und Behandlung sämtlicher Erkrankungen des Fachgebietes mit allen notwendigen pharmakologischen, psychotherapeutischen und sozialtherapeutischen Mitteln verwiesen. Er habe auch mitgeteilt, dass bei ihm 5 Sozialarbeiterinnen beschäftigt seien. Außerdem sei der Hinweis erfolgt, sowohl Einzelgespräche als auch Gruppentherapien durchzuführen. Die von den Klägern angeführten konkreten Vorfälle betreffend Patienten seiner Praxis hat er bestritten.
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Das Landgericht hat dem Räumungsantrag und dem auf Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten gerichteten Zahlungsbegehren stattgegeben. Es hat die Auffassung vertreten, die fristlose Kündigung sei zu Recht erfolgt. Die Substitutionsbehandlung des Beklagten sei jedenfalls in dem konkret vorliegenden Ausmaß vom Vertragszweck nicht mehr gedeckt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
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Mit der Berufung verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Er vertritt die Auffassung, das Landgericht habe bei seiner Abwägung zu Unrecht auf eine von der Substitutionsbehandlung ausgehende abstrakte Gefahr abgestellt. Maßgeblich könnten allein konkrete Beeinträchtigungen des Mietverhältnisses sein, welche im vorliegenden Falle eine Kündigung jedoch nicht rechtfertigen könnten. Das Landgericht habe zu Unrecht auch den Grundrechtsschutz des Beklagten (Art. 12 Abs. 1 GG) und das Sozialstaatsprinzip unberücksichtigt gelassen.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Bonn in dem Verfahren 9 O 440/09 vom 12.04.2010 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die von den Klägern ausgesprochene fristlose Kündigung des Mietverhältnisses nicht gerechtfertigt. Die Kläger haben den Mietvertrag vom 24.09.2010 auch nicht (hilfsweise) mit Erfolg angefochten. Die Klage ist daher insgesamt abzuweisen.
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1. Die fristlose Kündigung des Mietvertrags vom 24.09.2009 war nicht gemäß § 543 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund gerechtfertigt.
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a) Eine fristlose Kündigung kommt grundsätzlich bei vertragswidriger Nutzung des Mietobjekts in Betracht. Hierbei ist darauf abzustellen, ob der kündigenden Partei bei umfassender Abwägung der wechselseitigen Interessen ein Festhalten am Vertrag bis zum Ablauf der vereinbarten Mietdauer nicht mehr zugemutet werden kann. Kündigungsgrund kann in diesem Rahmen eine Nutzung des Mietobjekts sein, die von der vertraglich vereinbarten Nutzung nicht mehr gedeckt ist. Der Umfang der erlaubten Nutzung richtet sich nach dem mietvertraglich abbedungenen Verwendungszweck. Die mietvertraglichen Abreden sind in diesem Zusammenhang nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB auszulegen (vgl. KG Urt. v. 01.09.2003, 12 U 20/03, Rdnr. 21; zit. nach Juris, ZMR 2004. 261 ff.). Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist jedoch festzustellen, dass die von den Klägern als vertragswidrig angesehene Substitutionsbehandlung von dem vertraglich vereinbarten Gebrauch des Mietobjekts als „Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie“ gedeckt ist. Hierfür kommt es maßgeblich darauf an, dass die Substitutionsbehandlung eine Behandlungsform darstellt, die im Rahmen der Psychiatrie oder Psychotherapie als üblich oder zumindest absehbar angesehen werden kann.
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Ein Mietvertrag über eine Arztpraxis muss dem Mieter jedenfalls die üblichen beruflichen Betätigungsfelder erlauben. Hierbei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass Ärzte vielfach über Facharztqualifikationen verfügen, sich auf bestimmte Behandlungsfelder konzentrieren oder zusätzliche Betätigungsfelder erschließen können. Zur Substitutionsbehandlung ist zunächst festzustellen, dass sie eine besondere Nähe zur Tätigkeit des Beklagten als Psychiater und Psychotherapeut aufweist. Die Substitution ist gesetzlich als Behandlungsform anerkannt, vgl. § 13 Abs. 3 BtMG. Weitere Anforderungen an diese Behandlung stellt § 5 BtMVV auf. Hiernach dürfen Substitutionsmittel nur verschrieben werden, wenn zusätzlich eine psychiatrische, psychotherapeutische oder psychosoziale Behandlungs- und Betreuungsmaßnahme einbezogen wird. Der Beklagte ist in diesem Bereich als Facharzt tätig. Von daher verfügt er über die Qualifikation zu derjenigen Behandlung, die der Verordnungsgeber für Substitutionspatienten neben der Verabreichung der Ersatzstoffe vorgeschrieben hat. Hieraus folgt, dass die Substitution zwar nicht ausschließlich, aber doch sinnvollerweise von Ärzten mit derjenigen Fachrichtung, über die auch der Beklagte verfügt, angeboten werden kann. Die Substitution ist deshalb ein naheliegendes Betätigungsfeld für Psychiater und Psychotherapeuten. Von daher war es aus Sicht der Kläger bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zumindest erkennbar, dass der Beklagte eine solche Behandlung entweder von vornherein durchführen oder sich später in diesem Bereich betätigen würde. Da das Berufsbild eines Psychiaters und Psychotherapeuten eine Nähe zu dieser Form der Behandlung Drogenabhängiger aufweist, muss ihm die Substitutionsbehandlung im Rahmen eines gewerblichen Mietverhältnisses daher im Grundsatz erlaubt sein. Eine fristlose Kündigung kann sich deshalb nicht aus dem Gesichtspunkt einer vertragszweckwidrigen Nutzung der Räumlichkeiten rechtfertigen.
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b) Soweit das Landgericht darüber hinaus die Auffassung vertreten hat, jedenfalls der konkrete Zuschnitt der Praxis bzw. das Ausmaß der vom Beklagten betriebenen Drogenersatztherapie rechtfertige eine fristlose Kündigung, kann auch dem nicht gefolgt werden.
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Mit der Berufung rügt der Beklagte zu Recht, dass das Landgericht letztlich nur von einer abstrakten Gefahr durch die Patienten des Beklagten ausgegangen ist. Zur Begründung dieser abstrakten Gefahr hat das Landgericht lediglich ausgeführt: „Auch wenn es sich bei der Drogenersatzbehandlung um eine staatlich und gesellschaftlich erwünschte und geförderte Behandlung handelt, tangiert die Durchführung dieser Behandlung in dem hier vorliegenden Umfang jedenfalls die geschäftlichen Interessen der Kläger in ihrer Stellung als Teileigentümer gegenüber den anderen Teileigentümern in dem Gesamtkomplex der Cassius-Bastei‘“. Warum und in welchem Umfang die geschäftlichen Interessen tangiert sein können, ist aus dieser Begründung nicht ersichtlich. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die geschäftlichen Interessen der Kläger vorrangig darin liegen, das Objekt zu vermieten. Dies haben sie erreicht und erzielen auch regelmäßige Mieteinnahmen, deren Angemessenheit zwischen den Parteien nicht in Frage steht. Die von den Klägern angeführte abstrakte Gefährlichkeit, die sich in einer besonderen Ansteckungsgefahr für die weiteren Nutzer und Kunden des Objekts ergeben soll, begründet auch kein Recht zur fristlosen Kündigung. Wenn die Substitutionsbehandlung als solche eine legitime Behandlungsform im Rahmen des Vertragszwecks ist, kann diese an sich zulässige Behandlungsform durch eine fristlose Kündigung nur dann beendet werden, wenn konkrete Vorfälle die Fortsetzung dieser Behandlung als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2007, XII ZR 1/07, Rdnr. 27 ff., zit. nach Juris, NJW 2009. 664 ff.).
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Die fristlose Kündigung kann in diesem Zusammenhang auch nicht mit der hohen Zahl der Substitutionspatienten begründet werden. Die bloße Anzahl der Patienten, die diese Behandlung in Anspruch nehmen, ist für sich genommen nicht aussagekräftig. Auch in anderen Arztpraxen sind Besucherzahlen in dieser Höhe durchaus üblich. Hinter dieser Zahl verbirgt sich vielmehr die unausgesprochene Befürchtung, eine derart hohe Anzahl von Personen aus sozial schwierigem Umfeld könne das Gesamterscheinungsbild des Geschäftshauses und damit auch die Geschäftsaussichten der anderen Gewerbeeinheiten beeinträchtigen. Auch diese Besorgnis ist nach Auffassung des Senats jedoch erst dann tragfähig, soweit konkrete Vorfälle konkrete Beeinträchtigungen nach sich ziehen.
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c) In die Bewertung der Rechtmäßigkeit der Kündigung muss zudem das Allgemeininteresse einfließen. Hierauf hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 07.04.2000, V ZR 39/99 (NJW 2000, 2901 ff.), im Zusammenhang mit einem Abwehranspruch aus § 1004 BGB, der gegen den Betrieb eines Drogenhilfezentrums auf einem benachbarten Grundstück gerichtet war, hingewiesen. Zum Abwehranspruch hat der Bundesgerichtshof in Anknüpfung an die ständige Rechtsprechung ausgeführt, dass ein solcher Anspruch, welcher die Einstellung des Betriebes zur Folge hätte, ausgeschlossen sei, wenn die störenden Einwirkungen der Erfüllung von Aufgaben dienten, die im Allgemeininteresse lägen. Hiervon ist auch zugunsten des Beklagten auszugehen. Seine Arztpraxis bietet Behandlungen an, die suchtkranken Menschen Hilfe bieten. Damit liegt die Tätigkeit des Beklagten im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse. Auch dies spricht dafür, dass eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses nur dann in Betracht gezogen werden kann, wenn konkrete Vorfälle eine Fortsetzung dieser Behandlungsform als untragbar erscheinen lassen.
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2. Die fristlose Kündigung des Mietvertrages ist aber auch nicht wegen besonderer Vorfälle gerechtfertigt, aus denen sich eine Unzumutbarkeit der weiteren Durchführung des Mietverhältnisses ergeben könnte.
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a) In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, dass die von den Klägern bereits am 13.10.2009 erklärte fristlose Kündigung unter diesem Gesichtspunkt ohnehin ins Leere läuft. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beklagte gerade erst den Praxisbetrieb aufgenommen, ohne dass bis dahin bereits ein relevanter Vorfall zu verzeichnen war, der eine Kündigung rechtfertigen könnte.
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b) Dessen ungeachtet rechtfertigen auch die von Klägerseite für die nachfolgende Zeit benannten Vorfälle keine fristlose Kündigung. Nach der in diesem Zusammenhang maßgeblichen und gegenüber dem allgemeinen Kündigungsrecht aus § 543 Abs. 1 BGB auch vorrangigen Regelung der §§ 578 Abs. 1, 2 und 569 Abs. 2 BGB kann der Vermieter den Vertrag kündigen, wenn der Mieter den Hausfrieden so nachhaltig stört, dass dem Vermieter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Nur ein besonders schwerwiegender Verstoß des Mieters kann jedoch eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Anforderung eines „nachhaltigen“ Pflichtenverstoßes (KG Urt. v. 01.09.2003, 12 U 20/03, Rdnr. 23, a.a.O.).
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Nach diesen Anforderungen liegen keine konkreten Umstände vor, die eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigen können. Die Kläger haben zwar einige Vorfälle vorgetragen, die zum einen vom Beklagten bestritten werden, zum anderen aber auch für sich genommen kein derartiges Gewicht haben, dass sie eine sofortige Beendigung des Mietverhältnisses nach sich ziehen müssen. So haben die Kläger behauptet, ein Patient sei mit insuffizient verbundenen Beinen in kurzen Hosen im Treppenhaus herumgelaufen. Hierzu ist zu bemerken, dass unzureichend verbundene Beine keinen spezifischen Bezug zur Substitutionsbehandlung haben, sondern ein solches Ereignis auch im Umfeld anderer Arztpraxen vorkommen kann. Ferner sollen am 13.11.2009 wiederholt Männer gesehen worden sein, die kurzärmelige T-Shirts angehabt und über erkennbare Blutflecken an den Armbeugen verfügt hätten. Einer der Männer habe zudem das Gesicht blutig gehabt, Blut sei auf seine Kleidung getropft. Die Kläger machen insoweit geltend, dass auch Kinder das Haus betreten und solche Anblicke für Kinder sehr belastend seien. Selbst wenn sich diese Männer, wie die Kläger behaupten, im Hause aufgehalten haben sollten, stellt dieser Vorfall jedoch keine hinreichend gewichtige Belastung des Mietverhältnisses dar, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Im Dezember 2009 soll die Zeugin u von einem Besucher der Praxis beleidigt worden sein: „Wenn du jetzt nicht still bist, haue ich dir eine in die Fresse“. Dies stellt zwar einen aus Sicht der Zeugin nicht hinnehmbaren, gleichwohl aber bedauerlichen alltäglichen Vorfall dar, der dem Beklagten auch nicht ohne Weiteres zugerechnet werden kann. Im Januar 2010 sollen Blutstropfen auf dem Boden des Aufzuges gewesen sein. Hierbei wird allerdings ein Zusammenhang zur Substitutionsbehandlung des Beklagten nicht deutlich. Gleiches gilt für den Umstand, dass Mitte Januar 2010 eine Spritze mit Nadel im Eingangsbereich gefunden worden sein soll. Auch dieser Fund lässt sich nicht der Praxis des Beklagten zuordnen. Der Gesamtkomplex, in welchem sich auch die Arztpraxis des Beklagten befindet, liegt im Innenstadtbereich in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs. In diesem Umfeld können derartige Funde nicht ausgeschlossen werden, unabhängig vom Betrieb einer Substitutionspraxis. Der weitere Vortrag zu alkoholisierten Patienten und Spuren von Ausspucken ist insgesamt zu unsubstantiiert. Ein weiterer Vorfall, anlässlich dessen ein Sicherungsgitter mit einem Stein ausgehebelt worden sein soll, lässt ebenfalls keine hinreichende Verantwortlichkeit des Beklagten erkennen. Unter Berücksichtigung der sehr strengen Anforderungen, die eine fristlose Kündigung erfordert, reichen die geschilderten Vorfälle nicht aus.
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Darüber hinaus haben die Kläger keinerlei konkrete Beschwerden anderer Mieter vorgetragen. Gleiches gilt für etwaige berechtigte Mietminderungen anderer Mieter des Gesamtobjekts wegen konkreter Vorfälle. Der Senat hat von daher keinen objektivierbaren Ansatzpunkt für die Annahme, dass die von den Klägern in Bezug genommenen Zustände für diese oder für andere Mieter unzumutbar sind.
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3. Die Kläger können ihren Räumungsanspruch schließlich auch nicht auf hilfsweise geltend gemachte Pflichtverletzungen des Beklagten im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen stützen. Die im Kündigungsschreiben vom 13.10.2009 erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) ist nicht begründet. Eine Täuschung kann nicht durch Unterlassen einer gebotenen Aufklärung über die beabsichtigte Substitutionsbehandlung angenommen werden.
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Bei Vertragsverhandlungen besteht keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willenserschließung beeinflussen könnten. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Vertragspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. Es besteht jedoch eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind. Davon wird insbesondere bei solchen Tatsachen ausgegangen, die den Vertragszweck vereiteln oder diesen erheblich gefährden können. Eine Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (BGH Urt. v. 11.08.2010, XII ZR 192/08, Rdnr. 21 ff., zit. nach Juris). Nach Maßgabe dieser Grundsätze lässt sich eine Pflicht des Beklagten, über die von ihm beabsichtigte Substitutionsbehandlung oder aber deren Umfang aufzuklären, nicht begründen.
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In diesem Rahmen sind zunächst diejenigen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die bereits zur Verneinung eines außerordentlichen Kündigungsrechts der Kläger geführt haben. Der Beklagte führt als Psychiater und Psychotherapeut mit der Substitution eine Behandlungsform durch, die als Drogentherapie anerkannt ist und eine besondere Nähe zu seiner Fachrichtung aufweist. Da die Kläger wussten, dass eine psychiatrische und psychotherapeutische Praxis eröffnet werden sollte, war die Durchführung von Drogentherapien aus ihrer Sicht jedenfalls nicht fernliegend. Sie hätten durch eine nähere Nachfrage zum Gegenstand der Behandlung den Beklagten zu einer entsprechenden Aufklärung drängen können. Dies haben sie nicht unternommen, sondern sich stattdessen auf eine allgemeine Angabe verlassen. Aus diesem Grunde ist die Durchführung der von den Klägern nicht gewünschten Behandlung deren eigenem Risikobereich zuzuordnen.
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Entgegen der Auffassung der Kläger durften sie vom Beklagten auch keine Aufklärung ohne entsprechende Nachfrage ihrerseits erwarten. Maßgebliche Gründe, die aus Sicht des Beklagten Veranlassung zu einer solchen Aufklärung hätten geben können, liegen nicht vor. Die Praxis des Beklagten liegt im innerstädtischen Bereich in unmittelbarer Nähe zum Bonner Hauptbahnhof. Es handelt sich hierbei, wie der Senat aus eigener Ortskenntnis beurteilen kann, nicht um eine Lage, in der eine Praxis mit Substitutionsbehandlung als im näheren oder weiteren Umfeld unter Berücksichtigung von Bebauung oder gewerblicher Nutzung im Übrigen als ungewöhnlich angesehen werden könnte. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der von den Klägern in Bezug genommenen jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die sich zu einem Verkaufsraum für Waren der Marke „N2“ in einem vom Architekten Friedensreich Hundertwasser gestalteten Gewerbeobjekt verhält (BGH, Urt. v. 11.08.2010, a.a.O.). In dem vom Bundesgerichtshof behandelten Objekt wurden Kleidungsstücke verkauft, die unstreitig und in der öffentlichen Meinung ausschließlich der rechtsradikalen Szene zugeordnet wurden. Dadurch bestand die Besorgnis, dass das Hundertwasserhaus in den Ruf geriet, Anziehungsort für rechtsradikale Käuferschichten zu sein und damit ein Ort, an dem – auch aufgrund von Demonstrationen – gewaltsame Auseinandersetzungen zu erwarten waren. Demgegenüber ist – wie bereits wiederholt ausgeführt – die Berufstätigkeit des Beklagten, auch in Form der Substitutionsbehandlung, gesellschaftlich wünschenswert. Sie liegt im Allgemeininteresse und ist wichtige Hilfestellung für drogenkranke Menschen. Entgegen der Auffassung der Kläger ist auch nicht zu erwarten, dass durch diese Behandlung ansteckende oder verhaltensauffällige Menschen in einem aus Sicht des Vermieters nicht hinnehmbaren Umfang das Gewerbeobjekt aufsuchen. Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass gerade diejenigen Drogenabhängigen, die sich in die Substitutionsbehandlung begeben, Bereitschaft zur Therapie zeigen und von daher zu dem weniger auffälligen Teil der Drogenabhängigen gehören dürften. Es ist auch nicht hinreichend dargetan, dass von Substitutionspatienten eine größere Gesundheitsgefahr ausgeht als von Patientengruppen, die mit ansteckenden Krankheiten andere Ärzte in demselben Gewerbeobjekt aufsuchen. Dies hat letztlich der bisherige Verlauf des Mietverhältnisses gezeigt, der relevante Beeinträchtigungen anderer Mitmieter oder aber von Besuchern des Objekts nicht nach sich gezogen hat.
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Soweit der Bundesgerichtshof insbesondere dort eine Aufklärungspflicht angenommen hat, wo durch die Nutzung des Gewerbeobjekts der Vertragszweck vereitelt oder wesentliche wirtschaftliche Interessen des Vermieters betroffen sein können, kann hiervon nach alldem nicht die Rede sein. Hierzu wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
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4. Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung der Substitutionsbehandlung hat ebenfalls keinen Erfolg. Dies gilt für einen vertraglichen Unterlassungsanspruch ebenso wie für einen Anspruch aus § 1004 BGB. Vertragliche Ansprüche scheitern daran, dass der Beklagte eine vom Vertragszweck abgedeckte ärztliche Behandlung durchführt. Unterlassungsansprüche scheitern, weil eine Störung des Eigentums der Kläger nicht hinreichend dargetan ist.
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Folglich bleibt auch dem auf Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten gerichteten Zahlungsanspruch der Erfolg versagt.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, vgl. § 543 Abs. 2 ZPO.
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Gegenstandswert: 16.400,- Euro (11.400,- Euro für den Räumungsanspruch; 5.000,- Euro für den Unterlassungsanspruch)