Zur Pflicht der umgehenden Reisestornierung des Versicherten bei Kenntnis von Grunderkrankung

AG München, Urteil vom 01.07.2010 – 281 C 8097/10

Sobald der Versicherungsnehmer einer Reiserücktrittsversicherung weiß, dass er an einer Grunderkrankung leidet, die nicht geheilt ist und jederzeit wieder ausbrechen kann, ist es seine Obliegenheit, eine gebuchte Reise unverzüglich zu stornieren, um spätere höhere Stornokosten zu vermeiden, da ihm ab diesem Zeitpunkt die Unsicherheit der Reisedurchführung bekannt war. Eine solche Stornierung zu unterlassen, ist grob fahrlässig (Rn. 19).

Nur die sichere ärztliche Zusage der Wiedergenesung bis zur Reise kann dann den Versicherungsnehmer vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entlasten (Rn. 20).

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger weitere Leistungen aus der mit der Beklagten abgeschlossenen Reiserücktrittsversicherung verlangen kann.

2

Am 21.01.07 buchte der Kläger eine Reise für den Zeitraum vom 01.05.07 bis zum 10.05.07 nach Moskau für sich und seine Ehefrau und schloss zugleich bei der Beklagten eine Reiserücktrittsversicherung ab. Am 25.02.07 erlitt der Kläger eine neurologische Erkrankung in Form epileptischer Anfälle, aufgrund derer er sich vom 25.02.07 bis zum 05.03.07 in stationärer Behandlung befand. Am Tag des geplanten Reiseantritts, dem 01.05.07, brach beim Kläger erneut ein epileptischer Anfall aus, aufgrund dessen er die Reise stornierte. Der Reiseveranstalter berechnete dem Kläger Stornokosten in Höhe von 80 Prozent des Reisepreises und die Visakosten. Die Beklagte erstattete dem Kläger den Betrag des Reisepreises, der als Stornokosten angefallen wäre, wenn der Kläger nach dem ersten epileptischen Anfall storniert hätte abzüglich des Selbstbehalts.

3

Der Kläger behauptet, er sei nach dem Krankenhausaufenthalt arbeits- und reisefähig gewesen. Die Erkrankung vom 01.05.07. stelle keine Folgeerkrankung nach der Erkrankung vom 25.02.07 dar, sondern eine erneute Erkrankung. Die Grunderkrankung sei zwar dem Kläger schon bekannt gewesen, der Zeitpunkt einer neuerlichen akuten Erkrankung sei aber nicht vorhersehbar gewesen. Es hätten keine Bedenken bestanden, ob der Kläger die Reise, durchführen könne. Dem Kläger sei zwar bei der Entlassung nach dem ersten Krankenhausaufenthalt nicht mitgeteilt worden, dass die Grunderkrankung Epilepsie geheilt sei, aber darauf komme es nicht an. Dem Kläger sei bei der Entlassung mitgeteilt worden, dass er arbeits- und reisefähig sei und der neurologische Befund sei zu diesem Zeitpunkt unauffällig gewesen. Auch die Mediziner im Klinikum seien erst ab dem neuerlichen Anfall von einer Unmöglichkeit des Reiseantritts ausgegangen. Die Kosten für die Visabeschaffung würden ebenfalls Reisekosten darstellen.

4

Der Kläger beantragte:

5

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.617,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Leitzins der EZB seit 02.06.08 zu bezahlen.

6

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 229,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Leitzins der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche Interessenvertretung durch den Unterzeichner zu bezahlen.

7

Die Beklagte beantragte:

8

Abweisung der Klage.

9

Die Beklagte meint, die Behauptung des Klägers, er sei nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus arbeits- und reisefähig, gewesen, entlaste ihn nicht vom Vorwurf einer grob fahrlässigen Verletzung der Stornierungsobliegenheit. Die Hoffnung auf rechtzeitige Wiedergenesung bis zum geplanten Reiseantritt sei nicht versichert. Eine Heilung sei am 05.03.07 nicht erfolgt. Aufgrund des bekannten Krankheitsbildes musste mit neuen schweren Anfällen gerechnet werden.

10

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 08.06.10 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

12

Der Kläger hat keinen über die bereits gewährte Erstattung hinausgehenden Anspruch auf Versicherungsleistungen.

13

Ein Anspruch auf Erstattung von Reiserücktrittskosten kann grundsätzlich bestehen, wohingegen ein Anspruch auf Erstattung der Visakosten von vornherein nicht besteht. Vertraglich versichert sind nur die dem Reiseunternehmen geschuldeten Rücktrittskosten, § 2 Nr. 1 der ABRV. Der Umstand, dass man den Reiseveranstalter mit der Besorgung des Visums beauftragt statt dieses selbst beim Konsulat zu beantragen, macht die diesbezüglichen Kosten nicht zum Reisepreis.

14

Auf die Frage, ob der Kläger bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erkrankt war, kommt es nicht an, da Streitgegenstand nur die Kosten sind, soweit sie durch die unterbliebene Stornierung entstanden sind. Es kann daher ohne Beweisaufnahme zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass der epileptische Anfall vom Februar 2007 der erste war.

15

Dem Anspruch auf Erstattung von über die erfolgte Zahlung hinausgehenden Reiserücktrittskosten steht jedoch § 5 Nr. 2 der ABRV entgegen.

16

Der Kläger erlitt im Februar 2007 einen schwerwiegenden epileptischen Anfall, welcher einen neuntägigen Krankenhausaufenthalt mit sich brachte. Eine derartige Erkrankung stellt eine schwere Erkrankung des Versicherten und damit einen Versicherungsfall im Sinn des § 2 Nr. 2 a ABRV dar, bei deren Eintritt dem Kläger der Antritt der Reise nicht mehr zumutbar war. Der Eintritt eines Versicherungsfalls löst jedoch die Stornierungsobliegenheit nach § 5 Nr. 1 a) ABRV aus.

17

Durch den ersten Epilepsieanfall wurde dem Kläger bekannt, dass er an einer Grunderkrankung leidet, bei welcher es zu weiteren Anfällen kommen kann, deren Zeitpunkt nicht vorhersehbar ist. Dass dem Kläger bei der Entlassung mitgeteilt wurde, er sei arbeits- und reisefähig, ändert nichts daran, dass diese Krankheit als ungeheilte Grunderkrankung fortbestand. Nach dem entsprechenden Hinweis des Gerichts hat der Kläger mitgeteilt, dass ihm nicht von Seiten der Ärzte mitgeteilt wurde, dass er von der Grunderkrankung geheilt sei. Dass er aktuell bei der Entlassung reisefähig war und zu diesem Zeitpunkt einen unauffälligen neurologischen Befund hatte, ändert nichts daran, dass er ab diesem Zeitpunkt wusste, dass er an einer Erkrankung leidet, welche jederzeit unvorsehbar zu einer erneuten Reiseunfähigkeit führen kann.

18

Der Kläger hätte die Stornierung nur dann nicht grob fahrlässig unterlassen, wenn ihm ärztlicherseits ausdrücklich die Auskunft erteilt worden wäre, dass einerseits bei einem komplikationsfreiem Heilverlauf mit einer Wiederherstellung bis zum geplanten Reiseantritt gerechnet werden kann und andererseits bestätigt wird, dass mit komplikationsfreiem Heilverlauf sicher gerechnet werden kann. Der Arzt muss mit Sicherheit eine völlige (Wiedergenesung bis zum Reiseantritt prognostiziert haben und die Hoffnung auf rechtzeitige Wiedergenesung ist im Rahmen der Reiserücktrittsversicherung nicht versichert, LG München, RRa 2003, 137ff.

19

Ein solcher Fall mit einer sicher zu erwartenden Wiedergenesung liegt nicht vor. Der Kläger wusste, dass er an einer Krankheit leidet, die nicht geheilt ist und die jederzeit wieder auftreten kann. Die Durchführung der Reise hätte möglich sein können, aber auch scheitern können. Diese Unsicherheit nach Eintritt einer Krankheit hat nicht die Versicherung zu tragen, sondern der Versicherungsnehmer, der auf die Durchführung hofft. Ab dem Zeitpunkt, als der Kläger wusste, dass er an der Grunderkrankung Epilepsie leidet, wäre es seine Obliegenheit gewesen, unverzüglich zu stornieren, um spätere höhere Stornokosten zu vermeiden, da ihm ab diesem Zeitpunkt die Unsicherheit der Reisedurchführung bekannt war. Dass dies unterblieb, war grob fahrlässig.

20

Die Kosten für die unsichere Hoffnung, dass es gut gehen werde, muss der Kläger selbst tragen. Nach Eintritt einer Erkrankung liegt das Risiko der fehlenden Genesung beim Versicherungsnehmer. Soweit der Kläger ausführt, dass ärztlicherseits keine Bedenken bestanden hätten, dass der Kläger die Reise durchführt, benennt der Kläger als Beweis hierfür die Anlage B 3, aus der sich aber nur ergibt, dass zum Zeitpunkt der Reisebuchung keine Bedenken bestanden. Letztlich kommt es aber auf Bedenken nicht an, da nur die sichere ärztliche Zusage der Wiedergenesung bis zur Reise den Kläger vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entlasten könnte.

21

Soweit der Kläger meint, er könnte keine Reisen unternehmen; da zumindest die abstrakte Möglichkeit einer akuten weiteren Erkrankung bestehe, sei hierzu angemerkt, dass der Kläger durchaus weiterhin Reisen unternehmen kann, aber das Risiko eines krankheitsbedingten Reiseausfalls selbst tragen muss und eben zumindest bei der Beklagten nicht versichern kann.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO.

23

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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