Zur Haftung des Hauseigentümers für Schäden infolge bei Sturm abgedeckter Dachziegel

OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. März 1992 – 22 U 120/91

1. Am Niederrhein muß mit Wind der Stärke 8 nach der Beaufort-Skala, der in Böen den Bereich der Windstärke 12 erreicht, – wenn auch selten – gerechnet werden.

2. Werden durch einen solchen, kein außergewöhnliches Naturereignis darstellenden Sturm Dachziegel abgedeckt, ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluß gerechtfertigt, daß das Gebäude fehlerhaft errichtet oder unzulänglich unterhalten worden ist.

(Leitsatz des Gerichts)

Tatbestand
1
(Übernommen aus OLGR Düsseldorf)

2
Der Kl. hatte am 26.2.1990 während eines starken Sturms seinen Pkw vor dem Haus der Bekl. geparkt. Mit der Behauptung, Dachziegel von diesem Haus seien auf seinen Pkw gefallen, verlangt er von der Bekl. Schadenersatz. Nach einem Sturmschaden im Januar 1990 war das Dach nur soweit wiederhergestellt worden, wie erkennbare Schäden vorlagen und Ziegel fehlten. Eine Überprüfung der übrigen Dachfläche war nicht erfolgt.

Entscheidungsgründe
3
Der Kl. kann von der Bekl. als Besitzerin des bebauten Grundstücks D. den Schaden i.H. von 6.688,70 DM ersetzt verlangen, der ihm dadurch entstanden ist, daß sein Kfz am 26.2.1990 durch von dem Gebäude der Bekl. herabfallende Dachziegel beschädigt worden ist (§ 836 I 1 BGB).

4
Durch die Beweisaufnahme vor dem erk. Senat ist es erwiesen, daß das Fahrzeug des Kl. durch Dachziegel, die von dem Dach des vorbezeichneten Hauses der Bekl. herabgefallen sind, beschädigt worden ist. Die Zeugin A., die seinerzeit in dem Nachbarhaus Nr. 136 wohnte, hat nach ihren Bekundungen allerdings nicht beobachtet, wie die Ziegel vom Dach herabgefallen sind. Sie hat aber bestätigt, daß das Fahrzeug des Kl., der ihr an dem betreffenden Tag ein Fernsehgerät geliefert hat, vor dem Hause der Bekl. auf der Straße abgestellt war, als der Kl. wenige Minuten, nachdem er das Gerät gebracht hatte, wieder bei ihr schellte und sie darauf aufmerksam machte, daß Dachziegel herabgefallen waren und, wovon sie sich überzeugt hat, Stücke von diesen noch auf seinem Fahrzeug lagen. Zwar hat die Zeugin eingeräumt, daß sie die durch die herabgefallenen Dachziegel an dem Fahrzeug verursachten Schäden nicht näher in Augenschein genommen hat. Sie ist vielmehr – wie sie glaubhaft und einfühlsam bekundet hat – wegen des stürmischen Wetters in der Nähe der Haustür stehen geblieben und hat von dort aus ihre Wahrnehmungen gemacht. Gleichwohl besteht nach der Überzeugung des Senats kein begründeter Zweifel daran, daß durch die herabgefallenen Dachziegel die in dem Gutachten der Sachverständigen B. und J. vom 1.3.1990 festgestellten Beschädigungen des Kfz des Kl. verursacht worden sind und daß die Dachziegel von dem Haus der Bekl. stammten. Von dem Dach des Gebäudes der Bekl. sind unstreitig an dem betreffenden Tage durch den Sturm Ziegel abgedeckt worden, während das Dach des Nachbarhauses, in dem die Zeugin A. damals wohnte, den weiteren Bekundungen der Zeugin zufolge keine Sturmschäden erlitten hat.

5
Für den durch die abgedeckten Ziegel am Fahrzeug des Kl. entstandenen Schaden haftet die Bekl. als Besitzerin des Grundstücks gem. § 836 I 1 BGB. Nach den Regeln des Anscheinsbeweises ist davon auszugehen, daß das Loslösen der Dachziegel Folge eines Errichtungs- oder Unterhaltungsmangels war.

6
Löst sich von einem Gebäude ein Teil, dann ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluß gerechtfertigt, daß das Gebäude fehlerhaft errichtet oder unzulänglich unterhalten worden ist (vgl. OLG Düsseldorf, 4. Zivilsenat, VersR 1976, 94). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn Witterungseinflüsse, die als außergewöhnliches Naturereignis anzusehen sind, das Ablösen der Gebäudeteile verursacht haben. Darunter fallen aber nur ganz außergewöhnliche Naturereignisse, mit deren Auftreten nicht, auch nicht selten, gerechnet werden muß (vgl. BGH VersR 1976, 66 f). Der Sturm, der am 26.2.1990 zur Zeit des Schadensfalles in D. und weiten Teilen des Landes geherrscht hat, zählte dazu nicht. Nach der amtlichen Auskunft des Deutschen Wetterdienstes, Wetteramt E., hatte der Wind am 26.2.1990 um die Mittagszeit im Raum D. die Stärke 8 nach der Beaufort-Skala (Mittelwind) und erreichte am Schadensort in Böen Höchstwerte bis zum Bereich der Windstärke 12 nach Beaufort. Solche ungewöhnlichen, aber möglichen Sturmbelastungen mußte die Bekl. als Hausbesitzerin in ihre Betrachtungen einbeziehen und entspr. Vorsorge für die Festigkeit des Daches treffen. In der hiesigen Gegend kommt es zuweilen, wenn auch selten, zu Stürmen mit ähnlicher und in Böen annähernd gleicher Windstärke. Nach der eigenen Sachdarstellung der Bekl. war das Dach schon im Januar 1990, also nur wenige Wochen zuvor, bei einem – gerichtsbekannt starken – Sturm beschädigt worden, so daß, wie der Zeuge J. bestätigt hat, abgedeckte Ziegel ersetzt werden mußten. Dies sowie der Umstand, daß das Dach nach der weiteren Aussage des Zeugen J. auch in der voraufgegangenen Zeit häufig hatte repariert werden müssen, spricht daher eher für eine besondere Windanfälligkeit des Daches als für ein außergewöhnliches Naturereignis, mit dem nicht gerechnet werden mußte. Das gilt erst recht im Hinblick darauf, daß nach der unbestrittenen Darstellung des Kl. am Schadenstag, anders als zuvor im Januar, Sturmschäden nur am Hause und nicht an den Nachbarhäusern entstanden sind.

7
Den ihr obliegenden Beweis dafür, daß sie zum Zwecke der Abwendung der von dem Dach ihres Hauses bei Stürmen ausgehenden Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat (§ 836 I 2 BGB), hat die Bekl. nicht erbracht. Dazu genügte es nicht, die vom Sturm gelösten Dachziegel jeweils zu ersetzen. Die Bekl. mußte vielmehr, nachdem es schon im Januar 1990 zu Sturmschäden gekommen war, Vorsorge treffen, daß auch bei starkem Sturm Dachziegel nicht wieder abgedeckt werden konnten. Dieser Verpflichtung hat die Bekl. nicht genügt.

8
Wie der sachverständige Zeuge J. bekundet hat, ist das Dach nach dem Sturmschaden im Januar 1990 von einem Mitarbeiter seines Betriebes lediglich soweit wiederhergestellt worden, wie erkennbare Schäden vorlagen und Ziegel fehlten.

9
Eine Überprüfung der nicht sichtbar beschädigten Teile der Dachfläche war von der Bekl. nicht in Auftrag gegeben worden und hat auch nicht stattgefunden. Die Begründung einer allgemeinen Pflicht der Hausbesitzer, die Dächer ihrer Häuser laufend durch den Dachdecker auf ihren ordnungsgemäßen Zustand untersuchen zu lassen, mag zwar die im Rahmen des § 836 BGB bestehende Sorgfaltspflicht überspannen (vgl. dazu die Anm. von Cuntz zu LG Hamburg VersR 1970, 579, 580). Etwas anderes ist es jedoch, wenn – wie hier – schon einmal Sturmschäden an einem Dach aufgetreten sind und das Dach infolge altersbedingten Verschleißes oder anderer Umstände besonders sturmempfindlich geworden ist. So war es hier.

10
Das Dach des Hauses der Bekl. war, wie der Zeuge J. bekundet hat, schon häufig „saniert“ worden. Was unter den „Sanierungen“ zu verstehen ist, ergibt sich aus den weiteren Bekundungen des Zeugen: Es war wiederholt mit zum Teil in der Struktur abweichenden Dachziegeln ausgebessert worden, so daß sich dem Betrachter eine unruhige Dachfläche bot. Waren aber an dem Dach des Hauses in der dem Schadensereignis voraufgegangenen Zeit schon häufig Schäden aufgetreten, die zwar von Fachleuten, aber unter Verwendung uneinheitlichen Materials behoben worden sind, so spricht dies in hohem Maße dafür, daß die Bekl. ihrer Unterhaltungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Jedenfalls hat die Bekl. den ihr insoweit obliegenden Entlastungsbeweis nicht erbracht.

11
Ein Mitverschulden des Kl. bei der Entstehung des Schadens läßt sich nicht feststellen. Es kann nicht schon darin gesehen werden, daß er das Fahrzeug bei Sturm in der Nähe eines Gebäudes abgestellt hat. Umstände, die die Gefährdung des abgestellten Fahrzeuges durch Dachziegel, die vom Hause der Bekl. herabfielen, für den Kl. erkennbar gemacht haben, sind nicht vorgetragen. Die von der Bekl. zitierte Rspr. zu Dachlawinen kann im vorliegenden Fall nicht herangezogen werden. Sie ist schon deshalb nicht vergleichbar, weil die Gefährdung durch Dachlawinen einem aufmerksamen Straßenbenutzer – anders als die durch ein nicht ausreichend sturmsicheres Dach – i.d.R. erkennbar ist. …

Dieser Beitrag wurde unter Zivilrecht abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Zur Haftung des Hauseigentümers für Schäden infolge bei Sturm abgedeckter Dachziegel

  1. raskwar sagt:

    Angesichts der durch den Klimawandel bedingten Häufung von Stürmen ist diese Gerichtsentscheidung für Hauseigentümer von besonderer Bedeutung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert