Landgericht Köln, Urteil vom 05.08.2009 – 9 S 93/09
Zur Haftung des Fahrers eines Sattelschleppers für Schaden durch hochgeschleuderten Ast
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth vom 09.02.2009 – 1 C 454/08 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.361,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2008 sowie weitere 229,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-punkten seit dem 04.12.2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in Höhe von 2.361,93 € aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG a.F. bzw. § 115 VVG n.F. (vgl. Art. 1 EGVVG) zu.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Schaden „bei dem Betrieb“ des bei der Beklagten versicherten Sattelschleppers entstanden ist. Der Fahrer des klägerischen Pkw, der Zeuge D, hat das Schadensereignis plausibel und in sich widerspruchsfrei geschildert. Danach fuhr er hinter einem Sattelzug mit Baumstämmen her, einer der Träger des Sattelzuges – und zwar der zweite oder dritte von hinten auf der rechten Seite – erfasste einen herunterhängenden Ast, riss ihn ab und schleuderte ihn hoch, so dass er vorne rechts auf dem Pkw der Klägerin aufschlug. Die Schilderung stimmt in den wesentlichen Punkten mit den ebenfalls glaubhaften Bekundungen seines Beifahrers, des Zeugen F, überein. Dieser hat den Vorfall allerdings erst bemerkt, als der Ast auf den Pkw der Klägerin traf. Er konnte sich indes daran erinnern, dass der Zeugen D mit dem Pkw nach links gezogen ist, weil er dem Ast noch ausweichen wollte. Der Zeuge F hat ferner ausgesagt, dass er das Kennzeichen des bei der Beklagten versicherten Sattelzuges nach dem Vorfall notiert habe, wenngleich die beiden Zeugen den Schaden erst später, nämlich beim Aussteigen, bemerkt haben.
Eine weitere Beweisaufnahme durch Einholung des von der Beklagtenseite gegenbeweislich beantragten Sachverständigengutachtens zum Schadenshergang kommt nicht in Betracht. Es fehlen jegliche Anknüpfungspunkte für eine sachverständige Begutachtung des Schadensereignisses, da weder der herabgefallene Ast vorhanden noch die genaue Abrissstelle festzustellen ist. Soweit die Klägerseite vorgetragen hat, der Ast sei auf das Fahrzeug der Klägerin „zugeflogen“, was von der Beklagtenseite für physikalisch ausgeschlossen gehalten wird, ist dies nach Ansicht der Kammer nicht entscheidend. Denn die Klägerseite hat den Vorfall erkennbar aus Sicht der Fahrzeuginsassen geschildert, die den Ast als ihnen „entgegenfliegend“ empfunden haben. Wie er tatsächlich geflogen ist kann dahinstehen, solange er nur tatsächlich auf dem Auto der Klägerin aufgeschlagen ist, was durch die Zeugen – wie bereits ausgeführt – überzeugend geschildert wurde.
Das Amtsgericht geht zu Recht davon aus, dass eine Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG zu erfolgen hat, weil es sich um einen Unfall handelt, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt sind und der Schaden einem der beteiligten Fahrzeughalter entstanden ist. Dem Amtsgericht kann indes nicht darin gefolgt werden, dass es sich bei dem Unfall für den Führer des bei der Beklagten versicherten Sattelschleppers um ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG gehandelt hat. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i. S. von § 276 BGB hinaus. Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben (vgl. nur BGH NJW 1992, 1684, 1685 m.w.N. zu § 7 Abs. 2 StVG a.F.). Für die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist die Beklagtenseite darlegungs- und beweisbelastet. Die Kammer teilt insoweit nicht die Auffassung des Amtsgerichts, dass der Fall mit dem des Hochschleuderns von Gegenständen vergleichbar sei, für deren Vorhandensein auf der Fahrbahn keine Anhaltspunkte vorliegen, und in dem die Rechtsprechung deshalb das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses bejaht (vgl. hierzu etwa LG Hof NZV 2002, 133 m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., 2009, § 17 Rn. 25). Denn ein Idealfahrer wäre durch eine Allee mit einem mit Baumstämmen beladenen Sattelzug auch bei zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nicht mit 70-80 km/h gefahren, hätte daher den Ast rechtzeitig bemerkt und wäre ausgewichen (vgl. zu den Abwägungskriterien Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl., 2008, Rn. 524 m.w.N. zur Rechtsprechung). Dass dies aufgrund der Umstände im konkreten Fall nicht möglich war, ist weder ersichtlich noch von der Beklagtenseite schlüssig vorgetragen. Demgegenüber greift § 17 Abs. 3 StVG allerdings zugunsten der Klägerin ein, so dass die Beklagte dem Grunde nach voll haftet. Soweit die Beklagte nunmehr behauptet, der Zeuge D habe den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten und sich insoweit dessen Aussage zu eigen macht, kann sie damit keinen Erfolg haben. Denn die Aussage des Zeugen D betreffend den Abstand zu dem vorausfahrenden Sattelschlepper war viel zu vage, als dass hieraus konkrete Rückschlüsse auf eine Verletzung des notwendigen Sicherheitsabstandes gezogen werden könnten. Er hat lediglich allgemein bekundet, er sei 20/30 m hinter dem Sattelzug hergefahren.
Die Klage ist auch der Höhe nach gemäß § 249 BGB ganz überwiegend begründet. Zwar bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen, dass die Klägerin die vorgelegte Reparaturrechnung beglichen habe. Hierauf kommt es indes nicht an. Die Klägerin kann gemäß § 249 Abs. 2 BGB bei Beschädigung einer Sache den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Aufgrund der vorgelegten Reparaturrechnung ist davon auszugehen, dass der darin ausgewiesene Betrag „erforderlich“ i.S.v. § 249 Abs. 2 BGB war. Die Klägerin kann auch die Bezahlung der Kosten für das Sachverständigengutachten von der Beklagten verlangen. Der Anspruch auf Befreiung von der Verbindlichkeit hat sich jedenfalls dadurch gemäß § 250 S. 2 BGB in einen Zahlungsanspruch umgewandelt, dass die Beklagte die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat (vgl. nur BGH NJW 1993, 1137, 1138). Die von der Klägerin geltend gemachte Auslagenpauschale ist allerdings nur in Höhe von 25,- € zuzuerkennen. Die Klägerin hat ferner Anspruch auf Ersatz der 1,3-fachen Geschäftsgebühr, die durch die vorprozessuale Inanspruchnahme ihres Prozessbevollmächtigten angefallen ist.
Der Zinsanspruch folgt hinsichtlich der Hauptforderung aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB, hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
III.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zulassung der Revision ist auch nicht i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, da nicht über streitige oder zweifelhafte Rechtsfragen zu entscheiden war.