Zur Haftung bei Komplikationen nach der ärztlichen Behandlung sog. Besenreiser

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 13.05.2016 – 26 U 187/15

Die Sklerosierungsbehandlung von sog. Besenreisern erfordert eine umfassende ärztliche Aufklärung des Patienten, wenn es sich um einen rein ästhetischen Eingriff handelt. Wird der Patient ausreichend aufgeklärt, kann der für den Patienten schmerzhafte Umstand, dass Injektionsmittel nicht in eine Vene, sondern in umliegendes Gewebe gelangt, nicht als Behandlungsfehler zu werten sein.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 21. August 2015 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Klägerin auferlegt.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.

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2
Gründe
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I.
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Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer vermeintlich fehlerhaften ärztlichen Behandlung in der Zeit vom 20.11.2009 bis zum 26.03.2010 auf Schmerzensgeld, Ersatz fiktiven Haushaltsführungsschadens, Schadensersatz und Feststellung zukünftiger Schadensersatzpflicht in Anspruch.
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Die am 23.07.1954 geborene Klägerin stellte sich am 20.11.2009 wegen sog. Besenreiser in der hausärztlichen Praxis des Beklagten vor. Der Beklagte erläuterte ihr, dass es sich bei Besenreisern um ein ästhetisches Problem ohne funktionelle Relevanz handele, gleichwohl aber eine Sklerosierungsbehandlung durchgeführt werden könne. Mit der Klägerin wurden anschließend das (Behandlungs-)Verfahren und zumindest die Komplikation erörtert, dass durch das bei der Behandlung verwendete Medikament eine lokale Entzündung hervorgerufen werden könne.
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Am 25.03.2010 suchte die Klägerin die Praxis des Beklagten zur Durchführung der zuvor besprochenen Sklerosierungsbehandlung auf. Der Beklagte setzte der Klägerin zu Beginn der Therapie eine erste Spritze über den Innenknöchel des rechten Fußes. Unmittelbar danach setzte bei der Klägerin ein starkes Brennen ein, so dass der Beklagte die weitere Prozedur abbrach. Vor der Behandlung hatte die Klägerin einen schriftlichen Aufklärungsbogen über die „Entfernung von Hautveränderungen“ unterzeichnet.
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Die Schmerzen der Klägerin nahmen nach Abbruch der Behandlung weiter zu. Die Umgebung der Einstichstelle rötete sich und schwoll an. Der Beklagte legte der Klägerin daraufhin einen Kompressionsverband um den geschwollenen Knöchel.
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Da die Beschwerden in der Folgezeit nicht nachließen, stellte sich die Klägerin am 26.03.2010 erneut in der Praxis des Beklagten vor. Die sie dort nun behandelnde Frau Dr. C3 riet ihr zu einem Wickeln des Fußes.
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Auch diese Maßnahme führte in der Folgezeit zu keiner Linderung; die bei der Klägerin bestehende Rötung breitete sich nunmehr sogar weiter bis zur Leiste aus. Die Klägerin stellte sich darauf am 30.03.2010 in der Gemeinschaftspraxis Dr. L in Q-X vor, wo sie zur weiteren Abklärung ins Krankenhaus überwiesen wurde.
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Etwa eine Woche später – am 07.04.2010 – suchte die Klägerin das Krankenhaus in M auf, wo sie zunächst wegen ihres dort festgestellten Fiebers ein Antibiotikum erhielt. Die am nächsten Tag durchgeführte Farbduplexsonographie des rechten Venensystems ergab eine ausgeprägte Thrombophlebitis superficialis im Verlauf der Vena saphena magna ab dem proximalen Oberschenkeldrittel über der Knieregion nach distal bis hin zur Wadenmitte. Die behandelnden Ärzte stellten daraufhin die Indikation für eine Exhärese der Vena saphena magna. Die Klägerin wurde danach mit einem Kompressionsverband versorgt und es wurde eine antiphlogistische sowie schmerzstillende Therapie eingeleitet.
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In den weiteren Untersuchungen bestätigte sich der anfängliche Verdacht einer tiefen Beinvenenthrombose dann nicht. Die Klägerin musste sich gleichwohl in den nächsten 20 Tagen jeden Tag Thrombosespritzen setzen und weiterhin ein Antibiotikum einnehmen.
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Die Klägerin hat dem Beklagten Aufklärungs- und hilfsweise Behandlungsfehler vorgeworfen. Sie habe den Beklagten vor Beginn der Behandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie bereits mehrfach Thrombosen und Venenentzündungen gehabt habe. Der Beklagte habe ein solches Risiko, dem sie sich bei der Behandlung keinesfalls habe aussetzen wollen, damals eindeutig verneint. Nach dem Setzen der ersten Spritze und dem Anschwellen ihres geröteten Knöchels habe ihr der Beklagte erklärt, die Schmerzen würden bald nachlassen und beruhten darauf, dass das verwendete Präparat eine “leichte Venenentzündung“ hervorgerufen habe. Die Behandlung sei vor diesem Hintergrund insgesamt fehlerhaft gewesen. Die Spritzenbehandlung sei darüber hinaus nicht indiziert gewesen und hätte aufgrund des hohen Risikos einer Venenthrombose und einer Venenentzündung überhaupt nicht durchgeführt werden dürfen. Die angewandte Methode sei weiterhin nicht die Methode der Wahl gewesen. Vor der Behandlung vom 25.03.2010 sei sie nicht ausreichend aufgeklärt worden. Der Beklagte habe das Risiko einer Thrombose und einer Venenentzündung trotz ausdrücklicher Nachfrage verneint. Die Aufklärung sei verspätet und völlig unzureichend gewesen, zumal es sich hier um einen schönheitschirurgischen Eingriff gehandelt habe. Die Klägerin hat die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 30.000 €, Erstattung nutzloser Aufwendungen i.H.v. 164 €, Ersatz eines Haushaltsführungsschadens vom 25.03. bis zum 31.10.2010 i.H.v. 1.725 €, Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht sowie Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten geltend gemacht.
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Der Beklagte hat behauptet, er habe mit der Klägerin vor der Behandlung ein ausführliches Gespräch über die Behandlung und die damit verbundenen Risiken geführt. Sodann habe er gar keine Sklerosierungsbehandlung mit einer Injektion in eine Vene durchgeführt. Die Behandlung sei vielmehr wegen starken Brennens direkt abgebrochen worden, weil das Sklerosierungsmittel paravasal in das Gewebe injiziert worden sei. Es habe sich dabei auch nur um eine Menge von max. 0,25 ml gehandelt. Da demnach überhaupt keine intravasale Injektion stattgefunden habe, könne bei der Klägerin auch kein Sklerosierungsmittel in den Bereich einer großen Vene gelangt sein und dort eine Entzündung oder eine Phlebitis ausgelöst haben. Es sei davon auszugehen, dass sich bei der Klägerin unabhängig von der Sklerosierungsbehandlung eine Phlebitis entwickelt habe. Dementsprechend hätten bei der Behandlung vom 26.03.2010 auch keine Hinweise für eine Phlebitis bestanden. Eine Kontraindikation für die grundsätzlich indizierte Sklerosierungstherapie habe nicht bestanden.
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Das Landgericht hat die Klage mit Versäumnisurteil vom 27.03.2015 abgewiesen. Gegen das am 10.04.2015 zugestellte Versäumnisurteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.04.2015, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, Einspruch eingelegt.
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Das Landgericht hat das Versäumnisurteil sodann gestützt auf ein fachphlebologisches Gutachten aufrechterhalten. Der Beklagte habe die erforderliche Risikoaufklärung der Klägerin ordnungsgemäß vorgenommen. Der von ihr unterzeichnete Aufklärungsbogen sei zumindest ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden habe. Die Klägerin habe die Indizwirkung des Aufklärungsbogens nicht erschüttert. Sie habe ausdrücklich erklärt, dass sie den Aufklärungsbogen gelesen und dessen Inhalt mit dem Beklagten erörtert habe. Dabei habe sie gerade nicht behauptet, dass der Beklagte ihr dabei erklärt habe, die genannten Risiken seien für die bei ihr in Aussicht genommene Therapiemaßnahme nicht einschlägig. In der Sache sei die Aufklärung auch angesichts der bei kosmetischen Operationen erhöhten Anforderungen ausreichend gewesen. Das Risiko einer Infektion und einer Schädigung von Blutgefäßen sei in dem Aufklärungsbogen ausdrücklich genannt, wobei diese Hinweise nach der nicht bis ins letzte Detail geschuldeten Aufklärung auch eine Thrombophlebitis umfassten. Die Klägerin sei auch nicht verspätet aufgeklärt worden. Es ergäben sich für die Klägerin auch keine Ansprüche aufgrund des hilfsweise erhobenen Vorwurfes eines Behandlungsfehlers. Die Klägerin sei insgesamt fachgerecht behandelt worden. Nach der damals gültigen Leitlinien gelte die Sklerosierungsbehandlung für die Behandlung von kleinkalibrieren Varizen als Methode der ersten Wahl. Der Beklagte habe hier richtigerweise die Flüssigkeitssklerosierung gewählt. Es sei zu konstatieren, dass er die Indikationsstellung, Auswahl und Konzentration des Verödungsmittels lege artis vorgenommen habe. Dass insbesondere bei den kleinen Besenreitervarizen durchaus eine paravasale Injektion geschehen könne, sei kein Behandlungsfehler, sondern im Rahmen dieser Therapieform durchaus möglich. Für eine paravasale Injektion spreche insbesondere der spontane sofort eintretende Schmerz der Klägerin. Es sei nur eine Injektion durchgeführt worden, so dass nur eine kleine Menge von 0,1 bis max. 0,25 ml injiziert worden sei. Unabhängig davon habe sich nachfolgend bei der Klägerin am rechten Bein eine oberflächliche Thrombosephlebitis im Vena saphena magna-Verlauf ausgebildet. Es sei prinzipiell auch bei intravasaler Injektion äußerst unwahrscheinlich, dass eine Injektionsmenge von max. 0,25 ml Injektionslösung bei intravasaler Injektion im Bereich von Besenreisern eine solch ausgeprägte Phlebitis deutlich oberhalb der Injektionsstelle auslösen könne. In diesem speziellen Fall komme noch der Umstand hinzu, dass offensichtlich primär eine extravasale Injektion durchgeführt worden sei, so dass das Injektionsmittel letztendlich überhaupt nicht im Bereich der Vene oder Besenreiservarize appliziert worden sei. Aufgrund der feststehenden extravasalen Injektion sei ein Ursachenzusammenhang zwischen der Sklerosierungsbehandlung und der zwei Wochen später festgestellten Thrombophlebitis zu verneinen, weil die Flüssigkeit gar nicht an die Vene herangekommen sei. Selbst unter der hypothetischen Annahme einer intravasalen Injektion mit max. 0,25 ml sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einer so großen Vene wie der Vena saphena magna keine Thrombophlebitis diesen Ausmaßes zu erreichen.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihr erstinstanzliches Begehren vollumfänglich weiterverfolgt. Das Landgericht Bielefeld sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Am 20.11.2009 habe man lediglich darüber gesprochen, ob eine solche Behandlung mittels Schaums überhaupt möglich sei. Am 25.03.2010 sei sie zunächst mit einem Fragebogen zur Entfernung von Hautveränderungen ins Wartezimmer geschickt worden. Auf ihre Nachfrage, ob es wegen der vorangegangenen Thrombosen Probleme geben könne, weil sie auf keinen Fall wieder eine Venenentzündung haben wolle, habe der Beklagte lediglich erwidert „Nein das können wir machen“. Sie sei unstreitig mittels Aufklärungsbogens über „Eingriffe bei Hauttumoren“ aufgeklärt worden und nicht über die Beseitigung von Besenreisern mittels eines verödenden Injektionsmittels. Darüber hinaus sei bereits erstinstanzlich vorgetragen worden, dass eine mündliche Aufklärung nicht erfolgt sei. Die aufgetretenen Komplikationen und Schmerzen seien auf die vorgenommene Behandlung zurückzuführen. Das Sachverständigengutachten sei widersprüchlich und leide an schweren Fehlern. Der Gutachter habe ausgeführt, dass die Indizierung von 0,2 ml Injektionsmittel lege artis sei. Tatsächlich seien jedoch 0,25 ml verabreicht worden. Darüber hinaus habe der Sachverständige außer Acht gelassen, dass sich im Bereich der behandelten Stelle eine Vielzahl von Krampfadern befinde, die eine Weiterleitung des Injektionsmittels begünstigten so dass aufgrund dessen schon gar keine Behandlung habe durchgeführt werden dürfen. Das Vorhandensein einer Krampfader in der Nähe der behandelten Stelle sei sodann ursächlich für die aufgetretenen Schmerzen. Diese Krampfader habe das injizierte Mittel hochgezogen und sei durch das Injektionsmittel selbst verödet. Dies habe der Sachverständige verkannt und sei aufgrund der nunmehr nicht mehr sichtbaren verödeten Krampfader in der Nähe der Injektionsstelle zu einem falschen Ergebnis gelangt. Überdies sei statt einer Flüssigkeitsbehandlung tatsächlich eine Schaumbehandlung durchgeführt worden, die eine deutlich flächendeckendere Verbreitung des Verödungsmittels im Körper verursache. Danach sei die entstandene Thrombosephlebitis durch die Behandlung verursacht worden.
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Die Klägerin beantragt,
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1. unter Abänderung des am 21.08.2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Bielefeld den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, welches 30.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2011 zu zahlen; das Versäumnisurteil vom 27.03.2015 wird aufgehoben;
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2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist,
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a) sie von jeglichen nicht vorhersehbaren künftigen materiellen Schäden freizustellen und
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b) jegliche nicht vorhersehbare immaterielle Schäden zu ersetzen, die auf die Behandlung ab dem 25.03.2010 zurückzuführen sind, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;
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3. den Beklagten zu verurteilen, an sie die aufgebrachten Kosten i.H.v. 164,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2011 zu zahlen.
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4. den Beklagten zu verurteilen, an sie fiktive Haushaltsführungskosten in der Zeit vom 25.03.2010 bis zum 31.10.2010 i.H.v. 1.725,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2011 zu zahlen.
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5. den Beklagten zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten Kosten i.H.v. 3.364,73 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2011 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Klägerin sei mit ihrem neuen Sachvortrag in zweiter Instanz präkludiert. Soweit die Klägerin behaupte, dass überhaupt kein Gespräch über die Risiken stattgefunden habe, setze sie sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Vortrag in erster Instanz, in welchem sie geschildert habe, dass sie selbst sich nach den Risiken einer Thrombose oder Venenentzündung erkundigt habe. Dies zeige, dass sie sich zum damaligen Zeitpunkt sehr wohl auch mit den Risiken der Behandlung auseinandergesetzt habe. Ebenfalls neu sei die Behauptung zu einem angeblich roten Streifen, der sich in den Oberschenkel hochgezogen haben solle. Abgesehen von dem neuen und präkludierten Vortrag seien die Darlegungen in der Berufungsbegründung verfehlt. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem angeblich fehlerhaften bzw. rechtswidrigen Eingriff und dem Schaden sei nach den Darlegungen des Sachverständigen eindeutig ausgeschlossen. Der Sachverständige habe explizit auf die Tatsache verwiesen, dass die Klägerin ohnehin zur Bildung von Phlebitiden neige, was auch dadurch feststellbar sei, dass sie zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung eine Thrombophlebitis am rechten Oberschenkel gehabt hätte. Im Hinblick auf die bei der Injektion verabreichte Menge des Injektionsmittels sei der Sachverständige zu der Auffassung gelangt, dass wahrscheinlich nur 0,1 ml in die Vene gelangt sein könne. Er sei von einer Menge von max. 0,25 ml ausgegangen, so dass die Beanstandungen der Klägerin gänzlich neben der Sache seien. Im Hinblick auf das Aufklärungsgespräch habe der Sachverständige ausdrücklich angegeben, dass man nicht über das Risiko einer Thrombophlebitis aufklären müsse. Aus der Dokumentation im Aufklärungsblatt könne kein Rückschluss auf den tatsächlichen Inhalt des mündlichen Gesprächs erfolgen. Zudem habe das Landgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass das Risiko der Schädigung von Gefäßen und einer Infektion in dem Aufklärungsbogen ausdrücklich genannt seien und diese Hinweise auch eine Thrombophlebitis umfassten.
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Der Senat hat die Klägerin und den Beklagten persönlich angehört. Ferner hat der Sachverständige Dr. C2 sein Gutachten mündlich erläutert und ergänzt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 13.05.2016 sowie den Berichterstattervermerk vom gleichen Tag verwiesen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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II.
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
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Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Schmerzensgeldzahlung, Schadensersatz und Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht stehen ihr nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Es kommen weder vertragliche Ansprüche aus dem Behandlungsvertrag gemäß §§ 611, 280 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB noch deliktische Ansprüche gemäß §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB gegenüber dem Beklagten in Betracht.
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Der Senat stützt sich dabei aus den nachfolgenden Gründen auf die erstinstanzliche Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. C2 sowie dessen umfassenden Ausführungen bei seiner Anhörung vor dem Senat. Der Sachverständige hat sich bereits erstinstanzlich dezidiert mit den vorhandenen Krankenunterlagen und dem zu begutachtenden Sachverhalt auseinandergesetzt. Er hat auch im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat seine Feststellungen und fachlichen Beurteilungen unter Berücksichtigung sämtlicher Befunde und der einschlägigen Literatur überzeugend vertreten.
34
1.
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Der Senat vermochte nach Anhörung des Beklagten und ergänzender Befragung des Sachverständigen keinen Aufklärungsmangel zu erkennen.
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An die Aufklärung bei der streitgegenständlichen Sklerosierungsbehandlung von Besenreisern sind zunächst hohe Anforderungen zu stellen, weil es sich insoweit um einen rein ästhetischen Eingriff gehandelt hat. Aus medizinischer Sicht bestand für den Eingriff nach Angabe des Sachverständigen keine zwingende medizinische Indikation. Bei einem derartigen, allenfalls relativ indizierten Eingriff muss der Arzt sorgfältig das Bedürfnis des Patienten, den Eingriff durchführen zu lassen, den damit verbundenen Vorteil der Behandlung in Relation zu den damit eingetauschten Risiko ermitteln und mit dem Patienten besprechen. Verschlechterungsmöglichkeiten und ein Missverhältnis bei dem Tauschrisiko müssen in aller Deutlichkeit angesprochen werden (vgl. OLG Köln Beschl. v. 12.08.2009 – 5 U 47/09, MedR 2010, 716; OLG Köln Beschl. v. 10.02.2010 – 5 U 120/09, VersR 2011, 226).
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Zwischen den Parteien ist zunächst unstreitig, dass ein Aufklärungsgespräch unter Verwendung eines von der Klägerin unterzeichneten Aufklärungsbogens (vgl. Bl. 64 d.A.) am Behandlungstag stattgefunden hat. Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie diesen Aufklärungsbogen gelesen und den Inhalt mit dem Beklagten erörtert hat. Auch wenn der verwendete Bogen nicht speziell auf die Sklerosierungsbehandlung zugeschnitten ist und sich über die „Entfernung von Hautveränderungen“ und die „Allgemeinen chirurgischen Risiken bei Entfernung von Hauttumoren“ verhält, so wird das Risiko einer Infektion und einer Schädigung von Blutgefäßen ausdrücklich genannt. Insoweit hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass diese allgemeinen Hinweise nach der nicht bis ins letzte medizinische Detail geschuldeten Aufklärung grundsätzlich auch eine Thrombophlebitis umfassen.
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Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass bei der Sklerosierung von Besenreisern wegen der geringen Komplikationsmöglichkeiten keine weitgehende Aufklärung erforderlich ist. Der Patient muss allein über die Folgen der Minientzündung, die zwingende – und gewünschte – Folge der Behandlung ist, aufgeklärt werden. Eine Aufklärung über weitergehende Beeinträchtigungen ist aber nicht erforderlich, insbesondere nicht über das Risiko einer Thrombophlebitis, weil diese wegen der geringen Konzentration und Menge des Sklerosierungsmittels bei regelgerechter Anwendung der Besenreiserbehandlung überhaupt nicht entstehen kann.
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Ein weitergehendes Aufklärungserfordernis ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des vom Nachbehandler Dr. L2 verwendeten Aufklärungsbogens. Das Aufklärungserfordernis hängt nach Angabe des Sachverständigen immer davon ab, welche Venen man mittels Sklerosierung verödet. Bei größeren Venen mit entsprechend höherer Konzentration von 1 bis 2 % und größerer Menge des Sklerosierungsmittels entsteht auch eine echte Venenentzündung. Es kann in diesem Fall auch ein Übergang zu tiefen Venen entstehen, was letztlich zu einer Thrombose führen kann. Entsprechend folgt hieraus auch eine weitergehende Aufklärungspflicht. Bei der Verödung von Besenreisern kann dies aber gerade nicht passieren. Dies liegt an der sehr geringen Konzentration und der sehr geringen Menge des Sklerosierungsmittels. Eine Thrombophlebitis oder Thrombose kann hierdurch nach Angabe des Sachverständigen auch in einer größeren Vene nicht entstehen.
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Nachdem über die entstehenden Minientzündungen unstreitig bereits im Erstgespräch der Parteien am 20.11.2009 aufgeklärt worden ist, war darüber hinaus keine weitergehende Risikoaufklärung erforderlich. Der Beklagte hat im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat nochmals glaubhaft dargelegt, er erkläre den Patienten immer, dass er ein Mittel in die Vene spritze und dass es dann zu einer kleinen Entzündung in der Vene komme, die Vene sodann zusammenpappe und schließlich vom Körper resorbiert werde. Ferner weise er die Patienten im Vorgespräch immer darauf hin, dass es bei dem Eingriff brennen kann und bitte sie, ihm in diesem Fall sofort Bescheid zu sagen. Soweit der Beklagte seinen Angaben nach mit den Patienten immer bespricht, dass die Sklerosierungsbehandlung medizinisch nicht notwendig ist, findet dies eine Stütze in der von der Klägerin gesondert unterzeichneten Patientenerklärung, wo dieser Umstand gesondert aufgeführt wird, nebst dem Hinweis, dass die Behandlung von dem Patienten selbst zu bezahlen ist. Der Klägerin war danach bewusst, dass es sich um eine rein elektive Behandlungsmaßnahme handelt. Im Hinblick darauf, dass die Behandlung erst im zweiten Termin am 25.03.2010 stattgefunden hat, stellt sich auch nicht die Frage der Rechtzeitigkeit der Aufklärung.
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Soweit die Klägerin demgegenüber vorträgt, sie habe den Beklagten gezielt nach der Gefahr einer Venenentzündung und einer Thrombose gefragt, dieser habe daraufhin ein Risiko ausdrücklich verneint, vermochte sich der Beklagte noch daran erinnern, dass über die Thrombosen gesprochen worden ist und er einen entsprechenden handschriftlichen Eintrag in dem Aufklärungsbogen vorgenommen hat. Im Übrigen vermochte er lediglich noch anzugeben, dass er wohl nicht auf ein erhöhtes Risiko für eine tiefe Beinvenenthrombose hingewiesen hat. Selbst wenn das klägerische Vorbringen zutreffend sein sollte, ergäbe sich hieraus aber kein Aufklärungsfehler, weil nach Angabe des Sachverständigen bei regelgerechter Behandlung von Besenreiservarizen gerade kein Risiko für eine über die gezielt herbeigeführte Minientzündung hinausgehende Venenentzündung und Thrombose besteht.
42
2.
43
Ohne Erfolg macht die Klägerin im Berufungsverfahren weiterhin hilfsweise Behandlungsfehler geltend.
44
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Sklerosierungsbehandlung der Besenreiser wegen der in unmittelbarer Nähe befindlichen Varizen nicht kontraindiziert.
45
Die Flüssigkeitssklerosierung ist ausweislich der seinerzeit gültigen Leitlinie die Methode der ersten Wahl zur Behandlung kleinkalibriger Varizen/Besenreiservarizen und gilt nach Angabe des Sachverständigen als effiziente und nebenwirkungsarme Therapieform. Soweit die Klägerin in der Vergangenheit bereits Thrombosen hatte, ergibt sich hieraus bei solch kleinen venösen Gefäßen wie Besenreisern kein erhöhtes Risiko, weil selbst bei Verwendung von zu viel Flüssigkeit kaum denkbar ist, dass ein größerer Effekt erzielt wird. Der Sachverständige hat sich auch mit dem Berufungsvorbringen der Klägerin gezielt auseinandergesetzt und hat im Senatstermin bestätigt, dass sich für die Flüssigkeitsbehandlung von Besenreisern auch dann keine Kontraindikation ergibt, wenn größere Varizen in der Nähe sind.
46
b) Es wurde im Streitfall auch keine zu große Menge des Sklerosierungsmittels injiziert. Soweit hier eine Verabreichung von „maximal 0,25“ ml des polidocanolhaltigen Sklerosierungsmittels mit einer Konzentration von 0,50 % erfolgt ist, entspricht dies nach den Ausführungen des Sachverständigen etwa 1/100 der zulässigen Tageshöchstdosis, so dass die Menge nicht zu beanstanden ist.
47
c) Die Klägerin vermochte auch nicht zu beweisen, dass der Beklagte eine Schaumbehandlung und keine Flüssigkeitsbehandlung vorgenommen hat.
48
Nach Angabe des Sachverständigen steht für Besenreiser nur die Flüssigkeitssklerosierung zur Verfügung. Ausgehend von der als üblich anzusehenden Dokumentation des Beklagten („0,5 % Sklero“) ist der Sachverständige auch von einer Flüssigkeitssklerosierung ausgegangen, weil man eine Schaumsklerosierung anders dokumentieren muss. Der Beklagte hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung im Senatstermin dargelegt, dass er bei Besenreisern ausschließlich Flüssigkeitssklerosierungen vornimmt und auch die Klägerin entsprechend behandelt hat. Der Sachverständige vermochte keine Anhaltspunkte dafür festzustellen, dass diese Angaben nicht zutreffen.
49
d) Soweit der Sachverständige den Umstand, dass es seiner Auffassung nach versehentlich lediglich zu einer paravasalen Injektion gekommen ist, nicht als Behandlungsfehler, sondern durchaus mögliche Komplikation bei der Therapierung kleiner Besenreiservarizen angesehen hat, wird diese Wertung von der Klägerin im Berufungsverfahren nicht angegriffen. Vor dem Hintergrund, dass hier kleinste Kanülen verwendet werden, kann es auch bei sorgfältigstem Vorgehen passieren, dass das Gefäß nicht getroffen wird und die Flüssigkeit allein in das Gewebe gelangt.
50
e) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist im Streitfall nicht von einer intravasalen Injektion auszugehen.
51
Der Sachverständige hat bereits erstinstanzlich ausgeschlossen, dass es zu einer intravasalen Injektion gekommen ist. Zur Begründung hat er das unmittelbar nach der Injektion aufgetretene akute starke Schmerzereignis angeführt und den Umstand, dass auch die Nachbehandler am 26.03. und 30.03.2010 keine oberflächliche Thrombophlebitis festgestellt haben. Eine Thrombophlebitis äußert sich durch Rötungen und Schwellungen und hätte vom nachbehandlenden Arzt bemerkt werden müssen. Diese wurde aber erst zwei Wochen nach der Sklerosierungsbehandlung im Krankenhaus definitiv festgestellt. Im Senatstermin hat der Sachverständige nochmals bekräftigt, dass die sofortigen starken Schmerzen und die anschließende Braunfärbung im Bereich der Injektionsstelle gerade dadurch hervorgerufen worden sind, dass das Injektionsmittel nicht in einer Vene, sondern im umliegenden Gewebe gelandet ist. Danach geht auch der Senat vom Vorliegen einer paravasalen Injektion aus.
52
3.
53
Ist somit bereits nicht von einem Behandlungs- oder Aufklärungsfehler auszugehen, ist darüber hinaus auch jeglicher Ursachenzusammenhang zwischen der bei der Klägerin unstreitig aufgetretenen Thrombophlebitis und der Sklerosierungsbehandlung des Beklagten ausgeschlossen.
54
a) Der Sachverständige hat einen Ursachenzusammenhang zwischen der Sklerosierungsbehandlung und der Thrombophlebitis bereits aufgrund der feststehenden extravasalen Injektion verneint, weil in diesem Fall die Flüssigkeit gar nicht an die Vene herangekommen ist. Das Sklerosierungsmittel kann auch nicht aus dem umliegenden Gewebe in eine Vene gelangt sein.
55
b) Selbst unter der rein hypothetischen Annahme einer intravasalen Injektion von 0,25 ml Aethoxysklerol mit 0,5 % hat der Sachverständige einen Ursachenzusammenhang „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ausgeschlossen, da in einer so großen Vene wie der Vena saphena magna mit der verwendeten Konzentration und Menge des Injektionsmittels keine Thrombophlebitis diesen Ausmaßes zu erreichen ist. Wegen des Abstands zwischen den Besenreisern und der Vena saphena magna ist es überdies kaum vorstellbar, dass insoweit die geringe Flüssigkeitsmenge zu dieser Folge geführt hat. Der Sachverständige hat im Senatstermin ergänzend dargelegt, dass die geringe Konzentration von 0,50 % ausschließlich bei Besenreisern Verwendung findet und dass bei dieser geringen Konzentration das Sklerosierungsmittel nicht in größere Venen abgleiten und dort Komplikationen verursachen kann. Hiergegen spricht auch, dass der Wirkungskreis von 0,25 ml Sklerosierungsmittel bei 0,50 % Konzentration bei gerade einmal 1-2 cm liegt.
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Als weiteren Grund hierfür hat der Sachverständige angeführt, dass die Thrombophlebitis ausweislich der Dokumentation des Krankenhauses in Bad P erst ab Mitte der Wade angefangen hat. Sie hätte aber zwingend an der Einstichstelle im Knöchelbereich beginnen müssen.
57
Soweit die Klägerin nunmehr im Berufungsverfahren behauptet, eine unmittelbar im Bereich der behandelten Besenreisen befindliche Krampfader habe das Mittel hochgezogen und sei sodann selbst verödet und nun nicht mehr sichtbar, hat der Sachverständige dies ausgeschlossen.
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Wenn in der Nähe der Injektionsstelle viele Krampfadern gewesen wären, würde dies zunächst erst recht gegen einen Kausalzusammenhang zwischen der Injektion und der Thrombophlebitis sprechen. In diesem Fall wären im Bereich der Injektionsstelle größere Venen vorhanden und es wäre zu einer noch weitergehenden Verdünnung des Sklerosierungsmittels gekommen, was den Zusammenhang noch unwahrscheinlicher macht. Vor allem aber könnte das Verödungsmittel nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen die darunterliegende Vene in keinem Fall binnen 10 oder 12 Tagen vollständig aufgelöst haben. Die Entzündung wäre dann in jedem Fall noch bei der Untersuchung im Krankenhaus am 07.04.2010 sichtbar gewesen. Es bedurfte danach nicht mehr der Vernehmung der von der Klägerin insoweit benannten Zeugin.
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Der Sachverständige hat es als gut vorstellbar bezeichnet, dass sich die Thrombophlebitis unabhängig von der Sklerosierungsbehandlung erst in der Zeit zwischen der Behandlung und der späteren Diagnose entwickelt hat. So hat die Klägerin im Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen ebenfalls eine Thrombophlebitis aufgewiesen und litt hierunter auch schon in der Vergangenheit.
60
III.
61
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
62
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

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