BGH, Urteil vom 19. April 2007 – III ZR 75/06
Die für die professionelle Anlageberatung geltenden Grundsätze (Verpflich-tung zur anleger- und anlagegerechten Beratung; vgl. BGHZ 123, 126) sind nicht ohne weiteres und umfassend anwendbar, wenn es jemand innerhalb seines (erweiterten) Familienkreises auf Wunsch eines anderen gegen Ge-winnbeteiligung übernimmt, einen größeren Geldbetrag in Aktien anzulegen.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 24. Februar 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte ist der Bruder des früheren Lebensgefährten und Vaters der Tochter der Klägerin. Er hatte eine Banklehre durchlaufen und in der Vergangenheit Aktiengeschäfte für seine eigene Mutter gegen Beteiligung am Gewinn getätigt. Anlässlich eines Besuchs bei ihm und seiner Mutter Ende des Jahres 1998 bat die Klägerin den Beklagten, für sie eine Abfindung in Höhe von ca. 100.000 DM, die sie von ihrem früheren Arbeitgeber erhalten hatte, in Aktien anzulegen. Der Beklagte bedingte sich, wie bei seiner Mutter, einen Gewinnanteil von 30 % für jede positive Aktion aus. Anschließend überwies ihm die Klägerin bis zum 1. August 1999 in Teilbeträgen insgesamt 145.000 DM. Der Beklagte legte Aktiendepots bei zwei Banken auf seinen Namen an. Nach anfänglichen erheblichen Gewinnen, die auf Wunsch der Klägerin jeweils wieder reinvestiert wurden, fielen ab 2000 die Kurse der Aktien stark ab. Im Jahre 2002 nahm der Beklagte deshalb keine Transaktionen mehr vor.
Nachdem der Beklagte der Klägerin bereits im Juli 2002 15.000 € und im Oktober 2002 weitere 5.000 € zurückgezahlt hatte, kündigte diese im Dezember 2002 den Vertrag. Der Beklagte übertrug daraufhin die noch vorhandenen Wertpapiere, deren Kurswert nur noch 2.136,20 € betrug, auf ein Depot der Klägerin.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin die Rückerstattung ihres eingesetzten Kapitals, abzüglich der bereits erhaltenen 20.000 €. Landgericht und Oberlandesgericht haben der auf Zahlung von 54.137,32 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückübertragung der Aktienwerte auf dem Depot der Klägerin, gerichteten Klage stattgegeben. Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hält den Beklagten für schadensersatzpflichtig aus Verschulden bei Vertragsschluss oder wegen positiver Vertragsverletzung eines zwischen den Parteien geschlossenen „Geschäftsbesorgungsvertrages in Form eines Anlageberatungsvertrages“. Zu einer ordnungsgemäßen Beratung hätte hier gehört, dass der Kläger erst einmal das Anlageziel und die Risikobereitschaft der Klägerin abgeklärt hätte. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin nahezu ihr gesamtes Barvermögen anlegen wollte, hätte der Beklagte ihr bei anlagegerechter Beratung von einem Geschäft ausschließlich mit Aktien abraten müssen. Wäre dies geschehen, so sei zu vermuten, hätte die Klägerin dem Beklagten nicht ihr Geld für die vorliegende Anlage überlassen. Ein Mitverschulden sei der Klägerin nicht anzulasten.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat allerdings rechtsfehlerfrei die Abmachung zwischen der Klägerin und dem Beklagten über die Anlage der Gelder der Klägerin in Aktien als ein Rechtsgeschäft, nicht als bloßes Gefälligkeitsverhältnis, qualifiziert (zur Abgrenzung vgl. Palandt/Sprau BGB 66. Aufl. Einf. vor § 662 Rn. 4). Die betreffende tatrichterliche Gesamtwürdigung ist einwandfrei. Sie drängt sich insbesondere im Hinblick auf den Umfang der Vermögenswerte, die die Klägerin dem Beklagten anvertraute, und die vereinbarte Gewinnbeteiligung auf. Die Angriffe der Revision mit dem Hinweis, dass die Klägerin den Beklagten lediglich um einen „Freundschaftsdienst“ gebeten habe, vermögen diese Einschätzung aus Rechtsgründen nicht zu erschüttern.
2. Bei dem Rechtsgeschäft zwischen den Parteien handelte es sich, wie das Berufungsgericht im Ansatz ebenfalls richtig gesehen hat, um einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter (vgl. Senaturteil vom 4. April 2002 – III ZR 237/01 – ZIP 2002, 795, 796).
Rechtlich angreifbar ist aber nach den Besonderheiten des Streitfalles, dass das Berufungsgericht den vorliegenden Geschäftsbesorgungsvertrag uneingeschränkt verknüpft gesehen hat mit den Elementen eines umfassenden Anlageberatungsvertrags und dass es auf dieser Grundlage – in Anknüpfung an den üblichen Pflichtenkreis eines Anlageberaters (vgl. etwa BGHZ 123, 126, 128 ff) – den Beklagten für verpflichtet gesehen hat, vor der Absprache mit der Klägerin über die Anlegung ihres Geldes in Aktien erst einmal die persönlichen (wirtschaftlichen) Umstände der Klägerin, ihr Anlageziel und ihre Risikobereitschaft zu erfragen, um ihr gegebenenfalls von Aktien ganz abzuraten. Damit hat das Berufungsgericht, wie die Revision mit Recht rügt, die Pflichten des Beklagten überspannt und diesem im Ergebnis das alleinige Risiko des Misserfolgs eines Unternehmens auferlegt, bei dem auch der Klägerin klar sein musste, dass selbst erhebliche Verluste nicht ausgeschlossen waren.
a) Dass die Klägerin zum damaligen Anlass den Beklagten ausdrücklich als Berater über eine Anlage ihres Geldes in Aktien in Anspruch genommen hätte, d.h., dass sie ihn um eine Prüfung des Für und Wider einer solchen Anlage, bezogen auf ihre persönliche Situation, gebeten hätte, ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht. Anlass des Gesprächs zwischen den Parteien war der von der Klägerin bereits gefasste und an den Beklagten herangetragene Wunsch, er möge, wie bei seiner Mutter, bestimmte Geldbeträge der Klägerin in Aktien anlegen. Das schließt allerdings nicht aus, dass im Zusammenhang mit der Anbahnung des Geschäftsbesorgungsvertrags Beratungs- bzw. Auskunftsverpflichtungen des Beklagten begründet wurden, ähnlich wie im Rahmen der Anlagenvermittlung zwischen dem Anlageinteressenten und dem Anlagevermittler ein Auskunftsvertrag mit Haftungsfolgen zumindest stillschweigend zustande kommt, wenn der Interessent deutlich macht, dass er auf eine bestimmte Anlagenentscheidung bezogen die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen will, und der Anlagevermittler die gewünschte Tätigkeit beginnt (vgl. – auch zur Abgrenzung zwischen An-lagevermittler und -berater – Senatsurteile vom 13. Mai 1993 – III ZR 25/92 – NJW-RR 1993, 1114 und vom 13. Januar 2000 – III ZR 62/99 – NJW-RR 2000, 998), oder es dadurch zum Abschluss eines Anlageberatungsvertrages kommen kann, dass der Anleger bei einer Geldanlage die Dienste und Erfahrungen einer Bank in Anspruch nimmt (vgl. Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. § 5 Rn. 11). Wie der Senat in seinem Urteil vom 4. April 2002 (aaO S. 797) ausgesprochen hat, ist auch bei einem Vermögensverwaltungsvertrag, der auf den An- und Verkauf von Wertpapieren ausgerichtet ist, der Vermögensverwalter bei Vertragsschluss oder jedenfalls vor Vollzug einer Anlageentscheidung dazu verpflichtet, dem Vertragspartner ein zutreffendes Bild von den Chancen und Risiken der auszuführenden Geschäfte zu vermitteln (kritisch zum Begründungsansatz Balzer EWiR 2002, 425; Sethe WuB I G 9 Vermögensverwaltung 2.03).
b) Dies gilt jedoch, was das Berufungsgericht nicht genügend berücksichtigt hat, nicht in jedem Falle eines rechtsgeschäftlichen Kontakts der hier in Rede stehenden Art. Inhalt und Umfang der Informations- und Beratungspflicht hängen von den Umständen des Einzelfalles ab (Senatsurteil aaO S. 796). So hat der Bundesgerichtshof beispielsweise eine Beratungspflicht der Bank bei dem gezielten Auftrag des Kunden zum Kauf bestimmter Wertpapiere, die diesem von dritter Seite empfohlen worden waren, abgelehnt (BGH, Beschluss vom 12. März 1996 – XI ZR 232/95 – ZIP 1996, 872).
Wie der Revision zuzugeben ist, bestand im Streitfall nach den Besonderheiten des revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalts – insbesondere nach der Vorgeschichte und dem (im weiteren Sinne) „familiären“ Hintergrund der hier in Rede stehenden Absprache zwischen den Parteien – keine rechtliche Verpflichtung für den Beklagten, etwa wie eine Bank die Klägerin näher nach ihren Vermögensverhältnissen, ihren Anlagezielen und ihrer Risikobereitschaft zu befragen oder ihr sogar vom Erwerb von Aktien abzuraten. Dies gilt, solange der Beklagte nur Aktiengeschäfte in einem konservativen Rahmen beabsichtigte, also nicht den Ankauf von hochspekulativen oder mit besonderen Risiken verbundenen Papieren. Unter dieser Voraussetzung genügte es, dass der Beklagte der Klägerin – wie im angefochtenen Urteil unterstellt wird – erklärte (was allerdings zum Allgemeinwissen gehört und auch die Klägerin bereits wusste), dass Aktiengeschäfte auch zu Verlusten führen könnten.
aa) Bei dem Beklagten handelte es sich nicht um einen professionellen Vermögensverwalter, Anlageberater oder Anlagevermittler. Er hatte zwar eine Banklehre abgeschlossen, war im Bankgeschäft aber nicht – weder gewerblich noch als Angestellter – tätig. Dazu, dass er Aktienspekulationen geschäftsmäßig betrieben hätte, ist nichts vorgetragen; bekannt ist nur, dass der Beklagte für seine Mutter Aktien an- und verkauft hatte. Anlass, beim Beklagten eine größere Geschäftserfahrung als aufgrund solcher privater Geschäfte anzunehmen, hatte die Klägerin nicht. Sie selbst hatte sich zwar, wie das Berufungsgericht – allerdings ohne dies näher an Einzelheiten zu verdeutlichen – feststellt, dem Beklagten gegenüber „als in Finanz- und Börsenfragen völlig unbedarft“ gezeigt. Gleichwohl war auch ihr geläufig, dass Aktienkurse steigen und fallen können; dass sie nicht auch wusste, dass Vorgänge an der Aktienbörse sogar zum Verlust eines ganzen Vermögens führen können, lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht mit Substanz entnehmen. Die Klägerin war, als sie den Beklagten bei diesem zu Hause anlässlich eines privaten Besuchs ansprach, daran interessiert, um auf ihren Abfindungsbetrag eine höhere Rendite zu erzielen, diesen in Aktien anzulegen; und zwar nach vorherigen Erkundigungen bei einer Bank – auch über eine Investition von Geld in Aktien -, die ihr Sparbücher und Sparbriefe empfohlen haben soll, die der Klägerin aber nicht genügend Rendite geboten haben. Die Klägerin erklärte dem Beklagten, sie benötige das Geld aus ihrer Abfindung derzeit nicht; sie wolle es möglichst gewinnbringend „parken“. Aus dem festgestellten Sachverhalt gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Beklagte einen Anhalt dafür hatte, dass dieser Betrag der Klägerin nicht zur freien Verfügung stand, d.h. wenigstens im Rahmen einer „üblichen“ Anlage in Aktien. Der Beklagte durfte die Klägerin, die immerhin Eigentümerin eines Hauses mit zwei Wohnungen war, als so vermögend ansehen, dass er ihr nicht wegen des immer bestehenden Risiko des Verlustes von einer Anlage in (herkömmlichen) Aktien abraten musste.
bb) Aus dem beschriebenen, nur begrenzt „professionellen“, Charakter des geschäftlichen Kontakts der Parteien ergibt sich auch, dass der Beklagte nicht verpflichtet war, die Klägerin nach besonderen mit der Geldanlage verfolgten Zielen – etwa der Alterssicherung – zu befragen. Letzteres zur Sprache zu bringen, wäre in der gegebenen – mit einem typischen Anlageberatungsgespräch nicht zu vergleichenden – Situation Sache der Klägerin gewesen.
III.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Entscheidungsreife ist in der Revisionsinstanz nicht gegeben. Insbesondere ist der Klaganspruch – aus der bisherigen Sicht des Berufungsgerichts folgerichtig – noch nicht geprüft unter dem Gesichtspunkt einzelner, von der Klägerin behaupteter, Pflichtverletzungen des Beklagten in Durchführung des Geschäftsbesorgungsvertrags. Die Sache muss daher zur weiteren Prüfung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.