BGH, Urteil vom 07.02.1995 – VI ZR 201/94
Stellt sich bei der Entscheidung über ein Schmerzensgeldbegehren eine später eintretende Verletzungsfolge aus objektiver Sicht noch nicht als so naheliegend dar, daß sie bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden kann, so steht die Rechtskraft jener Entscheidung der Zubilligung eines weiteren Schmerzensgeldes nicht entgegen.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. April 1994 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen den Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt von den Beklagten nach einem Verkehrsunfall vom 3. Mai 1981 die Zahlung weiteren Schmerzensgeldes und die Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden.
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Bei dem Unfall, für dessen Folgen die Beklagten in vollem Umfang einzustehen haben, erlitt die Klägerin ein schweres Gehirntrauma zweiten Grades, eine offene Unterschenkel- und eine Oberschenkelfraktur rechts, einen vorderen Beckenringbruch sowie eine dauernde Instabilität des rechten Knies. Im Rahmen der stationären Erstversorgung wurde u.a. eine Oberschenkelmarknagelung durchgeführt. In der Folgezeit waren weitere Eingriffe am rechten Oberschenkel erforderlich, wobei sich eine Markraumeiterung entwickelte, die zu erneuten Krankenhausaufenthalten der Klägerin führte; diese waren zum Teil durch ein Wiederaufflackern des Infektes bedingt. Ende 1981 wurde die Behandlung der Oberschenkelverletzung abgeschlossen; die Verletzungen im Kniebereich wurden noch bis April 1984 weiterbehandelt.
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Nachdem die Zweitbeklagte der Klägerin außergerichtlich ein Schmerzensgeld von 25.000 DM gezahlt und die Haftung für materielle Zukunftsansprüche sowie für immaterielle Zukunftsansprüche im Falle nicht vorhersehbarer Komplikationen dem Grunde nach anerkannt hatte, erhob die Klägerin im Jahre 1987 Klage auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von mindestens 20.000 DM. In diesem Verfahren lag ein Gutachten des Unfallchirurgen Prof. Ts. vom 12. Januar 1987 vor, in dem ausgeführt wurde, daß es zu einer knöchernen Ausheilung der Oberschenkelfraktur rechts gekommen sei, während für die chronische Knieinstabilität noch keine endgültige Prognose gestellt werden könne. Durch rechtskräftiges Urteil vom 9. Oktober 1987 erkannte das Landgericht daraufhin der Klägerin ein Schmerzensgeld von 20.000 DM nebst Zinsen zu.
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Im Jahre 1989 traten bei der Klägerin mehrfach attackenartige Schmerzen im Bereich des rechten Oberschenkels auf, die sich im Februar 1990 verstärkten. Ab März 1990 befand sich die Klägerin deswegen in orthopädischer Behandlung. Im Mai 1990 wurde am Oberschenkel eine akute Knochenentzündung festgestellt, wegen der am 30. Mai 1990 eine Markraumaufbohrung erfolgte; am 18. Juni 1990 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen.
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Mit ihrer im Mai 1991 eingereichten Klage hat die Klägerin wegen der wieder aufgetretenen Knochenentzündung die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle künftigen Schäden verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, das Wiederaufflackern der Osteomyelitis sei atypisch und im Jahre 1987 nicht zu erwarten gewesen. Diese Unfallfolge sei deshalb mit dem ihr durch das Urteil vom 9. Oktober 1987 zuerkannten Schmerzensgeld nicht abgegolten.
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Das Landgericht hat der Zahlungsklage in Höhe von 10.000 DM nebst Zinsen stattgegeben und auch dem Feststellungsantrag entsprochen. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der (zugelassenen) Revision begehren die Beklagten weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht meint, die Rechtskraft des Urteils vom 9. Oktober 1987 stehe der Geltendmachung eines weiteren Schmerzensgeldes durch die Klägerin wegen der wieder aufgetretenen Knochenentzündung nicht entgegen. Diese Verletzungsfolge sei seinerzeit nicht Streitgegenstand gewesen. In dem jenem Rechtsstreit zugrundeliegenden Gutachten von Prof. Ts. sei die Möglichkeit eines Wiederaufflackerns des Infekts nicht in Betracht gezogen worden. Zwar habe, wie aufgrund späterer Stellungnahmen von Prof. Ts. aus 1990 und 1991 sowie durch die in der vorliegenden Sache eingeholten gutachtlichen Äußerungen von Prof. Th. nunmehr feststehe, die chronische Knochenentzündung der Klägerin bereits während des Vorprozesses vorgelegen; bei objektiver Sicht hätte auch die Möglichkeit eines Wiederaufflackerns in Betracht gezogen werden müssen. Die Wahrscheinlichkeit eines Reinfekts sei jedoch nur sehr gering und der Eintritt einer solchen Verletzungsfolge seinerzeit nicht erkennbar gewesen. Sie habe zudem wegen der Nichtvorhersehbarkeit ihres etwaigen Ausmaßes bei der Schmerzensgeldbemessung im Vorprozeß noch nicht berücksichtigt werden können. Der damaligen Bemessung hätten allein die von Prof. Ts. beschriebenen Verletzungen mit ihren seinerzeit bekannten Folgen zugrunde gelegen. Wie sich aus dem Anerkenntnis der Zweitbeklagten vom 26. Februar 1987 ergebe, hätten die Parteien die Möglichkeit eines weiteren Schmerzensgeldes offen gelassen.
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Die Höhe des der Klägerin vom Landgericht zuerkannten Betrages sei nicht zu beanstanden. Da die Beklagten ihre Einstandspflicht bestritten hätten, sei auch die Feststellungsklage begründet.
II.
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Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.
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1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Landgericht der Klägerin für die im Jahre 1990 wieder aufgeflackerte Knochenentzündung gemäß § 847 BGB ein weiteres Schmerzensgeld zuerkannt. Dem Klageanspruch steht nicht, wie die Revision geltend macht, die Rechtskraft des Urteils vom 9. Oktober 1987 entgegen.
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a) Ohne Erfolg beruft sich die Revision dazu auf den Grundsatz der Einheitlichkeit des Schadens. Dem Begriff der Schadenseinheit kommt Bedeutung für die Frage zu, wann die Verjährung für Schadensfolgen beginnt, von denen der Verletzte erst später Kenntnis erlangt (vgl. Senat BGHZ 67, 372, 373; Urteile vom 30. Januar 1973 – VI ZR 4/72 – VersR 1973, 371 f und vom 3. November 1987 – VI ZR 176/87 – VersR 1988, 401, 402). Insoweit ist zwar der Zeitpunkt der allgemeinen Kenntnis vom Schaden schon dann maßgebend, wenn die Spätfolgen im Zeitpunkt jener Kenntnis auch nur als möglich voraussehbar sind (vgl. Senat = aaO). Um den Beginn der Verjährung geht es bei den hier zu prüfenden Anspruchsvoraussetzungen aber nicht; soweit die Verjährung für den von der Klägerin geltend gemachten Feststellungsanspruch von Bedeutung sein kann, wird sie unten zu 2 a) abgehandelt.
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b) Für die Frage, ob der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin für die jetzt geltend gemachte Verletzungsfolge mit dem ihr durch das Urteil vom 9. Oktober 1987 zuerkannten Betrag abgegolten ist, kommt es entscheidend auf den Umfang der Rechtskraft jenes Urteils an. Diese richtet sich nach dem Streitgegenstand des damaligen Verfahrens, der wiederum durch den Klageantrag und den zu seiner Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt umgrenzt wurde.
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aa) Wird, wie hier, für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld verlangt, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (st. Rspr.; Großer Senat für Zivilsachen BGHZ 18, 149, 167; Senatsurteile vom 11. Juni 1963 – VI ZR 135/62 – VersR 1963, 1048, 1049; vom 8. Juli 1980 – VI ZR 72/79 – VersR 1980, 975 f und vom 24. Mai 1988 – VI ZR 326/87 – VersR 1988, 929 f). Davon geht im Ansatz auch die Revision aus.
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bb) Zu folgen ist der Revision auch dahin, daß die Frage, welche Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes zu erkennen sind, nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffes durch das Gericht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen, zu beurteilen ist (Senatsurteil vom 24. Mai 1988 = aaO). Aus dieser richtigen Ausgangserwägung zieht die Revision jedoch im Streitfall einen nicht zutreffenden Schluß.
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(a) Als Verletzungsfolge, für welche die Klägerin ein Schmerzensgeld verlangt, wird hier nicht die bereits im Vorprozeß bekannte Knochenentzündung als solche, sondern allein deren Wiederaufflackern im Jahre 1990 geltend gemacht. Ein solches Rezidiv ist seinerzeit von Prof. Ts. in seinem Gutachten vom 12. Januar 1987 nicht vorhergesehen worden. Ob es eintreten würde, war auch, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei den gutachtlichen Äußerungen des im vorliegenden Rechtsstreit beauftragten Sachverständigen Prof. Th. entnimmt, damals objektiv nicht vorhersehbar. Allerdings war, wie der Sachverständige weiter ausführt und wie sich auch aus dem Gutachten von Prof. Ts. vom 13. Februar 1991 ergibt, bereits 1986 die Möglichkeit eines späteren Wiederaufflackerns des Infektes nicht auszuschließen. Das genügte jedoch nicht, um das jetzige Rezidiv zum Gegenstand des im Jahre 1987 anhängigen Verfahrens zu machen. Maßgebend muß insoweit sein, ob sich bereits in jenem Verfahren die jetzt zur Entscheidung stehende Verletzungsfolge als derart naheliegend darstellte, daß sie schon damals bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 1980 und vom 24. Mai 1988 = jeweils aaO; siehe auch BGH, Urteil vom 4. Dezember 1975 – III ZR 41/74 – VersR 1976, 440, 441; Kreft in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 847 Rdn. 51). Das war bei der von Prof. Th. auf höchstens 3 Promille geschätzten Wahrscheinlichkeit eines Wiederaufflackerns der Entzündung nicht der Fall.
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b) Aufgrund der sachkundigen Äußerung von Prof. Ts. in seinem Gutachten vom 12. Januar 1987 ist die Knochenentzündung der Klägerin vom Landgericht bei der Schmerzensgeldbemessung im Vorprozeß als endgültig ausgeheilt angesehen und ein etwaiges Rezidiv deshalb nicht berücksichtigt worden. Damit übereinstimmend heißt es auch in dem Beschluß des Landgerichts vom 4. Juni 1987 über die Prozeßkostenhilfebewilligung an die Klägerin ausdrücklich, daß durch das weitere Schmerzensgeld von 20.000 DM etwaige zur Zeit nicht überschaubare künftige Unfallfolgen nicht abgegolten seien. Demgemäß wurde das jetzige Rezidiv von der Rechtskraft des damaligen Urteils nicht umfaßt.
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c) Gegen die Höhe des der Klägerin hierfür zuerkannten Schmerzensgeldes wendet sich die Revision nicht. Die Bemessung läßt auch keinen Rechtsfehler erkennen.
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2. Keinen Erfolg kann die Revision auch insoweit haben, als sie den Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts angreift.
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a) Zu Unrecht meint die Revision, die von der Klägerin mit der Feststellungsklage verfolgten Ansprüche seien verjährt. Insoweit kann es dahinstehen, ob der Lauf der Verjährung für die geltend gemachten künftigen Schadensfolgen bereits mit der allgemeinen Kenntnis der Klägerin vom Schaden im Jahre 1981 begann, weil es hierzu, wie oben zu 1 a) gesagt, ausreicht, daß die Möglichkeit weiterer Schadensfolgen besteht. Denn einer Verjährung steht hier jedenfalls das von der Zweitbeklagten im Jahre 1987 abgegebene Anerkenntnis entgegen. Dieses sollte, wie sich aus den Gründen seiner Erteilung, insbesondere aus dem vor der Klageerhebung im Vorprozeß von der Zweitbeklagten verfaßten Schreiben vom 26. Februar 1987 mit der darin erfolgten Bezugnahme auf ein Urteil des OLG Hamm vom 3. November 1982 samt dem dort genannten Feststellungsausspruch ergibt, der Klägerin eine Feststellungsklage ersparen. Durch das Anerkenntnis wurde deshalb der Anspruch der Klägerin auf Ersatz sowohl materieller als auch, mit der Beschränkung auf nicht voraussehbare spätere Komplikationen, immaterieller Zukunftsschäden wie bei einem Feststellungsurteil von der Verjährungseinrede der Beklagten befreit (vgl. Senatsurteile vom 23. Oktober 1984 – VI ZR 30/83 – VersR 1985, 62, 63 und vom 4. Februar 1986 – VI ZR 82/85 – VersR 1986, 684, 685).
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b) Andererseits steht aber auch nicht, wie die Revision weiter geltend macht, gerade dieses Anerkenntnis dem jetzigen Feststellungsbegehren der Klägerin entgegen. Zwar hat die Zweitbeklagte damit ihre Haftung für Zukunftsansprüche anerkannt. Sie hat aber, wie das Berufungsgericht mit Recht ausführt, im vorliegenden Rechtsstreit ihre Einstandspflicht für die von der Klägerin geltend gemachten Spätfolgen bestritten. Dies genügt, um angesichts der nach dem Gutachten des Sachverständigen auch für die Zukunft nicht auszuschließenden Möglichkeit weiterer Reinfekte ein Feststellungsinteresse der Klägerin zu bejahen (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 1989 – VI ZR 234/88 – VersR 1989, 1055).