BGH, Urteil vom 17.05.1983 – VI ZR 263/81
Zur Frage, welche Anforderungen an die Aufsichtspflicht der Eltern gegenüber einem 7-jährigen Kind hinsichtlich der Verwahrung von Streichhölzern zu stellen sind.
(Leitsatz des Gerichts)
Tatbestand
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Der damals 7 1/2 Jahre alte Beklagte zu 1) hatte am 12. Juli 1978 zusammen mit einem jüngeren Spielgefährten in der Scheune des Klägers einen kleinen Haufen Stroh angezündet und das Feuer kurz darauf mit einer Schaufel gelöscht. Durch die Glutreste wurde die Scheune in Brand gesetzt und mitsamt Inventar vollständig zerstört. Der Feuerversicherer hat dem Kläger wegen Unterversicherung nur einen Teil des Gebäudeschadens erstattet, so daß dem Kläger ein nicht gedeckter Gebäudeschaden in Höhe von mindestens 30.000 DM und ferner ein Betriebsschaden von 11.000 DM verblieben sind. Er hat den Beklagten zu 1) aus unerlaubter Handlung und dessen Eltern, die Beklagten zu 2) und 3), wegen Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 832 BGB) auf Erstattung von 41.000 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat durch Teilurteil die Beklagten zu 2) und 3) antragsgemäß (mit Ausnahme eines geringfügigen Zinsbetrages) verurteilt. Die Entscheidung gegen den Beklagten zu 1) hat es vorbehalten.
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Mit der Revision begehren die Beklagten zu 2) und 3) (im folgenden Beklagten) die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
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Unstreitig hat der Sohn der Beklagten in widerrechtlicher Weise den Brandschaden des Klägers verursacht. Das Berufungsgericht meint, die Beklagten hätten ihren Sohn zwar über die Gefährlichkeit im Umgang mit Streichhölzern hinreichend aufgeklärt und ausreichend überwacht, jedoch die ihnen obliegende Aufsichtspflicht dadurch verletzt, daß sie neu gekaufte Zündhölzer nur unzulänglich verwahrt und damit ihrem Sohn den leichten Zugriff auf die Hölzer ermöglicht hätten.
II.
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Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision hat keinen Erfolg.
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1. Richtig ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß es unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über das Maß der Aufsichtspflicht (s. zuletzt Senatsurteil vom 27. November 1979 – VI ZR 98/78 = VersR 1980, 278 = LM BGB § 832 Nr. 12 m.w.Nachw.) zur Pflicht der Eltern gehört, Kinder im Alter des Beklagten zu 1) (7 1/2 Jahre) über die Gefährlichkeit des Entzündens von Streichhölzern aufzuklären und die Kinder auf einen etwaigen unerlaubten Besitz von Zündhölzern zu kontrollieren. Erfahrungsgemäß übt das Entzünden eines Feuers einen besonderen Reiz auf Kinder aus. Befinden sie sich noch in einem unreifen Alter, liegt es nahe, daß sie ein Feuer nicht unter Kontrolle halten und dadurch schwerer Brandschaden entsteht. Deshalb erfordert hier die Aufsichtspflicht ein hohes Maß an Sorgfalt und Umsicht (s. Senatsurteil vom 28. Februar 1969 – VI ZR 222/67 = VersR 1969, 523). Das gilt insbesondere in ländlichen Gebieten, bei denen durch das Entzünden von Stroh eine besondere Brandgefahr besteht.
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2. Das Berufungsgericht ist davon überzeugt, daß die Beklagten ihren Sohn wiederholt in geeigneter Weise und mit dem gebotenen Nachdruck vor dem Umgang mit Streichhölzern, insbesondere vor dem Entfachen eines Feuers, gewarnt hatten. Zu weitergehenden erzieherischen Maßnahmen seien sie nicht verpflichtet gewesen, weil sie – nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme – von einem etwaigen früheren mißbräuchlichen Umgehen ihres Sohnes mit Streichhölzern jedenfalls nicht unterrichtet worden waren; auch habe die Beklagte zu 3) bei der regelmäßigen Kontrolle der Kleidung ihres Sohnes noch nie Streichhölzer gefunden. Das Berufungsgericht meint jedoch, die einige Wochen vor dem Brand von den Eheleuten gemeinsam eingekauften, auf dem obersten Brett eines treppenförmigen Regals in der häuslichen Speisekammer abgelegten Streichhölzer seien für ein Kind in der Größe ihres Sohnes unschwer zu erkennen und zu erreichen gewesen. Es spreche eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß ihr Sohn mit diesen das zum Brand führende Feuer angezündet habe.
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Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden.
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a) Entgegen der Ansicht der Revision leidet die Beweiswürdigung nicht an Widersprüchen. Es ist unerheblich, aus welcher Höhe (1 m, wie das Berufungsgericht unterstellt, oder 1,30 m, wie die Revision meint) die bei den Akten befindlichen Lichtbilder von dem Treppenregal in der Speisekammer der Beklagten aufgenommen wurden. Entscheidend ist vielmehr, daß der mit der Durchführung der Beweisaufnahme beauftragte Berichterstatter sich an Ort und Stelle davon überzeugt hat, ob die auf der obersten schmalen Stufe verwahrten Streichhölzer für ein Kind im Alter und in der Größe des Beklagten zu 1) zu sehen waren. Dies hat das Berufungsgericht in tatrichterlich möglicher Weise bejaht. Daß die Streichhölzer bei Kenntnis des Aufbewahrungsortes vom Beklagten zu 1) leicht zu erreichen waren, stellt die Revision selbst nicht in Abrede. Die 45 bzw. 38 cm hohen Stufen boten geradezu einen Anreiz zum Klettern; die darauf verwahrten Gegenstände, insbesondere leere Einmachgläser, waren auch für ein Kind ohne Schwierigkeit zu beseitigen.
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b) Mit seinen Ausführungen überspannt das Berufungsgericht auch nicht die an die Aufsichtspflicht der Beklagten zu stellenden Anforderungen. Zwar ist nicht zu verkennen, daß es – insbesondere im Hinblick auf die weitgehend dem persönlichen Kontakt zwischen Verkäufer und Käufer entzogenen Selbstbedienungsläden – heute für Kinder im Alter des Beklagten zu 1) im allgemeinen nicht all zu schwer sein dürfte, sich Streichhölzer zu verschaffen. Auch wird sich bei noch so strenger Aufsicht nicht vermeiden lassen, daß sich Kinder – unbemerkt von dem Aufsichtspflichtigen – Streichhölzer von dritter Seite besorgen. Der Schwerpunkt der Erziehung wird deswegen bei der Aufklärung über die Gefährlichkeit ihrer Verwendung und bei der Kontrolle über einen etwaigen Besitz derartiger Hölzer liegen müssen.
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Das enthebt die Eltern aber nicht ihrer Pflicht, die Möglichkeit einer Besitzerlangung im häuslichen Bereich im Rahmen des Zumutbaren zu unterbinden oder jedenfalls zu erschweren. Dazu gehört vor allem, Streichhölzer so zu verwahren, daß Kinder im Alter des Beklagten zu 1) sie nicht ohne weiteres erblicken und erreichen können. Eine sichtbare und weitgehend unbewachte Aufbewahrung, wie im Streitfall, bildete für Kinder aber einen Anreiz, sie an sich zu nehmen. Ob ein Verstecken von Streichhölzern im Küchenschrank hinter Geschirr eine ausreichende Maßnahme darstellt, hat der Senat im Urteil vom 28. Februar 1969 aaO – entgegen der Ansicht der Revision – offengelassen. Die Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung; denn die Streichhölzer waren, wie festgestellt, für den Beklagten zu 1) sichtbar auf dem Regal unverschlossen abgelegt.
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Der Einwand der Revision, der Senat überspanne damit die Anforderungen an die elterliche Überwachungspflicht, geht fehl. Die Vielzahl der gerade durch kleinere Kinder verursachten Brände erfordert die Anlegung eines strengen Maßstabes. Das Risiko, das von Kindern für unbeteiligte Dritte ausgeht, soll nach dem Grundgedanken des § 832 BGB in erster Linie von den Eltern (oder sonstigen Aufsichtspflichtigen) getragen werden, denen es eher zuzurechnen ist als dem unbeteiligten Dritten, zumal es in zumutbarer Weise versicherbar ist (s. Kreft in BGB-RGRK, 12. Aufl. § 832 Rdn. 29 m.w.Nachw.). Daß im Streitfall beide Elternteile in dieser Beziehung verantwortlich waren, hat das Berufungsgericht in nicht beanstandeter Weise festgestellt.
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c) Schließlich hat das Berufungsgericht auch nicht die Beweisführungs- und Beweislast verkannt, wenn es ausführt, „es sei (nur) in hohem Maße wahrscheinlich“, daß der Beklagte zu 1) sich die Zündhölzer, mit denen er das Feuer gelegt hat, aus der elterlichen Speisekammer verschaffte (BU S. 6 u. 9). Nach § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht ein vom Gesetz vermuteter Ursachenzusammenhang zwischen der Verletzung der Aufsichtspflicht und dem vom Aufsichtsbefohlenen widerrechtlich herbeigeführten Schaden, den also die Beklagten hätten entkräften müssen. Ein solcher Gegenbeweis war von ihnen aber nicht einmal angetreten. Im Gegenteil vermuteten die Beklagten selbst, daß ihr Sohn die gebrauchten Streichhölzer aus ihrer Küche geholt hatte (Schriftsatz vom 7. Januar 1981 – Bl. 158 GA).
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3. Das Berufungsgericht verneint ein Mitverschulden des Klägers bei der Entstehung des Schadens. Es führt aus, es sei nicht bewiesen, daß er vor dem 12. Juli 1978 von einer Neigung des Beklagten zu 1) zum mißbräuchlichen Umgang mit Streichhölzern Kenntnis gehabt und darum Anlaß gehabt habe, ihm den Zutritt zu seinem Hof – insbesondere zu der Scheune – zu erschweren. Daher könne ihm daraus, daß er die von seinem Hof aus zugängliche Scheune am Tag des Brandes ohne Aufsicht ließ, nicht der Vorwurf gemacht werden, dasjenige versäumt zu haben, was in seinem eigenen Interesse zur Vermeidung von Schäden erforderlich gewesen sei.
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Diese Ansicht hält den Angriffen der Revision stand. Die Revision verkennt den Zweck des § 832 BGB, wenn sie aus einer strengen Haftung der Eltern für ihre Kinder herleitet, derselbe Maßstab müsse bei jedem Dritten angelegt werden, und meint, auch für den Kläger sei, wenn er die Scheune ohne Aufsicht ließ, die Verwirklichung einer Brandgefahr durch auf dem Hof spielende Kinder vorhersehbar und vermeidbar gewesen. Wie bereits dargelegt, sollen nach dieser Vorschrift im allgemeinen gerade dritte Personen von dem Risiko, das von widerrechtlichen Handlungen spielender Kinder ausgeht, zu Lasten der Aufsichtspflichtigen befreit sein. Ein Mitverschulden des geschädigten Klägers käme im Streitfall nur dann in Betracht, wenn er konkreten Anlaß gehabt hätte, mit einer Brandverursachung durch den Beklagten zu 1) auf seinem Hof zu rechnen. Davon hat sich das Berufungsgericht aber gerade nicht zu überzeugen vermocht.