Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 16. September 2003 – 6 U 144/02
Zur Frage eines nachbarrechtlichen Beseitigungsanspruchs wegen Blendwirkung der Abdeckplane eines Swimmingpools im Nachbargarten
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 16.08.2002 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam – 1 O 180/01 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsrechtszuges haben die Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,- € abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Gründe
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Es wird zunächst auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Landgericht Potsdam hat mit dem am 16.08.2002 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei im Hauptantrag zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der geltend gemachte Beseitigungsanspruch stehe den Klägern unter keinem rechtlichen Gesichtspunkte zu. Insbesondere käme den von den Beklagten verletzten Vorschriften des Bebauungsplanes kein drittschützender Charakter zu. Diese Vorschriften, insbesondere betreffend einen 6 m breiten Baum – und Grünstreifen, hätten ausschließlich naturschützenden Charakter. Eine daraus resultierende Verbesserung der Lebensqualität der Anwohner stelle lediglich eine unbeabsichtigte Nebenfolge dar, nachbarschützende Rechte würden nicht geschafften werden. Ein Anspruch auf Beseitigung des Schwimmbeckens nebst Abdeckanlage ergebe sich auch nicht aus § 1004 BGB. Zwar könne grundsätzlich in der von den Klägern behaupteten Blendwirkung der Plastikabdeckhaube auf deren Grundstück eine grenzüberschreitende Beeinträchtigung gesehen werden. Diese Blendwirkung sei jedoch von den Beklagten nicht zu vertreten, weil sie zwar mittelbar durch die Abdeckung, jedoch unmittelbar durch die Reflexion der Sonnenstrahlen und dadurch bei berechtigter Nutzung des Grundstückes ausschließlich durch Naturkräfte verursacht werde. Sollten sich die Kläger in ihrem ästhetischen Empfinden durch die Abdeckhaube gestört fühlen, resultiere aus § 1004 BGB kein Abwehranspruch. Auch aus dem Gebot der Rücksichtnahme bei Einhaltung baurechtlicher Vorschriften ergebe sich im vorliegenden Falle kein Abwehranspruch. Der aus diesem Gebot ergebende Drittschutz greife nur dann, wenn eine erhebliche Grundstücksbeeinträchtigung vorliege. Daran fehle es.
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Das Landgericht hat die Klage in den Hilfsanträgen für unzulässig erachtet.
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Gegen dieses ihnen am 23.08.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 16.09.2002 bei Gericht eingegangene Berufung der Kläger, welche sie mit dem am 21.10.2002 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet haben.
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Die Kläger meinen, das Landgericht habe den Bebauungsplan fehlerhaft ausgelegt. Erst durch den Bebauungsplan werde eine Ansiedelung im Außenbereich der Stadt … ermöglicht. Sämtliche Regelungen des Bebauungsplanes hätten individualschützenden Charakter. Dies gelte nicht nur für die Vorgaben betreffend den Grüngürtel von 6 m Tiefe. Da der Bebauungsplan in bauordnungsrechtlicher und individuell nachbarschaftsrechtlicher Hinsicht jedem Grundstückserwerber detaillierte Vorgaben hinsichtlich Bebauung und Ausgestaltung seines Grundstückes mache zur Erzielung eines naturnahen Gesamtcharakters des Planungsgebietes, bedeute jede Verletzung dieser Vorgaben durch einen Nachbarn eine Verletzung der Individualrechte der übrigen Nachbarn. Das Schwimmbecken nebst Abdeckhaube störe den Charakter der „Gesamtanlage“ erheblich.
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Die Kläger vertreten ferner die Ansicht, auch die grünordnungsrechtlichen Vorgaben des Bebauungsplanes, welche der Verhinderung der Bodenversiegelung dienten, könnten einen individuellen Abwehranspruch des Nachbarn bewirken.
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Die Kläger meinen schließlich, es gehe eine unzumutbare Beeinträchtigung ihres Grundstückes, insbesondere in laublosen Zeiten der Grenzbepflanzung, von der Plastikabdeckhaube des Schwimmbeckens aus. Unerheblich sei dabei, dass die Beklagten die durch die Abdeckhaube bewirkte Sonnenreflexion nicht selbst verursachten. Maßgeblich sei allein, dass die Beklagten durch die Abdeckhaube die Bedingung für die Blendwirkung auf dem Grundstück der Kläger gesetzt hätten.
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Schließlich berufen sich die Kläger auf eine erhebliche Lärmbelästigung durch Benutzer des Schwimmbeckens in den Sommermonaten.
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Die Kläger beantragen nunmehr,
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in Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, das auf ihrem Grundstück im Gartenteil eingebaute Schwimmbecken nebst Abdeckung zu beseitigen,
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hilfsweise,
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die Abdeckhaube aus reflektierendem Kunststoff zu beseitigen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagten meinen, soweit ihr Schwimmbecken nach Maßgabe des Bebauungsplanes bauplanungsrechtlich unzulässig sein könnte, begründe dies noch keine schützenswerte, zivilrechtlich durchsetzbare Rechtsposition der Kläger. Die Einhaltung einer 6 m breiten Bepflanzung an der Stirnseite der Grundstücke stelle eine naturschützende Maßnahme dar. Die Überwachung der naturschützenden Vorschriften sei allein Sache des Bauaufsichtsamtes. Die Argumentation der Kläger bezüglich des Gesamtcharakters der „Grundstücksanlage“ in der H… straße greife nicht. Es handele sich um individuelle Grundstücke und nicht etwa eine „Anlage“, welche satzungsähnlichen Vorschriften unterliegen könnte. Die Beseitigungsanordnung der unteren Bauaufsichtsbehörde für das Schwimmbecken, welche derzeit vor dem Verwaltungsgericht angegriffen werde, helfe den Klägern nicht weiter. Diese Anordnung sei aus Präventivgründen erfolgt, um einer negativen Vorbildwirkung entgegenzutreten.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme des Augenscheines auf dem Grundstück H… straße …, … und Umgebung.
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Wegen des Ergebnisses der Augenscheinnahme wird auf das Protokoll (Blatt 258 d. A.) Bezug genommen.
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I. Die Berufung der Kläger ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden (§§ 511 ff ZPO).
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Rechtliche Bedenken bezüglich der Formulierung der Berufungsanträge (Hilfsanträge) bestehen nicht mehr, nachdem die Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29.04.2003 diese in der aus dem Tatbestand ersichtlichen Weise konkretisiert haben.
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II. Die Berufung bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
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Die Klage ist im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Den Klägern steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Beseitigung des Schwimmbeckens und/oder der Abdeckung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
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1. Die Kläger können den geltend gemachten Beseitigungsanspruch insbesondere nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Vorgaben des Bebauungsplanes Nr. 18 a „Südliche H… straße/… “ herleiten.
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Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt ein Anspruch wegen Verletzung der bauplanungsrechtlichen Vorschriften seitens der Beklagten nur dann in Betracht, wenn die Vorschriften des Planes Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind. Ob dessen Normen im Einzelnen drittschützend sind, beurteilt sich unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nach der „Schutznormtheorie“. Danach ist im Wege der Auslegung der einzelnen Normen zu ermitteln, ob sie ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienen oder auch den Nachbarn schützen sollen und ihm deswegen ein subjektiv-öffentliches Recht gegen rechtswidrige Eingriffe verleihen wollen. Nicht ausreichend ist, dass der Nachbar durch eine ausschließlich dem öffentlichen Recht dienende Vorschrift reflexartig als Teil der Allgemeinheit begünstigt wird (Fiederer/Geiger/Guggemos, Praxishandbuch Bauplanung, Stand November 2001, Einführung A 29). Kriterium für den drittschützenden Charakter einer Norm des öffentlichen Baurechtes ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ferner die Begrenzung des geschützten Personenkreises. Baurechtliche Normen sind nur dann nachbarschützend, wenn der Kreis der geschützten Personen von der jeweiligen Norm her bestimmt und abgrenzbar ist. Allgemein anerkannt als drittschützende Normen sind zum Beispiel Bauwich-Vorschriften oder Bestimmungen über die Bepflanzung der seitlichen Grundstücksgrenzen. Eine Verletzung solcher Vorschriften wird von den Klägern in der Berufung nicht geltend gemacht.
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Im vorliegenden Falle verletzt das Schwimmbecken der Beklagten zwar eine Vorschrift des Bebauungsplanes, nämlich diejenige bezüglich der südlichen Grenzbepflanzung (6 m breiter Grünstreifen). Diese Vorschrift ist, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, jedoch nicht nachbarschützend. Sie soll dem Naturschutz dienen und den optischen Charakter einer in die grüne Natur auslaufenden Wohnsiedlung dienen. Diese Vorschrift, die den notwendigen Ausgleich für die Eingriffe in die Natur durch die Verwirklichung der Bauvorhaben nach dem Bebauungsplan schaffen will, dient nicht dem Schutz des Nachbarn, sondern demjenigen der Allgemeinheit.
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Den Klägern steht auch kein Abwehranspruch gegen die Beklagten wegen etwaiger erheblicher Verletzung des vom Bebauungsplan intendierten Gebietscharakters der Ansiedlung in der H… straße zu.
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Die Festsetzung über das Maß der baulichen Nutzung und die überbaubare Grundstücksfläche sowie die durch den Bebauungsplan zugebilligten Nutzungsmöglichkeiten bestimmen den Charakter des Planungsgebietes. Diese Festsetzungen sind nach überwiegender Ansicht in der Rechtsprechung grundsätzlich nicht nachbarschützend. Etwas anderes gilt erst dann, wenn durch das abweichende Maß der baulichen Nutzung der Gebietscharakter selbst nachhaltig beeinträchtigt wird. Der Bebauungsplan, der die Festsetzungen für die Grundstücke im Planungsbereich unter Berücksichtigung des Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 6 BBauGB) koordinieren und ausgleichen muss, schafft auf der Grundlage der durch die Festsetzungen bewirkten Vor- und Nachteile ein Austauschverhältnis zwischen den im Planungsverbund zusammengeschlossenen Grundstückseigentümern. Wird durch das abweichende Maß der baulichen Nutzung der Gebietscharakter des Planungsgebietes nachhaltig verändert, so wird dieses Austauschverhältnis der vom Bebauungsplan Betroffenen in Frage gestellt. Zeigt die Störung des Austauschverhältnisses eine bestimmte Größenordnung, kann dies zu einer Verletzung der Rechte des Nachbarn führen und diesem einen Abwehranspruch geben (Sendler, Nachbarschutz im Planungsrecht, BauR 1970, 4; BVerwG, NJW 1994, 1546).
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Eine erhebliche Verletzung des Gebietscharakters der H… straße durch das Schwimmbecken der Beklagten liegt nicht vor, wie das Gericht durch Einnahme des Augenscheines festgestellt hat.
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Die in der südlichen H… straße gelegenen Grundstücke sind straßenseitig mit Einfamilienhäusern bebaut, im rückwärtigen Teil schließen sich Ziergärten an, die sämtlich an landschaftlich genutzte Felder grenzen. Eine einheitliche Ausgestaltung dieser nahezu größengleichen Ziergärten ist nicht festzustellen. Die Gärten weisen teils Bepflanzungen mit reinen Zierpflanzen, teils mit Nutzpflanzen (Obstbäume bzw. -sträucher) auf; es finden sich gartenlaubenähnliche Einrichtungen, Gartenhäuschen, kleinere Schuppen und Teichanlagen. Ein einheitliches Erscheinungsbild fehlt. Für einige Grundstücke steht die gärtnerische Nutzung im Vordergrund, für andere die Freizeitnutzung.
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Zwar weist das Grundstück der Beklagten als Einziges ein in den Boden gelassenes Schwimmbecken mit halbkreisförmiger Plastikabdeckhaube auf. Diese Art der Grundstücksnutzung stellt für das oben zitierte Gesamterscheinungsbild jedoch keine erhebliche Beeinträchtigung dar und kann nicht als Grundlage für einen nachbarrechtlichen Abwehranspruch gelten.
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2. Die Kläger können ihren Abwehranspruch auch nicht auf das Gebot zur Rücksichtnahme stützen (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 31 Abs. 2 BBauG, 15 Abs. 1 BNVO).
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Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt nachbarrechtlicher Schutz nur bei unzumutbarer Beeinträchtigung in Betracht. Daran fehlt es im vorliegenden Falle. Auf die zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen. Anläßlich der Augenscheinseinnahme konnte sich das erkennende Gericht selbst davon überzeugen, dass vom Garten der Kläger bzw. deren Terrasse aus das Schwimmbecken nebst Abdeckung nicht zu sehen ist; die auf der Grundstücksgrenze gepflanzte Hecke bietet blickdichten Schutz von ca. 1,70 m Höhe. Selbst wenn diese Hecke im Herbst und Winter wegen Laubabwurfes den Blick auf das Grundstück der Beklagten freigeben sollte, fehlt es an einer unzumutbaren, von den Klägern nicht hinzunehmenden Belästigung oder Störung. Im Herbst und Winter dürfte die Gartennutzung durch die Kläger die Ausnahme darstellen.
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3. Die Kläger können schließlich ihren Anspruch auch nicht auf § 1004 BGB stützen.
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Dieser Beseitigungsanspruch setzt eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung des Eigentums der Kläger voraus. Unwesentliche Einwirkungen muss der jeweilige Eigentümer dulden
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(§ 906 Abs. 1 Satz 1 BGB). Als Einwirkung kommen Immissionen in Betracht, d. h. sinnlich wahrnehmbare Einwirkungen (Lärm, Strahlungen, Gerüche, elektromagnetische Wellen etc.). Vom Schwimmbecken selbst gehen keinerlei derartige Immissionen aus. In Betracht kommen könnte nur die Blendwirkung, die von der treibhausartigen Plastikabdeckhaube ausgeht. Diese Wirkung wird zwar teilweise durch Naturkräfte (Sonne) hervorgerufen, so dass § 1004 BGB eigentlich nicht greifen würde. Lösen jedoch Naturkräfte eine Störung aus, so ist ein Abwehranspruch auf § 1004 BGB gegeben, wenn der Nachbar durch eigene Handlungen die Störung (mit) verursacht hat (Fiederer/Geiger/Guggemos a.a.O. Einf. C Rn 11). Das ist vorliegend der Fall.
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Die Kläger legen jedoch nicht dar, inwiefern diese Blendwirkung eine wesentliche Beeinträchtigung ihres Grundstückes darstellt. Es fehlt substantiierter Vortrag dahin, an welchen Tagen, wie oft im Jahr, wie lange täglich die störende Sonnenreflexion auftritt. Nur wenn Häufigkeit, Dauer und Grad der Blendwirkung feststehen, kann eine Beseitigung der Abdeckhaube – und nur dieser – in Betracht kommen.
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Soweit die Kläger sich verwehren gegen das – aus ihrer Sicht befremdliche – Aussehen des Schwimmbeckens nebst Abdeckhaube, machen sie ästhetische Immissionen geltend. Diese stellen jedoch nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte keine Beeinträchtigungen im Sinne des § 1004 BGB dar (Fiederer/Geiger/Guggemos, a.a.O., Einf. C 13).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.