Zur Frage der nachbarrechtlichen Duldung der Blendwirkung eines Edelstahlschornsteins

LG Magdeburg, Urteil vom  05.10.2017 – 10 O 1937/15

Blendung durch einen Edelstahlschornstein auf dem Dach eine Wohnhauses sind vom Nachbarn dann zu dulden, wenn die Blendwirkung nicht in den Hauptsichtachsen auftritt. Bei Fokussierung des Schornsteins tritt die Blendwirkung bereits dann nicht auf, wenn der Nachbar den Blick um 15 Grad abwendet.(Rn.15)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Und beschlossen:

Der Gegenstandswert wird auf die Stufe bis 8.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand
1
Die Parteien sind Nachbarn und streiten um die von einem Edelstahlschornstein der Beklagten ausgehenden Blendwirkung auf das Grundstück der Klägerin.

2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Im … 13 in W, Ortsteils B. Die Beklagte ist Eigentümerin des Nachbargrundstückes im … 11.

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Im Herbst 2012 ließ die Beklagte an ihrem Haus auf dem Grundstück der Klägerin zugewandten Seite eine Edelstahlschornsteinanlage installieren. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Fotos K 1 der Akte Bezug genommen.

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In der Folgezeit kam es zwischen den Parteien zu Streitigkeiten hinsichtlich einer vom Edelstahlschornstein ausgehende Blendwirkung.

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Die Klägerin behauptet, dass an sonnigen Tagen, insbesondere vom oberen Teil der Schornsteinanlage, die durch die Dachhaut nach oben austritt, starke Blendwirkungen ausgehen. Betroffen seien hiervon die Wohnräume, die Küche, das Schlafzimmer, die Loggia sowie die Außenterrasse und der Gartenbereich hinter der Außenterrasse. Die Blendwirkung beginne im Frühsommer etwa Ende April und Ende Mitte September. Von der Tageszeit her beginne die Blendung am Vormittag in der Frühe und sei bei wechselndem Sonnenstand bis in die Abendstunden hinein vorhanden. Das grelle, reflektierende Licht sei so stark, dass man mit dem Blick nicht ausweichen könne.

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Die Klägerin beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, die Edelstahlschornsteinanlage auf dem Dach des Hauses Im … 11 in … W/Ortsteil B, soweit diese zum Grundstück Im … 13 in … W/Ortsteil B hin ausgerichtet ist, durch geeignete Maßnahmen in einen Zustand zu versetzen, welcher ausschließt, dass von der Edelstahlschornsteinanlage auf dem Haus Im … 11 zu dem Grundstück Im … 13 hin an sonnigen Tagen, insbesondere im Früh- und Hochsommer von Ende April bis Mitte September des Jahres, unzumutbare Reflexblendungen ausgehen,

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2. die Beklagten zu verurteilen, als Nebenforderung außergerichtliche Kosten i. H. v. 729,23 € incl. 10 % Umsatzsteuer nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 Abs. 1 BGB ab Rechtshängigkeit an sie zu zahlen,

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3. die Beklagte zu verurteilen, als Nebenforderung außergerichtliche Kosten i. H. v. 593,57 € incl. 19 % Umsatzsteuer nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 Abs. 1 BGB ab Rechtshängigkeit an sie zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Das Gericht hat mit Beweisbeschluss vom 01.11.2016 ein Sachverständigengutachten angeordnet. Am 5. Mai 2017 erstattete der Sachverständige Dr. Steffen M von der Industrie- und Handelskammer Potsdam, öffentlich bestellt und vereidigt, für die Bereiche Lichttechnik, Tageslichttechnik und Beleuchtungsplanung sein lichttechnisches Gutachten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen. Am 28.09.2017 erläuterte der Sachverständige sein Gutachten mündlich. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 28.09.2017 Bezug genommen.

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Ein durchgeführtes Schlichtungsverfahren der Nachbarn vor der Schlichtungsstelle des Notars Zimmer aus W ist am 9. Juli 2015 gescheitert (K 6).

Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten kein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB zu. Es besteht eine Duldungspflicht der durch den Edelstahlschornstein gegebenen Beeinträchtigungen durch die Klägerin, §§ 1004, 906 Abs. 1 Satz 2 BGB.

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Zunächst sind zwar die Voraussetzungen des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben, da durch die Blendung des Schornsteins nur eine unwesentliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstückes gegeben ist.

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Grundsätzlich liegt eine Eigentumsstörung durch Lichtreflexe vor, obwohl die Lichtreflexe Folge der Sonneinstrahlung und damit eines Naturereignisses sind. Zwar begründen Natureinwirkungen grundsätzlich keine Zustandshaftung, jedoch ist ein Abwehranspruch aus § 1004 BGB gegeben, wenn der Nachbar durch eigene Handlungen die Störung zumindest mit verursacht hat. Die streitgegenständliche Einwirkung des Sonnenlichts ist hier kein Naturereignis, sondern hat ihre Ursache in der Ablenkung des natürlichen Sonnenlichts durch die spiegelnde Oberfläche des von der Beklagten errichteten Edelstahlschornsteins (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.02.2009, 10 U 146/08 – juris, Rz. 28).

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Der Sachverständige M hat insoweit überzeugend festgestellt, dass in verschiedenen Bereichen des Grundstücks der Klägerin Bildwirkungen eintreten. Diese Bereiche (Immissionsort) wurden bei der Ortsbesichtigung durch den Sachverständigen im Einvernehmen mit den Parteien festgelegt. So beträgt die maximal möglich jährliche astronomische Blenddauer im Zeitraum Ende März bis Ende September am Immissionsort rechtseitiger Fensterbereiche, Wohnraum EG, Wohnen/Essen ca. 850 Stunden, am Immissionsort Mitte Loggia Obergeschoss ca. 600 Stunden und im Wohnraum OG Schlafzimmer in halber Raumtiefe in Sichtachse Loggiatür ca. 465 Stunden. Auf der Mitte der Terrasse beträgt sie 260 Stunden.

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Zwar wird die Rechtswidrigkeit durch die Beeinträchtigung grundsätzlich indiziert und die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ergibt sich aus dem Fortbestand des Edelstahlschornsteins in seiner bisherigen Form, die jährlich nach den Feststellungen des Sachverständigen zu den aufgeführten Reflexen führt (vgl. Palandt-Herler, BGB, 76. Aufl. 2017, § 1004, Rz. 12).

20
Der Unterlassungsanspruch entfällt nach § 1004 Abs. 2 BGB jedoch dann, wenn der Eigentümer den beeinträchtigenden Zustand dulden muss. Dabei handelt es sich um eine Einwendung für die die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet ist. Gemäß § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB kann ein Eigentümer unwesentliche Beeinträchtigungen durch die Zuführung u. a. von Licht nicht verbieten. Bei der Frage der Zumutbarkeit ist dabei nicht auf die persönlichen Verhältnisse des Eigentümers abzustellen, sondern auf das Empfinden eines verständigen durchschnittlichen Benutzers des Grundstücks in seiner örtlichen Beschaffenheit, Ausgestaltung und Zweckbestimmung (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 09.02.2009 a. a. O., Rz. 31 unter Hinweis auf die BGH-Rechtsprechung; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2017, 9 U 35/17, juris, Rz. 17; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2013, 9 U 184/11, juris, Rz. 25).

21
Dabei sind jeweils die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere im Hinblick auf die Dauer der Blendungen, die Intensität der Lichtreflexe und die konkrete Auswirkung auf die Nutzung des Nachbargrundstückes. Normen für die Grenzwerte für die „Wesentlichkeit von Blendungswirkungen“ existieren weder bei Solaranlagen noch bei Edelstahlschornsteinen. Die „Hinweise zur Messung und Beurteilung von Lichtimmissionen“, sogenannte Lichtrichtlinie, kann nicht herangezogen werden, auch nicht analog, da diese Richtlinie zum einen keinen normativen oder quasi normativen Charakter hat und da sich die Richtlinien zum anderen nicht auf Blendwirkungen bei der Reflektion von Sonnenlicht beziehen, sondern nur auf Lichtimmissionen durch künstliche Beleuchtung (vgl. OLG Karlsruhe, a. a. O., Rz. 25). Auch die „Hinweise zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen“ der Bund, Länder, Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) vom 13. September 2012, wonach von einer erheblichen Belästigung durch Blendwirkung bei einer Blenddauer von mindestens 30 Minuten am Tag oder 30 Stunden im Kalenderjahr ausgegangen werden kann, ist mangels Allgemeinverbindlichkeit nicht als ausreichende Grundlage zur abschließenden Beurteilung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung heranzuziehen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2017, a. a. O., Rz. 17).

22
Der Sachverständige M hat insoweit ausgeführt, dass die genannte LAI-Richtlinie (Fundstellennachweis Gutachten, Seite 32 und 37, Nr. 01) nicht angewendet werden kann. Bei der hier vorliegenden Blendwirkung hat der Sachverständige für das Gericht nachvollziehbar ausgeführt, dass es sich nicht um eine vergleichbare Blendsituation wie bei der etwa von Solarflächen handelt, da bei einem im Durchmesser relativ kleinen Edelstahlschornstein grundsätzliche andere geometrische, physikalische sowie physiologische Bedingungen vorliegen. Auf Seite 6 ff. seines Gutachtens hat der Sachverständige erläutert, dass bei dem Edelstahlschornstein bereits keine physiologische Blendwahrnehmung des menschlichen Auges eintritt, sondern aufgrund der Immissionsortabstände und der angenommenen Schornsteinsonnenreflexgröße von 2 x 2 cm (Seite 13 des Gutachtens) ergibt sich lediglich eine sogenannte „psychologische Blendung“. Hierunter versteht der Sachverständige (Seite 13 des Gutachtens) die empfundene Belästigung einer Lichtimmission, die zur ständigen und ungewollten Ablenkung der Blickrichtung zur Blendlichtquelle hinführt und eine ständige Adaption des Auges auslöst. Dagegen ist die Blendwirkung an großflächigen, ebenen Flächen wie etwa baugenehmigungspflichtigen Fotovoltaikanlage der Stufe der Absolutblendung als Extremfall der physiologischen Blendung zuzuordnen (Seite 14 des Gutachtens).

23
Wie die persönliche Anhörung des Sachverständigen ergeben hat, liegt eine weitere Besonderheit der streitgegenständlichen Blendwirkung darin, dass sie zwar recht intensiv ist aufgrund des relativ geringen Reflexes, jedoch eine Blendwirkung nur dann erzielt werden kann, wenn der Betroffene direkt in Richtung des Edelstahlschornsteines blickt. Lediglich bei fokussiertem Blick tritt eine Blendwirkung auf. Bereits im Randbereich des Sichtfeldes ist von keiner Blendwirkung mehr auszugehen. Konkret ist es so, dass der Blick ca. um maximal 15° abgewendet werden müsste, um nicht konkret geblendet zu werden.

24
Legt man all diese Grundsätze nun auf den verständigen Durchschnittsmenschen an, ergibt sich Folgendes:

25
Aufgrund der konkreten Gegebenheiten der Lage des Edelstahlschornsteins ist es so, dass sich der maßgebende Teil des Edelstahlschornsteines, der sich oberhalb der Dachfläche befindet, üblicherweise überhaupt nicht in der direkten Blickachse der das Grundstück der Klägerin nutzenden Personen befindet. Bei den vom Sachverständigen untersuchten Immissionsorten im Erdgeschoss bzw. auf der Terrasse ist eine Blendwirkung überhaupt nur dann gegeben, wenn die Klägerin ihren Blick nach oben in Richtung des Edelstahlschornsteines richtet. Angesichts der aus den Fotos ersichtlichen örtlichen Gegebenheiten ist bereits insoweit nicht nachvollziehbar, warum ein Durchschnittsmensch den Blick gerade in Richtung des Edelstahlschornsteines auf dem Nachbargrundstück richten sollte. Es handelt sich insoweit um keine natürliche Sichtachse. Wer auf der Terrasse sitzt, schaut üblicherweise geradeaus und nicht nach oben. Gleiches gilt für die anderen Bereiche im Erdgeschoss.

26
Betrachtet man die Raumsituation im Obergeschoss, etwa der Loggia oder des Schlafzimmers, Bild 15 und 16 des Sachverständigengutachtens, dort Seiten 18 und 19, so ist es auch dort so, dass der Blick leicht nach oben gerichtet sein muss. Im Übrigen ergibt sich auch hier, wie beispielsweise auf dem Bild 16 der Loggia erkennbar ist, dass auch hier der Blick leicht nach oben gerichtet werden muss. Anhand der Anordnung der Stühle auf Bild 16 ergibt sich zudem, dass die Stühle der Loggia bereits nicht so angeordnet sind, dass die Blickrichtung in Richtung des Edelstahlschornsteines geht. Dies ist auch nachvollziehbar. Soweit der Rechtsanwalt der Klägerin im Termin behauptet hat, die Anordnung der Stühle konnte nur so von der Klägerin getroffen werden, damit es auf der Loggia ordentlich aussieht, überzeugt dies das Gericht nicht. Die Anordnung der Stühle auf der Loggia gibt genau die Anordnung wieder, die ein vernünftiger durchschnittlicher Mensch wählen würde. Wer sich auf eine Loggia setzt, will nicht auf die Seitenwand des Nachbarn schauen, sondern auf sein Gegenüber bzw. in die freie Natur. Schaut man sich den Stuhl an, der auf Bild 16 abgebildet ist, so schaut der Benutzer des Stuhles gerade nicht auf den Edelstahlschornstein, sondern er blickt in den Garten und die Weite der unverbauten Landschaft.

27
Zusammenfassend ist das Gericht zu folgender Überzeugung gelangt:

28
Der durchschnittliche verständige Nutzer schaut nicht fokussiert in Richtung des Edelstahlschornsteins, sondern in andere Richtungen, bei üblicher Nutzung der Immissionsorte. Eine größere Blendwirkung im peripheren Sehbereich ist nach Ausführungen des Sachverständigen gerade nicht zu beobachten. Eine Blendwirkung kann bereits bei einer Veränderung des Blickwinkels von 15° vermieden werden.

29
Demnach liegt auf den konkreten Einzelfall bezogen, durch die Blendwirkung des Edelstahlschornsteins keine wesentliche Beeinträchtigung im Rechtssinne nach § 906 Abs. 1 BGB vor, so dass die Klage abzuweisen ist.

30
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

31
Bei der Streitwertfestsetzung nach § 3 ZPO ist die Kammer von dem Betrag ausgegangen, den die Klägerin als notwendig und erforderlich erachtet hat, den streitgegenständlichen Schornstein so herzurichten, dass von diesem keine Blendwirkung ausgeht, und den sie mit mindestens 7.500,00 € beziffert hat.

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