Sozialgericht für das Saarland, Beschluss vom 09. März 2021 – S 26 AS 23/21 ER
1. Ein grundsicherungsrechtlicher unabweisbarer Mehrbedarf für die Beschaffung von FFP2-Masken ist nicht glaubhaft gemacht, da der Bedarf derzeit durch die zehn kostenlos zur Verfügung gestellten Schutzmasken gedeckt ist. (Rn.20)
2. Unabhängig hiervon fehlt es auch an einem Anordnungsgrund, also an einer besonderen Eilbedürftigkeit, da der Leistungsempfänger die Beschaffungskosten aus dem Regelsatz bestreiten kann. (Rn.22)
3. Schließlich ist auch eine Bedarfsdeckung durch derzeit ausreichende Einsparmöglichkeiten in anderen Lebensbereichen gegeben. (Rn.23)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I.
1
Der Antragsteller (Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vom Antragsgegner (Ag.) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Anschaffung von FFP2-Masken.
2
Am 26.01.2021 stellte der im Jahr 2000 geborene und seit 22.09.2020 unter Betreuung stehende Ast., der im laufenden Leistungsbezug beim Ag. steht, durch seinen Betreuer einen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfes in Form von 12 FFP2-Maken monatlich, da er sonst nicht mehr einkaufen und keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr nutzen könne. Der Bedarf bestehe laufend, da die Maskenpflicht ab 18.01.2021 bestehe und ein Ende der verschärften Maskenpflicht nicht absehbar sei. Nach Empfehlungen von Experten sollen die Masken alle zwei Tage gewechselt werden, so dass der Antrag den Maskenbedarf für einen Monat für eine Person abdecke. Die Kosten pro Maske beliefen sich auf 3,00 €, daher würden 36 € monatlich an Gesamtkosten geltend gemacht.
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Der Antrag wurde mit Bescheid vom 27.01.2021 abgelehnt. Die beantragte Leistung sei durch den Regelbedarf abgedeckt und stelle keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts dar.
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Der Ast. legte am 15.02.2021 unter Bezugnahme auf den Beschluss des Sozialgericht Karlsruhe vom 11.02.2021 (S 12 AS 213/21 ER) Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2021 zurückgewiesen wurde. Beim Kauf von FFP2-Masken könne nicht von einer außergewöhnlichen finanziellen Belastung ausgegangen werden. Leistungsbeziehern würden kostenlos 10 FFP2-Masken zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus habe der Landkreis A-Stadt Anfang 2021 an alle Leistungsbezieher ab dem 7. Lebensjahr jeweils 20 OP-Masken versendet.
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Am 20.02.2021 ging der Antrag des Ast. auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht für das Saarland ein.
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Der Antragsteller trägt vor,
es werde ein wöchentlicher Bedarf von 20 Masken oder analog der festgestellten Geldleistung i.H.v. 129,00 € für notwendig erachtet. Ein Anordnungsgrund sei aufgrund der nicht absehbaren Entwicklung der Inzidenzwerte und der damit verbundenen neuen verbindlichen Regelungen gegeben. Der Mehrbedarf solle bis zur Änderung der allgemeinen Rechtsverordnungslage geleistet werden. Ohne diesen Mehrbedarf werde sein Grundrecht auf soziale Teilhabe in unverhältnismäßiger Weise direkt und unmittelbar beschränkt. Der Bedarf an FFP2-Masken übersteige die Bereitstellung von 10 Masken deutlich, da die Masken gemäß Herstellerangaben in einer maximalen Stunden- und Trageanzahl getragen werden könnten.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
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den Ag. im Rahmen der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm einen Mehrbedarf für die Beschaffung von FFP2-Masken in Höhe von 129,00 € monatlich zu gewähren.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er trägt vor,
der Regelbedarf werde als monatlicher Pauschalbetrag geleistet. Über die Verwendung entscheide der Leistungsberechtigte eigenverantwortlich. Hierzu gehöre auch, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch niedrigere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen. Die ausgeteilten 10 FFP2-Masken würden nicht nur einmalig getragen, so dass hieraus folgend bereits der geltend gemachte Mehrbedarf scheitern dürfte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Ag verwiesen. Er war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
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Der Antrag ist statthaft. Da in der Hauptsache die Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung begehrt wird, ist zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu stellen.
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Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist nicht begründet.
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Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Neben einem Anordnungsgrund, der bei der Eilbedürftigkeit der Anordnung gegeben ist, setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtschutz einen Anordnungsanspruch voraus. Dies ist ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet werden soll. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System der gegenseitigen Wechselbeziehung. Ist etwa die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund.
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Alle Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind – unter Beachtung der Grundsätze der objektiven Beweislast – glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die richterliche Überzeugungsgewissheit in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes erfordern insoweit eine lediglich überwiegende Wahrscheinlichkeit. Wenn dem Gericht im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist, ist auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927 ff.).
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Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG nicht erfüllt.
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Nach der hier vorzunehmenden Prüfung der Erfolgsaussicht der Hauptsache betreffend den geltend gemachten Mehrbedarf erweist sich der angegriffene Bescheid vom 27.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2021 als offensichtlich rechtmäßig. Ein Anordnungsanspruch ist somit nicht glaubhaft gemacht.
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Bei Leistungsberechtigten wird gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II). Mit § 21 Abs. 6 SGB II ist zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 (BVerfG v. 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – BVerfGE 125, 175 ff.) eine Grundlage dafür geschaffen worden, einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf zu erfassen, wenn dies im Einzelfall zur Deckung eines menschenwürdigen Existenzminimums erforderlich ist.
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Vorliegend ist kein unabweisbarer Mehrbedarf gegeben, da dem Ast. ein Anspruch auf einmalig zehn kostenlosen FFP2-Masken zustand, die er gegen Vorlage eines Schreibens seiner Krankenkasse in einer Apotheke bis 06.03.2021 einlösen konnte (§§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 2 Abs. 2a der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung vom 14. Dezember 2020 (BAnz AT 15.12.2020 V1) zuletzt geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung vom 04.Februar 2021). Hierauf ist der Ast. zu verweisen. Es ist von ihm nichts dazu vorgetragen, dass er diesen Anspruch nicht realisiert hat. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Ast. über 10 FFP2-Masken verfügt.
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FFP2-Masken können bei sachgerechter Handhabe mehrmals verwendet werden (vgl. hierzu den Informationsflyer zur Wiederverwendung für den Privatgebrauch der FH Münster, auf den das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Homepage verweist; abrufbar unter: https://www.fh-muenster.de/gesundheit/images/forschung/ffp2/01_ffp2_info11012021_doppel-seiten.pdf). Insbesondere das dort genau beschriebene Verfahren „7 Tage trocknen bei Raumluft“ ist auch durch den Ast. durchführbar und ermöglicht eine fünfmalige Verwendung einer Schutzmaske des FFP2-Standards. Durch die zehn kostenlos zur Verfügung gestellten Schutzmasken ist damit der Bedarf selbst bei täglichem Maskengebrauch für mindestens 50 Tage gedeckt (vgl. SG Mannheim, Beschluss vom 01. März 2021 – S 5 AS 456/21 ER –, juris, Rn. 12).
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Auch ist ein Anordnungsgrund, also eine besondere Eilbedürftigkeit, deshalb nicht glaubhaft gemacht, da der Ast. die Kosten des Kaufes von FFP2-Masken aus dem Regelsatz bestreiten kann. Denn ein Anordnungsgrund besteht nicht, wenn der Ast. jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 06.03.2017, Az.: L 7 SO 420/17 ER-B, Rn. 8). FFP2-Masken gibt es für den Preis von 9,90 € pro 20 Stück (0,50 € pro Stück, siehe https://www.real.de/product/357326629). Bei dem vom Ast. geltend gemachten Mehrbedarf von 20 FFP2-Masken wöchentlich handelt es sich also um Kosten von 9,90 € wöchentlich. Es ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass der Ast. den geltend gemachten Bedarf nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann, wenn er tatsächlich 20 Masken wöchentlich in Gebrauch nimmt, was das Gericht allerdings bei lebensnaher Betrachtung bezweifelt.
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Unabhängig hiervon ist aber auch eine Bedarfsdeckung durch Einsparmöglichkeiten gegeben. Aufgrund der aktuellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens sowie der bestehenden Kontaktbeschränkungen fallen Ausgaben in den Bereichen Verkehr (40,01 Euro), Freizeit, Unterhaltung, Kultur (43,52 Euro) und für Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen (11,65 Euro) nur noch in reduziertem Maße an. Durch eine Umschichtung der frei werdenden Mittel aus diesen Bereichen kann der Ast. 20 FFP2-Schutzmasken wöchentlich finanzieren. Medizinische Masken sind zudem bereits zu weitaus günstigeren Preisen als FFP2-Schutzmasken erhältlich (vgl. SG Mannheim, a.a.O.).
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Daneben darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Ast. als Bezieher von Grundsicherungsleistungen ab Mai 2021 einen einmaligen Coronazuschuss in Höhe von 150,00 EUR erhalten wird, der für die Anschaffung der FFP2-Masken oder zur Kompensation der Anschaffungskosten verwendet werden kann (vgl. SG Mannheim, Beschluss vom 25. Februar 2021 – S 7 AS 301/21 ER –, Rn. 5, juris).
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Der Antrag ist demnach vollumfänglich abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Gegen diese Entscheidung ist die Beschwerde statthaft. Gegen Entscheidungen des Sozialgerichts ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG grundsätzlich die Beschwerde nur statthaft, soweit nichts Anderes bestimmt ist, wobei nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausdrücklich ausgeschlossen ist, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Im vorliegenden Fall wäre im Hauptsacheverfahren die Berufungssumme von 750,00 € erreicht, da der Ast. einen monatlichen Mehrbedarf von 129,00 € begehrt und der Leistungsbewilligungszeitraum bis 31.12.2021 läuft. Der Ast. hat im Eilverfahren den Mehrbedarf bis auf Weiteres bis zur Änderung der allgemeinen Rechtsverordnungslage geltend gemacht. Das Gericht geht zu seinen Gunsten daher von einem Zeitraum von mindestens 6 Monaten aus.