Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.09.2011 – 5 Sa 212/11
Es reicht im hier maßgeblichen Zusammenhang nicht aus, wenn der Anfechtende bei Abgabe der Willenserklärung lediglich erwartet hat, der andere Teil werde ihm bei Nichtabgabe der Erklärung ein Übel zufügen, wenn sich diese Befürchtung lediglich aus der objektiven Sachlage ergibt, nicht aber von dem anderen Teil hervorgerufen oder bestärkt wird. Es kommt dann lediglich das Ausnutzen einer Zwangslage des Erklärenden – Angst vor einer Kündigung – durch den anderen Teil in Betracht, das den Tatbestand einer Drohung im Sinne des § 123 BGB aber gerade nicht erfüllt. Denn die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Einzelnen wird nicht allgemein gegen jede Art von Beeinträchtigung durch eine Zwangslage geschützt, sondern gemäß § 123 Abs. 1 BGB nur gegen die rechtswidrige Beeinflussung durch arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 02.03.2011 – 8 Ca 2161/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund eines Aufhebungsvertrages sein Ende gefunden hat, oder aber fortbesteht.
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Die Klägerin war seit dem 01.12.2006 beim Beklagten in der von ihm geführten Versandapotheke als kaufmännische Angestellte gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 1.750,00 EUR tätig.
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Aufgrund einer anonymen Anzeige hatte die Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd, Regionalstelle Gewerbeaufsicht Neustadt, Ermittlungen gegen den Beklagten eingeleitet und im Rahmen dessen schriftliche Zeugenfragebogen an verschiedene Mitarbeiter des Beklagten versandt, unter anderem auch an die Klägerin. Diesen Zeugenfragebogen hat die Klägerin ausgefüllt; hinsichtlich der streitgegenständlich relevanten Angaben der Klägerin im Einzelnen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 2, 3 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 52, 53 d. A.) Bezug genommen. Im Übrigen wird hinsichtlich des vollständigen Zeugenfragebogens auf Bl. 31, 32 d. A. verwiesen.
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Am 10.11.2010 fand ein Personalgespräch statt, an dem die Klägerin, der Beklagte, seine Lebensgefährtin Frau Z und der Prozessbevollmächtigte des Beklagten teilnahmen. Zuvor war der Klägerin nicht mitgeteilt worden, um was es in diesem Gespräch gehen sollte. Der Klägerin wurden in diesem Rahmen ihre schriftlichen Angaben in dem von ihr ausgefüllten Zeugenfragebogen vorgehalten; die einzelnen Punkte wurden mit ihr durchgegangen. Einzelheiten des Gesprächsverlaufs und -inhalts sind zwischen den Parteien streitig.
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Die Klägerin hat sodann in diesem Gespräch den ihr vorgelegten Aufhebungsvertrag vom 10.11.2010 (vgl. Bl. 7 d. A.) unterzeichnet, der folgenden Wortlaut hat:
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„§ 1 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
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Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird im gegenseitigen Einvernehmen aus Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer ansonsten unumgänglichen Kündigung aus betrieblichen Gründen zum 30.11.2010 beendet.
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§ 2 Vergütungsfortzahlung und Freistellung
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Der Arbeitgeber verpflichtet sich, bis zum 30.11.2010 die regelmäßige monatliche Vergütung weiter zu zahlen.
10
Die Arbeitnehmerin wird unter Fortzahlung der Vergütung und unter Anrechnung auf eventuell bestehende Urlaubsansprüche mit sofortiger Wirkung von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt.
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§ 3 Erteilung eines Arbeitszeugnisses
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Die Arbeitnehmerin erhält am 30.11.2010 ein auf den 30.11.2010 datiertes Arbeitszeugnis, welches die Gesamtbeurteilung gut enthält.
13
§ 4 Ausgleich aller Ansprüche
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Soweit vorstehend nichts anderes vereinbart wurde, sind sich die Parteien darüber einig, dass mit der Erfüllung des vorstehenden Vergleiches keine finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis oder aus Anlass seiner Beendigung gegeneinander bestehen.
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§ 5 Anfechtungs- und Widerrufsrechte
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Die Arbeitnehmerin erklärt, diese Vereinbarung sorgfältig gelesen zu haben und diese ohne zeitlichen Druck unterschrieben zu haben. Sie verzichtet auf alle Anfechtungs- und Widerrufsrechte.
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§ 6 Aushändigung der Vertragsurkunde
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Beide Parteien bestätigen, eine Abschrift dieser Vertragsurkunde im Original erhalten zu haben.“
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 19.11.2010 (Bl. 9, 10 d. A.) hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten die Anfechtung des Aufhebungsvertrages vom 10.11.2010 erklärt. Mit der am 19.11.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht die Klägerin geltend, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien unbeschadet des Aufhebungsvertrages über den 30.11.2010 hinaus fortbesteht.
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Die Klägerin hat vorgetragen,
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der Aufhebungsvertrag sei von ihr aufgrund einer widerrechtlichen Drohung wirksam angefochten worden. Das Arbeitsverhältnis bestehe folglich fort. Sie habe vor einiger Zeit um eine Gehaltserhöhung ersucht und sei davon ausgegangen, dass der für den 10.11.2010 angesetzte Gesprächstermin diesen Punkt zum Gegenstand habe. Die Vorgehensweise des Beklagten und die Begleitumstände des Gesprächs hätten sie eingeschüchtert; sie habe sich bedroht gefühlt. So sei zum Beispiel von Schadensersatzansprüchen gesprochen und ihr gedroht worden, dass sie insoweit in Anspruch genommen werden könne. Ihr sei ferner mitgeteilt worden, dass das Vertrauensverhältnis zerstört sei und daher eine Lösung gefunden werden müsse. Sie habe mindestens zweimal geäußert „ich will nicht gehen“. Ihr sei schließlich versichert worden, mit der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages, der ihr sodann vorgelegt worden sei, sei alles erledigt und sie müsse sich keine Sorgen mehr machen. Sie habe keine Gelegenheit mehr erhalten, den Aufhebungsvertrag in Ruhe zu lesen oder sich die Sache zu überlegen. Zwar sei das Wort „Kündigung“ nicht gefallen, es sei für sie jedoch klar gewesen, dass der Beklagte entweder eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses – wie auch immer – mit zusätzlichen Schadensersatzansprüchen durchsetzen werde, oder aber sie das Schriftstück unterzeichne.
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Hinsichtlich der weiteren Darstellung des streitigen Tatsachenvorbringens der Klägerin im erstinstanzlichen Rechtszug wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 5 bis 7 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 55 bis 57 d. A.) Bezug genommen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über den 30. November 2010 hinaus fortbesteht
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat vorgetragen,
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die Anfechtung des Aufhebungsvertrages sei unbegründet. Die Klägerin sei bei dem fraglichen Gespräch nicht eingeschüchtert gewesen. Eine Drohung mit etwaigen Schadensersatzansprüchen sei nicht erfolgt. Vielmehr sei ihr erklärt worden, dass ihre Angaben dazu führen könnten, dass gegenüber dem Beklagten ein nicht unerhebliches Bußgeld verhängt werden könne. Von einer „Zerstörung“ des Vertrauensverhältnisses sei nicht gesprochen worden. Die Klägerin habe – unstreitig – nicht erklärt, sie wolle den Aufhebungsvertrag nicht oder nicht an diesem Tag unterschreiben. Sie habe insgesamt während des Gesprächs einen gefassten Eindruck hinterlassen. Auch konkludent sei ihr nicht mit dem Ausspruch einer Kündigung gedroht worden.
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Zur weiteren Darstellung des streitigen Tatsachenvorbringens des Beklagten im erstinstanzlichen Rechtszug wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 7, 8 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 77, 78 d. A.) Bezug genommen.
30
Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 02.03.2011 – 8 Ca 2161/10 – abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 52 bis 63 d. A. Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 06.04.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch am 13.04.2011 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 29.06.2011 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 07.06.2011 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 06.07.2011 einschließlich verlängert worden war.
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Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, das Mitarbeitergespräch habe allenfalls etwas über 10 Minuten gedauert. Den Inhalt stelle der Beklagte falsch dar. Sie sei zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages nicht mehr Herr ihrer Gedanken und Sinne gewesen; sie habe nur noch geweint. Zwar habe der Beklagte bzw. sein Prozessbevollmächtigter das Wort „Kündigung“ tunlichst vermieden. Darauf komme es aber nicht entscheidend an, denn eine Drohung könne auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Die Klägerin sei vorliegend weder durch „gute Worte“ noch durch ein lukratives Abfindungsangebot zur Unterzeichnung bewegt worden. Es habe für sie nicht der geringste Grund bestanden, ihr seit fast vier Jahren bestehenden Arbeitsverhältnis einfach aufzugeben, noch dazu nicht einmal unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist. Auch ergebe sich aus § 1 des Aufhebungsvertrages („Vermeidung einer ansonsten unumgänglichen Kündigung“), dass sehr wohl eine Kündigung im Raum gestanden habe. Der Klägerin sei im Übrigen nur die letzte Seite des Aufhebungsvertrages zur Unterschrift vorgelegt worden.
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Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Klägerin wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 29.06.2011 (Bl. 103 bis 114 d. A.) Bezug genommen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 02.03.2011, Az. 8 Ca 2161/10, aufzuheben und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über den 30.11.2010 hinaus fortbesteht und der Beklagte die Kosten des Rechtsstreites zu tragen hat.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor,
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vorliegend sei bereits eine Drohung nicht gegeben. Der Begriff „Kündigung“ sei während des Gesprächs nicht gefallen. Es sei nicht davon gesprochen worden, das Vertrauensverhältnis sei zerstört. Allein der Umstand, dass sich die Klägerin nach ihrer subjektiven Einschätzung in einer Zwangslage gewähnt habe, rechtfertige keine Anfechtung des Aufhebungsvertrages. Sie habe zudem unstreitig nicht um Einräumung einer Bedenkzeit gebeten. Es treffe nicht zu, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten der Klägerin gegenüber erklärt habe, im Falle der Verhängung eines Bußgeldes werde dieser Betrag von ihr zurückverlangt. Sie habe zusätzlich noch die Anwaltskosten zu tragen. Die Klägerin habe zudem bei dem streitgegenständlichen Gespräch weder verschreckt, eingeschüchtert, noch zu einem „hilflosen Kind reduziert“ gewirkt. Während des Gesprächs und nach Verlassen des Büros sei sie auch nicht fassungslos gewesen und habe nicht weinen müssen.
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Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Beklagten wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 29.07.2011 (Bl. 125 bis 130 d. A.) Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.
42
Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 19.09.2011.
Entscheidungsgründe
I.
43
Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
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Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
45
Das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 10.11.2010 am 30.11.2010 sein Ende gefunden hat.
46
Denn entgegen der Auffassung der Klägerin ist der von ihr unterzeichnete Aufhebungsvertrag rechtswirksam und insbesondere nicht wirksam angefochten worden.
47
Denn der von der Klägerin geltend gemachte Anfechtungsgrund einer widerrecht-lichen Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB ist vorliegend nicht gegeben.
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Nach Maßgabe dieser Vorschrift kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, diese mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten.
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Eine Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig dargestellt wird. Darunter fällt auch die Androhung einer außerordentlichen Kündigung. Das bloße Ausnutzen einer seelischen Zwangslage stellt dagegen noch keine Drohung dar. Andererseits muss die Drohung nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, sie kann vielmehr durch auch durch schlüssiges – konkludentes – Verhalten erfolgen (BAG 09.03.1995, NZA 1996, 875; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 9. Auflage 2011, S. 2138 ff.). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzung des Anfechtungstatbestandes hat der die Anfechtung erklärende Arbeitnehmer zu tragen (BAG 28.11.2007, NZA 2008, S. 348).
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Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass vorliegend bereits keine Drohung im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB gegeben ist.
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Eine ausdrückliche Drohung mit einer Kündigung ist unstreitig nicht erfolgt. Aus dem Tatsachenvortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin lässt sich aber auch keine Drohung mit einer Kündigung durch konkludentes Verhalten entnehmen. Denn selbst wenn der Beklagte im Gespräch vom 10.11.2010 gemäß dem Sachvortrag der Klägerin zum Ausdruck gebracht haben sollte, dass das Vertrauensverhältnis gestört bzw. zerstört sei und eine Lösung gefunden werden müsse, liegt darin weder eine versteckte noch eine stillschweigende Ankündigung des Beklagten, dass er das Arbeitsverhältnis einseitig durch Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung beenden werde, wenn die Klägerin den vorgelegten Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnen würde. Daraus ergibt sich lediglich der durch den vorgelegten Aufhebungsvertrag dokumentierte Wille des Beklagten, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu beenden. Insoweit ist unerheblich, ob für die Klägerin gemäß ihrer Darstellung „klar war“, dass eine Kündigung im Raum gestanden habe, wenn sie nicht unterzeichne. Es reicht im hier maßgeblichen Zusammenhang nicht aus, wenn der Anfechtende bei Abgabe der Willenserklärung lediglich erwartet hat, der andere Teil werde ihm bei Nichtabgabe der Erklärung ein Übel zufügen, wenn sich diese Befürchtung lediglich aus der objektiven Sachlage ergibt, nicht aber von dem anderen Teil hervorgerufen oder bestärkt wird. Es kommt dann lediglich das Ausnutzen einer Zwangslage des Erklärenden – Angst vor einer Kündigung – durch den anderen Teil in Betracht, das den Tatbestand einer Drohung im Sinne des § 123 BGB aber gerade nicht erfüllt (BGH 07.06.1988, NJW 1988, 2599). Denn die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Einzelnen wird nicht allgemein gegen jede Art von Beeinträchtigung durch eine Zwangslage geschützt, sondern gemäß § 123 Abs. 1 BGB nur gegen die rechtswidrige Beeinflussung durch arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung. Insoweit wird zur weiteren Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung (S. 11 = Bl. 61 d. A.) Bezug genommen.
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Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Klägerin durch den ihr vorgelegten Zeugenfragebogen überrascht worden ist, weil sie von einer vertraulichen Behandlung ihrer Angaben durch die Behörde ausgegangen war. Selbst wenn der Beklagte eine dadurch bedingte Zwangs- bzw. Überrumpelungssituation gemäß der Darstellung der Klägerin ausgenutzt haben sollte, liegt darin noch keine Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB, die zur Anfechtung berechtigen würde. Nichts anderes gilt, falls die Klägerin davon ausgegangen sein sollte, dass sie „in irgendeiner Weise bestraft werde“, wenn sie das maßgebliche Schriftstück nicht unterzeichne. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung (S. 11 = Bl. 61 d. A.) zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
53
Des Weiteren hat die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt, auf welche Weise sie mit welchen Schadensersatzansprüchen „konfrontiert“ worden sein soll. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt; deshalb wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 11, 12 (= Bl. 61, 62 d. A.) der Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
54
Der Aufhebungsvertrag ist auch nicht deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts-, Widerspruchsrecht eingeräumt und ihm das Thema des beabsichtigten Gesprächs vorher nicht mitgeteilt hat; vorliegend hat die Klägerin – unstreitig – nicht einmal um eine Bedenkzeit vor Unterzeichnung des Vertrages gebeten. Unerheblich ist des Weiteren, ob und ggf. welche Seiten die Klägerin vor Unterzeichnung gelesen hat, ob sie sich in der von ihr geschilderten Verfassung (weinend, fassungslos usw.) befand und sich auf den Inhalt des Schriftstückes nicht konzentrieren konnte. Denn gemäß § 105 Abs. 2 BGB ist eine Willenserklärung nur dann nichtig, wenn sie im Zustand der Bewusstlosigkeit oder der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen gegeben sein könnten, hat die Klägerin weder vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich.
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Auch das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhaltes. Es macht im Wesentlichen nur deutlich, dass die Klägerin – aus ihrer Sicht verständlich – die ausführlich begründete Fassung des Arbeitsgerichts, der die Kammer folgt, nicht teilt. Auch im Berufungsverfahren bleibt unklar, inwieweit der Beklagte mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gedroht haben könnte. Es geht dabei auch entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um eine – der entscheidenden Kammer des Landesarbeitsgerichts unbekannte – „restriktive“ Beurteilung vergleichbarer Lebenssachverhalte durch das Arbeitsgericht. Entscheidend ist vielmehr, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages im konkreten Einzelfall nicht selbstbestimmt erfolgte, nicht ersichtlich sind. Wenn die Klägerin sich in einem wie von ihr beschriebenen Gemütszustand befunden haben sollte, hätte es nahe gelegen, die Unterzeichnung abzulehnen und sich eine Bedenkzeit vorzubehalten. Denn gerade weil ihr im hier maßgeblichen Zusammenhang kein lukratives Abfindungsangebot unterbreitet wurde, konnte ihr dadurch jedenfalls kein Nachteil entstehen oder auch nur drohen.
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Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
57
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
58
Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.