OLG Stuttgart, Urteil vom 05.09.2001 – 3 U 30/01
Der in § 435 HGB angeordnete Wegfall der Haftungsbegrenzungen und -befreiungen soll die Position des Geschädigten verbessern. Hiermit wäre es nicht in Einklang zu bringen, wenn der Geschädigte gezwungen wäre, seinen Schaden auch dann nach §§ 249 ff. BGB zu berechnen, wenn § 429 HGB zu einem vorteilhafteren Ergebnis führen würde. Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass dem Geschädigten auch bei qualifiziertem Verschulden des Schädigers die Schadensberechnung nach § 429 HGB offensteht (Rn. 12).
Gemäß § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB wird vermutet, dass der in der Rechnung des Verkäufers ausgewiesene Kaufpreis abzüglich darin enthaltener Beförderungskosten den Marktpreis darstellt. Hierdurch soll die Handhabbarkeit der Regelung erleichtert, aber nicht der sich aus § 429 Abs. 1 HGB ergebende Grundsatz geändert werden, dass der Wert des Guts am Ort der Übernahme zur Beförderung zu ersetzen ist. Da der Wert die Frachtkosten nicht enthalten darf, ist bei der Vereinbarung von FOB- oder CIF-Klauseln ein fiktiver „ab Werks“-Preis zu bilden (Rn. 18).
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten, eingelegt von der Streithelferin, wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 28.12.2000 abgeändert.
a) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 15.133,00 DM nebst 8 % Zinsen hieraus seit dem 03.04.2000 zu bezahlen.
b) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Streithelferin trägt die Kosten der Berufung.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 15.433,– DM.
Beschwer der Parteien und der Streithelferin: bis 60.000,– DM.
Tatbestand
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Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.
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1. Die Beklagte haftet für den streitgegenständlichen Schaden gemäß § 425 Abs. 1 BGB. Die Möbel der Klägerin sind auf dem Transport von Weingarten nach Burgkirchen und damit in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung beschädigt worden. Ob die Beklagte Unterfrachtführer beauftragt hat, ist gemäß § 428 HGB unerheblich (vgl. Koller, Transportrecht, 4. Aufl., § 425 HOB Rn. 17).
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2. Die Kammer hat der Klägerin Wertersatz gemäß § 429 Abs. 1 HGB zugesprochen. Hiergegen sind im Ergebnis keine Einwendungen zu erheben.
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a) Dahingestellt bleiben kann, ob im Falle eines Totalschadens Ersatz gemäß § 429 Abs. 1 oder 2 HGB zu leisten ist (vgl. Fremuth/Thume, Kommentar zum Transportrecht, § 425 HGB Rn. 11). Beide Regelungen führen im vorliegenden Fall zum selben Ergebnis.
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b) Die Kammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte den Schaden gemäß § 435 HGB mit qualifiziertem Verschulden herbeigeführt hat. Dies führt im Grundsatz zur Anwendung der §§ 249 ff. BGB.
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aa) Die Klägerin hat plausible Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten vorgetragen (vgl. OLG Stuttgart OLGR 2000, 176 für Art. 23, 29 CMR). Die Beklagte hätte sich deshalb entlasten und substantiiert die Umstände darlegen müssen, die nach ihrer Kenntnis zum Schaden geführt haben (vgl. Koller § 435 Rn. 21 m.w.N.). Ob der Schaden durch einen Unterfrachtführer verursacht wurde, ist ohne Bedeutung. Die Beklagte hätte versuchen müssen, den Schadenshergang bei dem Unterfrachtführer in Erfahrung zu bringen, was offensichtlich nicht erfolgt ist.
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bb) Die Haftung gemäß § 435 HGB führt zum Wegfall der in § 429 HGB enthaltenen Haftungsbeschränkungen, so dass die Schadenshöhe gemäß §§ 249 ff. BGB zu bestimmen ist (vgl. Koller § 435 HGB Rn. 19).
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c) Die Anwendung der §§ 249 ff. BGB würde sich im vorliegenden Fall zum Nachteil der Klägerin auswirken.
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aa) Nach herrschender Meinung muss im Rahmen der Schadensberechnung nach §§ 249 ff. BGB die Möglichkeit eines Deckungskaufs berücksichtigt werden, so dass der Schaden in der Differenz zwischen dem vereinbarten Einkaufspreis und dem Preis des Deckungskaufs besteht (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB, 13. Aufl., § 252 BGB Rn. 23; MüKo/ Grunsky, BGB, 3. Aufl., § 252 BGB Rn. 13; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., § 252 BGB Rn. 16; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 325 BGB Rn. 17). Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Deckungskauf geboten und zumutbar gewesen wäre (vgl. BGH NJW 1989, 290; NJW-RR 1990, 432, 434), was vorliegend ohne weiteres zu bejahen ist.
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bb) Demgegenüber ist bei § 429 HGB die Möglichkeit eines Deckungskaufs nicht zu berücksichtigen. Zwar findet § 254 BGB auch im Bereich des Transportrechts Anwendung. Bei § 429 HGB bestimmt aber der Wert des Guts als abstrakter Schaden die Untergrenze des ersetzbaren Schadens, so dass es nicht darauf ankommt, ob der konkrete Schaden des Geschädigten niedriger ist. Damit scheidet die Berücksichtigung eines möglichen Deckungskaufs aus (vgl. Koller § 429 HGB Rn. 18; Fremuth/Thume § 429 HGB Rn. 16).
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d) Der in § 435 HGB angeordnete Wegfall der Haftungsbegrenzungen und -befreiungen soll die Position des Geschädigten verbessern. Hiermit wäre es nicht in Einklang zu bringen, wenn der Geschädigte gezwungen wäre, seinen Schaden auch dann nach §§ 249 ff. BGB zu berechnen, wenn § 429 HGB zu einem vorteilhafteren Ergebnis führen würde. Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass dem Geschädigten auch bei qualifiziertem Verschulden des Schädigers die Schadensberechnung nach § 429 HGB offensteht.
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3. Der Schaden der KläOLG Köln, Urteil vom 31.01.2012 – 3 U 17/11
Schadenseintritt – Unvermeidbarkeit für Frachtführer
Ein zu fixen Kosten abgeschlossener Speditionsvertrag unterfällt dem Geltungsbereich der CMR (Rn.16).
Der Beweis des ersten Anscheins für den Inhalt einer Sendung greift nicht nur dann ein, wenn die in einem Lieferschein aufgeführten Waren mit einer korrespondierenden Rechnung übereinstimmen. Die Überzeugung von der Richtigkeit des behaupteten Inhaltes kann auch dann gebildet werden, wenn nur eines der beiden Dokumente vorgelegt wird und der Beklagte dagegen keine substantiierten Einwände vorbringt (Rn.18).
Unvermeidbarkeit im Sinne des Art. 17 Abs. 2 CMR ist nur anzunehmen, wenn der Frachtführer darlegt und gegebenenfalls beweist, dass der Schaden auch bei Anwendung der äußersten, ihm möglichen und zumutbaren Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können. Welche Sicherheitsvorkehrungen der Transportunternehmer zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung, das ihm anvertraute Gut während der Beförderung vor Diebstahl und Raub zu bewahren, ergreifen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Je größer die mit der Güterbeförderung verbundenen Risiken sind, desto höhere Anforderungen sind an die zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen zu stellen. Von erheblicher Bedeutung ist insbesondere, ob das transportierte Gut leicht verwertbar und damit besonders diebstahlsgefährdet ist, welchen Wert es hat, ob dem Frachtführer die besondere Gefahrenlage bekannt sein musste und welche konkreten Möglichkeiten einer gesicherten Fahrtunterbrechung es gegeben hat (Rn.23).
Dass der Fahrer den Lkw nachts auf einem unbewachten Rastplatz in Italien abstellte, um in diesem zu übernachten, stellt kein leichtfertiges Verhalten dar (Rn. 37).
gerin beträgt 15.133,– DM.
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a) Die Kammer hat § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB dahingehend ausgelegt, dass der Wert des Gutes dem in der Rechnung an den Käufer enthaltenen Kaufpreis, also nicht dem Einkaufspreis entspricht. Dies ist nicht zu beanstanden (vgl. BGH NJW-RR 1993, 1371 zu § 140 VVG; Koller § 429 HGB Rn. 5, 13).
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b) Das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. N hat ergeben, dass ein Totalschaden vorliegt, weil eine Reparatur der Möbel in Anbetracht der hiermit verbundenen Kosten und der zu erwartenden Verkaufspreise unwirtschaftlich wäre und dass ein Restwert nicht vorhanden ist.
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c) Von dem in der Rechnung ausgewiesenen Kaufpreis sind die kalkulatorischen Beförderungskosten in Abzug zu bringen.
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aa) Die von der Klägerin gestellte Rechnung weist zwar expressiv verbis keine Beförderungskosten aus. Der Klägervertreter hat aber darauf hingewiesen, dass es sich bei den Verkaufspreisen um Festpreise handele und die Beförderung an den Käufer als „Serviceleistung“ nicht in Rechnung gestellt werde. Dies bedeutet, dass die durchschnittlichen Beförderungskosten in die Kalkulation der Verkaufspreise eingeflossen sind.
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bb) Gemäß § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB wird vermutet, dass der in der Rechnung des Verkäufers ausgewiesene Kaufpreis abzüglich darin enthaltener Beförderungskosten den Marktpreis darstellt. Hierdurch soll die Handhabbarkeit der Regelung erleichtert (vgl. die Begründung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu § 429, Drucksache 13/10014 S. 48), aber nicht der sich aus § 429 Abs. 1 HGB ergebende Grundsatz geändert werden, dass der Wert des Guts am Ort der Übernahme zur Beförderung zu ersetzen ist. Da der Wert die Frachtkosten nicht enthalten darf, ist bei der Vereinbarung von FOB- oder CIF-Klauseln ein fiktiver „ab Werks“-Preis zu bilden (vgl. Koller § 429 HGB Rn. 4, 14; MüKo HGB/Basedow Art. 23 CMR Rn. 12).
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Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall dadurch, dass die Höhe der Verkaufspreise nicht davon abhängig sind, ob sich der einzelne Käufer die Ware anliefern läßt, derselbe Preis also auch dann verlangt wird, wenn die Möbel am Verkaufsort abgeholt werden. Die Preise stellen deshalb den gewöhnlichen Verkaufswert am Versandort dar (vgl. MüKoHGB/Basedow Art. 23 CMR Rn. 8). Dies beruht aber auf der Entscheidung der Klägerin, die durchschnittlich anfallenden Versandkosten in die Verkaufspreise mit einzukalkulieren und damit den Versand als gleichsam kostenlose Serviceleistung darzustellen. Aus Sicht des beklagten Frachtführers kann eine solche Entscheidung nicht zur Folge haben, das der Schaden höher als bei einem Händler ist, der die Möbel zu einem niedrigeren Grundpreis anbietet und dem Kunden die Frachtkosten gesondert in Rechnung stellt.
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Selbst wenn, was die Klägerin nicht behauptet hat, sämtliche Möbelhäuser, die die streitgegenständlichen Möbel vertreiben, dieselbe Geschäftspolitik verfolgen und die Beförderungskosten in den Verkaufspreis miteinkalkulieren, kann eine solche „Branchenentscheidung“ nicht zur Erhöhung des Marktpreises im Sinne des § 429 Abs. 3 Satz 1 HGB führen.
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cc) Der Senat schätzt den kalkulatorischen Frachtkostenanteil gemäß § 287 ZPO auf 300,– DM.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.