Zur Frage der Erstattungsfähigkeit der im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren angefallenen Anwaltskosten

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.05.2006 – 14 E 252/06

1. Das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs 6 VwGO ist kein Vorverfahren im Sinne des § 162 Abs 2 Satz 2 VwGO, für das die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt werden kann.

2. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, dass Kosten zu erstatten sind, die einem Beteiligten durch eine Antragstellung oder im Verwaltungsverfahren bei der Ausgangsbehörde entstanden sind.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf einen Betrag bis zu 300,- Euro festgesetzt.

Gründe
1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2
Aus den Schriftsätzen der Antragstellerin vom 19. Dezember 2005 und 13. Februar 2006 folgt, dass ihr Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, dahin zu werten ist, dass sie nicht die Bevollmächtigung ihres Verfahrensbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren i.S. der §§ 68 ff. VwGO meint. Vielmehr sieht sie hier als Vorverfahren i.S. des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO den Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 6 VwGO zu dem nachfolgenden gerichtlichen Aussetzungsverfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO an. Für die Erstattung der bei Stellung des Aussetzungsantrags nach § 80 Abs. 6 VwGO entstandenen Anwaltskosten ist allerdings nach den gesetzlichen Regelungen kein Raum. Vorverfahren i.S. des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist nur das als Sachurteilsvoraussetzung anzusehende Widerspruchsverfahren, das vor Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erfolglos durchgeführt worden sein muss. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 162 Abs. 1 VwGO sowie dem Sinn und Zweck dieser Regelung. Die Kosten des Vorverfahrens sind als „Aufwendungen“ zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in die Gesamtkosten des Verfahrens einbezogen. Es handelt sich hierbei um Kosten im Vorstadium und zur Vorbereitung des Klageverfahrens. Dazu zählen die Kosten nicht, die im Zusammenhang mit der Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 6 VwGO entstehen. Soweit sich die Antragstellerin auf den Beschluss des 10. Senats dieses Gerichts vom 18. Mai 1972 – 10 B 100/72 -, OVGE 28, 31, bezieht, berührt die genannte Entscheidung nicht den vorliegenden Sachverhalt. Der 10. Senat hat entschieden, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren mit der Folge der Erstattungsfähigkeit der hierdurch entstandenen Kosten durch das Gericht auch dann für notwendig erklärt werden kann, wenn sich dem Vorverfahren nur ein gerichtliches Aussetzungsverfahren, nicht auch ein Klageverfahren angeschlossen hat. Diese Entscheidung, die im Übrigen überwiegend auf Ablehnung gestoßen ist,

3
vgl. OVG Münster, Beschluss vom 29. März 1973 – 14 B 746/72 -, NJW 1973, 1471; Beschluss vom 6. September 2001, – 21 E 626/01 -, NVwZ-RR 2002, 317; VGH Kassel, Beschluss vom 27. Juli 1998 – 4 TJ 315/98 -, NVwZ-RR 1999, 346; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. September 2000 – 2 S 2012/00 – VBl BW 2001, 111,

4
betrifft nicht das vorliegende Begehren der Antragstellerin. Dieser geht es – wie ausgeführt wurde -, um die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten für die Stellung des Aussetzungsantrages nach § 80 Abs. 6 VwGO.

5
Für eine analoge Anwendung des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO auf Fälle des behördlichen Aussetzungsverfahrens gemäß § 80 Abs. 6 VwGO ist mangels einer Regelungslücke kein Raum. Der Gesetzgeber hat nur die Erstattung der Kosten für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 68 ff VwGO geregelt. Dieser Bestimmung lässt sich kein Anhalt dafür entnehmen, dass sie auf weitere, einem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltete Verfahrensstufen auszudehnen ist. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, dass Kosten zu erstatten sind, die einem Beteiligten durch eine Antragstellung oder im Verwaltungsverfahren bei der Ausgangsbehörde entstanden sind.

6
Auch aus der Neuregelung der Gebührentatbestände im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG – lässt sich nicht herleiten, dass § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO auf das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 6 VwGO anzuwenden ist. Nach früherem Recht (vgl. § 119 Abs. 3 BRAGO) war das Verwaltungsverfahren auf Aussetzung der Vollziehung oder auf Beseitigung der aufschiebenden oder hemmenden Wirkung u.a. zusammen mit dem Verwaltungsverfahren, das dem Rechtsstreit voran geht und der Nachprüfung des Verwaltungsakts dient (Vorverfahren), eine Angelegenheit. Nunmehr bestimmt § 17 Nr. 1 RVG zwar u.a., dass das Verwaltungsverfahren, das einem gerichtlichen Verfahren vorausgehende und der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende weitere Verwaltungsverfahren und das Verwaltungsverfahren auf Aussetzung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung jeweils verschiedene Angelegenheiten sind. Aus dieser Aufspaltung in verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten lässt sich aber nicht folgern, dass ein seinem bevollmächtigten Rechtsanwalt gebührenpflichtiger Antragsteller die jeweils entstandene Gebühr auch von einem unterlegenen Gegner erstattet verlangen kann. Ein solch weitreichender Regelungsgehalt lässt sich § 17 Nr. 1 RVG nicht entnehmen. Wie bereits ausgeführt, gibt es keinen Grundsatz, dass die einem Beteiligten in einem Verwaltungsverfahren entstandenen (Anwalts-)Kosten von der unterlegenen Behörde zu erstatten sind.

7
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

8
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG.

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