OLG München, Urteil vom 26.01.2011 – 7 U 3426/10
1. Wird der Transporteur von Mobiltelefonen im Rahmen der Auftragserteilung aufgrund eines „on hold“ Vermerks verpflichtet sicherzustellen, dass die Auslieferung der Transportgüter an den Empfänger erst nach entsprechender Einwilligung bzw. Freigabe durch den Versender erfolgt, ist er zum Schadensersatz ohne Haftungsbegrenzung nach § 435 HGB verpflichtet, wenn durch leichtfertiges eigenes bzw. ihm zuzurechnendes Verhalten eingeschalteter Dritter die Ware an den Empfänger übergeben wird und dieser nach Erhalt untergetaucht ist.
2. Ein Mitverschulden muss sich der Versender in Höhe von 1/3 anrechnen lassen, wenn er auf den im Verhältnis zum Beförderungsgewicht besondere hohen Wert der Ware nicht hingewiesen hat.
3. Das Montrealer Übereinkommen über die Beförderung im internationalen Luftverkehr ist nicht anwendbar, wenn der Schaden, hier der Verlust des Transportguts, nicht entstand, während sich das Gut in der Obhut des Luftfrachtführers befand und sich auch nicht im Bereich der „Hilfsbeförderung“ ereignete.
Leitsätze des Gerichts
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 31.05.2010, Az. 15 HKO 11324/09, dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 41.806,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.07.2009 zu bezahlen sowie die Klägerin von Ansprüchen der Sozietät H., S., N., in Höhe von 1.530,58 Euro freizustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 2/3, die Klägerin 1/3. Von den außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenientin trägt die Klägerin 1/3, im Übrigen trägt die Nebenintervenientin ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, falls nicht die Gegenseite vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin, die Transportversicherung der Firma Handelsagentur Gerhard W. GmbH, macht aus übergegangenem sowie aus abgetretenem Recht Ansprüche gegen die Beklagte aus einem Warentransport nach Dänemark im Oktober 2004 geltend.
Die Versicherungsnehmerin der Klägerin beauftrage die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Firma Spedition Hä. GmbH & Co. KG in P., mit dem Transport von zwei Kisten Handys von München nach Kopenhagen zur Firma He. Service. Die Auftragserteilung erfolgte durch die Übersendung der Lieferscheine der Firma W. an die Spedition Hä. GmbH und Co. KG. Auf dem Lieferschein wurde ausdrücklich handschriftlich und hervorgehoben ein „on hold“ Vermerk angebracht (vgl. Anlage K 1). Die Beauftragung der Firma Spedition Hä. GmbH und Co. KG erfolgte zu festen Kosten (vgl. Anlage K 2).
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten ließ die Ware mit dem Luftfrachtführer SAS von München nach Kopenhagen verfliegen. Zum Inhalt der Air Waybill wird auf Anlage K 4 verwiesen. Nach Ankunft der Transportgüter in Kopenhagen wurden diese dem dänischen Subunternehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten der Firma Wi. Freight Systems (im Folgenden: Firma Wi.) übergeben. Letztere händigte die Fracht dem Empfänger aus, ohne die vorbezeichnete „on hold“ Anweisung der Versicherungsnehmerin der Klägerin zu beachten. Der Empfänger der Ware ist nach deren Erhalt untergetaucht und bis heute verschwunden, so dass die Versicherungsnehmerin der Klägerin einen Verlustschaden in Höhe des der Empfängerin in Rechnung gestellten Betrags von insgesamt 69.709,00 Euro abzüglich der vom Empfänger geleisteten Anzahlung in Höhe von 7.000,00 Euro erlitten hat (vgl. Anlage K 3).
Mit Schreiben vom 23.11.2004 machte die Firma W. die Rechtsvorgängerin der Beklagten für den Verlustschaden haftbar (vgl. Anlage K 7). Sie forderte mit Übersendung der Schadensrechnung vom 26.04.2005 die Rechtsvorgängerin der Beklagten zur Zahlung des Verlustschadens in Höhe der Klageforderung auf.
Die Klägerin regulierte den Verlustschaden gegenüber ihrer Versicherungsnehmerin und macht nunmehr aus eigenem und abgetretenem Recht den Schaden gegenüber der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der Vertragspartnerin der Versicherungsnehmerin geltend. Die Rechtsnachfolge ist darauf zurückzuführen, dass durch den Austritt der persönlich haftenden Gesellschafterin der Firma Hä. GmbH & Co. KG, nämlich der Firma Hä. Verwaltungs GmbH, die Gesellschaft am 08.06.2005 erloschen ist und ihr Vermögen auf die einzige Kommanditistin, die Firma Hä. Service Company AG, übergegangen ist. Aufgrund Verschmelzungsvertrags vom 03.05.2006 wurde die Hä. Service Company AG auf die Beklagte übertragen. Die Verschmelzung wurde am 28.11.2006 ins Handelsregister eingetragen.
Die Versicherungsmaklerin der Firma Hä. GmbH & Co. KG war bis 01.03.2005 die Aktiv Assekuranz M. GmbH. Dieser verkündete die Klagepartei mit Schriftsatz vom 01.10.2009 den Streit. Sie trat auf Seiten der Beklagtenpartei dem Rechtsstreit bei.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte ihr gegenüber wegen der nicht eingehaltenen „on hold“ Vereinbarung auf den vollen Schadensersatz des Werts der Handys, da die Voraussetzungen eines qualifizierten Verschuldens vorlägen. Schadensverursachend sei gewesen, dass die Firma Wi. die Ware an den Empfänger ausgehändigt habe, ohne dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Beachtung der „on hold“ Vereinbarung ausreichend gegenüber der Firma Wi. kommuniziert habe. Ihre Forderungen seien nicht verjährt, da sich die Beklagte die Verjährungsverzichtserklärungen (vgl. Anlagen K 15) der Nebenintervenientin zurechnen lassen müsse. Es sei treuwidrig, wenn sich die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf beriefe, dass die für die Firma Hä. GmbH & Co. KG abgegebenen Verjährungsverzichtserklärungen nach der Verschmelzung keine Bindungswirkung für die Beklagte entfalten würden. Die Beklagte hafte vielmehr nach Rechtsscheingrundsätzen und nach den Grundsätzen der Unternehmensverschmelzung.
Die Klägerin beantragte in 1. Instanz:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 62.709,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2005 zu bezahlen sowie die Klägerin von Ansprüchen der Sozietät H. S. N., in Höhe von 1.761,08 Euro freizuhalten.
Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragten in 1. Instanz
Klageabweisung.
Die Beklagte und Nebenintervenientin, die auch die Schadenshöhe bestreiten, wenden ein, der Anspruch sei wegen Nichteinhaltens der Ausschlussfrist des Montrealer Übereinkommens erloschen. Es handele sich um einen Lufttransport, auf den die Regelungen des Montrealer Übereinkommens anzuwenden seien und mithin auch die Ausschlussfrist des Art. 35 Abs. 1 MÜ. Die SAS als Luftfrachtführerin habe den „on hold“ Vermerk nicht beachtet, als sie die Luftfracht ohne vorherige Freigabeerklärung an die Firma Wi. übergab. Dieses Fehlverhalten habe die SAS auch in der vorgelegten Korrespondenz eingeräumt (vgl. Anlage B 1). Die Versicherungsnehmerin der Klägerin träfe zudem ein erhebliches Mitverschulden, da sie den hohen Warenwert gegenüber dem Transporteur nicht kommuniziert habe. In jedem Fall seien Ansprüche gegen die jetzige Beklagte verjährt, da die bis zur Klageerhebung durchgängig vierteljährlich von der Nebenintervenientin abgegebenen Verjährungsverzichtserklärungen die Beklagte nicht zu binden vermochten. Die Firma Hä. GmbH & Co. KG sei durch Verschmelzung mit der jetzigen Beklagten erloschen, die Nebenintervenientin, bei der die Firma Hä. GmbH & Co. KG ihren Versicherungsschutz seit 01.07.2005 nicht mehr eingedeckt hätte, habe keine wirksamen Erklärungen für die Beklagte abgegeben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass Ansprüche der Klagepartei gegenüber der Beklagten verjährt seien. Es ging dabei von der dreijährigen Verjährungsfrist des § 439 Abs. 3 HGB aus und kam zu dem Ergebnis, dass spätestens mit Schreiben der Streithelferin vom 15.07.2005, in dem die Ansprüche gegen die Firma Hä. GmbH & Co. KG zurückgewiesen wurden, die Verjährungsfrist zu laufen begonnen habe und damit spätestens am 16.07.2008 die Ansprüche verjährt seien. Nachdem die Klage am 19.06.2009 bei Gericht eingegangen sei, sei Verjährung eingetreten. Das Landgericht führte weiter aus, dass die in 3-Monatsabständen durch die Nebenintervenientin ausdrücklich für die Firma Hä. GmbH & Co. KG abgegebenen Verjährungsverzichtserklärungen eine Hemmung der Verjährung nicht haben bewirken können, da die Nebenintervenientin ohne Vollmacht der Beklagten gehandelt habe, auch die Voraussetzungen einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht lägen nicht vor. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der nunmehrige Prozessvertreter der Beklagten die Verjährungsverzichtserklärungen für die Nebenintervenientin abgegeben habe, könne der Beklagten das Berufen auf die Verjährung nicht als rechtsmissbräuchlich vorgeworfen werden.
Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin , die ihren Anspruch weiterverfolgt und auf den gesamten Vortrag in erster Instanz verweist. Sie ist der Auffassung, dass Verjährung nicht eingetreten sei. Der Beklagten seien die Verjährungsverzichtserklärungen der Nebenintervenientin zuzurechnen. Der streitgegenständliche Schadensfall datiere vom Oktober/November 2004, in diesem Zeitraum sei die Nebenintervenientin unstreitig Vertreter der Verkehrshaftungsversicherer der Rechtsvorgängerin der Beklagten gewesen. Es könne daher dahingestellt bleiben, wer in der Folgezeit Vertreter der Versicherung geworden sei.
Die Klägerin beantragt:
das Urteil des Landgerichts München I zum Aktenzeichen 15 HK O 11324/09 vom 31.05.2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 62.709,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2005 zu bezahlen sowie die Klägerin von Ansprüchen der Sozietät H. S. N., in Höhe von 1.761,08 Euro freizustellen.
Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen:
Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Sie halten das landgerichtliche Urteil für zutreffend, insbesondere die Ausführungen bezüglich der Verjährung. Sie sind zudem der Auffassung, dass nach dem anzuwendenden Montrealer Übereinkommen die Ausschlussfrist des Art. 35 Abs. 1 MÜ greife.
Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Berufungsbegründung der Klägerin, die Berufungserwiderungen der Beklagten und der Nebenintervenientin sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen in erster Instanz und im Berufungsverfahren verwiesen. Die Parteien haben im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 15.12.2010 einen widerruflichen Vergleich geschlossen (vgl. Bl. 114 d.A.). Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 20.12.2010 den Vergleich widerrufen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin erweist sich als zum Teil begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 453, 459, 425, 435 HGB zu, der jedoch aufgrund des Mitverschuldens gem. §§ 452 Abs. 2 HGB, 254 Abs. 2 BGB um 1/3 zu kürzen ist.
1. Auf das Vertragsverhältnis zwischen der Versicherungsnehmerin der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten ist gem. Art. 28 Abs. 4 EGBGB deutsches Recht anzuwenden. Eine Rechtswahl haben die Vertragsparteien nicht getroffen. Da es sich um einen Güterbeförderungsvertrag handelt, der Beförderer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seine Hauptniederlassung in Deutschland hatte und sich hier auch der Verladeort und die Hauptniederlassung des Absenders befindet, spricht die Vermutung dafür, dass mit Deutschland die engsten Verbindungen bestehen, mithin deutsches Recht zur Anwendung kommt. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht zu widerlegen vermocht. Insbesondere kann sie nicht unter Berufung darauf, dass die in Dänemark ansässige Firma Wi. die Ware an den Empfänger ausgehändigt hat, die Anwendung der nationalen dänischen Spediteurbedingungen (NSAB) für sich reklamieren. Es kommt auf das Vertragsverhältnis in seiner Gesamtheit an.
2. Unstreitig kam zwischen der Versicherungsnehmerin und der Firma Hä. GmbH & Co. KG ein Vertrag über den Transport von zwei Kisten mit 379 Stück Handys und einem Gewicht von 255 kg von München nach Kopenhagen zustande, der als Empfänger der Ware die Firma He. Service E. in H. ausweist (vgl. Anlage K 1), §§ 459, 453 HGB. Ausdrücklich erfolgte die Auftragserteilung mit dem Hinweis auf „on hold“. Damit war die Rechtsvorgängerin der Beklagten verpflichtet sicherzustellen, dass eine Auslieferung der streitgegenständlichen Transportgüter an den Empfänger, die Firma He. Service E., erst nach entsprechender Einwilligung bzw. Freigabe durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin erfolgt. Diese Pflicht hat die Rechtsvorgängerin durch eigenes und ihr zurechenbares Verhalten der Firma Wi. verletzt als diese die Ware ohne Beachtung des „on hold“ Vermerks dem Empfänger aushändigte. Das hat den Verlust des Transportgutes herbeigeführt, da der Empfänger nach dessen Erhalt untergetaucht und bis heute verschwunden ist.
Der Anspruch ist bei dieser Sachlage ein Anspruch wegen Verlustes der Ware, der sich ausschließlich nach §§ 425 ff. HGB richtet. Maßgeblich für diese rechtliche Beurteilung ist, dass die Auslieferung des beförderten Gutes an den berechtigten Empfänger Hauptleistung des Frachtführers ist und die Nichterfüllung dieser Verpflichtung den Tatbestand des Verlustes im Sinne des § 425 HGB ausfüllt (BGH NJW 1982, 1944; BGH Urteil v. 27.10.78 – I ZR 30/77 NJW 1979, 2473 = MDR 1979, 470 = VersR 1979, 276 = DB 1979, 1178; v. 13.7.1979 – I ZR 108/77 VersR 1979, 1154; Koller, Transportrecht, 7. Auflage, § 422 Rdnr. 26 m.w.N.). Der Verlust des beförderten Gutes ist eingetreten, weil die Rechtsvorgängerin der Beklagten bzw. die von ihr mit der Beförderung beauftragten Personen entgegen der Weisung der Versicherungsnehmerin der Klägerin dieses nicht angehalten, sondern an den bezeichneten Empfänger ausgeliefert haben, der angesichts der Weisung noch nicht empfangsberechtigt war.
2. Entgegen der Auffassung der Beklagten beurteilt sich die Haftung für den Verlust der Ware nicht nach den Vorschriften des Montrealer Übereinkommens, der Art. 1, 18 Abs. 1, 35 MÜ. Es ist zwar zutreffend, dass die Ware von München nach Kopenhagen durch die SAS per Luftfracht transportiert wurde. Da der Schaden, hier der Verlust des Transportgutes, aber nicht entstand, während sich das Gut in der Obhut des Luftfrachtführers befand und sich auch nicht im Bereich der „Hilfsbeförderung“ ereignete, kommt eine Anwendung des Montrealer Übereinkommens nicht in Betracht, sondern greifen die Normen der §§ 452 ff. HGB.
Nach Art. 18 Abs. 1 MÜ hat der Luftfrachtführer grds. den Schaden zu ersetzen, der durch Verlust von Gütern entsteht, jedoch nur, wenn das Ereignis, durch das der Schaden verursacht wurde, während der Luftbeförderung eingetreten ist. Dabei konkretisiert Abs. 3 der Norm den Zeitraum der Luftbeförderung dahingehend, dass das Schadensereignis, während sich das Gut in der Obhut des Luftfrachtführers befand, eingetreten sein muss. Art. 18 Abs. 4 S. 2 MÜ dehnt die Haftung des Luftfrachtführers auf Land- oder Schiffstransporte außerhalb des Flughafens aus, wenn mit dem Beförderer ein einheitlicher, die Luft- und Hilfsbeförderung umfassender Vertrag geschlossen worden ist, der alle Elemente eines internationalen Luftfrachtvertrages i.S.d. Art. 1 MÜ enthält. Auch wenn man im vorliegenden Fall davon ausgeht, dass zwischen den Vertragsparteien ein solcher einheitlicher, die Luft- und Hilfsbeförderung umfassender Vertrag geschlossen wurde, hat die Luftbeförderung und damit die Haftung des Luftfrachtführers mit der Auslieferung der Ware an die Firma Wi. ein Ende genommen. Damit war das Transportgut dem Macht- und Einflussbereich des Luftfrachtführers entzogen. Ausweislich des als Anlage K 4 vorgelegten Luftfrachtbriefs hatte der Luftfrachtführer die Auslieferung des Transportgutes an die Firma Wi. vorzunehmen. Dies hat die Luftfrachtführerin unstreitig getan.
Entgegen der Auffassung der Beklagten trat der vorliegende Schaden nicht bereits durch die Auslieferung der Ware an die Firma Wi., sondern erst dadurch ein, dass letztere die Ware an den Empfänger aushändigte. Daran ändert auch die Tatsache, dass die Luftfrachtführerin ein Versäumnis ihrerseits einräumte, nichts (vgl. Anlage B 1). Im vorliegenden Fall ist aufgrund der nachfolgend dargestellten besonderen Umstände nicht das Verhalten der Luftfrachtführerin, nämlich die Auslieferung der Ware an die Firma Wi. ohne Beachtung der „on hold“ Anweisung, schadensursächlich. Maßgeblich ist vielmehr das Gesamtverhalten der Rechtsvorgängerin der Beklagten sowie der Firma Wi. im Zusammenhang mit der Aushändigung an den Empfänger.
Wie sich aus der als Anlage K 6 vorgelegten email-Korrespondenz zwischen Mitarbeitern der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Firma Wi. ergibt, hatte die Firma Wi. Kenntnis von der „on hold“ Anweisung der Versicherungsnehmerin der Klägerin und bat um Freigabe der Auslieferung (vgl. email vom 29.10.2004). Diese Anfrage beantwortete die Rechtsvorgängerin der Beklagten nur teilweise, indem sie die lediglich den Inhalt der Sendung – nämlich Handys – bestätigte. Auf eine weitere Nachfrage der Firma Wi. per email vom 01.11.2004 bezüglich des streitgegenständlichen Transports, ob dieser „on hold“ sei, erfolgte mit mail vom 02.11.2004 ebenfalls keine eindeutige Antwort der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Dennoch hat die Firma Wi. am 08.11.2004 ausweislich der Anlage K 5 („Frachtbrev“) die Ware an He. Service ausgehändigt.
Dieses schadensverursachende Verhalten der Rechtsvorgängerin der Beklagten sowie der von ihr beauftragten Firma Wi. ist als leichtfertig im Sinne des § 435 HGB zu qualifizieren. Der Rechtsvorgängerin der Beklagten war aufgrund des „on hold“ Vermerks bewusst, und sie hat sich auch dazu verpflichtet, dass eine Auslieferung der Waren an den Kunden/Empfänger erst nach Freigabe durch die Versenderin erfolgen dürfe. Sie wusste daher um die besonderen Sicherheitsinteressen, denen die Versenderin durch den „on hold“ Vermerk ausdrücklich Nachdruck verliehen hatte. Diese Pflicht hat sie leichtfertig vor allem dadurch missachtet, dass sie die Nachfrage der Firma Wi. zum einen nicht zum Anlass nahm, die Freigabe der Ware bei der Versenderin einzuholen, und zum anderen der Firma Wilson gegenüber keine klaren Anweisungen gab. Die Firma Wi. ihrerseits hat die Ware ausgehändigt ohne eine ausdrückliche Freigabeerklärung der Rechtsvorgängerin der Beklagten erhalten zu haben. Dieses Verhalten muss sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten gem. § 278 BGB zurechnen lassen. Dieses Gesamtverhalten stellt einen so gravierenden Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten dar, dass von einem leichtfertigen Verhalten auszugehen ist. Die Frachtführerin und die von ihm eingesetzte Hilfsperson waren sich bewusst, dass ein Schaden eintreten kann. Wird die Ware – hier international nachgefragte, schnell und leicht weiterzuverkaufende Gegenstände – an einen Empfänger, der sie erst nach vollständiger Bezahlung erhalten soll, vorab ausgehändigt, liegt es auf der Hand, dass die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Verkäuferin/Versenderin mit der Zahlung des Kaufpreises ausfällt und ihr nicht unerheblicher Schaden entsteht. Hinzu kommt, dass der Adressat über keine originäre Firmenanschrift verfügte, sondern lediglich eine c/o Adresse angab. Gerade diesen Ausfallschaden soll die „on hold“ Vereinbarung verhindern, dies war der Frachtführerin ebenso bewusst, wie auch der Firma Wi.
Die Beklagte ist daher als Rechtsnachfolgerin der Frachtführerin grundsätzlich zum Schadensersatz ohne Haftungsbegrenzung nach § 435 HGB verpflichtet.
3. Der Senat hat keine Zweifel an der Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Schadens. Anhaltspunkte dafür, dass die in der vorgelegten Rechnung (vgl. Anlage K 3) dargestellten Einzelpreise für die Handys nicht zutreffen bestehen nicht. Substantiierte Einwendungen haben die Beklagte und die Nebenintervenientin hiergegen nicht vorgebracht. Ebensowenig gibt es Anlass zu zweifeln, dass die dort aufgelisteten Handys identisch sind mit dem im Lieferschein ausgewiesenen Frachtgut und sich auch tatsächlich in den beiden zur Versendung übergebenen Kisten befanden (vgl. Anlagen K 1, K 2, K 3, K 5).
4. Der Senat sieht jedoch ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin der Klägerin als vorliegend gegeben an, das den Ersatzanspruch der Klägerin um 1/3 mindert, § 452 Abs. 2 HGB (vgl. Urteil des Senats vom 18.08.2010, Az: 7 U 2114/10).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa BGHZ 149, 337, 353; BGH TranspR 2003, 317, 318; TranspR 2005, 311, 314; NJW-RR 2008, 347, 349) begründet das Unterlassen eines Hinweises auf den Wert der Warensendung und auf den dadurch für den Fall des Verlustes drohenden ungewöhnlich hohen Schaden (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) auch im Fall der qualifizierten Haftung nach § 435 HGB ein Mitverschulden. Ob ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, lässt sich zwar nicht in einem bestimmten Betrag oder in einer bestimmten Wertrelation angeben, sondern kann nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden, wobei maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen und zu berücksichtigen ist, welche Höhe Schäden erfahrungsgemäß, also nicht nur selten erreichen. Maßgeblich ist also, in welcher Höhe der Schädiger, soweit für ihn die Möglichkeit einer vertraglichen Disposition besteht, Haftungsrisiken einerseits vertraglich eingeht und andererseits von vornherein auszuschließen bemüht ist.
Der Bundesgerichtshof (etwa BGH NJW-RR 2006, 1108, 1110; 2008, 347, 349; MDR 2010, 510) hat in vergleichbaren Fällen die Gefahr eines besonders hohen Schadens angenommen, wenn der Wert der Sendung den zehnfachen Betrag der Haftungshöchstgrenze gemäß den Beförderungsbedingungen der Beklagten übersteigt. Dieser Betrag ist, bei einem Warennettogewicht von 255 kg (vgl. Anlagen K 1, K 2, K 4), auch bei einem Zugrundelegen der gesetzlichen Regelhaftung nach § 431 Abs. 1 HGB, im vorliegenden Fall mit 69.709,00 Euro Warenwert deutlich überschritten. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin hat unstreitig auf den hohen Wert der Ware nicht hingewiesen. Aus dem vorgelegten Lieferscheinen (vgl. Anlage K 1) ergibt sich zwar, dass und welche Handys versandt werden sollten, einen zwingenden Rückschluss auf den besonders hohen Wert der Warensendung, hier einen Durchschnittsbetrag pro Handy von ca. 184,00 Euro, konnte daraus jedoch nicht gezogen werden.
Nach §§ 452 Satz 1, 425 Abs. 2 HGB hängt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verhalten des Absenders oder des Empfängers mitwirkt, die Verpflichtung zum Umfang des zu leistenden Ersatzes davon ab, inwieweit diese Umstände zu dem Schaden beigetragen haben. Der Senat schätzt den Mitverschuldensanteil auf 1/3 und lässt sich dabei von folgenden Überlegungen leiten:
Zwar begründet, wie der Bundesgerichtshof (etwa in: TranspR 2008, 30, 33; 113, 117; 362, 364/365; 397, 399) mehrfach entschieden hat, die unterbliebene Deklaration eines besonders hohen Warenwertes ein erhebliches Mitverschulden, das mit mindestens 50 % anzusetzen ist und bis hin zum Ausschluss der Haftung führen kann. Zu berücksichtigen ist neben dem qualifizierten Verschulden der Rechtsvorgängerin der Beklagten jedoch im vorliegenden Fall auch, dass bei der Beförderung des Frachtguts hier die „on hold“ Anweisung zu beachten war und sich hieraus dem Beförderer aufdrängen musste, dass Waren von nicht nur geringem Wert transportiert werden. Zudem wusste der Beförderer aus den dem Vertragsschluss zu Grunde liegenden Lieferscheinen, dass und welche Art von Handys zum Transport gegeben wurden. Dies rechtfertigt es, den Mitverschuldensanteil mit lediglich 1/3 anzunehmen.
5. Die Ansprüche der Klägerin sind entgegen der Auffassung der Beklagten und der Nebenintervenientin nicht verjährt. Dem Landgericht ist insofern zuzustimmen, als aufgrund des qualifizierten Verschuldens die dreijährige Verjährungsfrist gem. § 439 Abs. 1 S. 2 HGB gilt. Grundsätzlich ist es auch richtig, den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist mit Schreiben der Streithelferin vom 15.07.2005, in dem die Ansprüche gegen die Firma Hä. GmbH & Co. KG zurückgewiesen wurde, anzusetzen. Damit wären die Ansprüche am 16.07.2008 verjährt und, da Klage erst am 19.06.2009 erhoben wurde, Verjährung zu diesem Zeitpunkt bereits eingetreten.
Die Verjährung war jedoch durch die Verjährungsverzichtserklärungen, die die Nebenintervenientin in 3-Monatsabständen abgegeben hat, gehemmt. Unstreitig hat die Nebenintervenientin lückenlos, zuletzt durch Erklärung vom 31.03.2009 (vgl. Anlage K 14) mit Wirkung bis 22.07.2009, Verjährungsverzichtserklärungen für die Versicherungsnehmerin, die Hä. Service Company AG Co. KgaA und die Hä. GmbH & Co. KG, abgegeben.
Diese Erklärungen wirken auch für und gegen die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Firma Hä. GmbH & Co. KG. Der vorliegend streitgegenständliche Schadensfall datiert vom Oktober/November 2004. In diesem Zeitraum war die Nebenintervenientin unstreitig Vertreterin der Verkehrshaftungsversicherer der Hä. GmbH & Co., KG und mit der Schadensbearbeitung und -abwickung beauftragt. Dies ergibt sich auch aus der vorgelegten Korrespondenz zwischen der Nebenintervenientin und dem Klägervertreter (vgl. Anlagen B 3).
Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Erklärungen der Nebenintervenientin bereits deshalb nicht bindend sein konnten, weil ab dem 01.07.2005 die Rechtsvorgängerin der Beklagten ihre Versicherungen nicht mehr über die Nebenintervenientin eingedeckt habe. Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte die Nebenintervenientin nicht nur solange wirksam Fristverlängerungserklärungen für ihre Kundin, die Firma Hä. GmbH & Co. KG abgeben, wie diese ihre Verkehrshaftungsversicherung über die Nebenintervenientin eingedeckt hatte. Die Nebenintervenientin war vielmehr für die Abwicklung der während der Vertragsdauer eingetretenen Schäden auch weiterhin zuständig. Sie konnte daher rechtswirksame Erklärungen für die versicherte Firma abgeben. Hiervon geht auch die Nebenintervenientin selbst, wie sich aus ihrem Schriftsatz vom 22.10.2009 ergibt, aus.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Nebenintervenientin endet die Vertretungsbefugnis der Nebenintervenientin nicht mit dem Zeitpunkt der „Übernahme“ der Firma Hä. GmbH und Co. KG durch die Beklagte. Der Senat folgt deren Auffassung, dass die von der Nebenintervenientin abgegebenen Erklärungen die Beklagte nicht verpflichten konnten, weil nach Erlöschen bzw. Übernahme der Firma Hä. GmbH und Co. KG die Nebenintervenientin keine wirksamen Erklärungen für diese abgeben konnte, sondern nur noch die Beklagte selbst, nicht.
Die von der Nebenintervenientin abgegebenen Verjährungsverzichtserklärungen sind der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der Firma Hä. GmbH & Co. KG zuzurechnen. Wie die Beklagte als Rechtsnachfolgerin in das zu Grunde liegende Versicherungsverhältnis eingetreten ist, so gilt dies auch für das Rechtsverhältnis zwischen der Nebenintervenientin und der Firma Hä. GmbH & Co. KG. Bis zum Widerruf der Bevollmächtigung durch die Beklagte konnte die Nebenintervenientin wirksam Erklärungen in dem ihr zur Betreuung und Abwicklung übertragenen Schadens- bzw. Versicherungsfall abgeben. Dass die Nebenintervenientin, die unstreitig Kenntnis von der Rechtsnachfolge auf die Beklagte hatte und für die zudem der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Beklagten tätig wurde, der die Fristverlängerungsgesuche unterzeichnete, die Erklärungen (gemäß der Vorlage durch die Klägerin) ausdrücklich (noch) für die ursprüngliche Versicherungsnehmerin, die Hä. GmbH & Co. KG, abgab, führt nicht zur Unwirksamkeit der Erklärungen bzw. dazu, dass die Beklagte hierdurch nicht wirksam verpflichtet worden ist. Die Erklärungen hat die Nebenintervenientin für die von ihr vertretene Versicherungsnehmerin und damit nach Firmenübergang auf die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Firma Hä. GmbH & Co. KG für diese abgegeben. Diese Erklärungen „für den, den es angeht“ muss sich die Beklagte in vollem Umfang zurechnen lassen, § 164 Abs. 1 BGB.
Lediglich ergänzend und der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass angesichts der oben dargestellten besonderen Umstände, nämlich der Personenidentität zwischen dem Beklagtenvertreter und dem Unterzeichner der Verjährungsverzichtserklärungen sowie dessen Kenntnis von der Rechtsnachfolge und damit davon, dass die Firma Hä. GmbH & Co. KG zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärungen bereits erloschen war, ein Berufen auf die Unwirksamkeit der Erklärungen treuwidrig i.S.d. § 242 BGB wäre. Insbesondere kann sich die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, dass es Aufgabe der Klägerin gewesen sei, durch die Vorlage aktueller Handelsregisterauszüge die tatsächlichen Rechtsverhältnisse der Gesellschaft zu überprüfen. Angesichts des Verhaltens der Nebenintervenientin bestand hierzu kein Anlass und damit keine Nachprüfungsobliegenheit.
6. Der Klägerin stehen Verzugszinsen aufgrund der besonderen Umstände erst ab Klageerhebung, d.h. ab Zustellung der Klageschrift am 07.07.2009, zu, §§ 291, 288 BGB. Ein weiterer Verzugszinsschaden steht der Klägerin nicht zu, da Verzug Verschulden voraussetzt. Im vorliegenden Fall fehlt es hieran bei der Beklagten, da es die Beklagte nicht zu vertreten hat, dass mehr als 4 1/2 Jahre nach dem streitgegenständlichen Schadensfall eine gerichtliche Geltendmachung durch die Klägerin erfolgte. Die Klägerin selbst hat durch die über Jahre hinweg eingeforderten Verjährungsverzichtserklärungen eine zügige Schadensregulierung bzw. Feststellung der Zahlungspflicht der Beklagten verhindert. Dem Antrag der Klägerin auf Zahlung von Verzugszinsen ab dem 27.04.2005 war daher nicht zu entsprechen.
7. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
8. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
9. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Inmitten der Entscheidung steht die tatrichterliche Würdigung der besonderen Umstände des vorliegenden Transportvertrags und seine Abwicklung sowie der den Verjährungsverzichtserklärungen zu Grunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse.