Zur Auslegung einer Palettentauschvereinbarung

OLG Frankfurt am Main,  Urteil vom 15. April 2003 – 21 U 72/02

Zur Auslegung einer Palettentauschvereinbarung

Tenor

Das Urteil des Landgerichts Gießen – 2. Zivilkammer– vom 30.8.2002 (Az. 2 O 478/00) wird abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.840,94 €nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 682,06 € seit dem 27.5.2000 sowie Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes aus weiteren 996,41 € seitdem 12.7.2000, aus weiteren 664,27 € seit dem 20.7.2000 und aus weiteren 498,20 € seit dem 28.7.2000 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, an den Kläger 4.904,31€ nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1des DiskontsatzÜberleitungs-Gesetzes seit dem 12.7.2000 zuzahlen.

Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Klageabgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Ziff. 8 EGZPO).

Die gemäß den §§ 511, 517, 520 ZPO zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von Werklohn in Höhe von 2.840,94 € und auf Schadenersatz wegen des Unterlassens der Erstattung von dem Kläger bei den Transporten aufgewendeter Paletten in Höhe von 4.904,31 € zu.

Die Werklohnforderung des Klägers gemäß den Rechnungen vom 25.4., 10.6., 18.6. und 26.6.2000 (Blatt 39 – 42 der Akte) ist nach Grund und Höhe unstreitig (§ 631 Abs. 1 BGB). Sie ist, wie unten dargelegt wird, nicht infolge der von der Beklagten erklärten Aufrechnung mit einer Gegenforderung wegen der Nichtrückgabe von Paletten durch den Kläger erloschen (§ 389 BGB).

Dem Kläger steht ferner ein Anspruch auf Schadenersatz wegen der Nichtrückgabe von insgesamt 872 Euro-Paletten aus dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung zu. Die Beklagte war im Rahmen einer Nebenpflicht aus dem abgeschlossenen Werkvertrag verpflichtet, dem Kläger die Rücknahme einer entsprechenden Anzahl von Euro-Paletten bei der Firma A in O1 bzw. bei der Firma B in O2 zu ermöglichen, nachdem der Kläger im Zuge seiner Transporttätigkeit für die Beklagte insgesamt jeweils mehr Paletten abgeladen als zugeladen hat.

Die Parteien hatten für den Fall, daß ein Palettentausch 1 : 1 nicht möglich sein würde, keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen. In der Auftragsbestätigung des Klägers vom 29.2.2000 (Blatt 21 der Akte) ist vermerkt: “Palettentausch vereinbart“. Dies bedeutet mangels weiterer Abreden grundsätzlich, daß der Fahrer des Klägers bei Beladung des Lkw eine der Ladung entsprechende Anzahl Paletten an der Ladestelle ablädt und bei der Entladestelle eine entsprechende Anzahl Paletten wieder auflädt, so daß die Palettenkonten aller Beteiligten anschließend wieder ausgeglichen sind. Diese grundsätzliche Vereinbarung hat auch der Zeuge Z1 in seiner Vernehmung vor dem Landgericht bestätigt. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, daß ein solcher Tausch 1 : 1 nicht stets durchführbar ist, insbesondere wenn an der Entladestelle keine ausreichende Anzahl leerer Paletten vorhanden ist. Dies kann nicht dazu führen, daß der Fahrer des Klägers nun etwa einen Teil der Ladung auf dem Lkw beläßt, um nicht mehr Paletten abzuladen, als er erhält. Das entspricht ersichtlich auch dem Interesse der Beklagten. Demzufolge konnte die getroffene Vereinbarung entgegen den weiteren Angaben des Zeugen Z1 auch nicht so zu verstehen sein, daß ausschließlich ein Tausch 1 : 1 durchzuführen war. Von „1 : 1“ ist ausdrücklich auch nicht die Rede. Vielmehr ist mangels Eindeutigkeit eine Auslegung der Vereinbarung unter Berücksichtigung der bestehenden Interessenlage vorzunehmen (§§ 133, 157 BGB).

Die Vereinbarung „Palettentausch“ hat in erster Linie die Bedeutung klarzustellen, daß die zum Transport benötigten und bei der angelieferten Ware verbleibenden Paletten nicht als solche zu vergüten sind, sondern grundsätzlich ein Ausgleich im Wege des Tauschs erfolgt und daß bei Beladung im Wege des Tauschs Paletten vor Ort zu belassen sind. Hintergrund dieser üblichen Handhabung ist das Interesse aller Beteiligten, den Transport von Gütern durch den Einsatz austauschbarer Paletten möglichst effizient und kostengünstig zu gestalten.

Eine solche Handhabung hatte eine Verpflichtung des Klägers als Transportunternehmers zur Folge, eigene Paletten darlehensweise zu überlassen und mittels entsprechender Dienstleistungen für die Abwicklung der Tauschvorgänge bei der Beladung und der Entladung zu sorgen. Hierbei handelt es sich um eine grundsätzlich vergütungspflichtige Tätigkeit (§§ 632 Abs. 1, 612 Abs. 1 BGB); die geschuldete Vergütung ist in dem vereinbarten Entgelt enthalten. Dieser Verpflichtung des Transportunternehmens korrespondiert eine Pflicht der Beklagten als Lieferantin, dem Kläger, der mit den übrigen Beteiligten Firma A und Firma B nicht in vertraglichen Beziehungen steht, die reibungslose Durchführung der Tauschmaßnahmen durch entsprechende Abreden mit diesen Unternehmen zu ermöglichen. Sie war demzufolge gehalten, die Unternehmen im Rahmen der mit ihnen bestehenden Vertragsverhältnisse zu verpflichten, dem Kläger jeweils Paletten in entsprechender von ihm für die Durchführung der Transporte eingesetzter Anzahl im Tausch zur Verfügung zu stellen. Nach den Leistungsbeziehungen zwischen den Parteien gibt der Kläger die Paletten jeweils der Beklagten als seiner Auftraggeberin und erhält sie von dieser oder in ihrem Namen zurück. Da ohne den Einsatz eigener Paletten des Klägers die Transporte nicht durchführbar waren, gehörten diese Leistungen mithin grundsätzlich zu den die Beklagte dem Kläger gegenüber treffenden Verpflichtungen.

Etwas anderes, also eine eigene Obliegenheit des Klägers, sich um den Verbleib seiner Paletten selbst zu kümmern, wie die Beklagte es darstellt, hätte ausdrücklich vereinbart werden müssen. In diesem Fall hätte der Kläger an der Lade- und an der Entladestelle jeweils eigene Absprachen mit den Unternehmen A und B treffen müssen. Sofern diese Unternehmen dazu nicht bereit gewesen wären, etwa weil sie ausschließlich Abrechnungen mit den Auftraggebern selbst, denen sie vertraglich verpflichtet waren, vornehmen wollen, hätte er keine Möglichkeit gehabt, eine solche Vereinbarung zu erzwingen. Insbesondere hätte er die für die Beklagte durchzuführenden Transporte keinesfalls gefährden dürfen. Ein Transportunternehmen ist jedoch im Zweifel nicht bereit, das Risiko zu übernehmen, daß der Empfänger keine Tauschpaletten herausgibt. Das war auch der Beklagten erkennbar. Dementsprechend ergibt sich eine solche besondere Vereinbarung auch nicht aus der Aussage des Zeugen Z1, der lediglich selbst davon ausging, die Beklagte werde insoweit keine weitere Verpflichtung treffen. Nach seinen eigenen Angaben hatte der Kläger ihn jedoch bereits Ende März auf die Problematik angesprochen. Er hat selbst nicht gesagt, er habe den Kläger daraufhin ausdrücklich aufgefordert, für die Zukunft bei A und B selbst für einen Ausgleich der Paletten zu sorgen und sich entsprechende Gutschriften ausstellen zu lassen. Dies hätte er aber tun müssen, wenn seine Auffassung zutreffend gewesen wäre. Wie auch die Zeugin Z2 bestätigt hat, hat die Beklagte sich hingegen tatsächlich bereit erklärt, bei B nachzufragen.

Die Verpflichtung der Beklagten, für die Rückgabe einer ausreichenden Anzahl von Paletten an den Kläger zu sorgen, bestand auch für die von den Fahrern bei der Beladung in O1 jeweils zusätzlich zurückgelassenen Paletten. Die komplette Entladung des Lkw und das Zurücklassen der Paletten erfolgten gerade um die Ladefläche des Lkw wie vereinbart vollständig für den Transport zur Verfügung stellen zu können. Daß nach der Art der zu ladenden Ware, die viel Ladefläche benötigte, häufig überzählige Paletten zurückblieben, führt nach den gegebenen Umständen und der Interessenlage der Beteiligten nicht zu einer ausschließlich eigenen Verantwortung des Klägers für den Wiedererhalt dieser zusätzlichen Paletten. Bezüglich der den aufgeladenen Paletten entsprechenden Anzahl von Paletten besteht ohnehin die dargelegte Pflicht der Beklagten, für eine Rückgabe zu sorgen. Für darüber hinaus in O1 verbliebene Paletten abweichend hiervon eine ausschließlich eigene Obliegenheit des Klägers anzunehmen, wäre unpraktikabel und daher im Ergebnis nicht sachgerecht, zumal sie wie dargelegt regelmäßig und gleichfalls im Interesse der Beklagten erfolgen mußte.

Es kann dahinstehen, ob die Beklagte nach Scheitern der Rücknahmebemühungen bei den Unternehmen A und B eine eigene Pflicht traf, dem Kläger entsprechende Paletten zurückzugeben. Sie hat dies verweigert und jedenfalls die ihr obliegende Verpflichtung verletzt, ihren Vertragspartner, die Firma A, und die Entladestelle zu einer Überlassung von Paletten an den Kläger zu veranlassen. Dies war ihr auch möglich. Aus den Lieferscheinen ergeben sich die jeweiligen Palettenbestände hinreichend. Wenn die Beklagte, wie der Zeuge Z1 bestätigt hat, keinerlei weitere Palettenbewegungen hat und kein sonstiges Palettenkonto führt, ergibt sich der Bestand gerade aus diesen Lieferscheinen. Das Schreiben der A vom 30.10.2002 steht dem nicht entgegen. Dem Schreiben lagen nicht die Lieferscheine über die durch die Beklagte bzw. den Kläger durchgeführten Transporte zugrunde, vielmehr wurde die allgemeine Abwicklung im Verhältnis zur Firma B beschrieben. Das schließt nicht aus, daß insbesondere durch eine Abklärung über die Firma B eine Klärung erfolgen kann. Im übrigen ist davon auszugehen, daß die in O1 abgeladenen Paletten tatsächlich, gegebenenfalls über die Firma B der Beklagten gutgeschrieben worden sind. Die Beklagte ist darum jedenfalls aufgrund positiver Forderungsverletzung schadenersatzpflichtig.

Hingegen hatte der Kläger keine Möglichkeit, ohne Mitwirkung der Beklagten Paletten zurückzuerhalten. Daß er dennoch Abholversuche unternommen hat, widerlegt diese Annahme nicht. Bei dem von dem Zeugen Z3 genannten Abholschein über mehr als 200 Paletten handelt es sich nicht um einen von der Firma B anläßlich eines Transports ausgestellten Palettenschein, da nicht bei einer Lieferung eine Differenz von mehr als 200 Paletten aufgetreten ist. Dieser Abholschein belegt nicht, daß die Parteien eine Vereinbarung darüber getroffen hätten, daß der Kläger sich jeweils ausschließlich mit den Firmen A und B auseinandersetzt. Dafür, daß es ihm bzw. seinem Fahrer selbst möglich gewesen wäre, bereits während der Transporte mehr Paletten mitzunehmen, besteht nach dem Vortrag der Parteien und dem Ergebnis der Beweisaufnahme gleichfalls kein konkreter Anhaltspunkt. Insbesondere verfügte der Lkw des Klägers nicht über einen Palettenkasten für zusätzliche Leerpaletten. Die Beklagte hat diese von dem Kläger bestrittene Behauptung nicht bewiesen.

Ausweislich der seitens des Klägers vorgelegten Lieferscheine wurden die angelieferten und die mitgenommenen Paletten jeweils ordnungsgemäß aufgelistet. Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen vor dem Hintergrund der Aussagen der Zeugen Z4, Z5 und Z3 nicht. Insbesondere die Zeugen Z4 und Z5 haben die bei den Tauschvorgängen eingetretenen Probleme mit der jeweiligen Anzahl der getauschten Paletten glaubhaft bestätigt. Die Beklagte hat auch erstmals während des Verfahrens die dort angegebene Anzahl der abgeladenen und aufgenommenen Paletten bestritten, während der Durchführung der Transporte den Inhalt der ihr jeweils überlassenen Lieferscheine jedoch nicht beanstandet. Es handelt sich auch ersichtlich um die Lieferscheine, welche für die für die Beklagte durchgeführten Transporte ausgestellt wurden. Die einzelnen Daten stimmen mit der Auflistung der Klägerin überein. Dafür, daß der Kläger weitere gleichartige Transporte mit den gleichen Daten vorgenommen hätte, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Die Beklagte hat auch nicht konkret bestritten, daß bestimmte Daten oder der Inhalt der jeweiligen Lieferung nicht mit den Daten der betreffenden Lieferungen übereingestimmt hätten.

Danach ist davon auszugehen, daß die Fahrer des Klägers in O1 619 Euro-Paletten mehr abluden als mitnahmen und daß sie in O1 486 Paletten mehr abluden als sie erhielten. Auf die Gesamtdifferenz von mithin 1.105 Paletten sind die dem Kläger von der Beklagten überlassenen 233 Paletten anzurechnen, so daß eine Differenz von 872 Paletten verbleibt. Den Wert von 11,- DM je Palette hat die Beklagte nicht substantiiert in Abrede gestellt, da sie selbst einen Wert ihrer Paletten von 25,- DM ansetzt und ein relevanter Wertunterschied insoweit nicht ersichtlich ist. Danach ergibt sich ein Gesamtschadensbetrag in Höhe von 9.592,- DM.

Der Zinsanspruch steht dem Kläger aus dem Gesichtspunkt des Verzuges zu, jedoch teilweise nur in Höhe des vormals geltenden gesetzlichen Zinssatzes von 4 % (§§ 286 Abs. 1, 284 Abs. 1, 288 BGB a.F.). Die Neuregelung des Verzugszinses nach § 288 Abs. 1 BGB n.F. ist auf am 1.5.2000 bereits fällige Forderungen nicht anwendbar (Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 3 EGBGB).

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte als im wesentlichen unterliegende Partei zu tragen (§ 92 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nrn. 1, 2 ZPO).

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