Zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht vor einer Mandeloperation

OLG Hamm, Urteil vom 26.07.2011 – 26 U 97/08, I-26 U 97/08

Zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht vor einer Mandeloperation

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 19. März 2008 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1

Der Kläger macht Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten aus Anlass einer behaupteten ärztlichen Fehlbehandlung geltend.
2

Der Kläger suchte Anfang 2004 die Beklagte zu 4, die damals seine Hausärztin war, wegen einer Erkältung auf, die ihn an die Beklagten zu 1 und 2 als HNO-Ärzte überwies. Dort diagnostizierte der Beklagte zu 2 eine chronische Tonsillitis und riet zur Mandelentfernung.
3

Zum Zwecke der Mandelentfernung wurde der Kläger am 03.03.2004 in der Klinik der Beklagten zu 3 stationär aufgenommen, wo der Beklagte zu 1 als Belegarzt am 04.03.2004 die Tonsillektomie vornahm. Am Vortag hatte ein Anästhesist aus dem Haus der Beklagten zu 3 die Aufklärung zum Narkoserisiko vorgenommen. Darüber hinaus war zuvor eine Aufklärung über die Risiken der Mandelentfernung erfolgt. In beiden Fällen war nicht auf das Risiko eines Bandscheibenschadens hingewiesen worden.
4

Postoperativ klagte der Kläger über Kribbel- und Taubheitsgefühle in den Fingern, die nicht weiter behandelt wurden. Nachdem er am 08.03.2004 zunächst entlassen wurde, erlitt der Kläger am Abend des 09.03.2004 eine erhebliche Nachblutung, so dass er sofort stationär bei der Beklagten zu 3 aufgenommen und am folgenden Tag vom Beklagten zu 1 nochmals operiert wurde.
5

Der Kläger litt danach weiterhin unter Sensibilitätsstörungen in beiden Händen, so dass die Beklagten zu 1 und 2 Krankengymnastik verordneten und eine Überweisung zum Orthopäden ausstellten, der eine HWS-Blockierung diagnostizierte.
6

Der Beklagte zu 1 stellte außerdem noch eine Überweisung zum Neurologen aus, die der Kläger infolge des Quartalswechsels nicht mehr nutzen konnte, weil er keinen Termin beim Neurologen bekam.
7

Die Beklagte zu 4 war im April 2004 zur Überweisung an einen Neurologen nicht bereit, weil sie die Durchführung von Krankengymnastik für ausreichend hielt.
8

Es erfolgte schließlich aufgrund der Beschwerden des Klägers, die auch sein Gangbild betrafen, eine erneute Einweisung in die Klinik der Beklagten zu 3, wo auf der neurologischen Abteilung am 10.05.2004 ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert wurde. Am 14.05.2004 erfolgte die Verlegung in die Neurochirurgie des Uniklinikums F. Dort wurde der Kläger am 17.05.2004 operiert. Es wurde eine Dissektomie in Höhe HWK 5/6 und eine ventrale Fusion mit Sulcem-Knochenzement durchgeführt. Anschließend erfolgte eine krankengymnastische Mobilisation, so dass sich zunächst das Gangbild besserte und eine Rückverlegung in das Krankenhaus der Beklagten zu 3 erfolgte.
9

Bis zum heutigen Tag leidet der Kläger unter Kribbelparästhesien in den Händen sowie einer Gangataxie. Ihm fehlen Koordination und Gleichgewichtsvermögen. Zur Fortbewegung benötigt er mittlerweile einen Rollstuhl, da sich sein Leiden verschlechtert hat, und auch Hilfe bei den normalen täglichen Verrichtungen. Darüber hinaus leidet er unter Schmerzen und starkem Zittern in den Händen und Beinen.
10

Mit der Begründung, dass infolge falscher Lagerung bei der Operation der Bandscheibenvorfall verursacht worden sei, hat der Kläger zunächst bei der Gutachterkommission eine ärztliche Fehlbehandlung durch den Beklagten zu 1 geltend gemacht. Durch Bescheid vom 07.04.2005 ist nach Einholung der Gutachten von Prof. Dr. M sowie Prof. Dr. F2 entschieden worden, dass kein Behandlungsfehler vorliegt, weil beide Gutachter zu dem Ergebnis gelangt sind, dass bei einer Operation in halbsitzender Position ohne Hängekopflage keine nennenswerte Belastung für die Wirbelsäule bekannt sei, die zu einer derartigen Folge führen könne.
11

Daraufhin hat der Kläger seine Ansprüche gegen die Beklagten gerichtlich geltend gemacht. Mit seiner Klage hat er neben den vorgerichtlichen Anwaltskosten ein Schmerzensgeld von mindestens 500.000 € nebst Zinsen sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche materiellen Schäden sowie weitere immateriellen Schäden geltend gemacht. Zur Begründung hat er vorgetragen:
12

Die Mandelentfernung sei nicht indiziert gewesen, weil er lediglich einen Husten gehabt und in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt über erhebliche Beschwerden im Rachenbereich gelitten habe.
13

Darüber hinaus sei er auch über die Risiken des Eingriffs und der Lagerung bei der Operation nicht aufgeklärt worden.
14

Während der Operationen sei er fehlerhaft gelagert worden, so dass sein Kopf unfachmännisch nach hinten überstreckt worden sei. Tatsächlich sei der Operationstisch für seine Größe auch zu klein bemessen gewesen.
15

Trotz der unmittelbar nach der Operation geäußerten Beschwerden sei er nicht sofort einem Neurologen vorgestellt worden, die Beklagte zu 4 habe sich sogar geweigert, ihm eine Überweisung auszustellen. Auf der neurologischen Station der Beklagten zu 3 habe man auch nicht sofort nach Feststellung des Bandscheibenvorfalls für eine Verlegung in eine chirurgische Abteilung gesorgt. Dies sei erst einige Tage später erfolgt. Durch die Zeitverzögerung sei es zu dem jetzigen Zustand gekommen. Wenn man ihn sofort richtig behandelt hätte, wären diese Folgen zu vermeiden gewesen.
16

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines Gutachtens durch Prof. Dr. T2 nebst Ergänzung und mündlicher Anhörung abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es habe eine Indikation für die Mandeloperation vorgelegen. Ein Lagerungsschaden, der zu den Gesundheitsbeeinträchtigungen geführt habe, sei nicht denkbar. Die Nachbehandlung sei korrekt verlaufen, weil man trotz der geäußerten Beschwerden mit Taubheit und Kribbeln habe zuwarten dürfen. Im Übrigen hätte sich am Verlauf nichts geändert.
17

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der weiterhin Behandlungs- und Aufklärungsmängel rügt.
18

Zur Haftung des Beklagten zu 1 und 2 trägt er vor, es habe keine Indikation für die Mandeloperation gegeben, weil er in den Jahren zuvor nie unter antibiotikapflichtigen Mandelentzündungen gelitten habe. Anlässlich der Erstuntersuchung durch den Beklagten zu 2 habe daher gar keine chronische Erkrankung diagnostiziert werden dürfen.
19

Da sich unmittelbar nach der Erstoperation durch den Beklagten zu 1 die Taubheitsgefühle und das Kribbeln eingestellt hätten, sei von einem Lagerungsschaden auszugehen, so dass sich die Beweislast zugunsten des Klägers umkehre. Die Beklagte könnten sich für die Folgen nicht entlasten. Insoweit sei der Sachverständige auch nicht ausreichend sachkundig, so dass das Landgericht seine Entscheidung nicht auf seine Erklärung habe stützen können, dass ein frühzeitigeres Eingreifen an den Folgen nichts geändert hätte.
20

Im Übrigen sei er auch nicht über mögliche Folgen eines Bandscheibenvorfalls aufgeklärt worden.
21

Darüber hinaus sei seitens der Beklagten zu 1 und 2 auch nicht in ausreichender Weise auf die eingetretenen Beschwerden reagiert worden, so dass die Nachbehandlung insgesamt fehlerhaft gewesen sei. Es sei schon nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen nicht wegen der eingetretenen Beschwerden, über die der Kläger sofort die Krankenschwester informiert habe, nicht die neurologische Abteilung hinzugezogen worden sei, die sich ja auch im Haus der Beklagten zu 3 befunden habe.
22

Die Beklagte zu 3 habe für die fehlerhafte Lagerung einzustehen, weil der eingeschaltet Anästhesist ihr Angestellter sei und auch auf eine korrekte Lagerung habe achten müssen.
23

Die Beklagte zu 4 hafte, weil sie sich im April 2004 trotz der vorliegenden Beschwerden in grob fehlerhafter Weise geweigert habe, ihm eine Überweisung zum Neurologen auszustellen. Dadurch sei es zu Zeitverzögerungen gekommen, die den Gesundheitszustand des Klägers maßgeblich verschlechtert hätten.
24

Der Kläger beantragt,
25

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung
26

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe ins Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
27

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden, letzterer soweit dieser durch den Klageantrag zu 1 nicht erfasst ist, der ihm aus der medizinischen Behandlung in der Zeit von März bis Mai 2004 entstanden ist und noch entstehen wird vorbehaltlich eines Forderungsübergangs auf Dritte, zu ersetzen;
28

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 5.122,71 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei Rechtshängigkeit zu zahlen.
29

Die Beklagten beantragen,
30

die Berufung zurückzuweisen.
31

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
32

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
33

Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. T2 nochmals angehört sowie zur Frage des Lagerungsschadens ein schriftliches Gutachten von Prof. Dr. T eingeholt, das dieser mündlich erläutert hat. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Berichterstattervermerke vom 24.04.2009 und 01.04.2011 sowie das schriftliche Gutachten von Prof. Dr. T vom 04.01.2010 verwiesen.

II.
34

Die Berufung ist nicht begründet.
35

Zu Recht hat das Landgericht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Klägers gemäß §§ 280 Abs. 1, 253 Abs. 2, 823, 831 BGB abgelehnt, weil ein Behandlungs- und Aufklärungsfehler nicht festzustellen ist. Vor diesem Hintergrund kann auch dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfang die Beklagte zu 3 überhaupt für etwaige Behandlungsfehler einzustehen hätte, weil der Beklagten zu 1 lediglich als Belegarzt tätig geworden ist.
36

Entgegen der Meinung des Klägers war eine Indikation für eine Mandelentfernung gegeben. Nach der Erstuntersuchung durch den Beklagten zu 2 lag eine diskrete Rötung der Stimmbänder vor, die mit dem Eintrag “chronische Tonsillitis” endet. Nach den Angaben des Beklagten zu 1 lagen stark vergrößerte Mandeln vor. Soweit der Kläger wiederkehrende Mandelentzündungen in Abrede gestellt hat, hat Prof. Dr. T2 ausgeführt, dass es sich bei einer chronischen Tonsillitis um einen feststehenden Begriff handelt, bei dem z.B. Vernarbungen der Mandeln vorliegen und der Gaumenbogen gerötet ist. Insoweit ist es gar nicht notwendig, dass in der Vergangenheit mehrfach vorliegende bakterielle Entzündungen mit einem Antibiotikum behandelt worden sind, weil z.B. zerklüftete Mandeln auch bei einem reinen Husten schon verdächtigt sind. Bei einem Erwachsenen wird in solchen Fällen schneller zu einer Entfernung geraten, weil ein Erwachsener die Mandeln nicht mehr benötigt, sie aber einen bakteriellen Gefahrenherd für den Körper darstellen. Nach seiner Auffassung wäre eine rein abwartende Haltung kein guter ärztlicher Rat gewesen. Tatsächlich hat die histologische Untersuchung im Anschluss an die Mandelentfernung auch ergeben, dass sich die Beklagten zu 1 und 2 in ihrer Einschätzung nicht geirrt haben, weil danach in der Vergangenheit Entzündungen abgelaufen sein müssen, die der Kläger möglicherweise aber nur für eine harmlose und unbeachtliche Erkältung gehalten hat. Insoweit spricht der histologische Befund nämlich von einer beidseitig chronisch-rezidivierenden, stellenweise vernarbenden Tonsillitis palatina, wobei die Tonsillen auch eine zerklüftete Oberfläche aufwiesen.
37

Der Kläger hat auch keinen Lagerungsfehler nachweisen können. Dies wäre aber Voraussetzung gewesen, um eventuell zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Klägers zu kommen.
38

Es kommt nicht darauf an, dass die Art der Lagerung im Operationsbericht nicht ausdrücklich dokumentiert ist, weil dies nach Darstellung des Sachverständigen Prof. Dr. T2 nicht erforderlich ist. Soweit in den beiden Anästhesieprotokollen von halbsitzender bzw. liegender Position gesprochen wird, wobei der Beklagte zu 1 angegeben hat, dass er ausschließlich in einer liegenden Position mit leicht angeschrägtem Oberteil operiere, jedenfalls nicht in Hängekopflage, weil er diese Operationsform nicht gelernt habe, kann es dahingestellt bleiben, ob der Anästhesist das leicht angeschrägte Oberteil bereits als halbsitzende Position angesehen hat. Der Sachverständige Prof. Dr. T2 ist ebenso wie seine Kollegen im Rahmen des Verfahrens vor der Gutachterkommission nämlich dazu gekommen, dass es im Rahmen einer Mandeloperation sowohl in der rein liegenden als auch in der Position mit Hängekopflage praktisch ausgeschlossen ist, dass es zu einer Überdehnung der Halswirbelsäule kommt, weil der Kopf so fixiert wird, dass nichts passieren kann. Insoweit war es sämtlichen Gutachtern völlig unbekannt, dass es jemals anlässlich einer Mandeloperation zu einem derartigen Vorfall gekommen ist. Es verblieb seinen Angaben zufolge neben einem Sturz bei der Umlagerung bzw. einem Kippen des Kopfes z.B. auch die Möglichkeit, dass der Kläger im Rahmen der Aufwachphase eine unglückliche Kopfbewegung gemacht hat. Solche Vorfälle sind aber nicht dokumentiert.
39

Auch dem Sachverständigen Prof. Dr. T war es nicht möglich aufzuklären, ob allein die Lagerung mit der Entstehung des Bandscheibenvorfalls zusammenhängen muss oder ob der Kläger möglicherweise schon vorher gesundheitlich angelegte Probleme hatte, die erst im Rahmen der Operation evident geworden sind. Insoweit hat er ausgeführt, dass die spätere Bildgebung darauf hindeutet, dass bereits degenerative Veränderungen an der Halswirbelsäule vorlagen, die man meist bei älteren Patienten sieht und die auch entgegen der Meinung des Klägers nicht “jungfräulich” waren. Er hat es aber für durchaus denkbar gehalten, dass der Kläger bis zur Operation noch keinerlei Beschwerden hatte. Soweit der Kläger behauptet, dass der Sachverständige von falschen Voraussetzungen ausgegangen sei, weil sich aus den vorliegenden Befunden eine degenerative Veränderung nicht entnehmen lasse, steht dem der Bericht des Bergmannsheil vom 26.10.2005 entgegen, wonach es im Bereich HWK 4 und 6 ostephytische Ausziehungen der Grundplatten gab und lediglich im weitergehenden Umfang keine richtungsweisenden degenerativen Veränderungen vorlagen. Nach den Ausführungen von Prof. Dr. T2 ist es in der Neurochirurgie bekannt, dass es schleichende Prozesse gibt, bei denen durch ein äußerliches Ereignis plötzlich der Prozess beschleunigt wird oder überhaupt in Gang kommt. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständige es für möglich gehalten, dass es bei der Tubus-Einsetzung im Rahmen der Anästhesie zu einer für die Halswirbelsäule des Klägers nicht mehr akzeptablen Belastung gekommen ist, weil dies immer mit einem gewissen Zurückbeugen des Kopfes verbunden ist, die aber bei einem 25-jährigen Mann normalerweise keine Probleme verursacht, weil ausreichend Platz im Wirbelkanal vorhanden ist. Außerdem hat er es für möglich gehalten, dass allein durch die Narkose die Nackenmuskulatur so entspannt worden ist, dass sich ein vorhandener Schaden an der Bandscheibe so vergrößert hat, dass er schließlich auch zu Beschwerden beim Kläger geführt hat.
40

Ein Behandlungsfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger im Rahmen der Anästhesie möglicherweise nicht ausreichend über bestehende Wirbelsäulenprobleme befragt worden und daher keine Röntgenkontrolle erfolgt ist; denn der Kläger trägt ja heute noch vor, dass es vor der Mandeloperation keinerlei Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule gegeben hat. Der Anästhesist hätte aber ohne einen Hinweis auf bestehende Beschwerden im Halswirbelbereich aufgrund des Alters des Klägers nach Darstellung des Sachverständigen keinerlei Anlass gehabt, zuvor eine Röntgenkontrolle durchzuführen. Reaktionspflichtige Beschwerden hätte der Kläger aber nach seiner eigenen Darstellung gar nicht mitteilen können.
41

Auch die Nachbehandlung kann nicht als fehlerhaft eingestuft werden.
42

Der Sachverständige Prof. Dr. T2 hat dazu ausgeführt, dass die vom Kläger zunächst angegebenen Kribbelparästhesien sowie das Schwindelgefühl auch nach der zweiten Operation nach der Dokumentation nicht so dramatisch gewesen sind, dass man nach einer Mandeloperation gleich an einen Bandscheibenvorfall denken musste. Ein Kribbeln wird seinen Angaben zufolge oftmals beschrieben, wobei die Patienten auch über Muskelkater klagen. Vor diesem Hintergrund hat er es für nachvollziehbar gehalten, wenn man wegen der Gefahr der Nachblutung, die lebensgefährlich ist, auf die Einhaltung der Bettruhe geachtet und noch keine weiteren Maßnahmen in Betracht gezogen hat. Dies war insbesondere bei der zweiten Operation der Fall, mit der eine Nachblutung vorrangig behandelt werden musste, weil es nach der Dokumentation keine Symptome für einen weiteren Notfall im Hinblick auf das jetzige Leiden des Klägers gab. Diese Argumentation hat Prof. Dr. T für nachvollziehbar gehalten, nach dessen Angaben bei derartig unspezifischen Beeinträchtigungen wahrscheinlich lediglich ein Neurologen die Beschwerdesymptomatik erkannt hätte.
43

Soweit der Kläger im Laufe des Berufungsverfahrens seine Beschwerdesymptomatik erweitert hat und nunmehr behauptet, dass bei ihm auch Gangstörungen bestanden hätten, die allerdings nicht in der Dokumentation vermerkt sind, aber für Prof. Dr. T2 durchaus Anlass für eine weitergehende Befunderhebung gewesen wären, steht dem die Tatsache entgegen, dass sogar ein Fachmann in der Person eines Orthopäden noch am 22.03.2004 keinerlei motorische Störungen festgestellt hat, die für ihn Anlass für einen Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall ergaben. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, dass ein Bekannter des Klägers ihn etwa eine Woche nach der zweiten Mandeloperation auf das unsichere Gangbild angesprochen haben soll; denn es ist entscheidend, ob für die beklagten Ärzte, die weder orthopädische noch neurologische Fachärzte sind, bei ihren normalen Untersuchungsterminen ein solches Bild erkennbar war. Das ist aber nicht festzustellen, wenn dies noch nicht einmal einem Fachmann auffällt.
44

Im Übrigen kann weder den Beklagten zu 1 und 2 noch der Beklagten zu 4 vorgeworfen werden, trotz der diffusen Beschwerden untätig geblieben zu sein; denn tatsächlich sind dem Kläger unmittelbar nach der Entlassung aus dem Krankenhaus Überweisungen sowohl zu einem Orthopäden als auch zu und einem Neurologen ausgestellt worden. Es kann den Beklagten zu 1 und 2 schlechterdings nicht angelastet werden, dass in dem Quartal bei dem Neurologen kein Termin mehr zu bekommen war.
45

Der Orthopäde hat jedenfalls, ohne dass die falsche Diagnose einer der beklagten Parteien vorgeworfen werden kann, den Bandscheibenvorfall nicht erkannt und der Vertrauensarzt hat den Kläger ab dem 01.05.2004 sogar wieder gesund geschrieben. Schon wegen der Diagnose des Orthopäden, dessen Bericht an die Beklagte zu 4 gegangen ist, kann ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie die Ausstellung einer Überweisung an einen Neurologen verweigert hat, weil sie die Verordnungen entsprechend dem Vorschlag des Facharztes für Orthopädie für ausreichend hielt. Es kommt hinzu, das es dem Kläger bei einem für ihn unzumutbaren Beschwerdezustand jederzeit frei gestanden hätte, selbst zu einem Neurologen zu gehen. In diesem Fall hätte er nur die zusätzliche Praxisgebühr von 10 € zu zahlen gehabt. Wenn dieser geringe Betrag ihn aber davon abgehalten hat, können die Beschwerden zu diesem Zeitpunkt noch nicht so gravierend gewesen sein. Tatsächlich hat sich ja auch das jetzige Krankheitsbild des Klägers erst im Laufe der Zeit, u.a. nach der Bandscheibenoperation, entwickelt.
46

Auch der Umstand, dass der Kläger nach Feststellung des Bandscheibenvorfalls im Krankenhaus der Beklagten zu 3 erst drei Tage später weiterverlegt worden ist, was im Rahmen der Berufung nicht ausdrücklich durch den Kläger thematisiert worden ist, würde keinen Behandlungsfehler begründen können; denn der Sachverständige Prof. T hat ausgeführt, dass kein akuter Notfall vorgelegen hat, weil es nicht zu einer Ausfallerscheinung z.B. in Form einer Blasen- und Mastdarmstörung gekommen ist. Tatsächlich ist der Kläger ja auch im Klinikum F nicht sofort, sondern erst drei Tage später operiert worden.
47

Entgegen der Auffassung des Klägers kommt auch ein Aufklärungsfehler nicht in Betracht; denn nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. T2 ist ein Bandscheibenvorfall im Rahmen einer Mandeloperation nahezu ausgeschlossen, so dass darüber auch nicht aufgeklärt werden muss. Im Übrigen hat er die tatsächlich erfolgte Aufklärung über die typischen Risiken für ausreichend gehalten.
48

Ähnlich verhält es sich über die Risiken der Anästhesie, über die eine Grundaufklärung erfolgt ist. Da beim Kläger kein Risiko im Hinblick auf eine Halswirbelsäulenvorschädigung durch den Anästhesisten anzunehmen war, so dass auch keine weitergehende Untersuchung erforderlich war, brauchte er nach Darstellung des Sachverständigen Prof. T auch nicht von einer entsprechenden Gefährdung auszugehen. Damit entfiel auch eine entsprechende Aufklärungsverpflichtung.
49

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 ZPO.
50

Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
51

Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.

Dieser Beitrag wurde unter Arztrecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.