Zum Schmerzensgeldanspruch wegen Unfallschaden beim Verlassen eines Aufzuges

LG Frankfurt, Urteil vom 11.05.2012 – 2-10 O 434/11

Zum Schmerzensgeldanspruch wegen Unfallschaden beim Verlassen eines Aufzuges.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits sowie die Kosten der Nebenintervention zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand
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Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld infolge eines Sturzes aus einem Fahrstuhl.
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Die Klägerin stürzte am 30.09.2010 gegen 11:30 Uhr beim Verlassen einer von der Beklagten betriebenen Fahrstuhlkabine im Parkhaus in der A-Straße …, O1. Obwohl die im Kabineninneren angebrachte Anzeigetafel „Erdgeschoss“ anzeigte und sich die Türen öffneten, befand sich die Fahrstuhlkabine ungefähr 40 cm oberhalb des Bodenniveaus des Erdgeschosses. Auf die angefertigten Lichtbilder (Bl. 7 d.A.) wird Bezug genommen.
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Die Beklagte hatte der Nebenintervenientin, ein auf die Wartung und Störungsbeseitigung spezialisiertes Unternehmen, mit Wartungsvertrag vom 25.2.2009/16.2.2008 die Wartung, Störungsbeseitigung und Instandsetzung der Fahrstuhlanlagen, u.a. auch im Objekt A-Straße …, O1, übertragen. U.a. verpflichtet sich die Nebenintervenientin gemäß Nr. 2.9.2 des Vertrages die vorgeschriebenen, wiederkehrenden Prüfungen gem. § 15 Abs. 13 BetrSichV eigenverantwortlich durchzuführen und zu dokumentieren. Nach Nr. 4.1 sind die ausgeführten Leistungen und die getroffenen Feststellungen über den Zustand der Anlage in einem Arbeitsbericht anzugeben. Gemäß Nr. 4.4 ist die Wartung jeweils 4-mal im Jahr bzw. 6-mal im Jahr durchzuführen. In den gemäß Nr. 2.1 des Vertrages Vertragsbestandteil gewordenen „Arbeitskarten“ werden die einzelnen Prüf- und Wartungsleistungen und die zeitlichen Intervalle explizit aufgeführt. Die Aufzugsanlagen im Objekt A-Straße weisen das Baujahr 1989 auf. Im Übrigen wird auf den Wartungsvertrag (Anlage 1 zur Klageerwiderung) Bezug genommen.
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Die letzten dokumentierten Wartungen vor dem Unfall wurden – gemäß dem vereinbarten 2 Monats Rhythmus – am 2.7.2010 und 28.9.2010 durchgeführt. Zudem fanden täglich Kontrollen statt.
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Am 30.09.2010 führte die Nebenintervenientin zwischen 7.45 Uhr und 10.45 Uhr, mithin unmittelbar vor dem Sturz der Klägerin, Reparaturarbeiten durch. Auf die Wartungsprotokolle (Anlagen B 1 – 3, Bl. 59 d.A.) wird Bezug genommen.
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Infolge des Sturzes erlitt die Klägerin insbesondere eine B-Fraktur im Bereich der rechten Hüfte und eine C. Die Klägerin verbrachte einen Monat in stationärer Krankenhausbehandlung und einen weiteren Monat in einer Rehabilitationsklinik.
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Die Klägerin behauptet, der Aufzug sei nicht ordnungsgemäß gewartet worden, die Personen, die die Wartungsarbeiten durchgeführt haben, seien nicht ausreichend qualifiziert gewesen.
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Die Klägerin behauptet, infolge des Sturzes werde sie sich nie mehr ohne Gehhilfe fortbewegen können. Der Sturz habe ein Trauma mit …angst ausgelöst. Auch sei eine D und E des rechtsseitigen Skeletts im Beckenbereich, einhergehend mit einer Verkürzung des rechten Beines um 1,5 cm eingetreten. Der mit Bescheid vom 20.01.2011 festgestellte Behinderungsgrad von … % beruhe alleine auf dem streitgegenständlichen Sturz, und nicht auf Vorerkrankungen. Es sei nicht auszuschließen, dass weitere Kosten nicht oder nicht vollständig von der Beihilfe bzw. der Krankenkasse übernommen werden.
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Sie ist der Auffassung, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, ein Warnsystem zu installieren, welches im Falle des Nicht-Bündig-Stehens des Fahrstuhls die Benutzer auf die Gefahr hinweist, z.B. mit einem Blinklicht.
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Die Beklagte hat der Nebenintervenientin den Streit verkündet. Diese ist mit Schriftsatz vom 25.4.12 dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, aus dem Unfall am 30.9.2010 gegen 11:30 Uhr im Parkhaus A-Straße …, O1, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, jeden materiellen und weiteren immateriellen Schaden, der nicht von Dritten erstattet wird, der Klägerin zu ersetzen.
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Die Beklagte sowie die Nebenintervenientin beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, nach den am 30.09.2010 durchgeführten Reparaturarbeiten habe der Fahrstuhl einwandfrei funktioniert.
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Sie ist der Auffassung, dass keine Verpflichtung bestanden habe, zusätzliche Warnvorrichtungen zu installieren. Diese wären wirtschaftlich unzumutbar.
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Sie ist der Auffassung, die Klägerin müsse sich ein überwiegendes Mitverschulden anrechnen lassen.

Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.
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Derjenige, der sich selbst verletzt bzw. nicht durch eine unmittelbare Handlung des in Anspruch genommenen verletzt wird, hat nur dann einen Schadensersatzanspruch, wenn der in Anspruch genommene in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage für Dritte schafft, z.B. durch Eröffnung eines Verkehrs, Errichtung einer Anlage oder Übernahme einer Tätigkeit, die mit Gefahren für Rechtsgüter Dritter verbunden ist, ohne dabei diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und ihm zumutbar sind, um die Schädigung Dritter möglichst zu verhindern (Verkehrssicherungspflichtverletzung) (BGH NJW 07, 762; BGH VersR 06, 803). Auch der Betreiber einer Aufzuganlage ist gehalten, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich zumutbaren geeignet sind, Gefahren von den Benutzern abzuwenden. Für Gewerbetreibende wird der Inhalt der Verkehrssicherungspflicht regelmäßig durch technische Regelwerke und Unfallverhütungsvorschriften konkretisiert (OLG Frankfurt, Urt. 6.9.00; Az. 9 U 17/00). Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AufzVO (mittlerweile außer Kraft) bzw. § 12 Abs. 3, § 1 Abs. 2 Nr. 2 BertrSichVO hat derjenige, der eine Aufzugsanlagen betreibt, diese in ordnungsgemäßem Zustand zu erhalten, zu überwachen, notwendige Instandsetzungs- oder Wartungsarbeiten unverzüglich vorzunehmen und die den Umständen nach erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.
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Diese Überwachungs- und Wartungspflicht hat die Beklagte vorliegend wirksam auf die Nebenintervenientin übertragen.
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Dass die Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten übertragen werden kann, ist anerkannt. Wer sie übernimmt, wird seinerseits deliktisch verantwortlich, während sich die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich Verantwortlichen auf eine Kontroll- und Überwachungspflicht verengt. Für die Delegation der Verkehrssicherungspflicht reicht es aus, dass der in die Verkehrssicherungspflicht Eintretende faktisch die Aufgabe der Verkehrssicherung in dem betroffenen Gefahrenbereich übernimmt und im Hinblick Schutzvorkehrungen durch den zunächst Verkehrssicherungspflichtigen unterbleiben, weil sich dieser auf das Tätigwerden des Beauftragten verlässt. Fortan ist ausschließlich Letzterer dafür verantwortlich, dafür zu sorgen, dass niemand zu Schaden kommt (BGH NJW-RR 89, 394; OLG Frankfurt, NJW-RR 08, 1476).
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Durch den Wartungsvertrag vom 25.2.2009/16.2.2008 hat die Beklagte der Nebenintervenientin, ein auf die Wartung und Störungsbeseitigung spezialisiertes Unternehmen, die Wartung, Störungsbeseitigung und Instandsetzung der Fahrstuhlanlagen, u.a. auch im Objekt A-Straße …, O1, eigenverantwortlich übertragen. Indem sich die Nebenintervenientin verpflichtete, die gesetzlich vorgeschriebenen wiederkehrenden Wartungen durch geschultes Fachpersonal durchzuführen, konnte die Beklagte darauf vertrauen, dass die Nebenintervenientin ihren Pflichten im erforderlichen Umfang nachkommt. Vertraglich wurde geregelt, dass Wartungen jeweils 4-mal im Jahr bzw. 6-mal im Jahr durchzuführen sind. Diese Intervalle sind ausreichend (OLG Frankfurt, Urt. 6.9.00; Az. 9 U 17/00). Dass die Wartungen – zumindest im Zeitraum vor dem Unfall – tatsächlich stattfanden, belegen die Wartungsprotokolle vom 28.9.10 und 2.7.10.
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Der Umfang der nach Übertragung der Verkehrssicherungspflicht noch verbleibenden allgemeinen Kontroll- und Aufsichtspflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der bestehenden Kontrollmöglichkeit, der Person des Übernehmers sowie der Art und Häufigkeit der möglichen Schäden. Übernimmt ein nicht in den Betrieb eingebundener Dritter vertraglich die Pflicht, darf sich der Übertragende im Allgemeinen auf deren Erfüllung verlassen und muss ohne konkreten Anhaltspunkt für eine Pflichtverletzung nicht alle Einzelheiten kontrollieren (BGH NJW 99, 3633).
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Vorliegend ist weder vorgetragen, noch ist ersichtlich, dass die Beklagte ihrer allgemeinen Aufsichtspflicht nicht nachgekommen wäre. Aufgrund der Tatsache, dass die Nebenintervenientin ein erfahrenes Unternehmen im Bereich der Wartung und Instandsetzung von Aufzugsanlagen ist, dass es sich um komplexe technische Anlagen handelt und dass eine flächendeckende Kontrolle bei der Vielzahl der Objekte und Aufzugsanlagen bei der hohen Dichte der vorzunehmenden Wartungen nahezu unmöglich ist, wäre die Beklagte ohnehin nur verpflichtet gewesen, vereinzelte, stichprobenweise Kontrollen durchzuführen.
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Insoweit kann dahinstehen, ob die Nebenintervenientin die unmittelbar vor dem Unfall stattgefundene Reparaturmaßnahme ordnungsgemäß durchgeführt hat. Eine etwaige Pflichtverletzung seitens der Nebenintervenientin wäre zumindest für die Beklagte weder erkennbar noch zu verhindern gewesen.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Beklagte auch nicht verpflichtet gewesen, die Aufzugsanlage mit einer zusätzlichen Warntechnik auszurüsten.
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Der Verkehrssicherungspflichtige muss lediglich diejenigen Vorkehrungen treffen, die erforderlich und für ihn wirtschaftlich zumutbar sind. Der Betreiber einer Aufzugsanlage ist nicht von vornherein gehalten, die Fahrstuhltechnik auszutauschen und dem neuesten technischen Stand anzupassen, solange der Fahrstuhl noch den technischen Anforderungen der Aufzugsverordnung (mittlerweile BetrSichVO) entspricht. Dabei ist insbesondere auf den Zeitpunkt des Einbaus der Anlage abzustellen. Wollte man verlangen, dass stets der neuste Sicherheitsstandard geboten werden muss, müsste der Betreiber seine Anlagen ständig erneuern, ohne seine kostspieligen Investitionen amortisieren zu können. Bei einer älteren Fahrstuhlanlage muss deshalb auch nur diejenige Verkehrssicherheit geboten werden, die bei Ausnutzung der vorhandenen technischen Einrichtungen in einwandfrei funktionierenden Zustand geboten werden kann (OLG Frankfurt, VersR 02, 249). Vorliegend handelt es sich um eine relativ alte Anlage, Baujahr 1989. Zu diesem Zeitpunkt gab es etwaige weitergehende Sicherheits- und Warnsysteme noch nicht. Darüber hinaus wird der Umfang der Verkehrssicherungspflichten eines Aufzugbetreibers durch die AufzVO bzw. BetrSichVO konkretisiert. Dort wird jedoch nur die regelmäßige Überwachung des betriebssicheren Zustandes gefordert, nicht jedoch zusätzliche Warnhinweise für den Fall des Nichtvorliegens des betriebssicheren Zustandes. Dies ist auch nicht geboten, nachdem der Verkehrssicherungspflichtige ohnehin für die durch eine nicht betriebssichere Anlage verursachten Schäden zu haften hat.
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Soweit die Klägerin in ihrem – nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangenen, nicht nachgelassenen – Schriftsatz vom 30.4.12 nunmehr ihre Ansprüche auch auf die Verletzung von vertraglichen Ansprüchen stützt, kann dahinstehen, ob dies ein neuer Sachvortrag darstellt.
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Vorliegend handelt es sich um einen Verwahrungsvertrag, wonach der Verwahrer lediglich die Aufbewahrung der Sache und die Übernahme der Obhut schuldet, nicht jedoch die gefahrlose Benutzung eines von ihm bereitgestellten Fahrstuhls, § 688 BGB. Die vereinbarte Vergütung stellt lediglich die Gegenleistung für die Verwahrung des Fahrzeuges dar, nicht jedoch für die – nicht geschuldete – Bereitstellung und Benutzung eines Fahrstuhles.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 101 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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Der Streitwert wird auf 100.000 € festgesetzt.

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