LG Essen, Urteil vom 01. Juli 2020 – 16 O 11/18
Zum Schmerzensgeldanspruch der Hinterbliebenen der Opfer eines Flugzeugabsturzes
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
1
Die Kläger machen sowohl eigene als auch ererbte Schmerzensgeldansprüche sowie Ansprüche aus behaupteten Abtretungen von Forderungen aus eigenem und ererbten Schmerzensgeld im Zusammenhang mit dem Absturz des H-Fluges … von C nach E am … geltend.
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Nach dem Ergebnis der abgeschlossenen Ermittlungen der französischen Behörde für Sicherheitsuntersuchungen in der zivilen Luftfahrt (Bureau d`Enquêtes et d`Analyses pour la sécurité de l`avitation civile) sowie der Staatsanwaltschaft E1 (Az. …) brachte der Co-Pilot des Fluges, M, das Flugzeug im Rahmen eines erweiterten Selbstmordes in den französischen Alpen, bei Q, vorsätzlich zum Absturz. Keine der insgesamt 150 Personen an Bord überlebte. Die Ermittlungen wurden jeweils beendet, ohne dass dort ein Verschulden der Beklagten an dem Absturz festgestellt worden ist.
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Luftfrachtführerin des Fluges und Arbeitgeberin des M war die H1 GmbH (im Folgenden: „H2“). Diese ist eine 100%ige Tochter der Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 1) ist ein Unternehmen mit Sitz in Q1, USA. Bei ihr handelt es sich um eine 100%ige Tochter der M1 GmbH Verkehrsfliegerschule in C1 (mittlerweile „M2 GmbH“), welche wiederum 100%ige Tochter der Beklagten zu 2) ist. Die Ausbildung der Piloten in dem Konzern der Beklagten zu 2) erfolgt einheitlich und für alle Konzerntöchter gemeinsam. M absolvierte einen Teil seiner praktischen Ausbildung in dem Zeitraum von November 2010 bis März 2011 bei der Beklagten zu 1).
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Ziel der Pilotenausbildung im Konzern der Beklagten zu 2) ist die Erteilung einer Verkehrspilotenlizenz durch das Luftfahrtbundesamt (im Folgenden: „LBA“) an den jeweiligen Pilotenanwärter. Eine Voraussetzung für den Beginn der Ausbildung sowie auch die spätere Erteilung der Lizenz ist der Nachweis der Erfüllung der medizinischen Anforderungen an einen Piloten, wobei für die Erteilung der Lizenz zusätzlich insbesondere auch der Nachweis der praktischen Befähigung zum Führen von Luftfahrzeugen erforderlich ist. Die Voraussetzung der medizinischen Tauglichkeit wurde in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum dadurch gewährleistet, dass für den Beginn und die Dauer der Ausbildung sowie auch für die Erteilung und den Bestand der von dem LBA zu erteilenden Verkehrspilotenlizenz das Vorliegen eines gültigen Tauglichkeitszeugnisses der Klasse 1 gem. § 24 a LuftVZO erforderlich war. Zur Überprüfung des Fortbestehens der Tauglichkeit war gesetzlich das zwingende Erfordernis einer regelmäßigen Kontrolluntersuchung angeordnet. Für Piloten (- Anwärter) bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres war hierzu ein jährliches Intervall vorgeschrieben. Die hierfür notwendigen Untersuchungen wurden jedoch nicht von dem LBA selbst vorgenommen, sondern, in Abhängigkeit davon, welches Tauglichkeitszeugnis ausgestellt werden sollte und ob die Untersuchung der erstmaligen Erteilung oder der Verlängerung des Tauglichkeitszeugnisses diente, von flugmedizinischen Zentren oder flugmedizinischen Sachverständigen. Für das Tätigwerden als flugmedizinischer Sachverständiger oder als flugmedizinisches Zentrum war für den hier maßgeblichen Zeitraum eine Anerkennung durch das LBA gem. § 24 e Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 bzw. Abs. 4 LuftVZO (in den jeweiligen Fassungen vom 01.07.2007 bis zum 23.12.2014) erforderlich. Dem LBA war zudem als die gem. § 24 a Abs. 3 bzw. Abs. 4 LuftVZO anerkennende Stelle gem. § 24 e Abs. 7 LuftVZO (in den jeweiligen Fassungen vom 01.07.2007 bis zum 23.12.2014) die Aufsicht über die von ihm anerkannten flugmedizinischen Sachverständigen und Zentren übertragen. Die von der Beklagten zu 2) betriebenen M3 Center waren in dem streitgegenständlichen Zeitraum von dem LBA gem. § 24 e Abs. 4 LuftVZO anerkannte flugmedizinische Zentren. Die dort tätigen Fachärzte waren daher berechtigt, medizinische Tauglichkeitszeugnisse der Klasse 1 auszustellen. Die Beklagte zu 2) hatte keine rechtliche Befugnis, auf die im Rahmen der in ihren flugmedizinischen Zentren durchgeführten flugmedizinischen Untersuchungen erlangten Erkenntnisse zuzugreifen. Die Möglichkeit zur Einsicht in die flugmedizinische Akte bestand nur für die jeweils untersuchenden Ärzte.
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Die US-amerikanische Luftfahrtbehörde, die Federal Aviation Administration (im Folgenden auch „FAA“) verlangt für die Zulassung zur Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer ebenfalls ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1. Für die Ausbildung zur Erlangung einer Privatpilotenlizenz ist nach US-amerikanischem Recht ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 3 erforderlich.
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Die Beklagte zu 2) ließ in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum, nämlich der Ausbildung des M, einen Teil der Ausbildung ihrer Pilotenanwärter von der M1 GmbH durchführen. Das Auswahlverfahren vor dem Abschluss des Ausbildungsvertrages mit der M1 GmbH führt die Beklagte zu 2) selbst durch. Teil dieses Auswahlverfahrens sind neben Wissens- und Fähigkeitstests, praktischen Übungen in Einzel- und Teamarbeit, auch ein verhaltensbasiertes Persönlichkeitsassessment, in dessen Rahmen auch das Verhalten und die Stressresistenz der Bewerber geprüft werden. Auf Seiten der Beklagten zu 2) nehmen hieran Auswahlkapitäne teil, die gleichzeitig Ausbildungspiloten sind, sowie jeweils zwei Psychologen des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt. Das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt ist als Sachverständigenstelle anerkannt und nach ISO 9001 zertifiziert. Das von der Beklagten zu 2) mit dem Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt entwickelte und praktizierte Auswahlverfahren gilt als das beste und strengste dieser Art weltweit. Von den Bewerbern, die zu dem Auswahlverfahren zugelassen werden, durchlaufen es nur ca. 8% erfolgreich.
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Die fliegerische Grundausbildung wurde und wird im Konzern der Beklagten zu 2) von der M1 GmbH durchgeführt und ist auf einen Zeitraum von 24 Monaten angelegt. Dieser setzt sich aus zwei Modulen zusammen. Das erste Modul erstreckt sich über 12 Monate, umfasst die Vermittlung theoretischer Kenntnisse. Es fand in dem hier relevanten Zeitraum, nämlich während der Ausbildung des M, an der Verkehrsfliegerschule M1 GmbH in C1 statt. Die Flugschüler absolvieren in diesem Modul an sieben Prüfungstagen 19 interne Prüfungen sowie jeweils eine amtliche Sprechfunkprüfung und eine amtliche Sprachprüfung (Language Proficiency Prüfung Englisch). Am Ende dieses ersten Moduls steht eine dreitätige Prüfung beim LBA in C2, die eine Überprüfung des erworbenen theoretischen Prüfungswissens in 14 Prüfungsfächern umfasst. Das sich daran anschließende zweite Modul betrifft die praktische Flugausbildung. Der erste Teil dieser praktischen Ausbildung wird über 4,5 Monate bei der Beklagten zu 1) durchgeführt und umfasst die Bedienung einer einmotorigen, viersitzigen Propellermaschine des Typs C3. Die Beklagte zu 1) selbst führt kein eigenes Auswahl- oder Zulassungsverfahren durch. Erforderlich für den Antritt des dortigen Ausbildungsabschnitts ist jedoch ein von der FAA ausgestelltes medizinisches Tauglichkeitszeugnis der Klasse 3, welches die Flugschüler vorlegen müssen. Im Rahmen des durch die Beklagte zu 1) erbrachten Ausbildungsteils durchlaufen die Pilotenanwärter vier interne Zwischenprüfungen. Am Ende schließt sich eine behördliche Prüfung an, bei deren erfolgreichem Bestehen die Flugschüler die Privatpilotenlizenz erlangen. Die weitere praktische Ausbildung im Rahmen der ersten insgesamt 24 Monate wurde im streitgegenständlichen Zeitraum, nämlich der Ausbildung von M, bei der M1 GmbH in C1 durchgeführt. Hier erlernen die Anwärter das Führen von mehrmotorigen, komplexen Flugzeugen zur Einweisung in den europäischen Luftraum. In diesem Zeitraum werden drei interne Zwischenprüfungen absolviert.
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Mit dem erfolgreichen Durchlaufen der ersten beiden Module der Ausbildung endet der Auftrag der Beklagten zu 2) an die M1 GmbH. Die dritte und vierte Phase der praktischen fliegerischen Ausbildung, bei der die Anwärter den Umgang mit großen Verkehrsflugzeugen erlernen, führt die Beklagte zu 2) selbst an ihren Standorten in G, N, C4 oder X durch. Diese dauert ca. weitere sechs Monate. Im Rahmen dieser weiteren Ausbildung stehen zunächst drei interne Zwischenprüfungen und abschließend eine behördliche Prüfung. Bei erfolgreichem Bestehen dieser behördlichen Prüfung erlangen die Pilotenanwärter die Multi-Crew Pilot Licence (Aircraft), auch MPL (A), die den Inhaber zum Führen von Verkehrsflugzeugen berechtigt.
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M durchlief zwischen Januar und April 2008 das Auswahlverfahren der Beklagten zu 2) erfolgreich. Hier zeigten sich keine Auffälligkeiten. Er wurde daher uneingeschränkt für die Ausbildung zum Piloten empfohlen. Am 01.09.2008 wurde er in das Verkehrsflugzeugführerausbildungsprogramm der Beklagten zu 2) aufgenommen und war damit zunächst Flugschüler bei der M1 GmbH. Zum 05.11.2008 setzte er die Ausbildung aufgrund einer depressiven Erkrankung freiwillig aus. Er begab sich von Januar 2009 bis Oktober 2009 in psychiatrische Behandlung bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. Zum 26.08.2009 nahm er die Ausbildung bei der M1 GmbH wieder auf und absolvierte den theoretischen ersten Teil seiner fliegerischen Ausbildung. Am 13.10.2010 bestand er die schriftliche Prüfung für die Verkehrspilotenlizenz. Vom 08.11.2010 bis zum 02.03.2011 absolvierte M den ersten Teil seiner praktischen fliegerischen Ausbildung bei der Beklagten zu 1). Seine fliegerischen Leistungen waren zumindest durchschnittlich. Nach dem erfolgreichen Bestehen der behördlichen praktischen Prüfung erhielt er am 01.03.2011 die Privatpilotenlizenz. Im Anschluss setzte er die weitere praktische Ausbildung in Deutschland zunächst bei der M1 GmbH (Modul 2) und danach bei der Beklagten zu 2) (Module 3 und 4) fort. Neben seiner Ausbildung zum Verkehrspiloten war er bei der Beklagten zu 2) zwischen dem 15.06.2013 und dem 31.12.2013 als Flugbegleiter angestellt. Vom 27.09.2013 bis zum 23.12.2013 absolvierte er bei der Beklagten zu 2) am Standort in N erfolgreich eine Schulung zum Führen eines Airbus A 320. Die hier erworbene Musterberechtigung wurde zuletzt am 28.10.2014 erneuert.
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Am 04.12.2013 wurde M von der H1 GmbH als Flugzeugführer angestellt. Hier absolvierte er zunächst ein sechsmonatiges Training einschließlich sog. Supervision Flüge in Begleitung eines Ausbildungskapitäns („Operator Conversion Course“), um die Besonderheiten des Flugbetriebs bei H2 sowie den praktischen Flugbetrieb in einem Airbus A 320 zu erlernen. Dieses Vorgehen entspricht dem Standard der deutschen Luftverkehrsbetreiber. Am 11.02.2014 erhielt M von dem Luftfahrtbundesamt eine Verkehrspilotenlizenz. Am 26.06.2014 wurde er von H2 zum Copiloten ernannt. In den folgenden Monaten wurde er bei den Flügen jeweils von einem weisungsbefugten Kapitän im Cockpit begleitet. Keiner dieser Kapitäne bemerkte hierbei Auffälligkeiten, die auf eine psychische Störung hindeuteten.
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Die Umstände der Wiederaufnahme der Ausbildung und der Wiedererteilung des Tauglichkeitszeugnisses Klasse 1 für M stellen sich im Einzelnen wie folgt dar:
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Am 09.04.2008 war M erstmals ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 ohne Einschränkungen ausgestellt worden. Nach dem Aussetzen der Ausbildung aufgrund einer depressiven Erkrankung stellte er am 09.04.2009 einen Antrag auf Erneuerung des Tauglichkeitszeugnisses, welcher aufgrund der noch andauernden Behandlung zunächst abgelehnt wurde. Am 14.07.2009 beantragte er diesbezüglich eine Neubewertung. Im Rahmen dieser Begutachtung war die depressive Vorerkrankung des M bekannt. Die Ausstellung des Tauglichkeitszeugnisses wurde zunächst verschoben und die Begutachtung durch einen Spezialisten angefordert. Das M3 Center informierte das Luftfahrbundesamt über diesen Vorgang. Am 28.07.2009 stellte es nach entsprechender Beratung mit dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. L als Spezialisten und den Behandlern des M, Herrn Dr. T und Herrn Dipl.-Psych. B, erneut ein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 aus. Berücksichtigung fand hierbei u.a. ein Schreiben des Herrn Dr. T vom 10.07.2009. Von diesem Brief gibt es zwei verschiedene Versionen (vgl. Anlage 11 zur Klageschrift gegenüber Bl. 115 der Anlagen zum Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 04.06.2019). In der Fassung, die letztlich zur flugmedizinischen Akte gelangt ist, ist u.a. von einer „vollständigen Remission“ die Rede. In der anderen Version ist eine etwas ausführlichere und kritischere Analyse enthalten, die allerdings ebenfalls „die Prognose hinsichtlich der Depression als […] gut bis sehr gut“ bezeichnet und von einer prognostizierten weiteren Krankheitsdauer von drei bis vier Monaten ausgeht. Das wiedererteilte Tauglichkeitszeugnis war unter die Bedingung gestellt, dass kein Rezidiv der depressiven Vorerkrankung auftritt. Diese Bedingung wurde durch den Zusatz … – REV (nachfolgend: „REV-Vermerk“) auf dem Zeugnis kenntlich gemacht. Dieser REV-Vermerk selbst gibt keinen Aufschluss über die konkrete Art der Vorerkrankung. Er soll den die Regelüberprüfung durchführenden flugmedizinischen Sachverständigen darauf hinweisen, dass bei dem entsprechenden Piloten bzw. Flugschüler pathologische Umstände vorliegen, die Einfluss auf die medizinische Beurteilung der Flugtauglichkeit haben können, damit dieser diese bei seiner Überprüfung berücksichtigt. Die Details der Erkrankung lassen sich nur der Patientenakte des jeweiligen Piloten (-Anwärters) entnehmen. Diese kann von dem untersuchenden flugmedizinischen Sachverständigen eingesehen werden. Weder die Beklagte zu 1) noch die Beklagte zu 2) (mit Ausnahme der behandelnden flugmedizinischen Sachverständigen) haben Zugang zu den Patientenakten ihrer Piloten bzw. Flugschüler.
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Am 14.06.2010 stellte M bei der FAA einen Antrag für eine Flugtauglichkeitsuntersuchung, welche Voraussetzung für den Beginn der praktischen fliegerischen Ausbildung bei der Beklagten zu 1) war. Die Untersuchung wurde durch den von der FAA anerkannten Fliegerarzt Dr. T1 durchgeführt. In seinem Untersuchungsbericht vom 18.06.2010 (Anlage 5 zur Klageschrift) stellte er die depressive Vorerkrankung des M dar sowie den Umstand, dass dieser von den deutschen flugmedizinischen Sachverständigen wieder als flugtauglich eingestuft worden war. Die FAA forderte M daraufhin mit Schreiben vom 08.07.2010 auf, einen entsprechenden Befundbericht des behandelnden Arztes vorzulegen. M reichte die englische Übersetzung eines Schreibens des Dipl.-Psych. B vom 23.02.2010 (Anlage 10 zur Klageschrift sowie Anlage BLD 1 und Bl. 112 der Anlagen zum Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 04.06.2019) sowie eine englische Übersetzung der positiveren Version des Schreibens des Herrn Dr. T vom 10.07.2009 (Anlage 9 zur Klageschrift), welches bereits bei der Wiedererteilung des Tauglichkeitszeugnisses der Klasse 1 am 28.07.2009 vorgelegt worden war, bei der FAA ein. Mit Schreiben vom 28.07.2010 (Anlage 12 zur Klageschrift) erteilte diese das beantragte Tauglichkeitszeugnis der Klasse 3 unter der Bedingung, dass die Erlaubnis zum Führen von Flugzeugen erlischt, sobald ein Rezidiv auftritt.
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Die flugmedizinischen Untersuchungen des M in den von der Beklagten zu 2) betriebenen M3 stellen sich im Einzelnen wie folgt dar:
Verlängerung des Tauglichkeitszeugnisses der Klasse 1 mit REV-Vermerk
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Die letztmalige Verlängerung des Tauglichkeitszeugnisses der Klasse 1 vom 28.07.2014 wäre bis zum 14.08.2015 gültig gewesen.
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Im Dezember 2014 begab sich M erneut in ärztliche Behandlung, nachdem bei ihm diffuse Beschwerden aufgetreten waren, die – jedenfalls rückblickend – auf das Vorliegen einer psychotischen Störung hindeuten. Die behandelnde Hausärztin, Frau Dr. S, dokumentierte in diesem Zusammenhang im Februar 2015 Schlaf- und Sehstörungen (Doppelbilder, Lichtpunkte, visuelle Halluzinationen mit Lichtkränzen und Figuren-Sehen). Die durchgeführten augenärztlichen Untersuchungen ergaben jedoch keine physische Erklärung, sodass auch hier eine psychische Ursache vermutet wurde. Hinzu trat eine vermehrte Reizdurchlässigkeit, wobei sich M diesbezüglich nur gegenüber einem ausgewählten Personenkreis mitteilte. Neben Herrn Dr. T suchte er aufgrund der akuten Beschwerden verschiedene weitere Ärzte auf. M wurde von den verschiedenen Behandlern mehrfach dazu angehalten, die bestehende Arbeitsunfähigkeit seinem Arbeitgeber mitzuteilen und einen Fliegerarzt aufzusuchen. Am 10.03.2015 stellte der behandelnde Arzt eine mögliche Psychose fest und sprach die Empfehlung einer stationären Behandlung aus. Dieser kam M jedoch nicht nach. Eine Mitteilung über das Auftreten der Symptome machte er weder gegenüber seinem Arbeitgeber H2 noch gegenüber der Beklagten zu 2) oder dem Luftfahrtbundesamt. Sein Verhalten gegenüber den Personen seines beruflichen Umfelds war unauffällig.
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Am … brachte M den H-Flug … von C nach E zum Absturz. Nach dem Erreichen der Reiseflughöhe nutzte er das Verlassen des Cockpits durch den Kapitän dazu, die Tür von innen zu verriegeln und sich einzuschließen.
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Den Aufzeichnungen des Cockpit-Voice-Recorders lässt sich entnehmen, dass der Kapitän das Cockpit um 09:30:24 Uhr verließ. Um 09:30:53 Uhr wurde die an der Flight Control Unit eingestellte Reiseflughöhe von 38.000 ft auf 100 ft verringert, was der minimalen Flughöhe im Autopiloten entspricht. In der Folge verringerten sich die Drehzahlen der beiden Triebwerke und das Flugzeug begab sich in den Sinkflug. Anschließend wurde die eingestellte Geschwindigkeit mehrfach verändert. Daraufhin versuchte der Fluglotse, Kontakt mit dem Cockpit aufzunehmen. Dieser Versuch blieb jedoch unbeantwortet. Um 09:34:31 wurde der Türsummer der Cockpittür betätigt. Diese wurde jedoch nicht geöffnet. Um 09:35:03 Uhr wurde die Zielgeschwindigkeit auf 350 kt erhöht und damit letztmalig verändert. Die Geschwindigkeit des Flugzeuges stabilisierte sich in der Folge bei 345 kt. Der Autopilot und der Autothrust blieben eingeschaltet. Bis zu dem Aufschlag des Flugzeugs auf dem Terrain der französischen Alpen scheiterten mehrfache Versuche des N2 Kontrollzentrums, der französischen Luftverteidigung sowie eines anderen Flugzeugs, mit dem Cockpit Kontakt aufzunehmen. Die Besatzung des H-Fluges … versuchte insgesamt viermal für ca. drei Sekunden, das Cockpit über einen Kabinenanruf zu erreichen. Der Aufnahme des Cockpit-Voice Recorders lassen sich zudem ein sechsmaliges Klopfen gegen die Cockpittür, dumpfe Stimmen, die um Einlass zum Cockpit bitten, sowie fünfmal Geräusche, ähnlichen einem starken Schlagen gegen die Cockpittür, entnehmen. 14 Sekunden vor dem Aufprall der Maschine ist auf der Aufzeichnung eine schreiende Stimme zu hören.
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H2 hat in Folge des Absturzes verschiedene Zahlungen an einige der Kläger geleistet. Diese Leistungen beruhen auf Art. 5 der VO (EG) 2027/97 [zuletzt geändert durch die VO (EG) 889/2002] des Rates für die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und Gepäck im Luftverkehr. Hierbei handelt es sich um einen Vorschuss auf materielle Schäden in Höhe von 50.000,00 EUR pro Passagier. Zudem wurden die Überführungs- und Beerdigungskosten übernommen. Des Weiteren hat H2 ohne eine Prüfung im Einzelfall und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für jeden verstorbenen Passagier an die Erben ein pauschales Schmerzensgeld für die unterstellte Todesangst in Höhe von 25.000,00 EUR gezahlt. Zudem wurde pauschal eine Zahlung in Höhe von 10.000,00 EUR an nahe Angehörige für unterstellte eigene immaterielle Schäden erbracht.
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H2 hat den Betroffenen zudem jeweils zugesichert, Ansprüche auf Ersatz darüber hinausgehender Forderungen zu prüfen. Im diesem Zusammenhang sind verschiedene außergerichtliche Einigungen zustande gekommen. Die hier beteiligten Kläger haben innerhalb der Ausschlussfrist des Art. 35 des Montrealer Übereinkommens gegen H2 keine weiteren Ansprüche gerichtlich geltend gemacht.
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Die Kläger behaupten, M hätte bei der Stellung des Antrags an die FAA auf Erteilung eines Tauglichkeitszeugnisses der Klasse 3 absichtlich falsche Erklärungen abgegeben, indem er zunächst versucht habe, seine Vorerkrankung zu verschweigen. Zudem habe er sich auch in der Zeit seiner ca. viermonatigen Ausbildung bei der Beklagten zu 1) auffällig gezeigt. Eine bestehende psychische Erkrankung sei für diese daher erkennbar gewesen. Aufgrund dessen hätte sie die Ausbildung des M verweigern, jedenfalls aber der Beklagten zu 2) oder der M1 GmbH Verkehrsfliegerschule in C1 Mitteilung machen müssen, damit verhindert worden wäre, dass M eine Zulassung und Anstellung als Verkehrspilot erhält. Auch hätte sie aufgrund der Kenntnis der Vorerkrankung einen Psychologen in die Ausbildung von M einbinden müssen. Zudem habe mindestens ein bei der Beklagten zu 1) tätiger Ausbilder angegeben, dass M im Rahmen der Ausbildung bei der Beklagten zu 1) als „not flyable“ erkannt worden sei.
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Die FAA habe im Gegensatz zu der Beklagte zu 1) die von der Vorerkrankung M` ausgehende Gefahr erkannt und das Tauglichkeitszeugnis daher nur unter der Einschränkung erteilt, dass kein Rezidiv auftrete. Hierbei handele es sich um einen „Warnbrief“ der FAA. Auf den Umstand dieses nur bedingt erteilten Tauglichkeitszeugnisses hätte die Beklagte zu 1) mit weiteren Nachforschungen reagieren müssen. Ebenso hätte der auf dem deutschen Tauglichkeitszeugnis vorhandene „…-REV“-Vermerk Anlass zu weiteren Nachfragen sein müssen. Dabei hätte die Beklagte zu 1) dann erkennen müssen, dass M aufgrund seiner Vorerkrankung und der Tatsache, dass er diese gegenüber der FAA zunächst verschwiegen habe, nicht geeignet gewesen sei, ein Flugzeug zu führen. Sie sei daher verpflichtet gewesen, ihm die Aufnahme in das Ausbildungsprogramm zu verweigern.
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Die Beklagte zu 1) hätte zudem ein Organisationsinstrument einrichten müssen, das sicherstellt, dass alle Einzelinformationen über die Flugschüler systematisch erfasst und zusammengeführt werden, um psychisch auffällige oder auch nur verdächtige Pilotenanwärter zu erkennen.
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Auch die Beklagte zu 2) sei ihrer Verantwortung für die Aufdeckung der psychischen Krankheit des M nicht nachgekommen. Das medizinische Überwachungssystem der Beklagten zu 2) sei aufgrund schwerer organisatorischer Mängel nicht in der Lage gewesen, die psychische Erkrankung des M trotz offensichtlicher Anzeichen zu erkennen.
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Die Kläger sind der Auffassung, der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber habe die in der VO (EU) 1178/2011 enthaltenen Vorgaben inhaltlich nicht ausreichend umgesetzt. Insbesondere die dort enthaltene Regelung der Übermittlung entsprechender Daten an die zuständige Luftfahrtbehörde sei in § 21 LuftPersV nur in pseudonymisierter Form und damit nicht nachverfolgbar übernommen worden. Auf diese Unzulänglichkeiten sei bereits in einem Audit der EASA Deutschland vom 11.07.2014 hingewiesen worden. Die Beklagte zu 2) habe Kenntnis von dieser Problematik gehabt und hätte erkennen müssen, dass die gesetzlichen Regelungen zur effektiven Erkennung untauglicher Piloten nicht ausreichend seien. In der Folge wäre sie als größter deutscher Luftfahrtkonzern mit drei eigenen flugmedizinischen Zentren verpflichtet gewesen, ein eigenes, über die deutschen gesetzlichen Vorgaben hinausgehendes Sicherungs- und Überwachsungssystem zur Erkennung untauglicher Piloten zu implementieren. Trotz des „offensichtlichen gesetzlichen und administrativen Chaos“ habe die Beklagte zu 2) fehlerhaft nichts getan, um die Flugsicherheit zu gewährleisten. Sie habe weder ihre flugmedizinischen Zentren über die europarechtlichen Anforderungen in Kenntnis gesetzt, noch dafür Sorge getragen, dass die jeweiligen Fliegerärzte auf die Untersuchungsberichte ihrer Vorgänger hätten zugreifen können. Sie habe vielmehr offensichtliche Mängel in ihrem flugmedizinischen Untersuchungssystem einfach hingenommen und damit gerade Piloten mit schweren Krankheiten Tür und Tor für ihre weitere Laufbahn geöffnet. Die Beklagte zu 2) hätte aber dafür Sorge zu tragen gehabt, dass eine funktionierende Kontrolle ihrer Piloten auch bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben gewährleistet werde. Die Beklagte zu 2) sei neben der Aufsichtsbehörde die unmittelbar für die Einsatzfähigkeit der Piloten Verantwortliche. Eine Garantenstellung ergebe sich aus ihrer Stellung in dem „Sicherheitssystem Luftfahrt“, nach dem die Verpflichtung zum Schutz von Menschenleben jeweils derjenigen Stelle obliege, der die Verantwortung für die Verhinderung einer Katastrophe übertragen worden ist. Die Beklagte zu 2) habe daher rechtlich dafür einzustehen gehabt, dass es nicht zu der von M begangenen Tat kommt. Denn bei Versagen eines Beteiligten des „Sicherheitssystems Luftfahrt“ – hier des deutschen Gesetz- und Verordnungsgebers sowie der Aufsichtsbehörden – seien die anderen Beteiligten – hier insbesondere die Beklagte zu 2) – in der Verantwortung, dieses Versagen auszugleichen und aufzufangen.
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Hätte die Beklagte zu 2) das ab dem 09.04.2013 geltende EU-Recht umgesetzt, wäre M – so die Behauptung der Kläger – mit hoher Wahrscheinlichkeit „ausgemustert“ worden. Sie hätte, da der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber nicht ausreichend reagiert habe, selbst ein den europarechtlichen Vorschriften entsprechendes Ersatzsystem implementieren müssen.
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Die erforderlichen Korrekturen seien dann erst nach dem hier gegenständlichen Absturz vom Gesetzgeber mit dem durch das 15. ÄndG zum LuftVG neu eingeführten § 65 b LuftVG vorgenommen worden, welcher – entsprechend den europarechtlichen Vorgaben – die Einführung einer flugmedizinischen Datenbank zwecks zentraler Zusammenführung der für die medizinische Tauglichkeit relevanten Daten vorsehe.
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Die Kläger behaupten zudem, die Ergebnisse der durchgeführten Tauglichkeitsuntersuchungen zeigten auf beeindruckende Weise, dass bei den flugmedizinischen Sachverständigen jeweils erhebliche Vorbehalte gegenüber der Tauglichkeit von M bestanden hätten. Hierauf habe die Beklagte zu 2) in pflichtwidriger Weise nicht reagiert. Zudem lasse sich dem jeweiligen Fortschreiben des REV-Vermerks entnehmen, dass die jeweiligen Ärzte den „Ausnahmezustand“ in dem sich M Jahr für Jahr befand, hingenommen hätten, ohne sich mit der Frage einer aktiven Bewältigung der offensichtlichen Problematik zu befassen. Da dem Piloten die Auswahl des ihn untersuchenden flugmedizinischen Sachverständigen überlassen sei, müssten Informationen über psychische Erkrankungen sowie sonstige Tauglichkeitsprobleme, deren Symptome bei einer einzelnen Untersuchung nicht ohne weiteres erkennbar seien, zentral gespeichert und nachvollziehbar gemacht werden.
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Auch hafte die Beklagte zu 2) für schuldhaftes Fehlverhalten der bei ihr angestellten flugmedizinischen Sachverständigen im Rahmen der Untersuchungen und Beurteilungen des M.
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Die Kläger behaupten, die den M untersuchenden flugmedizinischen Sachverständigen hätten diesem auf Grundlage einer falschen Beurteilung am 28.07.2009 das Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 wiedererteilt. Aufgrund der vorhandenen Befunde hätte die Erteilung des Tauglichkeitszeugnisses verweigert werden müssen. Es sei ganz eindeutig gewesen, dass M von einem medizinischen Standpunkt aus nicht geeignet gewesen sei, ein Flugzeug zu führen. Die Kläger sind der Auffassung, dass die Beklagte zu 2) für diese Fehler rechtlich haftbar sei, da die jeweils untersuchenden flugmedizinischen Sachverständigen in flugmedizinischen Zentren der Beklagten zu 2) tätig und bei dieser angestellt gewesen sind.
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Sie sind zudem der Ansicht, der Passus „weiterlaufende Psychotherapie“ in dem psychiatrischen Gutachten des Prof. Dr. L vom 15.07.2009 sei als eine Auflage in dem Sinne zu verstehen, dass das erteilte Tauglichkeitszeugnis unter der Bedingung der fortlaufenden Psychotherapie stehe. Die Einhaltung dieser Bedingung hätten die nachuntersuchenden flugmedizinischen Sachverständigen dann aber jeweils nicht mehr überprüft. Diese hätten M bei den anschließenden jährlichen Regeluntersuchungen vielmehr nur „durchgewunken“, anstatt die von Prof. Dr. L und Prof. Dr. T2 in das Tauglichkeitszeugnis vom 28.07.2009 aufgenommenen „Auflagen“ zu berücksichtigen. Die die anschließenden Regeluntersuchungen durchführenden Sachverständigen hätten sich versichern müssen, dass M sich fortlaufend einer Psychotherapie unterzog, denn das Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 sei am 28.07.2009 nur unter der Bedingung einer fortlaufenden Psychotherapie wiedererteilt worden. Sie hätten zudem allein den REV-Vermerk zum Anlass nehmen müssen, M zu einer Überprüfung seines „mentalen Status und Verhaltens“ durch einen Psychotherapeuten zu bewegen.
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Dies ergebe sich auch daraus, dass Prof. Dr. L und Prof. Dr. T2 von einer „abgeklungenen“ depressiven Episode ausgegangen seien. Dies weise eindeutig darauf hin, dass zwar die vorhandenen Symptome abgeklungen seien, die Krankheit als solche aber gerade nicht geheilt. Der Begriff des „Abklingens“ enthalte etwas Vorübergehendes. Bei der im Rahmen der Tauglichkeitsuntersuchung zu treffenden Prognoseentscheidung sei man bei der Wiedererteilung nicht davon ausgegangen, dass eine Wiederholung zukünftig ausgeschlossen sei, sondern vielmehr im Bereich des Erwartbaren liege. Daher habe Prof. Dr. L seine Empfehlung zur Wiedererteilung des Tauglichkeitszeugnisses auch unter die Bedingung einer weiterlaufenden Psychotherapie gestellt. Prof. Dr. T2 habe das am 28.07.2009 wiedererteilte Tauglichkeitszeugnis unter folgende Bedingung gestellt: „Bei Wiederauftreten eines Rezidiv erlischt diese Sondergenehmigung und es wird eine erneute Überprüfung gemäß § 24 c der LuftVZO erforderlich.“ Diese Entscheidung beruhe darauf, dass Prof. Dr. T2 „die Brisanz und Drittbezogenheit“ seiner Entscheidung erkannt habe und das Tauglichkeitszeugnis nur unter diesem „massiven“ Vorbehalt erteilen konnte. Allerdings sind die Kläger auch der Ansicht, dass die Wiedererteilung des Tauglichkeitszeugnisses der Klasse 1 zum 28.07.2009 nicht hätte erfolgen dürfen, da die Vorerkrankung M jedenfalls als dauerhaft für den Pilotenberuf untauglich habe dastehen lassen.
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Auch hätten die jeweiligen flugmedizinischen Sachverständigen bei den anschließenden Untersuchungen den REV-Vermerk auf dem Tauglichkeitszeugnis des M fehlerhafterweise nicht zum Anlass genommen, dessen Krankenhistorie näher zu ergründen und nach den Ursachen für diesen Vermerk zu forschen. Die Tauglichkeit sei bei den nachfolgenden Untersuchungen nicht mehr thematisiert worden. Sie hätten aber spätestens aufgrund der Rechtslage ab 2013 aufgrund der affektiven Störungen des M zu den jeweiligen Untersuchungen zwingend einen Psychiater hinzuziehen müssen.
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Zu dem Geschehen in dem Unglücksflugzeug behaupten die Kläger, die Passagiere hätten die Abläufe an der Cockpittür mitbekommen und seien sich daher des Ernstes der Lage bewusst gewesen. Aufgrund dessen hätten sie bis zum Aufprall der Maschine auf die Erdoberfläche unter unvorstellbarer Todesangst gelitten. Sie hätten jedenfalls aufgrund der hohen Sinkrate, die dem Dreifachen des Üblichen entsprochen habe, in Verbindung mit dem Anstieg der Geschwindigkeit darauf schließen können, dass etwas nicht in Ordnung sei. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Passagiere bereits zu diesem Zeitpunkt in „angespannte Alarmbereitschaft“ versetzt worden seien. Spätestens aber ab dem Zeitpunkt, ab dem der Kapitän erfolglos versuchte, Zugang zum Cockpit zu erhalten, sei den meisten Passagieren bewusst geworden, sich in einer ausweglosen Lage zu befinden, denn ein Klopfen, Schlagen, Treten und Rufen hätten sie jedenfalls mitbekommen. Diese Phase habe um 09:34:31 Uhr begonnen. Somit erstrecke sich die Erfahrung der Todesangst auf ca. siebeneinhalb Minuten. Die Kläger sind der Auffassung, dass die von H2 für die Erfahrung der Todesangst pro Passagier gezahlten 25.000,00 EUR nicht ausreichend seien, um die erlittenen Ängste auszugleichen. Erforderlich seien vielmehr mindestens weitere 25.000,00 EUR pro Passagier.
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Auch das von H2 an einen Teil der Kläger gezahlte eigene Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 EUR sei zu niedrig. Angemessen seien insgesamt mindestens 40.000,00 EUR für jeden Angehörigen eines Passagiers. Die Kläger sind der Auffassung, ein entsprechender Anspruch ergebe sich aus § 844 Abs. 3 BGB. Es sei außerdem zu berücksichtigen, dass die Angehörigen aufgrund des Zustands der Verstorbenen nicht richtig hätten Abschied nehmen, sondern vielmehr nur „sterbliche Überreste“ beerdigen können. Zudem müsse Beachtung finden, dass ein Teil der Überreste in Frankreich bestattet worden ist und ein Großteil der sterblichen Überreste gar nicht aufgefunden werden konnte. Auch die Vorstellung darüber, welche Todesängste die Angehörigen in dem Flugzeug ausgestanden haben müssen, belaste die Kläger schwer. Es bestehe die ständige Angst, Angehörige zu verlieren, weil diese mit dem Verlust nicht klarkämen und Suizid begehen könnten, dass Ehen zerbrechen könnten oder beruflicher Erfolg beeinträchtigt werde und dass hinterbliebene Kinder selbst keine Familie gründen könnten. Hinzu kämen körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme, rapide Gewichtsabnahme, Herzrasen, erhöhter Blutdruck sowie psychische Beschwerden in Form von Antriebslosigkeit bis hin zur Lethargie, Schlaflosigkeit, Vergesslichkeit und Unkonzentriertheit.
37
Die Kläger tragen schließlich vor, der Abschlussbericht der französischen BEA könne die Beklagten nicht entlasten, da diese Untersuchung nicht dem Auffinden von Schuldigen diene, sondern dem „Selbstreinigungsprozess des weltweiten Systems Luftfahrt“. Den Klägern gehe es zudem auch im Rahmen dieses Prozesses um eine weitere Aufklärung des Absturzes und der hierzu führenden Ursachen und Verursachungsbeiträge. Dies sei auch der Grund, weshalb sie nicht H2, sondern die hiesigen Beklagten in Anspruch nehmen würden.
38
Die Kläger haben die Klage im Laufe des Verfahrens mehrfach geändert. Gegenstand der Klage in dem zuletzt gefassten Umfang waren die folgenden Ansprüche, wobei die Ansprüche, die mehrere Kläger als Gesamtgläubiger geltenden machen, nur mit dem jeweiligen Kopfteil aufgeführt sind:
128
Gegenstand des hiesigen Rechtsstreits sind gegenüber der Beklagten zu 2) nur noch die Ansprüche, die in den vorstehenden Tabellen im Fettdruck hervorgehoben sind.
129
Dies hat folgenden Grund:
130
Die Beklagte zu 2) hatte die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Essen gerügt. Die Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 21.08.2019 (Bl. 951 ff. GA) teilweise abgetrennt. Hinsichtlich der einzelnen Ansprüche wird auf die Darstellungen im Beschluss vom 21.08.2019 Bezug genommen. Insoweit hat sich die Kammer für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Landgericht G4 verwiesen.
131
Die Kläger beantragen nunmehr,
132
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
133
an die Kläger zu 1.-5. jeweils ein angemessenes eigenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens weiteren 30.000,00 EUR zu zahlen,
134
an den Kläger zu 5. einen Betrag von mindestens weiteren 230.000,00 EUR aus abgetretenem Recht zu zahlen,
135
an den Kläger zu 7. einen Betrag von mindestens weiteren 2.204.000,00 EUR aus abgetretenem Recht zu zahlen,
136
die Beklagte zu 1) darüber hinaus zu verurteilen,
137
an den Kläger zu 1) einen Betrag in Höhe von 30.000,00 EUR aus abgetretenem Recht zu zahlen,
138
an die Kläger zu 1) und zu 2) ein angemessenes ererbtes Schmerzensgeld für die Todesangst ihrer getöteten Tochter C6 in Höhe von mindestens weiteren 25.000,00 EUR zu zahlen,
139
an die Kläger zu 3) und zu 4) ein angemessenes ererbtes Schmerzensgeld für die Todesangst ihrer getöteten Tochter I2 in Höhe von mindestens weiteren 25.000,00 EUR zu zahlen,
140
an den Kläger zu 5) den Betrag von mindestens weiteren 80.000,00 EUR aus abgetretenem Recht zu zahlen,
141
an den Kläger zu 5) ein angemessenes ererbtes Schmerzensgeld (aus eigenem sowie abgetretenem Recht) für die Todesangst seiner getöteten Tochter M5 in Höhe von mindestens weiteren 25.000,00 EUR zu zahlen,
142
an den Kläger zu 6) ein angemessenes eigenes Schmerzensgeld für den Verlust seiner getöteten Tochter S2 in Höhe von 30.000,00 EUR zu zahlen,
143
an den Kläger zu 6) ein angemessenes eigenes Schmerzensgeld für den Verlust seines getöteten Enkelkindes T3 in Höhe von mindestens 40.000,00 EUR zu zahlen,
144
an den Kläger zu 6) ein angemessenes eigenes Schmerzensgeld für den Verlust seines Schwiegersohnes T4 in Höhe von mindestens 40.000,00 EUR zu zahlen,
145
an den Kläger zu 6) ein angemessenes ererbtes Schmerzensgeld für die Todesangst seiner getöteten Tochter S2 in Höhe von mindestens weiteren 25.000 EUR zu zahlen,
146
an den Kläger zu 7) ein angemessenes eigenes Schmerzensgeld für den Verlust seiner getöteten Tochter U1 in Höhe von mindestens 30.000,00 EUR zu zahlen,
147
an den Kläger zu 7) den Betrag von mindestens weiteren 3.926.666,68 EUR aus abgetretenem Recht zu zahlen,
148
an die Klägerin zu 8) ein angemessenes eigenes Schmerzensgeld für den Verlust ihrer getöteten Tochter U1 in Höhe von mindestens weiteren 30.000,00 EUR zu zahlen,
149
an die Kläger zu 7) und zu 8) ein angemessenes ererbtes Schmerzensgeld für die Todesangst ihrer getöteten Tochter U1 in Höhe von mindestens weiteren 25.000,00 EUR zu zahlen.
150
Die Beklagten beantragen,
151
die Klage abzuweisen.
152
Die Beklagten behaupten, M`s Krankheit sei im Jahr 2010 komplett ausgeheilt gewesen. Bei den nachfolgenden Regeluntersuchungen sei dem die Untersuchung durchführenden flugmedizinischen Sachverständigen aufgrund des REV-Vermerks jeweils bekannt gewesen, dass bei M eine depressive Vorerkrankung vorgelegen habe. Diese hätten sie in ihre Untersuchungen mit einbezogen. Keine der Untersuchungen hätte Anhaltspunkte für den Verdacht auf das Vorliegen eines Rezidivs ergeben. Somit habe kein Anlass bestanden, weitere Untersuchungen zu veranlassen oder das Flugtauglichkeitszeugnis der Klasse 1 nicht zu erteilen bzw. zu verlängern. Die flugmedizinische Akte habe bei den Untersuchungen jeweils vorgelegen.
153
Die Beklagten vertreten die Ansicht, das von den Klägern geforderte medizinische Überwachungssystem entbehre jeglicher konkreten gesetzlichen Grundlage. Zudem liege auch kein Systemfehler vor, da jeder flugmedizinische Sachverständige die Möglichkeit und auch die Pflicht habe, bei vorhandenem REV-Vermerk auf die flugmedizinische Akte zuzugreifen. Es habe daher zu keiner Zeit ein Informationsdefizit bestanden.
154
Es gebe des Weiteren auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass M in der Zeit seiner Ausbildung bei der Beklagten zu 1) in irgendeiner Form Auffälligkeiten gezeigt habe, die Anlass zu der Besorgnis einer psychologischen Erkrankung gegeben hätten. Der Vortrag der Kläger, ein Mitarbeiter der Beklagten zu 1) hätte M als „not flyable“ bezeichnet, sei unsubstantiiert. Hierbei handele es sich um eine Behauptung, die in einem Online-Artikel des britischen Boulevardblattes „E6“ vom 01.08.2016 aufgestellt und von dem Kläger G5 in dem Verfahren vor dem US-Bezirksgericht (Az. …) übernommen worden sei, ohne jegliche Belege oder die Benennung von Zeit und Umstand sowie der Person des die Aussage tätigenden Ausbilders.
155
Die letztlich zu dem erweiterten Selbstmord in Form des herbeigeführten Flugzeugabsturzes führende psychische Pathologie des M sei – so die Behauptung der Beklagten – eine andere als die in den Jahren 2008 und 2009 behandelte Depression. Es habe sich zuletzt um eine Form der Psychose gehandelt, deren Symptome erstmals im Dezember 2014 aufgetreten seien. Diese hätte M – insoweit unstreitig – aber weder seinem Arbeitgeber, der H1 GmbH, mitgeteilt, noch seien Anzeichen hierfür den Kollegen aufgefallen. Insofern habe es keine Erkenntnismöglichkeiten hierzu für die Beklagten gegeben.
156
Die Beklagten bestreiten zudem mit Nichtwissen, dass die Passagiere des Fluges den Ernst der Lage über einen längeren Zeitraum hätten erfassen können. Das Ausstehen unvorstellbarer Todesangst lasse sich den vorhandenen Erkenntnissen aufgrund des Cockpit-Voice-Recorders nicht entnehmen. Unter Berücksichtigung der Flugbewegung des Flugzeugs im Sinkflug sowie des Sinkwinkels und der Sinkrate sei vielmehr nicht davon auszugehen, dass die Passagiere den Sinkflug – jedenfalls taktil – als solchen wahrgenommen hätten. Auch der Umstand, dass der Kapitän erst nach vier Minuten wieder Zugang zum Cockpit begehrte, spreche dafür, dass eine deutliche Sinkbewegung nicht wahrzunehmen gewesen sei. Andernfalls hätte dieser früher reagiert. Auch die normale Durchführung des Kabinenservices spreche gegen die Wahrnehmung der Gefahrensituation durch die Passagiere. Auch nachdem der Kapitän vergeblich Einlass verlangt habe, hätten die Passagiere die konkrete Situation nicht zwingend mitbekommen müssen. Zum einen sei lediglich ein zwar heftiges aber kontrolliertes Klopfen, nicht aber ein Treten oder Hämmern gegen die Cockpittür in den Aufzeichnungen festzustellen. Auch habe keine panische Reaktion der Besatzung wie etwa der Versuch, die Cockpittür mit der Bordaxt zu öffnen, stattgefunden. Zudem sei der Bereich vor der Cockpittür für die Passagiere nicht einsehbar, da dieser durch einen Vorhang abgetrennt ist.
157
Die Beklagten haben sich im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte rügelos eingelassen.
158
Die Beklagte zu 2) erhebt die Einrede der Verjährung hinsichtlich der Ansprüche, die der Kläger zu 7) aus abgetretenem Recht verfolgt.
159
Im Übrigen wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
160
Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
A.
161
Die Klagen sind zulässig. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben, das Landgericht Essen ist für die noch anhängigen Klagen örtlich zuständig.
I.
162
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich aus Art. 26 Brüssel I a-VO, soweit sich die Klage gegen die Beklagte zu 1) richtet. Diese hat sich hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit rügelos eingelassen. Dem steht nicht entgegen, dass die Kläger die Klage vor dem Landgericht Essen nach eigenem Bekunden in der Annahme erhoben haben, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestehe nicht. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist derartiger Vortrag irrelevant, da auf Klägerseite lediglich die Erhebung der Klage als solches erforderlich ist. Für das Eingreifen der Vorschrift ist anschließend lediglich weiteres Handeln des Beklagten, in Form der rügelosen Einlassung, notwendig. Art. 26 Brüssel I a-VO fordert zudem nicht, dass die Parteien ihren (Wohn-) Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben (vgl. Gaier in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 36. Edition, Stand: 01.03.2020, Brüssel I a VO Art. 26, Rn. 6 m.w.N.). Insofern ist es unschädlich, dass der Sitz der Beklagten zu 1) in den USA liegt.
163
Mit Blick auf die Beklagte zu 2) bestehen hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte ebenfalls keine Bedenken.
II.
164
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Essen ergibt sich für die Klage gegen die Beklagte zu 1) aus § 39 S. 1 ZPO, da diese auch insoweit die rügelose Einlassung erklärt hat.
165
Hinsichtlich der Beklagten zu 2) ergibt sich die örtliche Zuständigkeit aus § 32 ZPO, soweit das Verfahren nicht abgetrennt und an das zuständige Landgericht G4 verwiesen wurde. Der Gerichtsstand des § 32 ZPO besteht sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort der unerlaubten Handlung (Schultzky in Zöller, 32. Aufl. 2018, § 32, Rn. 19). Erfolgsort der dem jeweils geltend gemachten eigenen Schmerzensgeld zugrunde liegenden „Schockschäden“ ist der Ort, an dem sich die Kläger bzw. die Zedenten bei Auftreten der behaupteten Folgen befunden haben. Dieser lag bei den verbliebenen Ansprüchen im Bezirk des Landgerichts Essen, da die Anspruchsteller ihren Wohnsitz im hiesigen Gerichtsbezirk hatten.
B.
166
Die zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet. Materielle Ansprüche der Kläger gegen die Beklagten kommen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.
I.
167
Es bestehen keine Ansprüche der Kläger gegen die Beklagte zu 1) auf Zahlung eines (weiteren) Schmerzensgeldes.
1.
168
Aus Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO folgt die Anwendung deutschen materiellen Rechts. Die Rom II-VO ist aufgrund ihrer in Art. 3 geregelten universellen Geltung auch anwendbar, wenn ein möglicher Bezug zum Recht von Drittstaaten, wie hier der USA, gegeben ist (Schmidt in BeckOGK-Rom II-VO, Stand: 01.02.2020, Art. 1, Rn. 29 f.). Bei den geltend gemachten Ansprüchen handelt es sich um außervertragliche Ansprüche i.S.d. Art. 1 Abs. 1 und 4 Abs. 1 Rom II-VO. Dies sind solche, die auf den Ersatz eines Schadens aufgrund einer unerlaubten Handlung gerichtet sind. Hierbei werden sowohl der Begriff der unerlaubten Handlung als auch der des Schadens jeweils europarechtlich definiert. Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung ist nach dem weiten europarechtlichen Verständnis ein solcher, der auf Schadenersatz gerichtet ist und nicht auf einem Vertragsverhältnis beruht. Der Begriff des Schadens erfasst sowohl materielle als auch immaterielle Schäden (Rühl in BeckOGK-Rom II-VO, Stand: 01.12.2017, Art. 4, Rn. 35 ff.). Im Gegensatz dazu ist für eine vertragliche Grundlage eine freiwillig eingegangene Verpflichtung charakteristisch, was offensichtlich nicht Grundlage der vorliegend geltend gemachten Ansprüche ist und auch von den Parteien so nicht verstanden wird. Auch ein Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wäre als außervertraglich i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO zu qualifizieren (vgl. Gottwald in MüKo-BGB, 8. Aufl. 2019, § 328, Rn. 175).
169
Gem. Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO ist, abweichend von den Regelungen der Abs. 1 und 2, das Recht des Staates anwendbar, zu dem die streitgegenständliche unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung aufweist. So liegt es hier in Bezug auf das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Grundsätzlich wäre gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO das französische Recht anzuwenden, da der streitgegenständliche Primärschaden in Form der Tötung der Angehörigen der Kläger bei dem Absturz des H-Fluges eingetreten ist. Von dieser Regel ist im vorliegenden Fall entsprechend der Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO abzuweichen, da eine wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles eine offensichtlich engere Verbindung zum deutschen Recht aufzeigt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich der Unglücksort im Wesentlichen aus dem Zufall ergeben hat und sich aufgrund der Flugroute auch in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat hätte realisieren können. Außer dem Umstand, dass sich der Absturz selbst auf französischem Territorium ereignet hat, weist der hiesige Rechtsstreit keine weiteren Bezugspunkte zum französischen Recht auf. Auf der anderen Seite bestehen mehrere, wesentliche Verbindungen zur deutschen Rechtsordnung. So klagen deutsche Staatsangehörige gegen die Enkelgesellschaft eines deutschen Luftfahrtunternehmens. Diese Enkelgesellschaft hat aufgrund eines Vertrages mit der M1 GmbH, welcher eine Rechtswahl für die Anwendbarkeit deutschen Rechts beinhaltet, einen Teil der Ausbildung des M, eines deutschen Staatsangehörigen, zum Piloten übernommen. Die weitere Ausbildung sowie die jeweiligen flugmedizinischen Untersuchungen fanden in Deutschland statt, ebenso wie die Behandlung seiner psychischen Erkrankung. Zudem war das Ziel des Fluges E.
2.
170
Es bestehen keine vertraglichen Ansprüche der Kläger gegen die Beklagte zu 1). Solche scheiden, auch nach Auffassung der Parteien, bereits deshalb aus, weil weder die Kläger, noch die Passagiere des Unglücksfluges, noch M selbst in einer vertraglichen Beziehung zu der Beklagten zu 1) standen. Soweit die Beklagte zu 2) mit der M1 GmbH und diese mit der Beklagten zu 1) jeweils Ausbildungsverträge abgeschlossen haben, handelt es sich hierbei nicht um Verträge mit Schutzwirkung zugunsten der Passagiere und deren Angehörigen. Es fehlt hierfür jedenfalls an den Voraussetzungen der Erkennbarkeit sowie der fehlenden anderweitigen Ersatzmöglichkeit.
a)
171
Für die Beklagte zu 1) war der in die Schutzpflichten mit einzubeziehende Personenkreis bereits nicht überschaubar. Um eine uferlose Haftung außerhalb der Voraussetzungen des Deliktsrechts zu vermeiden, ist die Grenze von in die Schutzpflichten eines Vertrages mit einbezogenen Dritten grds. eng zu ziehen (Gottwald a.a.O., Rn. 182). Der in die vertraglichen Schutzpflichten mit einbezogene Personenkreis muss für den Verpflichteten bei Abschluss des Vertrages erkennbar und damit kalkulierbar und versicherbar sein. Andernfalls wäre das – gegenüber der deliktischen Haftung erhöhte – vertragliche Haftungsrisiko dem Verpflichteten nicht zumutbar (Gottwald a.a.O., Rn. 190). Zwar müssen die dem vertraglichen Schutz unterfallenden Personen nicht nach Namen und Anzahl bekannt sein. Bei einer, wie hier, schier unüberschaubaren Anzahl zukünftiger Passagiere, welche von den Flugschülern in den nachfolgenden ggf. Jahrzehnten befördert werden, war eine Erkennbarkeit der in den vertraglichen Schutz mit einbezogenen Personen für die Beklagte zu 1) jedoch offensichtlich nicht gegeben.
b)
172
Des Weiteren fehlt es auch an dem erforderlichen Schutzbedürfnis für einen Rückgriff auf das Konstrukt des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Den klagenden Parteien stand eine anderweitige, gleichwertige Ersatzmöglichkeit offen. Das Schutzbedürfnis entfällt, wenn eine Schutzlücke nicht besteht, weil den Anspruchstellern eigene, gleichwertige Ansprüche zustehen. Die Gleichwertigkeit ist zu bejahen, wenn die eigenen Ansprüche einem etwaigen Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nach Voraussetzungen, Zweck und Umfang entsprechen. Dabei ist es unerheblich, gegen wen sich diese eigenen Ansprüche richten und ob sie werthaltig und realisierbar sind (Mäsch in BeckOGK-BGB, Stand: 01.04.2020, § 328, Rn. 180). Dies ist hier mit den Ansprüchen der Kläger gegenüber H2 aufgrund der Art. 17 Abs. 1, 20 Abs. 1 und 2 des Montrealer Übereinkommens der Fall. Die Ersatzansprüche bestehen gem. Art. 21 Abs. 1 für den dort festgelegten Grundbetrag dabei sogar verschuldensunabhängig. Für darüber hinausgehende Ansprüche enthält Art. 21 Abs. 2 eine der Regelung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechende Beweislastumkehr zu Lasten des Luftfrachtführers, der sich hinsichtlich einer Verursachung des Schadensereignisses durch seine Mitarbeiter entlasten muss.
3.
173
Ein Anspruch aufgrund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter besteht aber auch deshalb nicht, weil eine Pflichtverletzung der Beklagten zu 1) oder ihrer Mitarbeiter – wie nachfolgend dargestellt – nicht erkennbar ist. Selbiges gilt daher für Ansprüche gem. §§ 823 Abs. 1, 831 BGB.
a)
174
Die Kläger haben eine der Beklagten zu 1) zuzurechnende Pflichtverletzung ihrer Mitarbeiter oder Organe nicht substantiiert vorgetragen.
175
Die Beklagte zu 1) führt unstreitig nur einen sich auf ca. 4,5 Monate erstreckenden Teil der praktischen Ausbildung der Pilotenanwärter der Beklagten zu 2) durch. In diesem Rahmen beziehen sich die Pflichten der Beklagten zu 1) im Wesentlichen auf die ordnungsgemäße Ausbildung der Flugschüler sowie ggf. deren Schutz. Die medizinische Überprüfung ist gerade nicht ihrem Verantwortungsbereich zugeordnet. Diese obliegt sowohl in Deutschland als auch den USA der jeweiligen Luftfahrtbehörde, die sich hierzu entsprechender Sachverständiger bedient. Zwar dürfte im Rahmen der vertraglichen Nebenpflichten eine Pflicht zur Meldung von Auffälligkeiten, die den Rückschluss oder den konkreten Verdacht auf eine bestehende Fluguntauglichkeit eines Pilotenanwärters zulassen, anzunehmen sein. Die Kläger haben derartige Umstände aber nicht substantiiert vorgetragen.
176
Die einzige hierzu konkret aufgestellte Behauptung der Kläger, ein Angestellter der Beklagten zu 1) habe im Rahmen der Vernehmung durch das FBI M als „not flyable“ bezeichnet, erfolgt erkennbar „ins Blaue hinein“. Auf die Erwiderung der Beklagten, hierbei handele es sich um die in einem Online-Artikel der „E6“ aufgestellte Behauptung ohne Angaben von Quellen und den konkreten Umständen, haben die Kläger sich ebenso wenig erklärt, wie auf den gerichtlichen Hinweis vom 11.06.2018, dass für die Überprüfung der Behauptung eine Benennung des Ausbilders sowie der Umstände, aufgrund derer die Aussage getätigt worden sein soll, erforderlich ist. Zwar sind an die Annahme eines unsubstantiierten Vortrags aufgrund einer Behauptung „ins Blaue hinein“ hohe Anforderungen zu stellen, wenn der Kläger selbst keine Wahrnehmungsmöglichkeit hinsichtlich der behaupteten Vorgänge hatte und insoweit zu einem gewissen Teil auf Vermutungen angewiesen ist. Allerdings ist auch in diesen Fällen für den Einstieg in die Beweisaufnahme zu fordern, dass greifbare Umstände angeführt werden, auf die sich der geäußerte Verdacht gründen lässt (BGH, Beschl. v. 28.01.2020 – VIII ZR 57/19, BeckRS 2020, 2119 m.w.N.). Solche sind vorliegend nicht dargelegt worden. Allein die – hier unstreitig einzeln gebliebene – Behauptung in einem Online-Artikel einer englischen Zeitung, welche noch dazu extrem vage und ohne Angabe jedweder Details oder Quellen geblieben ist, stellt keine greifbaren Umstände dar, über die sich der angebotene Beweis erheben ließe. Aus den als Anlage zur Klageschrift gereichten Protokollen von Befragungen der mit der Ausbildung des M befassten Mitarbeiter der Beklagten zu 1) durch das FBI lässt sich vielmehr entnehmen, dass die befragten Personen entweder gar keine konkrete Erinnerung an M hatten oder aber ihn als unauffällig beschrieben haben. Der Beweisantritt stellt somit auch einen rechtsmissbräuchlichen Ausforschungsbeweis dar, denn er zielt erkennbar darauf ab, die als Zeugen benannten Personen zu befragen und aufgrund der im Rahmen der Aussagen erlangten Informationen ggf. weiter vortragen zu können. Nichts anderes behaupten auch die Kläger, die insoweit selbst angegeben haben, das hiesige Verfahren im Wesentlichen auch zur weiteren Aufklärung der Unglücksursachen zu betreiben. Eine solche Aufklärungstätigkeit ist aber konzeptionell im deutschen Zivilprozess nicht angelegt und kann im Rahmen dieses Verfahrens nicht erfolgen.
177
Daher hat die Kammer mit Beschluss vom 20.11.2018 den Antrag, die Anwendung der Regeln des Ausforschungsbeweises der (US) Bundes-Zivilprozessvorschriften zuzulassen, und zwar in dem Umfang, in dem die deutschen Beweiserhebungsregeln restriktiver sind und den Zugang der Kläger zu Informationen begrenzen, die ansonsten unter den Bundes-Zivilprozessvorschriften zugänglich wären, abgelehnt.
178
Für einen in diesem Zusammenhang angebotenen Zeugenbeweis wäre es zudem erforderlich, dass die Kläger darlegen, weshalb die angebotenen Zeugen die behauptete Tatsache bekunden können (vgl. BGH, Urt. v. 27.05.2003 – IX ZR 283/99, juris-Rn. 13 f.). Warum die insoweit angebotenen Zeugen bekunden können sollen, dass irgendein Mitarbeiter der Beklagten zu 1) die Aussage getätigt haben soll, M sei „not flyable“, ist von den Klägern trotz entsprechenden Hinweises nicht nachvollziehbar gemacht worden.
179
Im Übrigen haben die Kläger lediglich behauptet, der Beklagten zu 1) hätte sich der „Zustand“ des M aufdrängen müssen, ohne überhaupt darzulegen, dass zum Zeitpunkt der Ausbildung durch die Beklagte zu 1) Anzeichen für eine zu dem Zeitpunkt aktuelle psychische Erkrankung erkennbar waren, geschweige denn, dass eine solche Erkrankung in diesem Zeitraum überhaupt vorlag.
180
Ob die Beklagte zu 1) Kenntnis von der in den Jahren 2008 und 2009 bestehenden Depression hatte, darf dahinstehen. Denn sowohl die deutsche als auch die US-amerikanische Flugsicherheitsbehörde haben M in Kenntnis dieser Vorerkrankung als flugtauglich eingestuft, sodass für die Beklagte zu 1) ohne das Vorliegen weiterer Anhaltspunkte kein Anlass bestand, dessen Ausbildung zu verweigern oder der Beklagten zu 2) bzw. den Flugsicherheitsbehörden Mitteilung von bereits bekannten Tatsachen zu machen.
b)
181
Die Beklagte zu 1) war auch nicht gehalten, ein – wie auch immer geartetes – System zur Zusammenführung von Daten der sich bei ihr in Ausbildung befindlichen Flugschüler zu unterhalten.
182
Gesetzliche Regelungen für die Einrichtung eines derartigen Systems durch die Beklagte zu 1) existieren nicht. Eine entsprechende Erforderlichkeit ergibt sich auch nicht aus den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten der Beklagten zu 1). Grundsätzlich hat jedermann sein Verhalten so auszurichten, dass die Verletzung von Rechtsgütern Dritter nach Möglichkeit vermieden wird. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen denkender Verkehrsteilnehmer für erforderlich hält, um andere vor Schäden zu bewahren (BGH NJW 2008, 3775).
183
Die Beklagte zu 1) trifft als lediglich einen Teil der praktischen fliegerischen Ausbildung durchführendes Unternehmen keine Verpflichtung, eine umfassende eigene Überprüfung der Flugschüler vorzunehmen oder Daten und Informationen zu deren Gesundheitszustand systematisch zu erfassen. Eine derartige Verpflichtung fällt offensichtlich nicht in den Aufgabenbereich der Beklagten zu 1). Zuständig hierfür sind grundsätzlich die jeweiligen Flugsicherheitsbehörden. Nachdem aber die zuständigen deutschen und amerikanischen Luftfahrtsicherheitsbehörden in Kenntnis der Vorerkrankung die jeweiligen Tauglichkeitszeugnisse dennoch erteilt hatten, bestand für die Beklagte zu 1) keine Veranlassung, ohne das Vorliegen weiterer Anhaltspunkte eine erneute oder eigene Überprüfung zu veranlassen. Wenn die gesetzlichen Regelungen die Überprüfung der medizinischen Geeignetheit von Pilotenanwärtern speziellen medizinischen Sachverständigen überlassen, muss eine die praktische Ausbildung durchführende Stelle auf das Ergebnis dieser medizinischen Einschätzung vertrauen können, wenn sich keine gegenteiligen Anhaltspunkte zeigen. Dies gilt auch dann, wenn die Tauglichkeit mit einer Einschränkung oder auflösenden Bedingung bescheinigt wurde, denn die Überprüfung des Eintritts der Bedingung obliegt nicht dem Ausbilder, sondern den Flugsicherheitsbehörden bzw. den für die Begutachtung zuständigen flugmedizinischen Sachverständigen.
II.
184
Auch gegen die Beklagte zu 2) kommt ein Anspruch der Kläger auf Zahlung eines (weiteren) Schmerzensgeldes unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.
185
Die Anwendbarkeit des deutschen materiellen Rechts ergibt sich hier ebenfalls aus Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO.
1.
186
Eine vertragliche Haftung besteht nicht, da es sich bei dem Ausbildungsvertrag zwischen M und der Beklagten zu 2) aus den unter B.I.2. dargestellten Gründen ebenfalls nicht um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter handelt. Bei Abschluss des Ausbildungsvertrages war für die Beklagte zu 2) weder der Umfang der im Laufe der beruflichen Tätigkeit beförderten Personen erkennbar, noch besteht das für die Anwendung der Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter erforderliche Schutzbedürfnis, da für die Kläger gegenüber H2 eine anderweitige Ersatzmöglichkeit bestand.
2.
187
Die Beklagte zu 2) haftet auch nicht für etwaige Fehler im Rahmen der flugmedizinischen Tauglichkeitsuntersuchungen, da die jeweiligen flugmedizinischen Sachverständigen in diesem Zusammenhang hoheitlich gehandelt haben und die Haftung daher nach den Grundsätzen der Amtshaftung gegenüber der Anstellungskörperschaft i.S.d. Art. 34 S. 1 GG, hier der Bundesrepublik Deutschland, geltend zu machen wäre. Die Beklagte zu 2) ist insoweit nicht passivlegitimiert.
188
Die Einordnung einer Tätigkeit als Ausübung eines öffentlichen Amtes bestimmt sich entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, ob die Zielsetzung der Tätigkeit hoheitlicher Natur ist und zwischen der Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung als dem Bereich hoheitlicher Tätigkeit angehörend angesehen werden muss (BGH, Urt. v. 22.03.2001 – II ZR 394/99, juris-Rn. 7 ff., m.w.N.). Bei einer sachverständigen Tätigkeit, die der Erteilung einer Erlaubnis oder Genehmigung vorgeschaltet ist, spricht es für die Annahme eines hoheitlichen Tätigwerdens des Sachverständigen, wenn dessen Prüfung maßgeblicher Bestandteil der von der Behörde später durch Verwaltungsakt erteilten Genehmigung ist. Zu berücksichtigen ist auch, ob es sich bei der von dem Sachverständigen vorgenommenen Überprüfung um einen wesentlichen Bestandteil der von der Verwaltungsbehörde ausgeübten (Überwachungs-) Tätigkeit handelt (BGH a.a.O.). Dies gilt sowohl für Regel- als auch für Anlassüberprüfungen durch den Sachverständigen. Eine Beleihung ist hingegen keine Voraussetzung für die Annahme des Eingreifens der Staatshaftung (vgl. Papier/Shirvani in MüKo-BGB, 7. Aufl. 2017, § 839, Rn. 132 ff.; Dörr BeckOGK-BGB, Stand: 15.04.2020, § 839, Rn. 58 und 62). Es ist ausreichend, wenn Funktion und Aufgabenbereich des Sachverständigen durch (öffentlich-rechtliche) Normen hinreichend bestimmt vorgegeben sind. Wesentlich ist, wie bereits dargestellt, die Frage, wie maßgeblich die Begutachtung als Bestandteil der behördlichen Genehmigung erkennbar und wie eng der Zusammenhang mit der durch den Hoheitsträger zu verantwortenden Gefahrenabwehr ist (BGH, Urt. v. 30.11.1967 – VII ZR 34/65, juris-Rn. 14). Der Umstand, dass eine Regressregelung nicht normiert wurde, vermag die Einordnung als hoheitliche Tätigkeit nicht zu hindern, da es sich hierbei nicht um eine maßgebliche Voraussetzung handelt (BGH, Urt. v. 22.03.2001 – II ZR 394/99., juris-Rn. 20 f.). Der Annahme einer hoheitlichen Tätigkeit steht auch nicht entgegen, dass dem Sachverständigen der Prüfauftrag nicht von der Behörde, sondern von demjenigen erteilt worden ist, der von der zuständigen Behörde die Erteilung einer Genehmigung anstrebt (BGH a.a.O; OLG Koblenz, Urt. v. 10.09.2008 – 1 U 1600/07, juris-Rn. 14). Nach der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es auch unschädlich, wenn die begutachtenden Sachverständigen in anderem Zusammenhang auf privatrechtlicher Basis mit dem Untersuchungsobjekt (bzw. hier Untersuchungssubjekt) gearbeitet haben, solange eine Abgrenzung der privatrechtlichen von der hoheitlichen Tätigkeit möglich ist.
189
Unter Zugrundelegung der dargestellten Maßstäbe handelten die flugmedizinischen Sachverständigen bei den für die (Wieder-) Erteilung und Verlängerung des Tauglichkeitszeugnisses durchgeführten Untersuchungen des M jeweils in hoheitlicher Funktion. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 LuftVG wird eine Erlaubnis zum Führen von Luftfahrzeugen nur erteilt, wenn die Tauglichkeit des Bewerbers nachgewiesen ist. Dieser Nachweis war entsprechend der in dem hier gegenständlichen Zeitraum geltenden Vorschriften durch die Vorlage eines flugmedizinischen Tauglichkeitszeugnisses nach § 24 a Abs. 1 LuftVZO zu führen. Die Untersuchung zur erstmaligen Ausstellung des Flugtauglichkeitszeugnisses der Klasse 1 war gem. § 24 b Abs. 1 S. 1 LuftVZO ebenso wie die weitergehende Überprüfung gem. § 24 c Abs. 1 LuftVZO in der jeweils für den hier gegenständlichen Zeitraum gültigen Fassung von einem gem. § 24 a Abs. 4 LuftVZO anerkannten flugmedizinischen Zentrum durchzuführen. Die sich hieran anschließenden Regeluntersuchungen konnten gem. § 24 b Abs. 1 S. 2 LuftVZO von einem gem. § 24 e Abs. 4 LuftVZO anerkannten flugmedizinischen Zentrum oder einem gem. § 24 e Abs. 3 LuftVZO anerkannten flugmedizinischem Sachverständigen durchgeführt werden. Die Aufsicht über die Tätigkeit der flugmedizinischen Sachverständigen und Zentren lag gem. § 24 e Abs. 7 i.V.m. Abs. 3 bzw. 4 bei dem Luftfahrtbundesamt. Nach § 4 Abs. 3 LuftVG ist die Erlaubnis zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen – und damit u.a. die von den flugmedizinischen Sachverständigen und Zentren zu beurteilende Tauglichkeit i.S.d. Nr. 2 – des Abs. 1 nicht mehr vorliegen. Die Überprüfung dieser Voraussetzungen wird durch die gem. § 24 d Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO erforderlichen Regeluntersuchungen gewährleistet.
190
Bei einer Gesamtschau des dargestellten Regelwerkes sind keine vernünftigen Gründe ersichtlich, die Überprüfung der Luftfahrzeuge durch technische Sachverständige – welche der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung vom 22.03.2001 als hoheitliche Tätigkeit eingeordnet hat – anders zu beurteilen, als die Überprüfung der diese Luftfahrzeuge bedienenden Piloten im Rahmen der medizinischen Untersuchungen. Beide Tätigkeiten werden auf Grundlage vergleichbarer gesetzlicher Regelungen durchgeführt und stellen sich als Teil der den zuständigen Luftfahrtbehörden zugewiesenen Aufgabe der Gefahrenabwehr im Zusammenhang mit dem durch die Luftfahrt für Dritte einhergehenden Risikos dar. Sie sind jeweils maßgeblicher Bestandteil der angestrebten Genehmigung, da zwingende Voraussetzung sowohl für die erstmalige Erteilung als auch für deren Fortbestehen. Sie sind dabei auch eindeutig von der sonstigen Tätigkeit der flugmedizinischen Sachverständigen und flugmedizinischen Zentren der Beklagten zu 2) abgrenzbar, da sich den flugmedizinischen Akten problemlos entnehmen lässt, um was für eine Art der Untersuchung es sich jeweils handelt. Auch die Argumentation der Kläger, im Gegensatz zu der technischen Überprüfung eines Luftfahrzeugs vor der Erteilung der Betriebserlaubnis seien für die Erteilung der Pilotenlizenz noch weitere Voraussetzungen erforderlich, mit der Erteilung des Tauglichkeitszeugnisses somit nicht auch faktisch bereits die Lizenz erteilt, führt zu keiner anderen Bewertung. Wie gerade die hier gegenständliche Tragödie zeigt, handelt es sich bei der Überprüfung der medizinischen Tauglichkeit um einen elementaren Aspekt der von staatlicher Seite zu gewährleistenden Sicherheit des Luftverkehrs. Die Entscheidung über die medizinische Tauglichkeit ist ein Kernpunkt der hoheitlichen Entscheidung, ob eine Person die Berechtigung erhält, ein Luftfahrzeug zu führen oder nicht. Die von den flugmedizinischen Sachverständigen durchgeführten Untersuchungen sind damit elementarer Bestandteil der von dem Luftfahrtbundesamt im Rahmen der ihm obliegenden Gefahrenabwehr zukommende Aufgabe, die (medizinische) Tauglichkeit der lizensierten Piloten regelmäßig zu überprüfen, und lassen sich aus der hoheitlichen Aufgabe nicht herauslösen. Bei den von den flugmedizinischen Sachverständigen im Rahmen der Tauglichkeitsuntersuchungen erlangten Erkenntnissen handelt es sich damit um für das LBA erlangte Informationen und nicht um Wissen, das der Beklagten zu 2) zuzurechnen ist.
191
Die von dem Klägervertreter in den Schriftsätzen vom 29.05.2020 und vom 03.06.2020 dargestellten Argumente stellen eine Vertiefung seiner bisherigen Ausführungen dar, bieten jedoch keine Anhaltspunkt, von dem vorgenannten Ergebnis abzuweichen.
192
Ebenso wenig stellt der nunmehr mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 09.06.2020 gestellte Antrag auf Einholung eines rechtlichen Sachverständigengutachtens einen Grund für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung dar. Ein Fall des § 156 Abs. 2 ZPO liegt offensichtlich nicht vor. Aber auch eine Wiedereröffnung gem. § 156 Abs. 1 ZPO kommt nicht in Betracht. Die Kammer sieht hierfür nach Ausübung des ihr insoweit eingeräumten Ermessens keine Veranlassung, da die Frage nach dem Vorliegen einer Beleihung nach den dargestellten Erwägungen nicht entscheidungserheblich ist und die Kammer die im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung zu klärenden Rechtfragen selbst zu beantworten hat. Auch ansonsten sind Gründe für eine Wiedereröffnung nicht ersichtlich.
3.
193
Selbst wenn man entgegen der vorstehenden Ausführungen von einer Haftung der Beklagten für die bei ihr angestellten flugmedizinischen Sachverständigen ausgehen und Pflichtverletzungen der flugmedizinischen Sachverständigen im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Tauglichkeitsuntersuchungen des M unterstellen würde, wären Ansprüche der Kläger vorliegend zu verneinen.
194
Die Kläger haben bereits nicht substantiiert dargelegt, dass eine fehlerbehaftete Untersuchung kausale Ursache für das hier gegenständliche Unglück geworden ist. Diesbezüglich wurde lediglich die pauschale Behauptung aufgestellt, bei ordnungsgemäßer Untersuchung wäre M nicht weiter die Tauglichkeit bescheinigt worden, sodass er das Flugzeug am … nicht zum Absturz hätten bringen können. Die Kläger haben aber nicht vorgetragen, dass vor Dezember 2014 eine psychische oder sonstige Pathologie diagnostizierbar war oder überhaupt vorgelegen hat. Aus dem als Anlage zum Schriftsatz der Vertreter der Beklagten vom 04.06.2019 zur Akte gereichten Abschlussvermerk der Staatsanwaltschaft E1 lässt sich entnehmen, dass im Rahmen der Ermittlungen vor Dezember 2014 jedenfalls keine Auffälligkeiten festgestellt werden konnten. Die Kläger haben keine Umstände vorgetragen, die eine anderweitige Beurteilung in Betracht kommen lassen.
195
Der von den Klägern insoweit angebotene Zeugen- und Sachverständigenbeweis stellt sich nach den unter B.I.3.a) ausgeführten Maßstäben daher ebenfalls als unzulässiger Ausforschungsbeweis dar. Da die Kläger selbst keinen einzigen Anhaltspunkt für eine Erkennbarkeit bzw. das Vorliegen einer psychischen Erkrankung vor Dezember 2014 behauptet haben, sollen die angebotenen Beweismittel erkennbar erst dazu dienen, überhaupt entsprechenden Tatsachenvortrag zu ermöglichen. Einem derartigen Beweisangebot ist aus den dargestellten Gründen aber nicht nachzugehen.
4.
196
Die Beklagte zu 2) haftet auch nicht gem. § 823 Abs. 1 BGB aufgrund eigenen deliktischen Unterlassens, weil sie kein weitergehendes, eigenes System zur Erkennung und Überwachung psychisch kranker Piloten (-Anwärter) eingerichtet und unterhalten hat. Eine derartige Verpflichtung bestand nicht.
a)
197
Grundsätzlich hat ein Unternehmen die innerbetrieblichen Abläufe so zu organisieren, dass Schädigungen Dritter in gebotenem Umfang vermieden werden. Dies umfasst insbesondere die ordnungsgemäße Instruktion und Überwachung der Mitarbeiter. Jeder, der die Organisationsgewalt über ein betriebliches Unternehmen innehat, muss für die Gefahrensicherung in seinem Organisationsbereich sorgen (BGH NJW 1996, 867). Eine lückenlose Überwachung der Mitarbeiter ist dabei allerdings weder möglich noch erforderlich und würde im Übrigen auch die Regelung des § 831 BGB obsolet machen (einführend hierzu Wagner a.a.O., Rn. 97 ff.). Es sind daher Sicherungsvorkehrungen in der Form zu treffen, wie sie von einem verständigen, umsichtigen und gewissenhaften Angehörigen des betroffenen Verkehrskreises erwartet werden können (vgl. nur BGH NJW 2014, 2104; NJW 2006, 610). Die zu erfüllenden Verkehrssicherungspflichten bestimmen sich dabei nicht ausschließlich anhand öffentlich-rechtlicher Vorschriften oder entsprechender DIN-Normen oder vergleichbarer Zertifizierungen, sondern sind eigenständig zivilrechtlich nach den berechtigten Sicherheitserwartungen der betroffenen Verkehrskreise zu bestimmen, wobei auch die Zumutbarkeit für den von der Verpflichtung Betroffenen zu berücksichtigen ist (vgl. etwa BGH NJW 1984, 801; NJW 1985, 620; NJW 1994, 2232; OLG Jena, NJW 2006, 624; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, 1167; Spindler in BeckOGK-BGB, Stand: 01.02.2020, § 823, Rn. 397 und 91). Dies liegt schon darin begründet, dass öffentlich-rechtliche Vorschriften und Genehmigungen nicht zwangsläufig den gleichen Schutzzweck verfolgen wie die einzelnen Verkehrssicherungspflichten und dass beispielsweise DIN-Normen nicht zuletzt der Standardisierung und nicht zwingend dem Drittschutz dienen. In der vorzitierten Rechtsprechung sind eigene Verkehrssicherungspflichten jenseits der Anforderungen öffentlich-rechtlicher Vorschriften und Genehmigungen immer dann bejaht worden, wenn das öffentlich-rechtliche Regelwerk die konkret verwirklichte Gefahr nicht abschließend erfasst hat. In der Regel werden die öffentlich-rechtlichen, insbesondere der Gefahrenabwehr dienenden, Vorschriften zur Bestimmung der Verkehrssicherungspflichten jedenfalls mit herangezogen werden (BGH NJW 2008, 3778; OLG Jena, a.a.O.; Spindler a.a.O., Rn. 419).
198
Aufgrund dessen war vorliegend von der Beklagten zu 2) nicht zu verlangen, neben der staatlichen Überprüfung der medizinischen Tauglichkeit der Piloten (-Anwärter) ein eigenes, paralleles Überwachungssystem zu implementieren. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die medizinische Überprüfung der Piloten entsprechend den gesetzlichen Regelungen gerade nicht dem Organisationsbereich der Beklagten zu 2), sondern den zuständigen Luftfahrtbehörden und flugmedizinischen Sachverständigen zugeordnet war. Zudem wären die Zweckrichtung der Tauglichkeitsuntersuchungen nach den zum damaligen Zeitpunkt geltenden §§ 24 a ff. LuftVZO und der von den Klägern geforderten besonderen Verkehrssicherungspflichten zur Überwachung der Piloten identisch. Beide dienten der Abwehr von Gefahren durch medizinisch ungeeigneten Piloten und verfolgten damit exakt die gleiche Zielrichtung, die auch ein von der Beklagten zu 2) eingeführtes System hätte aufweisen müssen. Dabei war es in diesem Fall so, dass bei der Überprüfung der Tauglichkeit die medizinische Eignung für das Führen von Luftfahrzeugen nicht nur in Teilaspekten Gegenstand der Begutachtung war. Der Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 24 a ff. LuftVZO bestand gerade darin, den medizinischen Zustand im Hinblick auf die mit dem Führen von Luftfahrzeugen verbundenen Gefahren umfassend zu beurteilen. Speziell diese Frage bedurfte daher keiner weiteren Überprüfung durch die Beklagte zu 2).
199
Daher bestand für die Beklagte zu 2) auch kein Anlass, überobligatorisch weitergehende Tauglichkeitsuntersuchungen im Hinblick auf die medizinische Überprüfung ihres fliegerischen Personals, bspw. in Form von kürzeren Untersuchungsintervallen oder umfassenderen Untersuchungen durch die Hinzuziehung eines Psychiaters, zu veranlassen.
200
Nichts anders ergibt sich für den konkreten Einzelfall des M aufgrund des von den Klägern zuletzt vorgetragenen Vertrages zwischen M und der M1 GmbH vom 17./26.08.2009. Soweit sich die im Schriftsatz vom 29.05.2020 zitierte Regelung auf die Mitteilung von „sonstigen außergewöhnlichen Vorfällen während der Ausbildung“ bezieht, ist nicht ersichtlich, dass nach der Wiederaufnahme des Vertrages überhaupt derartige Vorkommnisse stattgefunden haben und der Beklagten zu 2) mitgeteilt worden sind. Wenn die Kläger meinen, auch die Mitteilung über die zuvor stattgehabte Aussetzung der Ausbildung unterfalle dieser Klausel und schon aufgrund dessen hätte die Beklagte zu 2) eine engmaschigere Kontrolle oder Betreuung des M gewährleisten müssen, verfängt dies ebenfalls nicht. Denn wenn hier derart starke Bedenken gegen die medizinische Tauglichkeit des M bestanden hätten, dass bereits die Ausbildung nur unter einer engmaschigen Kontrolle und Betreuung hätte durchgeführt werden können, hätte es keine Wiedererteilung des Tauglichkeitszeugnisses der Klasse 1 geben dürfen oder dieses jedenfalls mit eindeutigen Auflagen versehen werde müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Sollte im Zusammenhang mit der Wiedererteilung des Tauglichkeitszeugnisses der Klasse 1 eine – ex ante – fehlerhafte Einschätzung der flugmedizinischen Tauglichkeit des M getroffen worden sein, führt dies, wie bereits dargestellt, nicht zu einer Haftung der Beklagten zu 2).
201
Eine Pflicht zur weitergehenden Überprüfung durch die Beklagte zu 2) ergibt sich auch nicht aufgrund eines von den Klägern behaupteten „offensichtlichen gesetzlichen und administrativen Chaos“. Aufgrund des nicht grundsätzlich bestehenden Gleichlaufs öffentlich-rechtlicher Vorschriften und Genehmigungen mit den deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten kann auch in dem Fall, dass einer Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich mit der behördlichen Überprüfung Genüge getan ist, die Pflicht eines weiteren Beteiligten zum Ergreifen von Schutz- und Überwachungsmaßnahmen entstehen, wenn offensichtlich ist, dass die behördlichen und gesetzlichen Maßnahmen entweder nicht ausreichen oder aber nicht umgesetzt werden. Eine solche Situation war hier jedoch nicht gegeben. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Umgang im Zusammenhang mit den Tauglichkeitsuntersuchungen des M im Falle einer direkten Anwendung der VO (EU) 1178/2011 kein anderer gewesen wäre. Entsprechend Anhang IV Abschnitt B Unterabschnitt 1 MED.B.055 lit. a) dürfen Bewerber um ein Tauglichkeitszeugnis weder akute noch chronische psychiatrische Erkrankungen aufweisen. Eine derartige Pathologie war bei M aber nach der Wiedererteilung des Tauglichkeitszeugnisses jedenfalls bis Dezember 2014 nicht erkennbar. Nach MED.B.055 lit. c) ist das Bestehen einer solchen Erkrankung in der Vergangenheit kein pauschaler Hinderungsgrund für die Erteilung eines Tauglichkeitszeugnisses. Gem. MED.B.001 lit. a (1) iv) darf das flugmedizinische Zentrum oder der flugmedizinische Sachverständige ein bestehendes Tauglichkeitszeugnis mit vorhandenen Einschränkungen verlängern oder erneuern, ohne dass eine Verweisung an die Genehmigungsbehörde erforderlich ist. Das bei den Tauglichkeitsuntersuchungen von M angewandte Vorgehen entsprach damit formal den Anforderungen der VO (EG) 1178/2011, sodass von einem „offensichtlichen gesetzlichen und administrativen Chaos“ aufgrund eines Abweichens der zum damaligen Zeitpunkt geltenden deutschen Regelungen nicht die Rede sein kann.
b)
202
Selbst wenn man aber eine Pflicht der Beklagten zu 2) zur Implementierung eines die gesetzlich vorgesehenen Tauglichkeitsuntersuchungen ergänzenden Überwachungssystems annehmen würde, dürfte aufgrund der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen jedenfalls das Verschulden der Beklagten zu 2) entfallen, denn entsprechend der bereits getätigten Ausführungen ist hier gerade nicht von der Erkennbarkeit einer entsprechenden Notwendigkeit für die Beklagte zu 2) auszugehen (vgl. BGH NJW 2008, 3778; Schindler a.a.O., Rn. 419).
5.
203
Einem Anspruch der Kläger gegen die Beklagte zu 2) steht schließlich auch entgegen, dass diese zu den auf Rechtsfolgenseite für die Bemessung eines Schmerzensgeldes in die Abwägung einzubeziehenden Folgen weder substantiiert vorgetragen noch entsprechenden Beweis angeboten haben. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Kläger gegenüber der Beklagten zu 2) nach teilweiser Abtrennung und Verweisung des Verfahrens nur noch Ansprüche aus eigenem Recht, nämlich ein jeweils eigenes Schmerzensgeld, geltend machen.
204
Ein ersatzfähiges Schmerzensgeld wäre demnach bei unterstelltem Vorliegen der übrigen Voraussetzungen allenfalls entsprechend der Fallgruppe der sog. „Schockschäden“ zu bewilligen. Hierfür fehlt es aber bereits an der konkreten Darlegung einer eigenen psychisch vermittelten Gesundheitsverletzung. Voraussetzung für ein eigenes Schmerzensgeld der Hinterbliebenen eines Verstorbenen ist, dass die Nachricht von dem Tod eines Angehörigen bei diesen einen feststellbaren pathologischen Zustand ausgelöst hat, der über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Angehörige in Folge einer Todesnachricht regelmäßig ausgesetzt sind (BGH NJW 1971, 1883, seitdem st. Rspr.; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 13. Aufl. 2020, Rn. 304). Die Kläger tragen pauschal vor, es bestehe die ständige Angst, Angehörige zu verlieren, weil diese mit dem Verlust nicht klarkämen und Suizid begehen könnten, dass Ehen zerbrechen könnten oder beruflicher Erfolg beeinträchtigt werde und dass hinterbliebene Kinder selbst keine Familie gründen könnten. Hinzu kämen körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme, rapide Gewichtsabnahme, Herzrasen, erhöhter Blutdruck sowie psychische Beschwerden in Form von Antriebslosigkeit bis hin zur Lethargie, Schlaflosigkeit, Vergesslichkeit und Unkonzentriertheit.
205
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Folgen – insbesondere auch unter Berücksichtigung der streitgegenständlichen abgetretenen Forderungen – für jeden einzelnen Angehörigen vorgetragen werden sollen. Eine Differenzierung, bei welchem Hinterbliebenen welche der behaupteten Folgen eingetreten sein sollen, ist nicht erfolgt. Aufgrund des Bestreitens seitens der Beklagten müssten die Kläger aber den entsprechenden Beweis über das Auftreten der behaupteten Folgen führen. Dies ist aufgrund der fehlenden Nachvollziehbarkeit des Vortrags nicht möglich. Aufgrund dessen ist es für die Kammer nicht feststellbar, ob bei einem Teil der Kläger – oder ggf. auch allen – ein die Gesundheit beeinträchtigender Zustand verursacht wurde, der unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Bewilligung eines eigenen Schmerzensgeldes rechtfertigen würde.
206
Dem kann auch nicht durch eine Berücksichtigung des § 844 Abs. 3 BGB begegnet werden. Denn diese erst zum 22.07.2017 in das BGB eingeführte Regelung ist temporär auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anwendbar (vgl. Eichelberger in BeckOGK-BGB, Stand. 01.02.2020, § 844, Rn. 199; Sprau in Palandt, 79. Aufl. 2020, EGBGB 229, § 43, Rn. 1).
C.
207
Die Entscheidung zu den Kosten und zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 91, 100 Abs. 1, 709 ZPO.