Zum Schmerzensgeldanspruch aufgrund von Schussverletzungen während eines SEK-Einsatzes

LG Köln, Urteil vom 27. Februar 2018 – 5 O 487/14

Zum Schmerzensgeldanspruch aufgrund von Schussverletzungen während eines SEK-Einsatzes

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand
1
Der Kläger macht gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Amtspflichtverletzung aufgrund eines seiner Ansicht nach rechtswidrigen Einsatzes eines Sondereinsatzkommandos am 19.06.2011 geltend.

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Der Kläger war als selbstständiger Kaufmann auf dem Gebiet des Im- und Exports sowie im gastronomischen Bereich tätig und führte einen Großhandel für Lebensmittel auf dem Kölner Großmarkt in Köln-Bayenthal.

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Am 19.06.2011 verließ er sein Betriebsgebäude auf dem Großmarktgelände und stieg in seinen PKW ein. Nachfolgend kam es zu einem Einsatz eines Sondereinsatzkommandos, im Rahmen dessen mehrere in Zivil gekleidete Beamte auf den PKW des Klägers zuliefen und es zu Schüssen auf den PKW des Klägers kam. Dieser verließ sodann fahrend das Großmarktgelände in Richtung C-Straße. Im Bereich der Ausfahrt des Großmarktgeländes nahm eine dort positionierte Hundeführerstaffel die Verfolgung des Klägers auf. Auch Beamte des Sondereinsatzkommandos fuhren hinter dem PKW des Klägers und demjenigen der Hundeführerstaffel, bis der Kläger mit seinem PKW auf der C-Straße quer zum Fahrbahnverlauf zum Stehen kam. Sodann wurde von einem Beamten des Sondereinsatzkommandos, dem Zeugen Nr. 120, ein Schuss auf den Kläger abgegeben, durch den der Kläger am Bein verletzt wurde. Der Kläger wurde im Rahmen des gesamten Geschehens insgesamt von sechs Schüssen getroffen. Ein Schuss verursachte einen Durchbruch der rechten Kieferhöhle und einen Riss der Wange, ein weiterer traf die Nase des Klägers, ein Projektil durchdrang den linken Oberarm, ein weiteres den rechten Unterarm. Ein Schuss durchdrang den linken Unterschenkel und verursachte eine Fraktur des Wadenbeins. Ein weiterer Schuss verursachte eine Verletzung der linken Hand.

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Die Gesichtsverletzungen machten mehrere Operationen notwendig. Die verletzungsbedingten Narben sind optisch dauerhaft erkennbar. Der Kläger bezieht seit dem Vorfall eine Rente aus der privaten Unfallversicherung in Höhe von 1.010,00 EUR pro Monat. Er ist infolge der Schussverletzungen weiterhin gesundheitlich beeinträchtigt, konkret in der Nasenatmung und der Beweglichkeit seiner linken Hand. Er hat weiterhin Schmerzen in beiden Händen.

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Die Staatsanwaltschaft Aachen leitete gegen die an dem Einsatz beteiligten Beamten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des versuchten Totschlags u.a. ein (401 UJs 10266/14), das im November 2015 eingestellt wurde. Die Staatsanwaltschaft Aachen kam laut Einstellungsbescheid (Bl. 100 ff. d.A.) zu dem Ergebnis, dass die Schussabgaben der beschuldigten Beamten nicht rechtswidrig, sondern als Notwehr, Nothilfe bzw. zur Festnahme gerechtfertigt waren. Nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft Aachen erkannte einer der Beamten, dass der Kläger eine Schusswaffe schussbereit in der Hand hielt und auf die Polizeibeamten zielte, weshalb der Beamte seinerseits das Feuer eröffnete. Weiter heißt es in dem Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft (Bl. 98 ff. d.A.), dass circa 0,16 Sekunden später, d.h. nahezu zeitgleich, der Kläger aus dem PKW einen gezielten Schuss auf einen der anderen Beamten abgab, diesen jedoch verfehlte.

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Der Kläger wurde durch das Landgericht Köln – 321 Ks 5/15 – am 02.08.2016 wegen vorsätzlichen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe, vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer Schusswaffe, vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Soweit ihm laut der Anklageschrift ein am 19.06.2011 versuchter Totschlag zum Nachteil eines SEK-Beamen sowie tateinheitlich Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall und unerlaubtes Führen eine Schusswaffe vorgeworfen wurde, wurde der Kläger aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Das Urteil ist im Umfang des Freispruchs rechtskräftig. Im Übrigen wurde das Verfahren nach Einlegung der Revision des Klägers beim Bundesgerichtshof zurückverwiesen und ist nunmehr erneut am Landgericht Köln anhängig.

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Zu dem Einsatzhergang behauptet der Kläger, die SEK-Beamten seien plötzlich auf das Gelände des Großmarkts und von hinten auf sein Fahrzeug zugestürmt, und einer der Beamten habe bereits im Laufen mit einer Maschinenpistole auf das Fahrzeug des Klägers geschossen. Weitere Beamte seien hinzugekommen und hätten auf die Windschutzscheibe seines Fahrzeuges geschossen. Die Beamten hätten sich weder akustisch noch optisch als Polizeibeamte des SEK ausgegeben, sodass der Kläger von einem bewaffneten Raubüberfall bzw. Tötungsvorhaben ausgegangen sei. Der Kläger selbst habe jedenfalls nicht den ersten Schuss und keinen gezielten Schuss auf einen Beamten abgegeben.

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Er habe durch den rechtswidrigen Polizeieinsatz und die Darstellung in der Presse einen spürbaren Reputationsschaden erlitten. Ihm seien aufgrund des Vorfalls seine Kreditlinien bei der Bank gekündigt worden. Während der Zeit der Untersuchungshaft habe er sich nicht um sein Unternehmen kümmern können und dieses nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft verkaufen müssen. Seine damalige Ehefrau habe die Umstände genutzt, um das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter zu erstreiten. Hierdurch habe er insgesamt auch einen seelischen Schaden erlitten.

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Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe aus der unerlaubten Handlung der Beamten ein Anspruch gegen das beklagte Land gemäß § 839 BGB i.V.m. Art 34 GG zu. Ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 400.000,00 EUR sei hinsichtlich seiner körperlichen und seelischen Schäden sowie der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts aufgrund der Art der öffentlichen Darstellung des Vorfalls durch die Polizeibehörden angemessen.

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Der Kläger beantragt,

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1. das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 400.000,00 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;

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2. festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzten, die ihm aus dem Geschehen am 19.6.2011 in 50968 Köln zukünftig noch entstehen werden;

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3. festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger Namen, Dienstgrad, Dienststelle und ladungsfähige Anschriften der an dem SEK-Einsatz am 19.6.2011 in 50968 Köln beteiligten Bediensteten mitzuteilen;

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4. das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 29.300,00 EUR zu zahlen.

15
Das beklagte Land beantragt,

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die Klage abzuweisen.

17
Das beklagte Land behauptet, der Kläger habe ungefähr seit Beginn des Jahres 2010 Betäubungsmittel konsumiert und seinen Konsum stark gesteigert. Infolge des Konsums habe sich sein Gemütszustand geändert, und er sei u.a. aufbrausend und paranoid geworden. Bereits vor dem Vorfall habe sich die finanzielle Lage seines Unternehmens verschlechtert.

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Dem SEK-Einsatz seien zwei Vorfälle vorausgegangen: Der Kläger habe eine seiner Angestellten mehrfach verdächtigt, Geld entwendet zu haben, sie daher telefonisch belästigt und sie am 18.06.2011 an ihrer Wohnanschrift aufgesucht, sie bedroht und ihr eine Schusswaffe an ihren Kopf gehalten. Ebenfalls am 18.06.2011 habe die Ehefrau des Klägers die Polizei gerufen, weil der Kläger ihr zuvor angedroht habe, sie zu töten, und die Herausgabe des gemeinsamen Kindes verlangt habe. Seine Ehefrau habe erklärt, dass ihr Mann Drogen konsumiere, daher unberechenbar und im Besitz von Schusswaffen sei. Am darauffolgenden Tag hätten die Polizeibeamten im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung der Wohnung der Eheleute eine Schusswaffe sichergestellt. Die SEK-Beamten seien an dem 19.06.2011 auf das Gelände des Großmarkts gefahren, um aufgrund des Waffenfundes und des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz in den Geschäftsräumen des Klägers und der dortigen Wohnung des Klägers einen Durchsuchungsbeschluss umzusetzen. Dabei sei im Vorfeld des Einsatzes davon ausgegangen worden, dass der Kläger gewaltbereit sei.

19
Das beklagte Land behauptet zum Einsatzhergang, dass drei der Beamten an dem Abend des 19.06.2011 an das Fahrzeug des Klägers herangetreten seien. Die Beamten hätten sich durch deutliche Rufe als Polizeibeamte zu erkennen gegeben und dabei versucht, die Scheibe der Fahrertür einzuschlagen, um den Kläger festzunehmen. Der Kläger habe sodann eine Schusswaffe auf einen Beamten gerichtet und in Tötungsabsicht durch die geschlossene Seitenscheibe seines PKWs zuerst geschossen, den Beamten allerdings verfehlt. Die weiteren Beamten hätten daraufhin mehrere Schüsse auf den Kläger abgegeben, und dieser habe seinerseits mit Schüssen erwidert. Die Beamten hätten nicht wahrgenommen, dass der Kläger auf seiner Flucht zwei Waffen aus dem Fenster seines PKW geworfen habe. Als der Beamte Nr. 120 den letzten Schuss auf den Kläger abgegeben habe, habe er einen Gegenstand in der Hand des Klägers gesehen, den er für eine Waffe gehalten habe.

20
Das beklagte Land ist daher der Ansicht, die Beamten seien in ihrem Handeln gerechtfertigt gewesen.

21
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen POK S und SEK-Beamter Zeuge Nr. 120 sowie durch Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung auf der als Anlage K 1 zur Akte gereichten DVD in der mündlichen Verhandlung vom 16.1.2018. Hinsichtlich des Inhalts der Zeugenaussagen wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Die Akten des Landgerichts Köln 114 KLs 24/17 sind beigezogen worden.

Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig. Es handelt sich nicht um eine Stufenklage im Sinne des § 254 ZPO, weil die Anträge des Klägers nicht voneinander abhängig gemacht werden sollen. Der Auskunftsanspruch dient gerade nicht der Ermöglichung der weiteren Anträge, sodass ein Stufenverhältnis nicht gegeben ist.

23
Sie ist jedoch nicht begründet.

24
1. Der Kläger hat keinen Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung gegen das beklagte Land auf Grund des streitgegenständlichen Geschehens am 19.6.2011.

25
a) Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch für die Verletzungen im Gesicht und an den Armen und Händen zu. Denn es ist davon auszugehen, dass die zu diesen Verletzungen führenden Schüsse gerechtfertigt waren.

26
Hinsichtlich des Geschehens auf dem Parkplatz des Großmarktes waren sämtliche auf den Beklagten abgegebenen Schüsse gerechtfertigt.

27
Die Ermittlungsergebnisse haben nach den Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts Köln vom 2.8.2016 – Az. 321 Ks 5/15 – (Seite 61 ff.) bestätigt, dass der Kläger einen Schuss zu Beginn des Einsatzes abgegeben hat. Dies konnte aus der Auswertung der Videoüberwachung, Feststellung von Schmauchspuren an der Hand des Klägers, der ballistischen Untersuchung der Waffen des Klägers und der Zeugenaussagen der vernommenen Beamten festgestellt werden. Diese Feststellungen betrafen den Tatvorwurf des Totschlags zu Lasten eines der SEK-Beamten und sind nach dem Freispruch auch in Rechtskraft erwachsen. Zudem hat auch die Inaugenscheinnahme der Aufnahme der Überwachungskamera durch das erkennende Gericht selbst ergeben, dass aus dem PKW des Klägers ein Schuss abgegeben wurde. Denn auf der Videoaufzeichnung ist ersichtlich, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt die Fensterscheibe des Fahrerfensters des Klägers zerbirst und nach außen fällt. Dies ist nicht anders erklärbar als durch einen Schuss, der aus dem Inneren des PKWs nach außen abgegeben wird. Es bedarf diesbezüglich keiner absoluten Gewissheit oder „an Sicherheit grenzender“ Wahrscheinlichkeit. Erforderlich und ausreichend ist vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH NJW 2015, 2111 Rn. 11).

28
Die Schüsse der SEK-Beamten auf den PKW des Klägers auf dem Gelände des Großmarktes waren von der Ermächtigungsgrundlage der §§ 63, 64 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW gedeckt und somit gerechtfertigt.

29
Eine vorherige Androhung der Maßnahme war angesichts der vorherigen Schüsse entbehrlich.

30
Gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW ist der Schusswaffengebrauch gegenüber Personen nur zu den dort in Nr. 1-5 genannten Zwecken zulässig.

31
Hier war eine Gefahr für Leib oder Leben der handelnden Beamten im Sinne des § 64 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW gegeben, da der Kläger offensichtlich zum Gebrauch seiner Schusswaffe bereit war.

32
Ob einer der SEK-Beamten 0,16 sek. zuvor als Erster einen Schuss auf den PKW des Klägers abgegeben hat, ist dabei unerheblich. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger seinen Schuss seinerseits lediglich als Reaktion auf einen vorherigen Schuss eines SEK-Beamten abgegeben hat. Der Schuss des Klägers kann auf Grund der Kürze des zeitlichen Abstands nicht erst als Reaktion auf den ersten Schuss des Beamten abgegeben worden sein, sodass der Kläger seine Schusswaffe bereits gezogen haben musste, als der Beamte seinen Schuss abgab. Dies entspricht auch den Ergebnissen der staatsanwaltlichen Ermittlungen.

33
Mithin waren sämtliche Schüsse, die die SEK-Beamten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang daraufhin in Richtung des Klägers abgaben, gerechtfertigt. Denn es war nach der Abgabe des ersten Schusses auf einen Beamten objektiv davon auszugehen, dass der Kläger weiterhin schussbereit war.

34
Die Gefahr war auch weiterhin jedenfalls solange „gegenwärtig“ im Sinne des § 63 PolG NRW, solange sich der Kläger auf dem Parkplatz des Großmarktgeländes befand, da ein erneuter Schuss jederzeit unmittelbar möglich war.

35
Gleiches gilt für eine Rechtfertigung der Schüsse § 32 StGB. Auch bei Polizeibeamten im Dienst ist das Notwehrrecht nach h.M. nicht durch die polizeirechtlichen Ermächtigungsvorschriften eingeschränkt (BGH NStZ 2005, 31f.; OLG Karlsruhe, Urt. V. 10.2.2011, – Az.: 2 Ws 181/10 – , Rn. 16). Da der Kläger einen Schuss auf einen Beamten abgegeben hat, bestand ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff.

36
Dieser war auch zumindest während des lediglich wenige Minuten andauernden Geschehens auf dem Großmarktgelände weiterhin „gegenwärtig“ im Sinne des § 32 StGB. Denn ein Angriff bleibt „gegenwärtig“ in diesem Sinne, solange die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung oder deren Vertiefung andauert (Fischer StGB, § 32 Rn. 18). Dies ist solange der Fall, bis die Angriffsgefahr beseitigt ist, d.h. auch eine Wiederholung der Angriffshandlung nicht mehr befürchtet werden muss (OLG Karlsruhe, Beschl. V. 10.2.2011 – 2 Ws 181/10, Rn. 29; BGH NStZ 2006, 152 ff.). Auch wenn der Kläger tatsächlich keinen weiteren Schuss mehr abgegeben hat, stand auf Grund der objektiven Sachlage nicht fest, dass der weiterhin bewaffnete Kläger, während sein PKW auf dem Großmarktgelände stand, nicht erneut schießen würde.

37
Der Angriff war auch rechtswidrig. Auch wenn der Kläger selbst tatsächlich davon ausgegangen sein sollte, dass er Opfer eines Raubüberfalls sei und daher bei seinem Schuss im Erlaubnistatbestandirrtum gehandelt hat, lässt dies nur die Vorsatzschuld, nicht jedoch die Rechtswidrigkeit seines Angriffs entfallen.

38
Im Hinblick auf den weiteren Verlauf des Einsatzes ab dem Verlassen des Großmarktgeländes obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass auch die weiteren Schüsse durch eine Gefährdungslage (zumindest eine Anscheinsgefahr nach der ex-ante-Perspektive) gerechtfertigt waren, der Beklagtenseite. Ob auch diese, u.a. durch SEK-Beamte und Beamte der Hundeführerstaffel abgegebenen Schüsse gerechtfertigt waren, kann hier dahinstehen, da der Kläger jedenfalls nicht darlegen konnte, welche Schüsse zu den Verletzungen an Kopf und Armen geführt haben. Ihm obliegt jedoch die Darlegungs- und Beweislast für die Kausalität der polizeilichen Handlung für seine Verletzungen und somit dafür, dass gerade diese Schüsse zu seinen Verletzungen geführt haben. Das Landgericht Köln hat in seinem Urteil vom 2.8.2016 (Az.: – 321 Ks 5/15- ) jedoch festgestellt, dass der Kläger während des Geschehens auf dem Parkplatz durch die dort abgegebenen Schüsse jedenfalls bereits die Verletzungen an beiden Handgelenken und vermutlich auch die Verletzungen im Gesichtsbereich erlitten hat. Es kann nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht ausgeschlossen werden, dass bereits die ersten, nach dem Vorstehenden jedenfalls gerechtfertigten Schüsse zu den Verletzungen an Kopf, Armen und Händen des Beklagten geführt haben.

39
b) Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung seines linken Beins auf der C-Straße zu.

40
Hinsichtlich des Geschehens auf der C-Straße ist der Kläger unstreitig durch einen Schuss des Zeugen Nr. 120 an seinem linken Bein verletzt worden. Der Zeuge Nr. 120 war in seinem Handeln jedoch dahingehend gerechtfertigt, dass die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage der §§ 63, 64 PolG NW für einen Schusswaffengebrauch gegen Personen bestanden haben.

41
Eine vorherige Androhung der Maßnahme war angesichts der vorherigen (Warn-) Schüsse und der zeitlichen Dringlichkeit entbehrlich.

42
Gemäß § 63 Abs. 2 S. 1 PolG NRW dürfen Schusswaffen gegenüber Personen nur gebraucht werden, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Nach Angaben des Zeugen Nr. 120 schoss dieser auf den Kläger, als dieser mit seinem PKW auf der C-Straße quer zum Halten gekommen war. Die Aussage des Zeugen war insoweit glaubhaft, denn er konnte das Geschehen detailliert und raum-zeitlich logisch, ohne erkennbare Tendenzen objektiv schildern. Der Zeuge hat Erinnerungslücken zugegeben und auch nebensächliche Einzelheiten erwähnt.

43
Es kann hier offenbleiben, ob das Handeln auch von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt war, soweit der Schuss erfolgt ist, um den Kläger fluchtunfähig zu machen. Gemäß § 63 Abs. 1 S. 2 PolG NRW ist der Schusswaffengebrauch gegen Personen nur dann gerechtfertigt, wenn der Zweck nicht auch durch Schusswaffengebrauch gegen Sachen erreicht werden kann. Die diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastete Beklagtenseite hat hier nicht hinreichend dargelegt, weshalb die Fluchtunfähigkeit nicht auch dadurch erzielt werden konnte, dass der bereits angehaltene PKW des Klägers fahrunfähig geschossen wurde. Der Zeuge hat lediglich dargelegt, dass ein Rammen des Fahrzeugs mit seinem eigenen PKW nicht in Betracht gekommen wäre, weil ein Auslösen der Airbags dann auch die Beamten selbst an einer etwaigen Weiterfahrt gehindert hätte.

44
Hier diente die Maßnahme jedoch zusätzlich dazu, den Kläger angriffsunfähig zu machen.

45
Andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs waren angesichts der räumlichen Entfernung der Beamten von dem PKW des Klägers offensichtlich nicht in gleicher Weise erfolgsversprechend um eine Angriffsunfähigkeit herbeizuführen ohne sich selbst oder andere dabei zu gefährden. Auch ein Schuss auf die Arme o.ä. war nicht gleich erfolgsversprechend, da der Kläger nach den Angaben des Zeugen Nr. 120 bei geschlossener Fahrertür im PKW saß, sodass lediglich auf seinen oberen Körper gezielt werden konnte.

46
Eine etwaige Möglichkeit, die Angriffsunfähigkeit durch vorrangigen Schusswaffengebrauch gegenüber Sachen erreichen zu können, ist hier ebenfalls nicht ersichtlich.

47
Gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW ist der Schusswaffengebrauch gegenüber Personen außerdem nur zu den dort in Nr. 1-5 genannten Zwecken zulässig.

48
Hier war aus der Perspektive des Zeugen Nr. 120 eine gegenwärtige (Anscheins-)Gefahr für Leib oder Leben gegeben.

49
Eine „Gefahr“ liegt nach allgemeiner Ansicht vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird (BVerwGE 45, 51, 57).Objektiv ging hier von dem Kläger zum Zeitpunkt des letzten Schusses keine Gefahr für Leib oder Leben mehr aus, da der Kläger zum Zeitpunkt des Schusses bereits unbewaffnet war. Es war jedoch eine Anscheinsgefahr gegeben, von der der Zeuge Nr. 120 auch ausgehen durfte. Ob eine Anscheinsgefahr vorlag richtet sich danach, ob aus der ex-ante-Sicht eines verständigen Polizeibeamten in der Situation des Zeugen Nr. 120 der tatsächliche Anschein einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben von Personen bestand.

50
Nach der Vorstellung des Zeugen Nr. 120 lag zum Zeitpunkt seines Schusses auf den Kläger eine Notwehrlage, also ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, vor. Diese Annahme war durch hinreichende objektive Anhaltspunkte gerechtfertigt. Dies gilt bereits unabhängig davon, ob der Zeuge tatsächlich kurz zuvor einen „dunklen Gegenstand“, den er für eine Waffe gehalten hat, in der Hand des Klägers erblickt hat. Subjektiv ist der Zeuge Nr. 120 nach den Angaben in seiner Vernehmung davon ausgegangen, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch bewaffnet und schussbereit war. Der Zeuge hat nach den Angaben in seiner Vernehmung die Verfolgung des Klägers aufgenommen, weil er auf dem Großmarktparkplatz einen Schusswechsel wahrgenommen und den Kläger anschließend wegfahren gesehen hat, sodass er ersichtlich zunächst bewaffnet und schussbereit war. Zudem hat er aus dem Bereich der Parkplatzausfahrt erneut eine Vielzahl von Schussgeräuschen wahrgenommen. Diese Tatsache ließ angesichts der vorangegangenen Ereignisse dabei nicht unwahrscheinlich erscheinen, dass die Schüsse erneut durch einen etwaigen weiteren Schuss des Klägers veranlasst worden sind. Vor Beginn des Einsatzes hatte der Zeuge Nr. 120 die Information bekommen, dass der Kläger sich zuvor gegenüber Dritten gewaltbereit gezeigt hatte, vermutlich über mehrere Waffen verfügte und unter Drogeneinfluss stand. Diese objektiven Anhaltspunkte ließen auch für einen verständigen objektiven Betrachter in Zusammenschau die Gefahr eines erneuten Schusses auf die Beamten sehr wahrscheinlich erscheinen.

51
Für den Zeugen Nr. 120 war aus der ex ante Perspektive eines verständigen Polizeibeamten auch nicht erkennbar, dass der Kläger sich bereits seiner Waffen entledigt hatte und damit unbewaffnet war. Denn der Kläger hat seine beiden Pistolen zu irgendeinem Zeitpunkt während der Flucht aus dem Fenster geworfen. Wann dies genau geschah, ist unklar. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der Zeuge Nr. 120 und sein Beifahrer diesen Umstand hätten erkennen müssen. Insbesondere sprechen auch die unstreitigen tatsächlichen Gegebenheiten dafür, dass das Wegwerfen der Waffen im Zuge des schnell ablaufenden Einsatzgeschehens nicht erkennbar war. Denn es herrschte viel Verkehr auf der C-Straße und hinter dem PKW des Klägers fuhr zunächst die Hundeführer-Staffel, während die SEK-Beamten wiederum dahinter fuhren, sodass sie keine direkte Sicht auf den PKW des Klägers hatten. Schließlich hätte der Zeuge Nr. 120 aber auch dann nicht davon ausgehen müssen, dass der Kläger unbewaffnet war, wenn er wahrgenommen hätte, wie der Kläger zwei Waffen aus seinem PKW warf. Denn den Beamten war unbekannt, über wieviele Waffen der Kläger tatsächlich verfügte.

52
Soweit der Kläger behauptet, er habe zum Zeitpunkt des letzten Schusses bereits offensichtlich schwer verletzt die Tür seines PKW geöffnet und sei offensichtlich unbewaffnet und wehrlos gewesen, konnte diese Behauptung durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt werden. Keiner der benannten Zeugen hat diese Behauptung bestätigt.

53
Nach der Vorstellung des Zeugen Nr. 120 war die Gefahr auch noch gegenwärtig.

54
Eine Gefahr ist dann „gegenwärtig“ wenn der Schaden für das Rechtsgut unmittelbar bevorsteht, also jederzeit eintreten kann oder den Umständen nach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintritt (Tegtmeyer/Vahle, PolG NRW, 11. Aufl). Hier war der Kläger für den Zeugen Nr. 120 ersichtlich noch handlungsfähig am Steuer seines PKWs. Die Aussage des Zeugen war insoweit glaubhaft, denn er konnte das Geschehen detailliert und raum-zeitlich logisch, ohne erkennbare Tendenzen objektiv schildern. Der Zeuge hat Erinnerungslücken zugegeben und auch nebensächliche Einzelheiten erwähnt. Wegen der Hintergrundinformationen und dem erlebten Schusswechsel auf dem Großmarktgelände durfte der Zeuge Nr. 120 davon ausgehen, dass der Kläger weiterhin bewaffnet ist und ein erneuter Schuss auf die Beamten jederzeit möglich wäre, sodass eine unmittelbare Wiederholung des Angriffs befürchtet werden musste.

55
Dass der Zeuge auch nach seiner Vorstellung nicht gänzlich sicher sein konnte, ob der Kläger tatsächlich erneut schussbereit war, steht der Annahme einer Anscheinsgefahr nicht entgegen. Denn selbst wenn sich der Beamte darüber bewusst gewesen sein sollte, dass die Situation tatsächlich auch harmlos gewesen sein könnte, wäre die Maßnahme nach den Grundsätzen des Gefahrenverdachts auch dann gerechtfertigt, wenn – wie hier- auf Grund des zeitlichen Geschehensablaufs keine Möglichkeit bestanden hat, die Situation vorher aufzuklären (Tegtmeyer/Vahle, Polizeigesetz NRW,11. Aufl. 2014, § 8 Rn. 21).

56
Ob auch die besonderen Voraussetzungen des § 63 Abs. 2 S. 2 hier gegeben waren, kann offenbleiben, da keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der Schuss des Zeugen Nr. 120 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken würde.

57
Die Maßnahme war auch verhältnismäßig. Die Grenzen des verhältnismäßigen Handelns wurden hier nicht überschritten. Der Handelnde ist berechtigt, dasjenige Mittel zu wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Ein gleich geeignetes Mittel um die Gefahr eines erneuten Schusses durch den Kläger gleich zuverlässig auszuräumen war hier nicht ersichtlich. Insbesondere auf Grund des dynamischen Geschehensablaufs, des Gewichts des bedrohten Rechtsguts und der Kürze der zur Überlegung zur Verfügung stehenden Zeit, kann der Zeuge Nr. 120 hier nicht auf ein milderes Mittel verwiesen werden.

58
Zudem waren zugleich auch die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW gegeben. Denn aus der ex-ante-Sicht der Zeugen Nr. 120 bestand mit der Gefahr eines erneuten Schusses auf die Beamten auch die Gefahr einer unmittelbar bevorstehenden Begehung eines Verbrechens im Sinne des Abs. 1 Nr. 2.

59
c) Eine Amtspflichtverletzung ist auch nicht in der Einsatzplanung an sich bzw. der Art und Weise der Durchführung des Einsatzes erkennbar. Dafür, dass es amtspflichtwidrig gewesen sein könnte, den Zugriff auf die Person des Klägers erst durchzuführen, nachdem dieser in seinen PKW gestiegen war, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

60
Mangels Hauptanspruchs bestehen auch die geltend gemachten Nebenansprüche nicht.

61
2. Der Feststellungsantrag ist mangels Anspruchs dem Grunde nach ebenfalls unbegründet.

62
3. Der Antrag zu 3. ist unbegründet. Es besteht kein rechtliches Interesse des Klägers an einer Auskunft über die verlangten Daten der handelnden Polizeibeamten. Ein Anspruch des Klägers gegen die Handelnden selbst scheidet gemäß § 839 BGB iVm Art. 39 GG aus, soweit diese, wie von Beklagtenseite behauptet, Polizeibeamte sind und in Ausübung ihres öffentlichen Amtes handelten. Soweit der Kläger geltend macht, Dienstgrad und Dienststelle der Personen erfahren zu müssen um überprüfen zu können, ob diese in Ausübung ihres öffentlichen Amtes handelten und insoweit vom Privileg des Art. 39 GG erfasst sind, begründet auch dies keinen Auskunftsanspruch. Denn zum einen stünde dem Kläger in diesem Fall kein Anspruch gegen die Beklagte sondern ggf. nur gegen die handelnde Person zu, sodass er in diesem Fall nicht besser gestellt wäre. Zum anderen würde auch eine Auskunft über Dienstgrad und Dienststelle der Klägerseite nicht ermöglichen, die Ausübung des öffentlichen Amtes qualifiziert zu bestreiten. Die Beklagtenseite hat substantiiert vorgetragen, dass alle handelnden Personen als Mitglieder eines Sondereinsatzkommandos an dem polizeilichen Einsatz mitgewirkt haben. Dies wird vom Kläger nicht bestritten.

63
Anders als die Klägerseite meint, ergibt sich ein solcher Anspruch auch nicht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers. Allein die Kenntnis des Namens der handelnden Beamten dürfte keinen Genugtuungswert für den Kläger haben, und auch ansonsten folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kein Anspruch auf Informationen über den Schädiger, die nicht der Rechtsdurchsetzung dienen.

64
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

65
Der Streitwert wird auf 440.000,00 EUR festgesetzt.

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