OLG München, Urteil vom 26.10.2012 – 10 U 2450/12
Zum Rücktrittsrecht des Käufers eines Gebrauchtfahrzeuges bei Motorschaden nach kurzer Fahrstrecke (Rn.8)
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers vom 19.07.2012 wird das Endurteil des LG München I vom 25.05.2012 (Az. 23 O 19744/10) und wie folgt neu gefasst:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.450,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.10.2010 Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw Peugeot 807 HDi, EZ 21.06.2006, FIN: …46, zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, dass sich der Beklagte hinsichtlich der Rücknahme des in Ziff. I genannten Pkws in Annahmeverzug befindet.
III. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.243,96 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.063,96 EUR seit 04.10.2010, aus weiteren 180,00 EUR seit 09.05.2012 sowie vorgerichtliche Anwaltsgebühren von 661,16 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 22.02.2011 zu bezahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A.
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Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
Entscheidungsgründe
B.
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Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
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I. Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Rücktritt des Kaufvertrags vom 20.09.2010 über das im Tenor bezeichnete Fahrzeug Peugeot 807 HDi verneint (§§ 437 Nr. 2 Var. 1, 323 I, 346 I BGB).
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1. Der Senat geht wie das Landgericht davon aus, dass es sich um einen Verbrauchsgüterkauf gehandelt hat; Rechtsfehler des Ersturteils sind insoweit nicht ersichtlich.
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2. Auf Grund der durch das Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Motorschaden weder auf Verschleiß des Turboladers noch auf eine Fehlbedienung seitens des Klägers zurückzuführen ist.
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3. Ausweislich des unstreitigen Tatbestands steht weiter fest, dass der Beklagte auf telefonische Anfrage des Zeugen J. mitteilte, der Kläger solle den Schaden in der Werkstätte des Zeugen S. reparieren lassen, auf Nachfrage des Zeugen S. weitere Gespräche jedoch ablehnte. Sollte der Berufungsgegner von einem anderen Tatbestand als dem des Ersturteils ausgehen oder diesen angreifen, wäre dies fehlsam, weil der Tatbestand des Ersturteils den für das Berufungsgericht nach § 529 I Nr. 1 ZPO maßgeblichen Sachverhalt bestimmt (BVerfG NJW 2005, 657 [i. Erg.]; RGZ 2, 401; BGH VersR 1959, 853; 1983, 1160 = JurBüro 1984, 379; BGHZ 140, 335 [339]; NJW 2001, 448; NJW-RR 2002, 1386 [1388]; NJW 2004, 1381; MDR 2007, 853; NJW-RR 2009, 981 = MDR 2009, 833; BAGE 8, 156 = NJW 1960, 166 = MDR 1960, 81; BFH BFH/NV 1999, 1609; OLG Stuttgart NJW 1969, 2055; OLG München BauR 1984, 637 und Senat in st. Rspr., zuletzt etwa r+s 2010, 434; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 778 (779) und 891 (892); OLG Rostock OLGR 2004, 61; vgl. zu dem Fragenkreis umfass. Doukoff a.a.O. Rz. 111). Im Berufungsverfahren kann eine Tatbestandsberichtigung grundsätzlich nicht herbeigeführt werden (BGH VersR 1959, 853; 1983, 1160 = JurBüro 1984, 379; BGHZ 122, 297 = NJW 1993, 1851 [1852] = MDR 1993, 863; NJW 1994, 517 = MDR 1994, 254 = VersR 1994, 319; BGHZ 182, 76 [unter II 1] = MDR 2009, 231 = NJW-RR 2010, 975 = WM 2009, 1597 [1598] = VersR 2010, 775; OLG Stuttgart NJW 1969, 2055; OLG München BauR 1984, 637 [in MDR 1984, 321 insoweit nicht abgedruckt] und Senat in st. Rspr., zuletzt etwa r+s 2010, 434; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 778 (779) und 891 (892); Eichele/Hirtz/Oberheim a.a.O. Kap. IV Rz. 106; Thomas/Putzo/Reichold a.a.O. § 320 Rz. 1; Doukoff a.a.O. Rz. 116). Wenn der Beklagte die erstgerichtliche Feststellung nicht hätte hinnehmen wollen, hätte er ein – fristgebundenes – Tatbestandsberichtigungsverfahren nach § 320 ZPO durchführen müssen (Senat in st. Rspr., zuletzt etwa r+s 2010, 434; vgl. dazu ausführlich Doukoff a.a.O. Rz. 114-123). Es ist daher davon auszugehen, dass der Beklagte sich auf ein Recht auf Nachbesserung nicht mehr berufen kann.
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4. Hinsichtlich der Frage des Nachweises eines Mangels zum Zeitpunkt der Übergabe der Kaufsache bedurfte es jedoch einer ergänzenden Beweisaufnahme durch (erneute) Anhörung des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) H., da unverständlich war, weshalb der Sachverständige noch in seinem schriftlichen Gutachten vom 05.10.2011 zu einem eindeutigen Ergebnis kam, wonach davon auszugehen sei, dass im Hinblick auf die geringe Fahrleistung nach der Übergabe das Fahrzeug bereits beim Kauf die nicht für die gewöhnliche Verwendung vorauszusetzende Eignung und die für Alter und Laufleistung zu erwartende Beschaffenheit aufwies (Bl. 55 d.A.), er hiervon in seiner Anhörung vor dem Landgericht ausweislich des Protokolls jedoch hiervon abgewichen ist.
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Die ergänzende Befragung des Sachverständigen H., an dessen Fachkompetenz der Senat keine Zweifel hat, in der mündlichen Verhandlung vom 28.09.2012 (vgl. Protokoll S. 3-4 (= Bl. 134 f. d.A.) hat ergeben, dass sich seine Antwort in der Anhörung erster Instanz nur darauf bezogen hat, ob technisch ausgeschlossen werden kann, dass ein Turbolader von einem Moment zum nächsten ausfällt. Hierauf kommt es aber bei zutreffender Anwendung des § 286 I ZPO nicht an. Denn nach § 286 I 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung nur zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine – ohnehin nicht erreichbare (vgl. RGZ 15, 339; Senat NZV 2006, 261; Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [Juris], st. Rspr., zuletzt Urt. v. 11.06.2010 – 10 U 2282/10 [Juris = NJW-Spezial 2010, 489 f. m. zust. Anm. Heß/Burmann) – absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256] = NJW 1970, 946, st. Rspr., insbesondere NJW 1992, 39 [40] und zuletzt VersR 2007, 1429 [1431 unter II 2]; Senat NZV 2003, 474 [475] = VersR 2004, 124 = r+s 2005, 84 [Revision vom BGH durch Beschl. v. 01.04.2003 – VI ZR 156/02 nicht angenommen]; NZV 2006, 261; Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [Juris], st. Rspr., zuletzt Urt. v. 11.06.2010 – 10 U 2282/10 [Juris = NJW-Spezial 2010, 489 f. m. zust. Anm. Heß/Burmann]). Bei Berücksichtigung dieses Maßstabs hat der Sachverständige jedoch überzeugend ausgeführt, dass das Fahrzeug nach allen vorliegenden Informationen, die der Sachverständige im Einzelnen erörtert hat, bereits vor dem unmittelbaren Schadensereignisses, also auch bei Übergabe des Fahrzeugs durch den Beklagten an den Kläger, mit einem Mangel behaftet war, der auf der kurzen Fahrstrecke bis zum Eintritt des Motorschadens nicht entstanden sein konnte. Dies berechtigt den Kläger unter Bezugnahme auf Ziff. I. 3. zum Rücktritt vom Kaufvertrag (vgl. hierzu auch OLG Schleswig, BB 2012, 2318).
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Dementsprechend kann der Kläger den bezahlten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs verlangen. Ziff. II des Tenors ergibt sich aus dem Annahmeverzug (§ 293 BGB) des Beklagten (§ 256 ZPO). Der Kläger hat deshalb weiter einen Anspruch auf die Folgeschäden sowie die vorgerichtlichen Anwaltskosten einschließlich der jeweiligen Verzugszinsen (siehe hierzu im Einzelnen die Ziff. 4a des Ersturteils, §§ 280 I, 433, 434 I 2 Nr. 2, 437 Nr. 3, 286 I, 288 I, 291 BGB). Auch bezüglich der vergeblichen Aufwendung für die Zollkennzeichen ist ein klägerischer Anspruch nunmehr zu bejahen (siehe hierzu im Einzelnen die Ziff. 4b des Ersturteils, §§ 284, 433, 434 I 2 Nr. 2, 437 Nr. 3, 286 I, 288 I, 291 BGB). Nach der geforderten Rechnungsübersendung (vgl. Klageerwiderung vom 06.05.2011, S. 2 = Bl. 25 d.A.) mit Schriftsatz vom 19.04.2011 (Bl. 28 d.A.) wurden Einwände des Beklagten zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche nicht mehr erhoben, weitere Ausführungen sind daher entbehrlich.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
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IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.